Schweitzer Fachinformationen
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Wie so viele Menschen, die versuchten, sich in der britischen Hauptstadt durchzuschlagen, war Holly eher zufällig in London gelandet. Es war der letzte Ort, an den ihre Mutter mit ihr gezogen war, und inzwischen hatte Holly so viele Jahre hier verbracht, dass sie London als ihre Heimatstadt betrachtete. Dennoch war sie hier nie ganz heimisch geworden, zumindest nicht so, wie sie sich das vorstellte. Manchmal blieb sie inmitten der vorbeieilenden Passanten unvermittelt stehen und fragte sich, was sie eigentlich in dieser Stadt hielt. Im Grunde waren ihr die Menschenmengen, die Hektik, der ganze Dreck und die groben Umgangsformen zuwider, und trotzdem lebte sie hier.
Holly arbeitete in Camden in der Hauptniederlassung eines großen Online-Modeversandhauses namens Flash. Mit fünfzehn anderen Kollegen und Kolleginnen teilte sie sich die Aufgabe, verführerische Produktbeschreibungen zu verfassen und auf die Webseite hochzuladen. Auch wenn die Tätigkeit längst nicht so kreativ war, wie Holly sich das gewünscht hätte, war sie zumindest nicht sonderlich anstrengend und machte gelegentlich sogar Spaß. Die Bezahlung war durchschnittlich und die Zusatzleistungen eher mies, aber angesichts ihrer Lebensumstände war Holly trotzdem froh, die Stelle zu haben.
Das Schlimmste an ihrem Job bei Flash war unzweifelhaft Fiona, ihre direkte Vorgesetzte, die so humorlos und muffig war wie eine Packung alter Cornflakes. Holly wusste sehr wohl, dass es ein absolutes Klischee war, eine ekelhafte Chefin zu haben, aber was sollte sie tun?
Kaum ließ Holly sich um Punkt halb zehn auf ihren Schreibtischstuhl sinken, blinkte mit einem Piep bereits eine E-Mail von Fiona auf. Holly musste sämtliche Texte für die neuen Schlaghosen noch einmal umschreiben. Na großartig.
Als zehn Minuten später Aliana neben ihr zischte: »Was machst du denn für ein Gesicht?«, wäre Holly vor Schreck beinahe vom Stuhl gefallen.
»Verdammt noch mal, wo kommst du denn jetzt her?«, fuhr sie ihre Kollegin an und wischte den Tee auf, der über den ganzen Schreibtisch gelaufen war.
»Vom Fußboden«, erwiderte Aliana kichernd. »Der alte Drache sollte doch nicht sehen, dass ich zu spät komme.«
Aber im nächsten Moment ging es ihr genauso wie Holly zuvor.
»Wer kommt zu spät?«
Wie aus dem Nichts stand Fiona neben ihnen.
»Niemand.« Aliana schenkte ihr ein liebreizendes Lächeln.
»Und warum ist dein Computer noch nicht eingeschaltet?«, bohrte Fiona nach, die Nasenflügel wie Nüstern gebläht. Sie trug ihr Haar heute in einem strengen Dutt, und am Rand ihres Gesichts war dort, wo sie das Make-up nicht sorgfältig genug verstrichen hatte, ein Schatten zu sehen.
»Ist abgestürzt.« Aliana lächelte so unerschütterlich wie eine aus Knete geformte Animationsfigur.
Fiona zog eine ärgerliche Grimasse. »Die fehlende Viertelstunde arbeitest du in der Mittagspause nach!«, stieß sie noch hervor, ehe sie davonstolzierte und in ihrem Büro verschwand.
»Wenn sie doch endlich einen Freund finden würde!«, stöhnte Aliana und streckte der davonmarschierenden Fiona die Zunge raus. »Ich kenne niemanden, der so dermaßen unentspannt ist.«
Holly nickte. »Sie ist ein bisschen . steif. Vielleicht müsste sie mal richtig feiern gehen.«
»Nicht mit mir!«, rief Aliana. Dabei vertippte sie sich bei der Eingabe des Passwortes zum dritten Mal und fluchte, als das System sie prompt aussperrte.
Holly betrachtete die Hose vor sich auf dem Bildschirm: dunkelblaues Paisley-Muster mit betonter Taille und figurfreundlich weiten Beinen. Der Schnitt gefiel ihr, und zum tausendsten Mal, seit sie bei Flash arbeitete, fragte sie sich, warum sie sich ihre Kleider nicht mehr selbst nähte. Das Schneidern war das Einzige gewesen, was sie in diesen schrecklichen dunklen Jahren bei Verstand gehalten hatte. Nichts, was seitdem geschehen war, machte sie auch nur annähernd so glücklich. Nicht einmal Ru.
»Und, was macht dein attraktiver Mann so?« Alianas Stimme riss Holly aus ihren Gedanken. Ihre Kollegin, die die Geduld einer Wespe hatte, wartete am Telefon auf einen Administrator.
»Ach, er ist toll.« Holly wurde ein wenig lebhafter. »Aus Japan hat er mir einen Morgenmantel mitgebracht, aus Seide und mit ganz vielen Orchideen bestickt und .«
»War der Mantel teuer?«, fiel ihr Aliana ins Wort. »Ganz bestimmt war er das.«
Holly wusste natürlich, dass Rupert eine gute Stelle hatte - er war Finanzmanager - und viel Geld verdiente. Dennoch gefiel es ihr nicht, wenn alle positiven Seiten, die Aliana an ihm hervorhob, mit Geld zu tun hatten. In Hollys Kindheit und Jugend war das Geld immer knapp und jeglicher Luxus undenkbar gewesen, daher fiel es ihr immer noch nicht leicht, sich etwas zu leisten. Über den kleinsten Einkauf dachte sie oft lange nach. Aliana überzog ihre Kreditkarte bedenkenlos, wenn sie schnell mal in der Mittagspause durch die Klamottenläden auf der Camden High Street zog, wohingegen Holly drei Wochen brauchte, um zu entscheiden, ob ein bestimmtes Paar Winterstiefel ihr wirklich 40 Pfund wert war. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich an Ruperts Wohlstand gewöhnt hatte. Aber obwohl sie so tat, als fände sie es großartig, wenn er sie in teure Restaurants einlud oder ihr riesige Blumensträuße schenkte, wand sie sich doch innerlich vor Unbehagen.
»Danach habe ich ihn nicht gefragt«, erwiderte sie. »Ich dachte, es ist ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk.«
»Ach ja, natürlich!« Aliana warf ihr einen Seitenblick zu. »Der Dreißigste! Wie geht es dir damit? Ich bin verdammt froh, dass ich bis dahin noch fünf Jahre Zeit habe. Ich meine, sei mir nicht böse, aber mit dreißig will ich definitiv verheiratet sein!«
»Ist schon okay«, log Holly. »Ehrlich gesagt, ich mache mir darüber nicht so viele Gedanken. Eigentlich ist das doch ein Geburtstag wie jeder andere auch. Ich will auch nicht, dass darum ein so großer Wirbel gemacht wird.«
»Oh, Rupert wird bestimmt einen großen Wirbel machen!«, sagte Aliana und konnte den Neid in ihrer Stimme nicht verbergen. »Vielleicht lädt er dich zum Skifahren nach Verbier ein - oder er kauft dir einen Diamantring.«
Darüber musste Holly tatsächlich lachen.
»Wieso nicht? Ich wette, das macht er, und dann tut es dir leid, dass du darüber gelacht hast.« Aliana unterbrach ihr Gespräch einen Moment lang, um den Administrator am anderen Ende des Telefons zu bezirzen. Sobald sie eingeloggt war, öffnete sie Facebook, ohne auf ihren übervollen Posteingang zu achten.
»Wow. Tut mir leid, Holly, aber dein Freund ist echt sexy.«
Holly sah hinüber zu den Fotos auf Alianas Bildschirm. Sie zeigten Rupert auf seiner noch nicht lange zurückliegenden Japanreise. Mit den aufgerollten hellblauen Hemdsärmeln und diesem verschmitzten, vielleicht ein wenig angeheiterten Lächeln im Gesicht, sah er wirklich sehr attraktiv aus.
»Ja, ich weiß«, sagte sie und lächelte.
»Falls du ihn mal . du weißt schon . loswerden möchtest, oder ihn . Aua!« Der Locher, von Holly über den Tisch geschubst, hatte Aliana am Arm getroffen und war auf den Teppich gefallen.
Letztendlich musste Holly ihr Vorhaben, sich in der Mittagspause mit dem Brief zu beschäftigen, aufgeben, weil Aliana sie zum Markt schleppte, um dort einen Falafel-Wrap zu essen (»Die sind so lecker, echt, das ist wie ein Orgasmus im Mund!«), und danach ins Nagelstudio. Die Falafel-Wraps sahen zwar köstlich aus und rochen verführerisch, aber Holly widerstand der Versuchung und aß ihr mitgebrachtes Mittagessen. Warum sollte sie 4 Pfund 50 für einen Wrap bezahlen, wenn sie sich für einen Bruchteil des Geldes ein Thunfisch-Mayonnaise-Sandwich machen konnte?
Der strömende Regen vom Morgen hatte glücklicherweise nachgelassen, aber am Himmel hingen immer noch dicke Wolken, so grau wie Straßenpflaster. Der Camden Market gab sich alle Mühe, mit seinen bunten Ständen und Gruppen von Punks mit neonbunten Mohikanern etwas Farbe in die Sache zu bringen. Wie in Trance wanderte Holly an all dem vorbei und überließ es ihrer Freundin, die Stille mit ihrem unablässigen begeisterten Geplapper zu füllen.
Da Aliana praktischerweise vergessen hatte, dass sie in der Mittagspause ihre Verspätung vom Morgen nacharbeiten sollte, wurde sie, als sie zurückkamen, augenblicklich in Fionas Büro beordert und zu der todlangweiligen Aufgabe verdonnert, alle alten Artikel von der Webseite zu löschen.
Holly tat ihre Freundin zwar leid, aber sie war auch froh, endlich einmal Ruhe zu haben. Wenn sie sich konzentrieren konnte, ohne ständig unterbrochen zu werden, arbeitete sie sehr viel besser. Doch anstatt sich mit Stoffen, Nähten und Verschlüssen zu beschäftigen, wanderten ihre Gedanken unwillkürlich zurück zu ihrer Mutter.
In Hollys früher Kindheit, vor der Zeit, in der Jenny Wright ihre Tage nur noch mithilfe der Flasche durchstehen konnte, hatte sie sich immer Gutenachtgeschichten für ihre Tochter ausgedacht - Holly hatte schon als sehr junges Mädchen Schwierigkeiten mit dem Einschlafen gehabt. Eine dieser Geschichten handelte von einer Fee namens Hope, die nach der Beschreibung ihrer Mutter blonde Zöpfchen hatte und ein blaues Kleid mit einem roten Petticoat darunter trug. Wenn Hope tanzte, dann flogen ihre Röcke ineinander, und manchmal wirbelte sie so wild herum, dass ihr Kleid lila aussah. Das hatte Holly immer sehr gefallen, weil Lila ihre Lieblingsfarbe war - auch heute hatte sie etwas Lilafarbenes an.
An besonders anstrengenden Tagen, oder wenn sie in eine Situation geriet, die ihr...
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