Schweitzer Fachinformationen
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Der Reverend Jackson Wilde war in den Kopf, ins Herz und in die Hoden getroffen worden. Cassidy hielt das vom ersten Augenblick an für einen wichtigen Hinweis.
»Was für eine Sauerei.«
Die Leichenbeschauerin untertrieb, fand Cassidy. Er vermutete, daß der Mord mit einem aus nächster Nähe abgefeuerten kurzläufigen .38er Revolver begangen worden war. Hohlmantelgeschosse. Der Täter hatte es zweifellos darauf abgesehen, das Opfer zu zerfetzen. Gewebe war auf das Kopfbrett und die Laken gespritzt. Die Matratze hatte sich mit Blut vollgesogen, das sich unter dem Körper angesammelt hatte. Abgesehen von dem verheerenden Schaden, den die Kugeln angerichtet hatten, war das Opfer nicht mißhandelt oder verstümmelt worden. So grausig es auch aussah, Cassidy hatte schon Schlimmeres gesehen.
Das Unangenehmste an diesem Mord war die Identität des Opfers. Cassidy hatte die Sondermeldung in seinem Autoradio gehört, während er sich durch den morgendlichen Stoßverkehr gekämpft hatte. Er hatte augenblicklich und ohne Rücksicht auf die Verkehrsregeln gewendet, obwohl er kein Recht hatte, ohne offizielle Aufforderung am Tatort zu erscheinen. Die Polizisten, die das Fairmont-Hotel abgeriegelt hatten, hatten ihn erkannt und automatisch angenommen, daß er als offizieller Vertreter des Orleans Parish District Attorneys da war. Niemand hatte ihn davon abgehalten, die San-Louis-Suite im siebten Stock zu betreten, wo sich die Detektive gegenseitig auf die Füße traten und wahrscheinlich mehr Beweismaterial unbrauchbar machten, als sie fanden.
Cassidy wandte sich an die Leichenbeschauerin. »Was halten Sie davon, Elvie?«
Dr. Elvira Dupuis war ein stämmiges, grauhaariges Mannweib. Ihr Liebesleben gab ständig Anlaß zu neuen Gerüchten, allerdings besaß keiner der Zuträger Erfahrungen aus erster Hand. Sie wurde von wenigen gemocht, aber niemand zweifelte an ihrer Kompetenz.
Die Pathologin rückte die Brille zurecht und antwortete: »Ich vermute, daß ihn der Kopfschuß drangekriegt hat. Die Kugel hat das meiste von seiner grauen Hirnmasse zerstört. Die Brustwunde erscheint mir ein bißchen zu weit rechts, um durchs Herz zu gehen, aber ich kann sie erst als Todesursache ausschließen, wenn ich ihm die Brust aufgeknackt habe. Der Schuß in die Eier hätte ihn wahrscheinlich nicht umgebracht, jedenfalls nicht gleich.« Sie sah zu dem stellvertretenden Staatsanwalt auf und grinste schadenfroh. »Obwohl er ihm bestimmt ganz schön die Tour vermasselt hätte.«
Cassidy verzog einfühlsam das Gesicht. »Ich frage mich, welcher Schuß zuerst abgefeuert wurde.«
»Keine Ahnung.«
»Ich tippe auf den Kopf.«
»Warum?«
»Der Schuß in die Brust hätte ihn vielleicht nicht umgebracht, aber bestimmt gelähmt.«
»Seine Lungen wären vollgelaufen. Und?«
»Und wenn mir jemand in die Hoden schießen würde, dann würde ich automatisch versuchen, sie zu schützen.«
»Also sich im Todeskampf die Eier halten?«
»So in etwa.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wildes Arme lagen neben dem Körper. Keine Anzeichen für einen Kampf oder irgendwelche Gegenwehr. Er kannte vermutlich seinen Mörder. Vielleicht hat er sogar geschlafen. Er hat es nicht kommen sehen.«
»Das tun die Opfer selten«, murmelte Cassidy. »Wann, meinen Sie, ist es passiert?«
Sie nahm die rechte Hand des Leichnams und drehte sie im Handgelenk, um die Starre zu überprüfen. »Mitternacht. Vielleicht früher.« Sie ließ die Hand wieder auf das Laken fallen und fragte: »Kann ich ihn jetzt haben?«
Cassidy musterte die entstellte Leiche ein letztes Mal. »Bedienen Sie sich.«
»Ich werde zusehen, daß Sie eine Kopie des Autopsieberichts bekommen, sobald ich fertig bin. Rufen Sie bloß nicht an und hetzen mich, bevor ich durch bin, sonst dauert's nur noch länger.«
Dr. Dupuis ging davon aus, daß er den Fall verfolgen würde. Er widersprach ihr nicht. Es war nur eine Frage der Zeit. Er würde diesen Fall übernehmen.
Cassidy trat beiseite, um der Spurensicherung Platz zu machen, und führte eine kurze Bestandsaufnahme des Hotelschlafzimmers durch. Die Gegenstände auf dem Nachttisch waren bereits auf Fingerabdrücke hin untersucht worden. Ein paar Dinge waren sorgfältig in Plastiktüten verpackt und beschriftet worden. Raub konnte man als Motiv ausschließen. Unter den Sachen auf dem Nachttisch war eine Rolex.
Ein Polizeifotograf machte Aufnahmen. Ein weiterer Polizist krabbelte auf den Knien herum und suchte mit Arzthandschuhen den Teppich nach Stoffasern ab.
»War die Presse schon da?«
»Nee«, antwortete der kniende Beamte.
»Halten Sie sie so lange wie möglich von hier fern, und rücken Sie keine wichtigen Informationen raus. Unser Büro wird heute noch eine Erklärung abgeben, sobald wir alle Fakten haben.«
Der Beamte bestätigte die Anweisungen mit einem Nicken.
Cassidy überließ die Polizisten ihrer Arbeit und ging in den Salon der Suite. Schwere Vorhänge waren vor die zwei Panoramafenster gezogen worden, so daß der Raum trotz der pastellfarbenen und weißen Einrichtung dämmrig und unheimlich wirkte. In der Ecke eines pfirsichfarbenen Samtsofas kauerte mit gesenktem Kopf eine junge Frau. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben und schluchzte erbärmlich. Ein junger Mann saß neben ihr. Er sah nervös, fast verängstigt aus und versuchte vergebens, sie zu trösten.
Sie wurden von einem Kriminalbeamten aus dem Morddezernat des New Orleans Police Department verhört. Howard Glenn war seit mehr als zwanzig Jahren in der Abteilung, aber er war ein Einzelgänger und bei den Kollegen nicht besonders beliebt. Seine äußere Erscheinung war nicht gerade anziehend oder dazu geeignet, neue Freunde zu finden. Er wirkte schmuddlig und unordentlich, rauchte kettenweise filterlose Camels und sah insgesamt so aus, als gehörte er in einen film noire aus den vierziger Jahren. Aber man respektierte ihn bei der Polizei wie bei der Staatsanwaltschaft wegen seiner verbissenen Untersuchungsmethoden.
Als Cassidy näher kam, schaute Glenn auf und sagte: »Hallo, Cassidy. Sie sind schnell gekommen. Hat Crowder Sie geschickt?«
Anthony Crowder war der District Attorney des Bezirks Orleans und Cassidys Boß. Cassidy überging die Frage und machte eine Kopfbewegung zu dem Paar auf dem Sofa. »Wer ist das ?«
»Sehen Sie nicht fern?«
»Keine religiösen Sendungen. Hab' seine Show nie gesehen.«
Glenn drehte den Kopf zur Seite und sagte aus dem Mundwinkel, so daß nur Cassidy ihn hören konnte: »Pech für Sie. Jetzt haben sie ihn abgesetzt.« Dann klärte er ihn auf: »Das ist die Frau des Evangelisten, Ariel Wilde, und sein Sohn Joshua.«
Der junge gutaussehende Mann sah zu Cassidy auf. Cassidy streckte die rechte Hand aus. »Cassidy, stellvertretender Bezirksbevollmächtigter.«
Joshua Wilde reichte ihm die Hand. Sein Griff war fest, aber seine Hände waren weich, glatt und gepflegt, die Hände eines Müßiggängers. Er hatte ausdrucksvolle braune Augen und langes, oben gewelltes, mausbraunes Haar.
Er sprach mit Südstaatenakzent. Seine Stimme klang so kultiviert wie ein Faß Jack Daniels. »Finden Sie das Monster, das meinem Vater das angetan hat, Mr. Cassidy.«
»Das habe ich vor.«
»Und bringen Sie ihn schleunigst vor den Richter.«
»Ihn? Sind Sie sicher, daß ein Mann Ihren Vater umgebracht hat, Mr. Wilde?«
Das verwirrte Joshua Wilde. »Keineswegs. Ich meinte nur . . . ich verwende das männliche Pronomen im übertragenen Sinn.«
»Dann hätte es also auch eine Frau sein können.«
Bis jetzt hatte die Frau ihn ignoriert und in ein Kleenex geweint. Plötzlich warf sich Ariel Wilde das hellblonde, glatte Haar über die Schulter und fixierte Cassidy mit wildem, fanatischem Blick. Ihr Teint hatte nicht mehr Farbe als die weiße Gipslampe auf dem Tisch neben dem Sofa, aber sie hatte wunderschöne blaue Augen, die durch außergewöhnlich lange Wimpern und den Glanz frischer Tränen noch hervorgehoben wurden.
»Lösen Sie so Ihre Mordfälle, Mr.... wie war noch Ihr Name?«
»Cassidy.«
»Lösen Sie Ihre Fälle, indem Sie Wortspiele treiben?«
»Manchmal ja.«
»Sie sind keinen Deut besser als dieser Detective.« Verächtlich bleckte sie die Zähne in Howard Glenns Richtung. »Statt den Mörder zu jagen, belästigt er Josh und mich.«
Cassidy tauschte einen vielsagenden Blick mit Glenn. Der Detective zuckte mit den Achseln und überließ Cassidy kommentarlos das Feld. »Bevor wir >den Mörder jagen< können, Mrs. Wilde«, erklärte Cassidy, »müssen wir genau herausfinden, was Ihrem Mann zugestoßen ist.«
Sie zeigte auf das blutdurchtränkte Bett nebenan und kreischte: »Es ist doch klar, was passiert ist.«
»Nicht immer.«
»Glauben Sie, wir hätten Jackson gestern nacht allein in die Suite gelassen, wenn wir gewußt hätten, daß jemand ihn umbringen will?«
»Sie beide haben Reverend Wilde gestern nacht allein gelassen? Wo waren Sie?« Cassidy ließ sich auf dem Rand des kleinen Zweisitzersofas neben ihrem nieder. Er sah sich die Frau und ihren Stiefsohn genau an. Beide schienen etwa Ende Zwanzig zu sein.
»Wir waren in meiner Suite und haben geübt«, antwortete Josh.
»Was geübt?«
»Mrs. Wilde singt in allen Kreuzzugsgottesdiensten und in den Fernsehsendungen«, erläuterte Glenn. »Mr. Wilde spielt das Klavier.«
Wie geschickt von Jackson Wilde, sein Missionsunternehmen als Familienbetrieb zu führen, dachte Cassidy. Er mochte Fernsehprediger nicht und hatte bislang nichts gesehen, was seine Vorurteile widerlegt hätte. »Wo ist Ihre Suite, Mr. Wilde?« fragte...
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