Schweitzer Fachinformationen
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Sie kam aus den Hügeln hinunter, die sich in der Abenddämmerung schwarz färbten, und wenn ihre Füße auf dem staubigen Weg gegen einen Schotterstein stießen, zuckte sie jedes Mal zusammen. Zum ersten Mal allein auf der Welt, und die Dunkelheit senkte sich schnell herab. Während sie im Gehen ihre Handtasche schwang, funkelten die Lichter der Häuser zwischen den Bäumen hindurch. Sie hörte die Autos auf dem Asphalt, doch bis zur Straße war es noch ein ganzes Stück.
Mehrmals blieb sie stehen und blickte zu der Hügelkette zurück, die sich hinter ihr erhob, überdachte alles noch mal, schüttelte aber jedes Mal den Kopf und ging weiter.
Süden schien ihr die beste Lösung zu sein. Sie hatte eine vage Vorstellung von der Küste. Dort würde es im Winter wärmer sein, hauptsächlich das trieb sie in diese Richtung. Sie stellte sich Zitrushaine vor, sonnige Tage, an denen sie Obst pflückte, ein kleines Häuschen, in dem sie ihr eigenes Essen hatte und fernsehen konnte, wann immer sie wollte. Einen soliden Ort, an dem sie bleiben und die anderen vielleicht irgendwie nachholen konnte. Oder mit dem Fahrrad durchs flache Land fahren, hinter dem Strand das schimmernde Wasser und am Himmel schwebende Vögel, wie auf den Bildern, die sie von dieser Gegend gesehen hatte. Sie hielt den Kopf gesenkt und lauschte im Gehen den Nachttieren, die in den Straßengräben, den Zuckerrohrfeldern, den sich im Flusstal erhebenden Bäumen schrien.
Irgendwann blieb sie auf einer schmalen Brücke stehen, um sich auszuruhen, und setzte sich auf eine mit Nägelköpfen gespickte Holzplanke. Unter ihr strömte ein Bach über zerbrochene Pfeiler und schimmernde Felsen. Sie war durstig, hatte aber Angst, sich am schlammigen Ufer einen Weg zu bahnen, und fürchtete sich vor versteckten Schlangen. So saß sie da, hielt ihre Knie umschlungen und betrachtete die Sternflecken oben am Himmel. Alles so still und reglos, die Sterne so hell. Sie wandte den Kopf wieder den singenden Wäldern zu. Zurückzugehen würde nicht lange dauern. Doch sie stand auf und ging weiter die Straße entlang.
Von einer stillen Weide aus sahen ihr Kühe zu. Sie wirkten, als wären sie aus Stein und machten ihr Angst, doch sie ging an ihnen vorbei. Sie hatte keine Uhr, schätzte aber, dass sie seit etwa einer Stunde unterwegs war.
Als sie um die letzte Kurve bog, kam sie an eine weitere Brücke, und wieder machte sie Rast, bevor sie sich eine Stelle suchen würde, an der jemand anhalten konnte. Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und öffnete den Verschluss ihrer Handtasche. Dann kramte sie in den wenigen Sachen, die darin waren, fand die beiden Dollarscheine und zog sie hervor, strich sie glatt und betrachtete sie. Sie faltete beide zweimal zusammen, knöpfte den obersten Knopf ihrer Bluse auf, schob die Geldscheine ins linke Körbchen ihres ausgefransten BHs, bis sie dort sicher eingepackt waren, und knöpfte die Bluse wieder zu. Dann erhob sie sich von dem geteerten Holz mit den ausgehärteten schwarzen Schmiertropfen, überquerte die Brücke und ging auf dem staubigen Kiesweg weiter. Der Mond kam zum Vorschein.
*
Sie hatte Angst vor den Hunden, die in den Gärten bellten und manchmal mit gefletschten Zähnen ans Ende der Einfahrt kamen, doch keiner verfolgte sie. Als sie an einem Gebäude vorbeikam, das ein Stück von der Straße zurückgesetzt war, sah sie, dass hoch oben am Giebel ein dunkles Kreuz im Holz prangte. Sie blieb stehen. Drinnen war irgendwo Licht, ein gelber Strahl, der durch die Buntglasfenster schien. Sie fragte sich, ob es im Garten oder an der Seite des Hauses wohl einen Wasserhahn gab. Sie ging eine gepflegte Einfahrt entlang, die mit feinem Kies bedeckt war, und strich sich mit den Fingern die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Hinten brannte eine Laterne, und sie sah einen niedrigen Drahtzaun, hinter dem polierte Steine aufragten. Der Laternenpfahl wurde von wirbelnden Insekten umschwirrt. Die Lampe gab ein leises, stetiges Summen von sich und warf einen durchsichtigen Schleier über alles. Aus dem dunklen Wald drang das Zirpen der Grillen herüber.
Obwohl auf dem Parkplatz keine Autos standen, bewegte sie sich vorsichtig. Ihre Schritte im Kies klangen laut. Die westliche Hauswand lag im Schatten, in der Nähe des Eingangs befand sich ein gemauertes Blumenbeet. Sie trat näher, sah im feuchten Gras einen aufgerollten Gartenschlauch und auch, wo er endete, nämlich an einem Wasserhahn an einem Ende des Fundaments. Sie ging hin und drehte ihn auf.
Das Wasser war kühl und angenehm. Sie stand da und trank aus der Schlauchöffnung, als sie plötzlich ein Knurren hörte, sich umdrehte und in zehn Metern Entfernung ein gesprenkeltes Knäuel aus Fell und Knochen mit tief zwischen den Schulterblättern hängendem Kopf stehen sah. Der Hund kam mit einem seltsamen Rasseln näher. Sie hütete sich davonzurennen, ließ nur den Schlauch fallen und starrte ihn an. Er schien wie auf Krücken zu hinken, und aus seinem Maul baumelte ein Sabberfaden. Die Zähne in der blutigen Schnauze waren gefletscht, die Augen sahen krank aus. Wieder ließ er ein krächzendes Knurren ertönen, und jeder Atemzug schien ihm schwerzufallen. Die Pfote, die in einer rostigen Falle steckte, war so gut wie abgetrennt. Der Hund versuchte sie hochzuhalten, während er jaulend - vielleicht, damit sie ihm half - auf sie zukam. Sie wich zur Vorderveranda zurück und stieg hinauf. Die Veranda war auf beiden Seiten von einer eisernen Ziersäule gesäumt, deren Blätter und Ranken gehämmert und bemalt waren und sich kühl anfühlten. Der Hund kam näher. Sie ging zu der Flügeltür, dem dunklen Holz mit dem schweren Messingknauf. Als sie den Knauf drehte, öffnete sich der linke Flügel, und sie trat rasch ein, schlug die Tür wieder zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Der Hund jaulte noch einmal, dann war es still, bis auf das Rasseln des Metalls auf dem Kies, während die Falle mitsamt der Kette davongeschleift wurde. Sie horchte eine Weile, konnte aber nichts anderes hören. Sie trat in den Raum und zog den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. Dann ging sie zögernd weiter, beklommen im Haus eines Fremden.
Ein Raum, wie sie noch keinen betreten hatte. Ein mit Teppichen ausgelegter Gang, der unter ihren Tennisschuhen kaum knarrte, und lange geschliffene Holzbänke, die im Halbdunkel schwach glänzten. Sie berührte das dunkelbraune Kiefernholz. Die Decke zog sich mit langen Balken nach oben, und an der Rückseite des Raums hing ein großes Gemälde, auf dem rundliche, in wallende Stoffbahnen gekleidete Babys inmitten von Blumenfeldern in der Luft tanzten oder zu den Füßen Jesu versammelt waren, der, bärtig und langhaarig, in seinem Gewand auf einem Stein saß. Mit den Fingerspitzen berührte sie die kleinen Messingtafeln am Ende der Reihen. Die Wände waren von Fenstern gesäumt, die denen auf der Vorderseite glichen, mit Perlen verzierte Glassplitter in Blau, Rot und Gold, und am Ende des Gangs erhob sich ein Tisch, auf dem Schüsseln aus poliertem Metall standen. Eine weiße Spitzentischdecke. Es gab weitere Gemälde von Jesus, auf denen stets Erwachsene und Kinder um ihn versammelt waren. Auf allen Bildern hatte er einen traurigen Blick. In dem riesigen Raum war nicht das geringste Geräusch zu hören. Sie fragte sich, ob der Hund wohl inzwischen verschwunden war. Hoffentlich. Sie hielt es für das Beste, noch eine Weile zu bleiben, damit er Zeit hatte, sich aus dem Staub zu machen.
Die langen Bänke waren mit einem weichen Stoff überzogen, der sich gut anfühlte. Hinter dem Tisch befand sich eine kleine Bühne, und darauf stand ein dunkles Holzpodest. Mit einem Klicken öffnete sie ein kleines Seitentor, stieg die beiden Stufen rauf und stand vor den vielen Bankreihen. Vor ihr lag eine aufgeschlagene, in Leder gebundene Bibel, deren Seiten hauchdünn waren. Sie blätterte darin, ließ die Seiten durch die Finger gleiten. Jemand musste hier oben stehen und zu all diesen Leuten sprechen.
»Das ist eine Kirche für Reiche«, sagte sie. Der Klang ihrer Stimme erfüllte den Raum, hallte leise von den Wänden. Sie trat einen Schritt zurück und stieg wieder die Stufen hinunter, ging durch das Tor und um das Geländer herum. Hinten war eine Tür, und sie öffnete sie und gelangte in eine Küche. Über dem Herd brannte ein schummriges Licht. Reihen langer Tische und nebeneinanderstehende Klappstühle aus Metall.
Neben der Tür war ein Lichtschalter, und sie drückte darauf. Die Deckenbeleuchtung flackerte einen Moment, dann ging ein grelles Licht an, in dem das neben dem Spülbecken trocknende Geschirr, die auf der Theke abgestellten Kaffeekannen und die Schränke zu sehen waren, die die Rückseite des Raumes säumten. Ein weißer Kühlschrank.
Sie legte ihre Handtasche auf die Theke, öffnete die Kühlschranktür und sah Milchtüten, abgedeckte Schüsseln mit Eintopf, Brathähnchen und geschnittenem Schinken. Die Leuchten an der Decke summten.
In einem der Schränke fand sie einen Teller und eine Gabel und in einer Ecke der Theke ein Brot. Sie füllte Essen auf den Teller und goss sich ein Glas Milch ein. Dann setzte sie sich an einen der langen Tische und aß. Das Hähnchen war trocken, aber das störte sie nicht. Krümel fielen neben den Teller. Hätte sie doch damals schon von diesem Haus gewusst, als sie oft bloß die Knie an ihren leeren Bauch hatte pressen können, als alle darauf gewartet hatten, dass der Alte mit Essen nach Hause kam, sie die ganze Nacht gewartet hatten und er nicht aufgetaucht war.
Nach einer Weile stand sie auf, goss sich noch ein Glas Milch ein und durchstöberte wieder die Schränke. In einer Pappschachtel waren ein paar frische Donuts. Sie nahm sich drei, setzte sich wieder hin, aß einen nach dem anderen und leckte sich...
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