Vorwort des Herausgebers - Identity Wars
Come writers and critics
Who prophesize with your pen
And keep your eyes wide
The chance won't come again
And don't speak too soon
For the wheel's still in spin.
Bob Dylan: The Times They Are A-Changin'
1. In einem Gespräch mit Julie Bindel im britischen Online-Magazin Unherd vom 26. November 2021 sagt Janice Raymond über sich selbst, sie sei mit der Veröffentlichung ihres Buches The Transsexual Empire: The Making of the She-Male 1979 wahrscheinlich die erste «Terf» gewesen.1 Das Akronym Terf steht für «trans-exclusionary radical feminist». Tatsächlich taucht dieser Begriff erst etwa dreissig Jahre später auf, einigermassen geläufig dürfte er in den letzten Jahren geworden sein, als die Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling sich zunächst in launigen Tweets über die Rede von «Menschen, die menstruieren» lustig machte und schliesslich im Verlaufe einer in den sozialen Medien hitzig geführten Debatte über den biologischen Status von Transfrauen zu einer der Ikonen im Gender-critical-Diskurs wurde.2 Spätestens seit 2020 ist die Diskussion über den ontologischen Status (der von den gender critics in der Regel mit dem biologischen Status gleichgesetzt wird) ein Dauerthema in der Presse. Vor dem Hintergrund von Gesetzesänderungen in einigen Ländern wie Deutschland, Schweden und der Schweiz, die eine Änderung des Geschlechts auch ohne psychiatrische Behandlung, Sterilisation, Operation oder Hormonbehandlung gestattet. Die Kritik an dieser neuen Legislation lässt sich in der rhetorischen Frage Kann man durch einen blossen Sprechakt sein Geschlecht ändern? zusammenfassen.3
Diese Diskussion ist zu einer Auseinandersetzung über Realismus / Naturalismus und Kon-struktivismus, (Natur-)Wissenschaft und postmoderne Ideologie, Biologie und Gendertheorie, Sozial- vs. Identitätspolitik, Wahrheit und Fake . (you name it) geworden.4
2. Gehen wir zurück zu Janice Raymonds Buch The Transsexual Empire von 1979.5 Das Buch entstand aus ihrer Dissertation am Boston College 1977; Raymond widmete es ihrer Doktormutter Mary Daly, einer der bekanntesten Vertreterinnen einer radikal feministischen Theologie. Die ersten Ideen zum Buch, so Raymond, habe sie 1972 in einem conference paper an einer Tagung der New England Regional American Academy of Religion vorgestellt. The Transsexual Empire ist ein Kind der 1970er-Jahre. Im Zeitgeist der 70er-Jahre wird es auch rezipiert: nicht als Anti-Trans-Manifest, sondern als Kampfschrift gegen den «medizinisch-institutionellen Komplex», der die sexistischen gesellschaftlichen Bedingungen in Transsexualismus «übersetzt».6 Es ist ein klassisches psychiatrie- und gesellschaftskritisches Argument: Nicht der psychiatrische Patient ist krank; er ist vielmehr der Symptomträger einer kranken Gesellschaft.7 Was Raymond darüber hinaus sagt: She-Males sind die Geschöpfe männlicher Frankensteins, die Transfrau ist eine Schöpfung der Frau durch den Mann.
Im Sinne der Gesellschaftskritik - und nicht als Information über die Situation transsexueller Menschen - wird das Buch auch in der New York Times von Thomas Szasz rezensiert;8 wenngleich es bei der heutigen Lektüre schwierig ist, all die gehässigen Sticheleien zu überlesen, die einem aus der heutigen Genderkritik so geläufig sind.
Szasz schreibt:
Was die transsexuelle Chirurgie zu einer männlich-suprematistischen Obszönität macht, ist die Tatsache, dass transsexuelle Chirurgen die Operation nicht bei allen Kunden durchführen (nur wegen des Geldes), sondern darauf bestehen, dass der Kunde beweist, dass er als Frau «durchgehen» kann. Das ist so, als ob katholische Priester nur solche Juden bekehren wollten, die ihr Christentum durch gesellschaftlich angemessene antisemitische Handlungen beweisen können. Die Analyse von Janice Raymond ist auf eine bittere Weise richtig. Allein die Existenz des «Transsexuellen-Imperiums» ist ein Beweis für das Fortbestehen unserer tiefsitzenden religiösen und kulturellen Vorurteile gegen Frauen.9
Die Analogie zur religiösen Identität verwendet Szasz in seiner Besprechung gleich zweimal: «Was würde mit einem Mann passieren, der zu einem Urologen geht, ihm sagt, dass er sich wie ein Christ fühlt, der in einem jüdischen Körper gefangen ist, und ihn bittet, die Eichel seines Penis wieder mit einer Vorhaut zu bedecken?»10
In ihrer Einleitung zum Reprint (1994) von Transsexual Empire schlägt nun auch Raymond den Bogen zwischen Transsexualismus und transrace.
Wenn man darüber spekuliert, warum eine hypothetische schwarze Person eine Veränderung ihrer Pigmentierung wünscht, könnte die Person selbst sagen, dass sie sich schon immer wie eine «Weisse, gefangen in einem schwarzen Körper» gefühlt hat, so wie der Transsexuelle gemeinhin sagt, er sei eine «Frau, gefangen in einem männlichen Körper». Nur weil Transsexualität weithin als ein Zustand akzeptiert ist, der psychiatrischer und medizinischer Intervention bedarf . , können die sozialen und politischen Fragen, warum ein Mann eine Frau sein möchte, sekundär bleiben. Würde eine schwarze Person, die unbedingt ihre Hautfarbe ändern möchte, in ähnlicher Weise auf den medizinischen Weg verwiesen werden, ohne zu bedenken, dass sein oder ihr Wunsch durch eine Gesellschaft geprägt ist, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert? Gerade dieser Vergleich aber hinkt, denn es gibt keine Nachfrage nach transracial medizinischen Eingriffen, nämlich deshalb, weil die meisten Schwarzen erkennen, dass es ihre Gesellschaft ist, nicht ihre Hautfarbe, die verändert werden muss.11
Offenkundig hat Raymond nicht mit Rachel Dolezal12 gerechnet, dem Fall einer umgekehrten transracial Identifikation.
3. Man muss sich die / den geneigte:n Leser:in der ersten Auflage von Transsexual Empire (1979) als eine:n linksliberale:n (Cis-)Feminist:in vorstellen, angetan von der gedanklichen Volte, in der hormonellen und chirurgischen «Behandlung» von Transsexuellen keine Therapie, sondern einen Übergriff zu sehen - ähnlich der Konversionstherapie für Homosexuelle -, eine Behandlung, die Geschlechtsrollen verfestigt, indem sie she-male als Karikaturen von Weiblichkeit erschafft.
Es kann passieren, dass der Charme gedanklicher Radikalität über die Empirie siegt, man wird sich ja wohl mal verrennen dürfen, weil man (s)eine steile These allzu verführerisch gefunden hat.13 Mit ihrem neuen Buch Doublethink. A Feminist Challenge to Transgenderism14 kommt Raymond nach mehr als vierzig Jahren zurück zum Thema Transsexualismus, nun aber spricht sie stattdessen von «Transgenderismus» - aus der steilen These von 1979 ist ein schrilles Manifest geworden. Die Widmung lautet:
Für alle, die es wagen zu sagen, dass Frauen existieren. Für all diejenigen, die sich mutig gegen die ständigen Angriffe auf Frauen und Frauenrechte gewehrt haben. Für alle, die die schändliche Medikalisierung von Kindern infrage gestellt haben. Und für all diejenigen, die die Transition überlebt haben und sich nun de-transitionieren. In der Hoffnung, dass andere sich diesem rasanten Vormarsch des Transgenderismus entgegenstellen, der seine Tentakel in Recht, Regierung, Bildung und Sport ausgebreitet hat.15
Im Unterschied zum Transsexualismus ist Transgenderismus kein Symptom einer patriarchalen Gesellschaft, in der Männer Frauen nach ihrem patriarchalen Bild formen und operieren (1979 waren es weit mehr Männer, die sich operieren liessen). Transgenderismus ist eine um sich greifende Ideologie zur Abschaffung der Frau als unhintergehbarer Kategorie - und damit ein Angriff auf den Feminismus.
Am Beispiel von Janice Raymond kann man sehen, wie eine (bestreitbare) steile, gesellschaftskritisch gedachte These im Laufe von vier Dekaden in eine rechte Verschwörungstheorie mutiert:
Einige Rezensenten von The Transsexual Empire nannten mich wegen des Titels, der das Wort «Empire» enthält, eine Verschwörungstheoretikerin. Der Titel sollte die Gender-Industrie der transsexuellen Beratung, Chirurgie und Hormonbehandlung ins Rampenlicht rücken, eine Industrie, die eine Schar von Allgemeinchirurgen, plastischen Chirurgen, Endokrinologen, Gynäkologen, Urologen und Psychiatern einsetzt, um sicherzustellen, dass die als trans identifizierte Person als das gewünschte Geschlecht «durchgeht», was bedeutet, dass sie sich den patriarchalen Geschlechterrollen anpasst.
Die Medikalisierung der geschlechtlichen Unzufriedenheit, die ich damals beschrieben habe, hat sich heute exponentiell zum industriellen Komplex der Geschlechtsidentität ausgeweitet, der sich auf die Big-Medizin, Big-Pharma, die grossen Banken, die grossen Stiftungen und die grossen Forschungszentren stützt, von denen einige an grosse Universitäten angeschlossen sind. Geldgeber wie George Soros und Jennifer Pritzker versorgen die Transgender-Bewegung mit enormen Mitteln und tragen dazu bei, ein riesiges Unternehmen zu subventionieren, das dem...