Schweitzer Fachinformationen
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Donnerstag
Franz atmete tief ein und starrte in die Abenddämmerung, die durch die dunklen Wolken noch verstärkt wurde. Er stand, geschützt vor dem heftigen Regen, unter dem Vordach des Einganges auf der Terrasse vom Stripsenjochhaus und konnte es kaum fassen.
Der Wind pfiff ums Haus, dass es überall knarrte und ächzte, er rüttelte an den Fensterläden und schaffte zwischendrin immer wieder ein seltsames Heulen und Seufzen, dass es einem himmelangst werden konnte. Da hatte es einen Monat lang herrlichstes Frühlingswetter gehabt, und ausgerechnet jetzt, kurz bevor die Hütte öffnete, schlug es um. Die letzten Tage hatte eine Föhnlage selbst hier auf tausendfünfhundert Metern für recht angenehme Temperaturen gesorgt, und die ersten Kletterer hatten bereits in den Wänden des Wilden Kaisers ihr Glück versucht.
Das Wetter war phantastisch gewesen. Bis vor drei Stunden. Gerade noch hatten sich Franz und sein Team eine späte Kaffeepause auf der sonnenwarmen Terrasse gegönnt, als plötzlich die Kaltfront heranbrauste. Gut, das war ja vorhergesagt gewesen, auch dass es windig werden würde. Der Wind war jedoch so plötzlich und derart heftig gekommen, dass der Biertisch, auf dem sich noch das ganze schmutzige Kaffeegeschirr befand, umgekippt war. Eine der neuen Tassen hatte einen eleganten Abgang über den Steilhang unter der Terrasse gemacht. Franz, der gerade aufgestanden war, hatte genau gesehen, an welchem Stein sie in tausend Stücke zerborsten war.
Jetzt präsentierte sich das Stripsenjochhaus frisch gelüftet und herausgeputzt für eine Schlechtwetterfront. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Franz schüttelte unmerklich den Kopf. Das ging ja schon gut los in diesem Jahr. Na ja, auf diese Art hatte das Team wenigstens Zeit, sich wieder einzugewöhnen. Ein paar Änderungen würden sie bewältigen müssen, da war es vielleicht ganz gut, wenn es gemütlich losging, versuchte Franz, der Situation eine positive Seite abzugewinnen.
Aber er hätte dringend Verstärkung gebraucht. In Ermangelung eines Chefkochs hatte er Veit, seinen langjährigen Beikoch, für diese Saison kurzerhand zum Küchenchef erklärt. Jetzt fehlte natürlich ein Beikoch. War nicht so einfach, für eine Schutzhütte Personal zu finden, sogar wenn sie so gut erreichbar war wie das Stripsenjochhaus. Veits Freundin Mara wollte ursprünglich auch wieder als Küchenhilfe kommen, aber ihre Mutter hatte einen Schlaganfall erlitten, und Mara blieb demnach zu Hause.
Sabi, die viele Sommer Büro und Kiosk betreut sowie im Service ausgeholfen hatte, war hochschwanger und fiel daher aus. Franz seufzte. Er war froh, seinem Team schon jetzt zu Beginn freie Tage eingeteilt zu haben, denn wer konnte ahnen, was noch kommen würde? Bei Rika und Peter, beide Studierende aus Bayern und den Sommer über hier auf der Hütte angestellt, hatte er gleich noch ein paar Tage dazugehängt, schließlich waren die beiden nicht Vollzeit hier, und ihm war natürlich lieber, wenn sie an Schönwetter-Wochenenden arbeiteten.
Geggi trat zu ihm. Sie hatte die letzten Tage kräftig mitgeholfen, als es galt, die Hütte aus ihrem wohlverdienten Winterschlaf zu holen. »Hallo, Brüderlein, das Essen ist fertig«, erklärte sie. »Des wird schon wieder besser, des Wetter, sonst machst halt ein BBB-Wochenende«, grinste sie.
Franz schaute sie fragend an.
»Buch-Bett-Bademantel-Wochenende«, erklärte Geggi.
»WWWW wär mir lieber«, entgegnete er spontan. »Wein - Weib - Wunderschönes Wetter.«
»Bei wunderschönem Wetter hättest aber absolut keine Zeit für Wein und Weib!« Geggi lachte laut und verdrückte sich wieder in die Gaststube. Die hölzerne Eingangstür stand wie fast immer sperrangelweit offen, damit man, voll beladen mit Essen und Getränken, nicht noch ein Hindernis zu bewältigen hatte. Es genügte schon, wenn man durch die Glastür musste, die allerdings auch die meiste Zeit geöffnet war. Franz schaute Geggi grinsend nach, als sie in der Hütte verschwand.
Gerade als er seinen Blick wieder Richtung Berge wandte, hörte er einen Schrei. Und war da nicht auch kurz ein Licht aufgeblitzt? Unwillkürlich machte er einen Schritt nach vorne, zuckte aber sofort zurück, als ihm der Regen ins Gesicht peitschte. So ein Sauwetter, ein elendiges! Franz lenkte seine volle Konzentration in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Nichts. Konnte man bei dem lauten Prasseln der Regentropfen einen Schrei überhaupt hören, fragte er sich. Abgesehen von Regen und Wind war nichts zu vernehmen. Er sah auch kein Lichtsignal, das auf einen Kletterer in Not hingewiesen hätte. Nur dunkle Nacht und dieser heftige Regen. Vermutlich war es irgendein Tier gewesen und das Licht einfach eine Reflexion in der Glastür, als Geggi gegangen war. »Schluss jetzt mit der Grübelei«, brummte er. Wer sollte schon bei diesem Wetter da oben unterwegs sein? War ja schließlich angesagt gewesen, dieser heftige Wetterumschwung.
Er betrat die Stube, in der sein Team zusammensaß und auf ihn wartete. Veit hatte einen Eintopf mit Rindfleisch zubereitet, ein altes Rezept, hatte er ganz geheimnisvoll verkündet. »Hat gekocht lange und langsam, damit Geschmack sich kann gut entwickeln. Jetzt ich will wissen, ob euch schmeckt«, verkündete der ehemalige Lehrer aus Tschechien.
»Ja hast du denn Zeit, um lange langsam zu kochen, oder was? Kochst vielleicht ein bisserl schneller und hilfst uns?« Tina, die Kellnerin, schaute den Koch grinsend an. Sie hatte heute frei und war gestern am Nachmittag schon in bester Laune Richtung Tal gegondelt. Jetzt war sie gerade rechtzeitig zur Kaffeejause wieder auf der Hütte erschienen, quietschvergnügt, beinahe schon übermütig.
Jeder wusste, dass Tina nur scherzte, trotzdem versuchte Veit, sich zu rechtfertigen. »Kann ich langsam kochen und noch anderes herrichten, weißt du. Muss nicht stehen bleiben bei Topf. Topf kocht auch ohne mich, ist Zaubertopf .«
»Mahlzeit miteinand«, unterbrach Franz das Geplänkel. »Lasst es euch schmecken.« Er setzte sich neben Geggi, die ihn schräg von der Seite anschaute.
»Ist alles in Ordnung?«, wollte sie wissen.
»Was soll denn nicht in Ordnung sein?«, fragte Franz zurück.
»Dann passt es ja«, brummte sie und begann zu essen.
Jeder griff ordentlich zu, und für eine Weile hörte man nur das Klappern des Bestecks. Franz nutzte die Ruhe und ergriff das Wort, während es sich sein Team schmecken ließ.
»Schön, dass ihr wieder heraufgekommen seid auf das Stripsenjoch. Letzte Saison waren wir wirklich ein super Team, und wir werden auch diesen Sommer wieder gut über die Bühne bringen. Also wohl eher über die Terrasse«, grinste er. »Wie ihr wisst, sind wir im Moment noch ein wenig unterbesetzt, aber jetzt im Mai geht das schon. Geggi hilft uns ja wieder, und morgen werde ich euch Katharina, meine Freundin, vorstellen. Tashi kommt auch wieder, aber erst später, so wie letztes Jahr. Der Regen soll sich laut Wetterbericht bald in Schnee verwandeln, zumindest weiter oben. Morgen wird es auch noch kühl, dafür bleibt es trocken. Wenige Gäste also, ein paar Einheimische vielleicht und eventuell auch ein paar, die - schlechtes Wetter hin oder her - die geplante Tour trotzdem machen wollen. Wir werden allerhand vorkochen, die Lieferungen von heute noch besser verstauen, und das Haupthaus müssen wir erst einmal so warm bekommen, dass ich euch nicht mehr mit den Zähnen durch unsere dünnen Holzwände klappern hör«, versuchte er einen Scherz. Auch wenn es in letzter Zeit im Freien ziemlich warm war, im Haus war es immer noch recht kühl und vor allem klamm. Es dauerte jedes Jahr geraume Zeit, bis die dicken Außenmauern den Winterfrost abgeschüttelt hatten, auch wenn Franz schon ein paar Tage länger hier war und mit dem Heizen angefangen hatte. Zudem mussten sich alle erst wieder an das etwas rauere Klima hier am Berg gewöhnen. Das ging ihm selbst nicht anders. Und trotzdem war er froh, wieder frische Bergluft atmen zu können. »Alles klar?«, fragte er.
»Jo, Franz, des passt schon«, erklärte Andrej, der Kellner aus Bosnien. »Aber geht das mit Heizen vielleicht ein bisserl schneller? Hätt ich mir eher Sonne gewünscht in den Tiroler Bergen.«
»Hilfst mir halt beim Schneeräumen, da wird dir schnell warm«, grinste Kurt, der zweite Kellner, der auch für Hausmeistertätigkeiten zuständig war. Mit einer kurzen Handbewegung deutete er hinaus. Der Regen hatte tatsächlich aufgehört. Dafür jagten dicke weiße Flocken durch die Luft, fast schon idyllisch, wenn es mitten im Winter gewesen wäre. Draußen Schneesturm, herinnen wohlig warme Almhütten-Atmosphäre. Nur dass es Ende Mai war. Und das Stripsenjochhaus über hundert Betten und drei Gaststuben hatte, die voll sein sollten.
»Chef, eine Frage hätt ich aber schon. Was ist jetzt eigentlich mit dem Psychomenschen und seiner Freundin?«, unterbrach Tina die beinahe weihnachtliche Stimmung. »Ich meine, die haben uns super geholfen, aber wie geht das weiter?«
»Ja, was macht dieser Typ hier sonst?«, setzte Andrej die Frage von Tina fort.
»Habt ihr euch nicht getraut, sie selbst zu fragen, was?«, grinste Franz.
»Schon, haben wir. Aber Antwort war kompliziert«, klärte Andrej auf und schaute ein wenig beleidigt.
Franz bemühte sich, das Ganze schnell zu erklären. »Also der Peter, der studiert Soziologie. Und er schreibt eine Abhandlung über das Verhalten am Arbeitsplatz unter besonderen Bedingungen. Und wir hier heroben, wir haben anscheinend solche Bedingungen. Wir leben auf engem Raum mit wenig Freizeit und noch weniger Privatsphäre. Darum wird er quasi halbtags hier bei uns arbeiten, um zu beobachten, wie sich das über eine Saison entwickelt.«
»Sind wir jetzt...
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