Schweitzer Fachinformationen
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Lisa erwachte eingewickelt in ihre schützende, wärmende Decke. Nach dem grauen Lichtrahmen um die Vorhänge zu urteilen, hatte die Sonne - wenn man das so nennen mochte - sich bereits ächzend erhoben. Sie glitt mit der Zunge an den beruhigenden Rändern ihrer Zahnschiene entlang. Ihr Zahnarzt hatte gesagt, sie würde im Schlaf mit den Zähnen knirschen. Lisa war sich ziemlich sicher, dass seine dringende Empfehlung, sich von ihm eine Schiene anpassen zu lassen, mehr mit der Sonderausstattung seines Audis zu tun hatte als damit, dass sie ihre Zähne zermahlte. Ergänzt wurde die Schiene durch Ohrstöpsel - Jakes Schnarchen wurde nicht leiser. Die Nacht zuvor hatte sie sie aus reiner Gewohnheit in die Ohren gesteckt - und um sich einzureden, dass alles beim Alten bliebe.
Leise nahm sie die Schiene und die Ohrstöpsel heraus und verstaute sie in ihren jeweiligen Dosen. Dann drehte sie sich um und streckte die Hand nach der vertrauten Form von Jakes Kopf aus. Aber sein Bettzeug lag so nackt und unberührt da wie die Antarktis. Lisa rollte sich zusammen und schluchzte in ihr Kissen - lautlos, um Maxine und Gordon oder die Kinder nicht zu stören. Es war ihr Lieblingskissen, so alt, dass mittlerweile wahrscheinlich Monstermilben darin hausten. Sie hatte mehrfach versucht, es wegzuschmeißen, war jedoch jedes Mal vor dem Müllschlucker stehen geblieben und hatte es zurück zu ihrem Bett getragen. Mit den paar verklumpten Federn und Daunen war es im Vergleich zu Jakes Anti-Schnarch-Kissen geradezu anorektisch. Aber es war geduldig und schmiegte sich an die Falten ihres Gesichts, ohne den Versuch zu unternehmen, ihre Haltung zu verbessern. Jetzt durchweichten Tränen die Federn und verwandelten das Kissen in einen nassen Schwamm.
Als keine Tränen mehr kamen, drehte sie sich auf den Rücken und fuhr mit der Hand über die Einbuchtung, wo einmal ihre linke Brust gewesen war. Der Chirurg hatte ihr angeboten, mit der Mastektomie auch gleich eine Rekonstruktion vorzunehmen. Die Mastektomie sollte innerhalb von vierzig Minuten erledigt sein, während die Rekonstruktion mindestens sieben Stunden dauern würde. Nachdem sie Stunden im Internet recherchiert und mit Freundinnen gesprochen hatte, die ihrerseits Frauen kannten, die sich für oder gegen eine Rekonstruktion entschieden hatten, beschloss sie, abzuwarten. Die Medizin machte im Minutentakt Fortschritte. Bald würde es Pillen geben, die neue Brüste sprießen ließen.
Jake brillierte in der Rolle des sorgenden Ehemanns und verkündete, er würde jede ihrer Entscheidungen mittragen. Als er gesagt hatte, ihm sei egal, wie sie aussehe, war ihr ganz warm ums Herz geworden. Außerdem hatte der Chirurg ihnen versichert, dass sie die Rekonstruktion auch später vornehmen lassen könnte. Bisher hatte sie sich noch nicht dazu durchringen können, und jetzt bezweifelte sie, dass sie es jemals tun würde. Lisa war schließlich noch nie besonders eitel gewesen. Dafür hatte ihre Mutter Ruby gesorgt. (»Zieh dir was Ordentliches an, Lisa . Iss weniger Kuchen, Mädchen. Irgendwann werden sie dich Donnerschenkel nennen . Kämm dir die Haare!«) Wie mit dem Lineal gezogen verlief die Narbe quer über ihren Brustkorb, als hätte dort jemand einen Schlussstrich gezogen.
Obwohl Jake behauptete, dass es ihm nichts ausmache, zeigte er nie Interesse oder auch nur Neugier an ihrer Narbe. Wenn sie miteinander schliefen, widmete er sich ausgiebig ihrer rechten Brust, streichelte und küsste sie (saugte aber nie daran, sonst bekam sie einen postkoitalen Lachanfall, weil erwachsene Männer an der Brust hingen). Ihre linke Seite mied er wie ein der Abrissbirne zum Opfer gefallenes Stadtviertel.
Sie konnte es nicht fassen, dass er sie in dem Glauben gewiegt hatte, mit ihrer Ehe sei alles in bester Ordnung. Bei all seinem scheinheiligen Getue war er doch nur ein triebgesteuertes Männchen, das ein Weibchen mit zwei Körbchen Größe C wollte. Jake machte eindeutig irgendeine Art von Mannopause durch, und es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis er zur Vernunft kam und sie anflehte, zurückkehren zu dürfen.
Auf der anderen Seite der Schlafzimmertür brummte der Staubsauger. Die Vorstellung, ihren Gästen gegenüberzutreten, war grauenvoll. Aber wie oft hatte sie schon Gelegenheit, ihre Kinder zu sehen? Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, tapste sie also ins Wohnzimmer.
Maxine saugte die Schäden des gestrigen Abends weg. Ted war in der Küche und verknotete eine Mülltüte. Beide hielten inne und starrten sie an, als wäre sie ein Kristall, der bei der kleinsten Bewegung zerbrechen könnte.
Gordon tauchte aus dem Gästezimmer auf und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen, während Maxine mit dem Staubsauger eine Großoffensive auf das Schlafzimmer startete. Lisa bot ihre Hilfe an, aber Maxine bestand darauf, dass sie sich setzte und zur Ruhe kam.
Das schwarze Ledersofa quietschte, als Lisa sich darauf sinken ließ. Die Knöpfe bohrten sich ihr in den Rücken. Die ganze Wohnung roch nach Jake. Früher einmal hatte er ihre Leidenschaft für »Seelenstücke«, wie sie es nannte, nett gefunden. Die Masken aus Neuguinea und die Buddhas, deren Bemalung abblätterte, erinnerten sie an die Freiheit, die sie auf ihren Reisen erlebt hatte. Das änderte sich, als Jake sich in die Arbeit bei der Bank stürzte, und da änderte sich auch sein Geschmack. Schlussendlich war es leichter gewesen, ihn »den Kram« in ihr Arbeitszimmer schleppen zu lassen und sich seiner Begeisterung für »klare Linien« zu unterwerfen. Jetzt verliehen gläserne Tischplatten und Stapel von Yacht-Magazinen der Wohnung die Atmosphäre eines Wartezimmers.
Lisa ließ ihren Blick über Jakes Sammlung von mittelmäßigen Fauvisten wandern. Wenn man sie gefragt hätte, hätte sie Teds und Portias Kindergartenwerken den Vorzug gegeben. In einer Ecke standen in völlig verrenkter Haltung ineinander verkeilte lebensgroße Akte aus rostfreiem Stahl, die der Künstler Lüsternes Bein genannt hatte. Ein paarmal hatte sie Jake zuliebe versucht, die Haltung nachzumachen. Als sie das Bein über die Schulter schob, hatte sich etwas in ihrer Hüfte äußerst schmerzhaft verklemmt. Genau wie bei dem weißen Stutzflügel, auf dem nur Ted spielen konnte, tat sie so, als wären die Dinger gar nicht da.
Sie fragte sich, wie es dazu hatte kommen können, dass sie in einer Umgebung gelandet war, die überhaupt nicht zu ihr passte. War sie so sehr mit den Kindern oder ihrer Arbeit beschäftigt gewesen? Sie erinnerte sich, dass sie oft müde gewesen war, vielleicht sogar am Rande einer Depression. Als Bankiersgattin war sie jedenfalls eine Niete. Ihre Haare waren nicht zu einem Bob geschnitten und nicht blond genug, und sie lachte zu laut und röhrend.
Die Kaffeemaschine zischte und furzte und hüllte Gordon in eine Dampfwolke. Sie war Jakes ganzer Stolz, auch wenn sie noch nie einen anständigen Cappuccino produziert hatte. Gordon bedachte Lisa mit einer Pfütze flüssigen Schlamms in einem Becher mit einem bösartig grinsenden Schneemann darauf. Fröhliche Weihnachten wand sich in roter Schrift den Rand entlang. Normalerweise fristete der Becher sein Dasein ganz hinten auf dem obersten Regalbrett. Weihnachten war erst in gut zwei Monaten. Der Geschirrspüler musste offenbar mal wieder ausgeräumt werden.
Damit die Stille nicht überhandnahm, erkundigte sich Gordon nach ihrem Schreiben. Fragten die Leute eigentlich auch Installateure nach ihren Abflüssen? Der erste Teil ihrer Brontë-Trilogie verkaufte sich ganz gut, aber mit Drei Schwestern: Emily war sie ins Stocken geraten und hatte bislang nicht mehr als eine kurze Stichwortliste. Sie war so dumm gewesen, die Abgabe des Manuskripts für kommenden März zu vereinbaren, und mittlerweile näherte sich die Deadline im bedrohlichen Tempo eines Asteroiden mit Kurs auf die Erde.
Portia tauchte auf, blass und mit völlig zerzausten langen blonden Haaren. Lisa hätte sie ihr am liebsten zu einem ordentlichen französischen Zopf geflochten, wie damals, als Portia sechs war. Ihre eigene Mutter hätte ohne Zögern die erwachsene Tochter mit einem Kamm traktiert. Lisa verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Jede Generation musste wenigstens ein bisschen klüger als die vorhergehende sein. Wenn sie irgendetwas aus Rubys Fehlern gelernt hatte, dann war es das, ihren Zopf-Tick zu beherrschen.
Maxine legte zwei Holzohrringe in der Größe von Samoa an und streifte eine goldfarbene Vinyl-Jacke über. (»Das nennt ihr in New York Herbst?«) Dann breitete sie einen Stadtplan von Manhattan auf dem Klavierdeckel aus.
Lisa wusste, was Maxine vorhatte. Wenn sie als kleine Mädchen nachts wachlagen und hörten, wie sich ihre Eltern im Wohnzimmer anbrüllten, spielte Maxine »Lass uns so tun, als wäre nichts«. Während die Stimme ihrer Mutter durch die Wände donnerte, verwandelte sich Maxine in eine Prinzessin oder in Dorothy aus Der Zauberer von Oz. Lisa musste natürlich die Kammerzofe der Prinzessin spielen. Oder die Vogelscheuche.
Mit verkniffenem Mund machte sich Maxine daran, ihrer aller Tag zu verplanen. Die Frauen würden sich einer Shopping-Schocktherapie unterziehen und die Männer über die Brooklyn Bridge spazieren.
Gordons Gesicht ging wie der rote Planet hinter der Kaffeemaschine auf. Er war sich nicht sicher, ob er die richtigen Schuhe dabeihatte. Maxine tätschelte seinen Weinwanst und versicherte ihm, dass sie seine Turnschuhe eingepackt hatte.
Nach einem geisttötenden Vormittag, an dem...
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