Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Kapitel 1
»Madam, fehlt Ihnen was? Kann ich Ihnen helfen?«
Leigh Bransom bemerkte den Mann erst, als er an ihr Wagenfenster klopfte. Die Schmerzen in ihrem Unterleib waren so stark, dass sie nichts außer den entsetzlichen Krämpfen wahrgenommen hatte, die ihr den Atem raubten. Jetzt hob sie den Kopf vom Lenkrad, drehte ihn zu der Stimme hin und stöhnte gleich wieder gequält auf. Das Gesicht, das durchs Seitenfenster hineinblickte, sah nicht gerade vertrauenerweckend aus.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte der Mann.
Nein, nichts war in Ordnung, aber das würde sie dem ungepflegten Kerl keinesfalls verraten, der sich da neben ihrem Wagen aufgebaut hatte. Woher sollte sie wissen, ob er ihr nichts antun würde? Auf diesem gottverlassenen Highway konnte er alles Mögliche mit ihr anstellen, ohne dass er jemals dafür zur Rechenschaft gezogen würde. Seine Sachen sahen dreckig und verschwitzt aus. Das einzige Saubere an ihnen war die große Messingschnalle mit dem aufgeprägten texanischen Staatswappen an seinem überbreiten Gürtel, die genau auf ihrer Augenhöhe war. Er musste an die eins neunzig groß sein, denn er hatte seinen Oberkörper nach unten gebeugt, um durch das Fenster zu ihr hineinschauen zu können. Die abgetragenen Jeans und das kurzärmlige karierte Baumwollhemd lagen eng an seinem muskulösen Körper. Ein verschlissener Cowboyhut aus Stroh warf einen düsteren Schatten über das ohnehin schon finstere Gesicht. Trotz ihrer Schmerzen spürte Leigh, wie sich ihr Herz vor Angst verkrampfte.
Wenn sie ihm in die Augen schauen könnte . Aber die dunkle Sonnenbrille machte es unmöglich.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, nahm der Fremde die Brille ab und ließ Leigh in die blauesten Augen sehen, die ihr jemals begegnet waren. Der Blick, mit dem seine Augen sie anschauten, wirkte nicht im Geringsten bedrohlich, und Leigh spürte, wie sich die eiskalte Faust, die sich um ihr Herz geschlossen hatte, ein kleines bisschen öffnete. Auch wenn dieser Kerl offenbar schon länger kein Wasser mehr gesehen hatte, sah er nicht so aus, als würde er die Situation ausnutzen.
»Ich tu Ihnen nichts, Madam. Ich wollte nur fragen, ob ich Ihnen irgendwie helfen kann.« Leigh fand seine tiefe, weiche Stimme - genau wie seine Augen - vertrauenswürdig, ohne dass sie hätte sagen können, warum.
In diesem Moment kamen die Schmerzen wieder. Sie strahlten von ihrem Rückgrat aus, zogen sich um ihren Bauch und sammelten sich in ihrem Unterleib. Leigh zog die Unterlippe zwischen die Zähne, um sich den Schrei zu verbeißen, der durch ihre Kehle drängte, und krümmte sich immer weiter zusammen, bis sie erneut mit dem Kopf auf das Lenkrad schlug.
»Mein Gott«, hörte sie ihn erschrocken sagen, dann wurde die Tür aufgerissen. Der Mann warf einen Blick auf ihren unförmigen Bauch und pfiff leise durch die Zähne. »Was in aller Welt tun Sie in Ihrem Zustand so allein hier draußen?«, fragte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten - zu der sie ohnehin nicht fähig gewesen wäre -, warf er die Brille auf das Armaturenbrett hinter dem Steuer.
Leigh keuchte und versuchte, die Sekunden zu zählen, bis die Wehe vorüber war. Offenbar hatte er die Frage rein rhetorisch gemeint, denn er legte ihr ohne jeden weiteren Kommentar eine Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich heiß und trocken auf ihrer kühlen, schweißnassen Haut an.
»Ganz ruhig, okay? Ganz ruhig. Besser?«, fragte er, als die Wehe endlich vorüber war und sie sich stöhnend in den Sitz zurücksinken ließ.
»Ja«, hauchte sie. Sie schloss die Augen, um neue Kraft zu schöpfen und trotz ihrer Wehen einen letzten Rest an Würde zu bewahren. »Danke«.
»Unsinn, ich habe doch gar nichts gemacht. Wie kann ich Ihnen helfen? Wohin wollten Sie denn?«
»Nach Midland.«
»Ich auch. Soll ich Sie hinfahren?«
Sie öffnete die Augen einen Spaltbreit und musterte ihn schnell und argwöhnisch. Er war zwischen ihr und der offenen Wagentür in die Hocke gegangen. Eine kräftige, braune Hand lag auf dem grauen Sitzpolster des Fahrersitzes, die andere auf dem Steuer ihres Kleinwagens. Jetzt, ohne die irritierende Sonnenbrille, konnte sie so tief in diese unbeschreiblich blauen Augen blicken, dass sie fast darin zu ertrinken glaubte. Wenn es stimmte, dass die Augen ein Fenster zur Seele waren, dann konnte Leigh diesem Mann vertrauen.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Wahrscheinlich . wahrscheinlich wäre es das Beste.«
Er schaute kurz über seine Schulter nach hinten. »Ich glaube, wir sollten lieber Ihren Wagen nehmen und meinen hierlassen. Das ist - o Gott, kommt schon wieder eine?«
Sie hatte die Wehe kommen gespürt, noch bevor der Schmerz einsetzte. Mit aller Kraft presste sie die Hände gegen ihren gespannten Bauch und versuchte gleichzeitig, sich auf ihren Atem zu konzentrieren und sich zu entspannen. Leigh hatte das Gefühl, dass diese Wehe länger dauerte als alle vorigen. Als sie schließlich überstanden war, sank sie japsend in den Sitz zurück.
»Madam, es sind noch mindestens vierzig Meilen bis Midland. Das schaffen wir nie im Leben. Wie lange haben Sie denn schon Wehen?« Er wirkte zwar besorgt, aber keineswegs ängstlich. Seine Stimme klang ruhig und bedächtig.
»Ich habe vor einer Dreiviertelstunde angehalten.« Sie hatte die Augen geschlossen. Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr schweißnasses Gesicht. »Schmerzen habe ich allerdings schon länger. Zuerst habe ich gedacht, ich hätte mir nur den Magen verdorben.« Sie öffnete die Augen wieder und sah ihn an.
Er lächelte leicht, und ihr fielen die kleinen Lachfältchen rings um diese atemberaubenden Augen auf. »Und niemand hat angehalten, um Ihnen zu helfen?«
Sie schüttelte den Kopf. »In der ganzen Zeit sind nur zwei Wagen vorbeigekommen, doch sie haben nicht angehalten.« Im Grunde war sie froh darüber gewesen. Die beiden klapprigen, rostigen Pritschenwagen hatten nicht so ausgesehen, als würden sie von besonders zuverlässigen Menschen gefahren.
Er maß mit den Augen das Wageninnere ab, als wollte er den Platz abschätzen. »Glauben Sie, dass Sie ein paar Schritte gehen können? Wenn nicht, trage ich Sie.«
Gehen? Sie tragen? Wohin wollte er mit ihr? Er las die Frage aus ihrem ängstlichen Blick. »Sie können sich auf die Ladefläche meines Wagens legen. Es ist zwar nicht gerade ein Kreißsaal, aber ich glaube nicht, dass sich das Baby daran stören wird.«
Diesmal lächelte er wirklich. Die Lachfalten wurden deutlicher, vertieften sich und schimmerten hell in der ansonsten sonnengebräunten Haut. Regelmäßige Zähne blitzten weiß in dem kupferfarbenen Gesicht. Leigh ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie unter anderen Umständen, auf einer Party etwa, das Gesicht geradezu entwaffnend attraktiv gefunden hätte.
»Ich glaube schon, dass ich gehen kann«, sagte sie und zog langsam die Beine unter dem Lenkrad hervor. Sofort stand er auf und trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Mühsam stemmte sie sich aus dem tiefen Autositz hoch. Er bemerkte, wie schwer ihr die Anstrengung fiel, beugte sich zu ihr herab und schob einen festen, kräftigen Arm unter ihre Achseln. Dankbar stützte sie sich auf ihn und ließ sich hochziehen.
Mit vorsichtigen, kleinen Schritten gingen sie langsam zum Wagenheck. Die stickige Luft rollte in heißen Wellen von der westtexanischen Ebene heran. Jeder Atemzug kostete Leigh Überwindung. »Stützen Sie sich auf mich. Wir haben es gleich geschafft.« Sein Atem streifte ihre Wange.
Damit sie sich ganz auf das Gehen konzentrieren konnte, senkte sie den Blick und schaute auf ihre Füße. Er gab sich Mühe, sich ihren kleinen, unsicheren Schritten anzupassen, auch wenn das bei seinen langen Beinen komisch aussah. Staub stieg in kleinen Wolken von dem schotterbestreuten Seitenstreifen des Highways auf und puderte die sorgfältig pedikürten Zehennägel, die aus ihren Sandalen herausguckten, ebenso wie seine abgewetzten, brüchigen braunen Lederstiefel.
Sein Pickup-Truck war nicht sauberer als die, die vorhin vorbeigefahren waren, und genau wie der Fremde selbst mit einer feinen Schicht Präriestaub überzogen. Unter dem matten Graubraun von Staub und Rost war nur mit Mühe eine längst verblichene, blau-weiße Lackierung zu erkennen. Motorhaube und Kotflügel waren mit Beulen übersät, aber zu Leighs Erleichterung waren nirgendwo obszöne oder zweideutige Aufkleber zu sehen.
»Halten Sie sich hier fest, bis ich die Heckklappe runtergemacht habe«, befahl der Fremde und lehnte sie an die Wagenseite. Das Metall war von der Sonne aufgeheizt und brannte sich in ihren Rücken, aber Leigh war zu erschöpft, um sich ungestützt auf den Beinen halten zu können. Der Mann wollte sich gerade umdrehen und die Verschlusshaken der Heckklappe aus den Metallösen stoßen, da kamen die Schmerzen wieder.
»Auuu!«, schrie Leigh auf und streckte instinktiv die Hand nach ihm aus.
Er machte unverzüglich kehrt. Sein Arm legte sich um ihre Schultern, und eine schwielige Hand schob sich unter ihren verkrampften Bauch und stützte ihn von unten. »Schon gut, schon...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.