Schweitzer Fachinformationen
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Immer noch in der Pampa
MÄÄH. Durch das gekippte Fenster dringt das Blöken der Ziegen herein. Bruno schläft noch tief und fest.
In den ersten Tagen nach ihrem Umzug hat Bruno den konstanten Straßenlärm vom Kottbusser Tor und das Wummern der Berliner U-Bahn unter ihrem Haus richtig vermisst. An diese absolute Stille auf dem Land, die immer wieder plötzlich unterbrochen wird von viel zu lauten Traktoren, irgendwelchen Kreissäge-Geräuschen oder den Lauten von Tieren, die aufgeregt nach Essen oder Auslauf rufen – daran musste er sich erst einmal gewöhnen.
Unter das Geblöke der Ziegen mischt sich jetzt auch die aufgebrachte Stimme eines Mannes. »Jockel, verdammt noch mal«, ruft Burkhard quer über den Hof. »Lass die Ziegen in Ruhe.«
Bruno blinzelt.
»Jockel, hey, bleib hier. Nein!«
Noch ein lautes Blöken von Jockel und Bruno ist wach. Er setzt sich auf und späht aus dem Fenster und sieht gerade noch, wie Jockel quer über die Felder davonrennt.
Bruno lässt sich zurück ins Bett fallen und reibt sich die Augen. Bumm. Das Tablet von Helge rutscht unter seinem Kissen heraus und fällt auf den Boden. Er hat bis tief in die Nacht Minecraft gespielt. Heimlich und unter der Bettdecke versteckt, denn auch wenn Wochenende ist und er ausschlafen kann, mögen das seine Eltern nicht. Bruno hebt das Tablet schnell auf, als fürchtete er, dass Helge, sein »Bonus-Papa«, jeden Augenblick durch die Tür kommen und ihn nachträglich bei seiner Aktion ertappen könnte. Dabei kann er sich eigentlich sicher sein, dass er ihn vorher hören würde, denn die Treppen in ihrem neuen Haus in der Pampa knarzen richtig doll. Bruno kann inzwischen die unterschiedlichen Knarzgeräusche so gut unterscheiden, dass er schon bei der dritten Stufe mit Sicherheit sagen kann, wer da gerade die Treppe hochkommt. Ein einwandfreies »Frühwarnsystem«. Brunos Freundin Ellis findet deswegen, dass sein Zimmer das Hauptquartier der Bulettenbande sein sollte.
»Ich meine HALLO?! Was gibts denn Wichtigeres für eine Bande, die wir ja jetzt nun mal sind, als ein Frühwarnsystem am Hauptquartier?« Sie war völlig aus dem Häuschen, als Bruno fünf Mal in Folge voraussagen konnte, wer als Nächstes in sein Zimmer kommen würde. Bei jemandem Fremden kann er natürlich nicht sagen, wer es ist, aber er kann voraussagen, dass er fremd ist. Das reicht ja manchmal schon.
»Bruno? Bist du wach?«, hört er jetzt Mama Laura von unten rufen. Bruno antwortet nicht, er hängt noch in seinen Gedanken fest. Er hört, wie Mama nach Marla, seiner großen Schwester, ruft: »Marla, guckst du mal, ob Bruno schon wach ist?«
Bruno zieht sich instinktiv die Decke über das Gesicht, während sich seine Zimmertür schon öffnet.
Er hört die laute Stimme seiner Schwester: »Bruno, du hast verpennt. Schule geht gleich los!«
Er bleibt einfach unter seiner Decke liegen und murrt: »Als ob! Heute ist überhaupt keine Schule.« Ein unerwartetes Piksen an der großen Fußzehe lässt ihn aufschreien, doch Marla kitzelt ihn weiter. »Marla, du nervst!« Bruno strampelt, so doll er kann. Dabei fällt Helges Tablet erneut aus dem Bett – Marla macht große Augen. Bruno versucht eilig, sein Kissen drüberfallen zu lassen, aber zu spät.
»Das ist Helges!«
»Ist es nicht.«
Marla sieht ihn taktierend an und grinst: »Jetzt hab ich dich in der Hand!«
»Das ist nicht Helges!«
»Ach nein?!« Sie guckt ihn herausfordernd an. »Wessen dann?«
Bruno sucht auf Hochtouren nach einer Lösung, aber ihm fällt absolut nichts ein. Hätte er das Hochgeschwindigkeitsgehirn seiner Schwester, würde er jetzt bestimmt ad hoc eine super Ausrede abspielen. Während er noch überlegt, zieht Marla kurz entschlossen ihr Handy und macht ein Foto von Bruno im Bett, wie er das Tablet von Helge umklammert und völlig verstört in ihre Handykamera blickt.
»Wie gesagt: Ab jetzt hab ich dich in der Hand.« Sie lacht bösartig.
Brunos Miene verdunkelt sich: »Wer bist du und was hast du mit meiner Schwester gemacht?«
»Frühstück ist fertig«, ruft Mama von unten aus der Küche und Marla folgt ihrem Ruf.
»Marla, warte!«
An der Tür dreht Marla sich noch mal um: »Was denn?!«
»Sag Helge nichts, bitte. Der dreht bestimmt total am Rad. Und Mama auch.«
Marla nickt vielsagend. »Da bin ich sicher!«
»Und was muss ich tun, damit du nichts sagst?«
»Machen, was ich will, wenn ich es will!« Sie zwinkert ihm zu und ist mit einem Schritt im Flur. Bruno hört, wie sie vergnügt summend die Treppe hinuntereilt. Verärgert boxt er in sein Kissen. So ein Mist, so ein verdammter Mist. In Berlin hätten Marla und er immer zusammengehalten gegen ihre Eltern, sie hätten immer gemeinsame Sache gemacht. Und jetzt? Erpresst sie ihn? Ernsthaft?!
»Monster!«, murmelt Bruno. Die Wut hat jetzt von seinem ganzen Bauch Besitz ergriffen. Seit sie nach Torfheide gezogen sind, ist Marla irgendwie härter drauf als vorher in Berlin. Dort gehörten sie zusammen – nur sie beide unter vielen. Sie lagen jeden Abend zumindest kurz noch in einem Bett und erzählten sich lustige Dinge. Hier scheinen sie sich immer weiter voneinander zu entfernen. Woran das wohl liegt?
Schließlich rappelt sich Bruno doch auf, schlurft hinunter und hinaus in die kühle Morgenluft. Barfuß durchquert er den menschenverlassenen Hof. Als er den großen Gemeinschaftsraum in der ehemaligen Scheune betritt, herrscht dort das übliche morgendliche Chaos. Auch wenn jede Familie auf dem Hof eine eigene Küche in ihrem Wohnbereich hat, so nutzen sie doch die große Scheunenküche und essen dann hier zusammen. Bruno liebt es, wenn alle erst mal an dem langen, uralten Holztisch sitzen und wild durcheinanderreden.
»Kann ich mal die Aprikosenmarmelade haben, bitte?«
»Hat jemand die Butter gesehen?«
»Will noch jemand Kakao?«
Petros, der Papa von Ellis, hat diese Tradition in ihrer zweiten Woche in Torfheide begonnen, weil er wollte, dass alle etwas zu seinem neuen Ziegenkäse sagen, und der Gemeinschaft hat es dann so gut gefallen, dass sie dabei geblieben sind. Bruno lässt sich gegenüber seinen Eltern auf die Bank fallen und will gerade nach dem letzten Schokocroissant greifen, als Marla plötzlich die Hand ausstreckt. Bruno guckt ganz verdutzt.
»Aber du hattest doch bestimmt schon eins!«, murrt er.
Marla lächelt. »Aber du gibst es mir doch bestimmt gerne, oder?!«
Bruno wirft einen flüchtigen Blick zu Mama und Helge hinüber. Sie schauen Marla und ihn abwechselnd mit erwartungsvollen Blicken an. So als würden sie jeden Augenblick mit einem Megastreit rechnen. Und Bruno weiß schon, was dann käme: Sie würden sie bloß nach draußen schicken, damit sie ohne Zuschauer und in Ruhe ihre »Dinge klären« können, wie Mama es nennt. Sie meint, dass das hilft, ohne Beeinflussung oder Angst vor Bewertung von außen seine Gefühle äußern zu können.
Wenn Mama und Helge so aufmerksam gucken, kann Bruno natürlich nicht riskieren, dass Marla ihn verpetzt. Nicht wegen eines Schokocroissants. Also überlässt er ihr wortlos SEIN Schokocroissant. Mama und Helge tauschen einen irritierten Blick, dann schauen sie wieder zwischen Marla und Bruno hin und her.
»Was guckt ihr denn so? Ist das nicht genau das, was ihr immer von uns wollt? Dass wir zuvorkommend sind?«, fragt Marla scheinheilig.
»Absolut«, stimmt Helge zu. »Aber du musst schon zugeben, dass es komisch ist, dass Bruno sein Schokocroissant ohne jeden Mucks hergibt.«
Bruno räuspert sich. »Mir ist einfach gar nicht so gut heute.«
Mama legt den Kopf schief, als könnte sie so in sein Inneres schauen.
»Wir sind einfach superlieb zueinander«, verkündet Marla und nimmt Bruno in einen zaghaften Schwitzkasten. »Oder, Bruni?«
Bruno lächelt verlegen, auch wenn er innerlich vor Wut kocht. Er murmelt ein »Mhm«, zu mehr fühlt er sich nicht in der Lage.
Marla entlässt ihn aus dem Schwitzkasten und wedelt stattdessen mit dem Schokocroissant vor seiner Nase herum. Bruno sitzt wie versteinert da. Wie kann man nur so fies sein?
»Marla, es reicht«, findet endlich auch Helge. Und zu Brunos Überraschung lässt Marla nicht nur die Provokation sein, sondern gibt ihm auch einen Bissen vom Croissant ab. Der buttrige Blätterteiggeschmack verbreitet sich in seinem Mund und die süßen Schokostückchen heben seine Stimmung.
Da meldet sich Julia, die Mutter von Ellis, zu Wort. »Alle mal herhören!« Die Blicke der Anwesenden richten sich auf sie. Sie steht am Ende des langen Tischs und hat ein Stück Kreide in der Hand.
»Wer es noch nicht mitbekommen hat: Burkhards Ziegenbock Jockel ist heute Morgen abgehauen. Wer ihn sieht, fängt ihn bitte ein und führt ihn zurück in seinen Stall, oder, Burkhard?«
»Vielleicht ruft ihr lieber mich an. Vor allem wenn er den Kopf mit seinen Hörnern senkt, Finger weg. Ich sammle ihn dann selbst ein. Mit dem ist heute nicht zu spaßen, glaub ich.«
Helge klopft dem niedergeschlagenen Burkhard auf die Schulter. »Er taucht bestimmt wieder auf.«
»Am Ende ist er zurück zu deiner Hütte in die Senke gelaufen?«, schlägt Ellis vor.
»Stimmt. Da fahre ich gleich mit dem Fahrrad mal hin.«
»Gut, Leute«, ergreift wieder Julia mit lauter Stimme das Wort. »Dann gehen wir kurz die Aufgaben durch, bevor wir uns alle in unseren Tag stürzen. Damit das Hoffest am Sonntag stattfinden kann, gibt es viel zu tun. Hof fegen,...
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