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Setzt Shakespeare die Wiederholung von Figurenkonstellationen, Handlungsabfolgen und Szenen ein, weil er die Potenzialität, die in diesen dramatischen Formen liegt, ausschöpfen möchte, ist daran die Frage geknüpft, wie im Zuge dieser Transformation die Stücke sich zueinander verhalten. Immer wieder von neuem bei einer Denkform ansetzen heißt nicht nur, diese immer wieder neu zu denken, sondern auch danach zu fragen, welche Konsequenzen die Abwandlungen haben. Ist der Tod am Ende der dramatischen Spannungen notwendig, oder gäbe es für den Konflikt eine andere Auflösung? Ist die Hochzeit der einzige Ausgang für die Irrungen und Wirrungen der Liebe? Stücke immer wieder in einer anderen Tonlage durchzuspielen lenkt die Aufmerksamkeit auf das Prinzip der Kontingenz, das besagt, die Handlung könnte auch andere Richtungen einschlagen. Andere Entscheidungen könnten gefällt werden. Es könnte alles anders ausgehen. Mit Orson Welles gesprochen: Entscheidend für ein glückliches Ende ist die Frage, wann ein Schlusspunkt gesetzt wird. Die Handlung kann - wie in vielen Komödien - früh genug aufhören, um eine Wende ins Tragische zu verhindern. Sie kann aber auch - wie in den späten Romanzen - lang genug fortgeführt werden, damit die tragische Energie überwunden werden kann. Die Gattung der Tragödie mag eine schicksalshafte Fatalität vorschreiben, der Wiederholungsdrang der seriellen Umschrift aber widersetzt sich dieser Zuschreibung.
In den folgenden Kapiteln wird eine Problematik unterschiedlich durchdekliniert und neu gestaltet, mal innerhalb derselben Gattung, mal in Bezug auf mehrere Gattungen. Rückt die Transformation die Differenz innerhalb der Wiederholung hervor, wird zugleich augenfällig: Geschichten können nicht nur immer wieder neu erzählt oder weitererzählt werden. Sie können auch anders erzählt werden. Was sich fortsetzt, ist auf eine entscheidende Weise von dem Vorhergehenden abgesetzt. Werden in der Fortsetzung die Weichen anders gestellt, wirft dies auch die Frage danach auf, was es für jedes der in Serie gelesenen Stücke heißt, dass sie sich auf eine bestimmte Weise und nicht anders entwickeln. Wann können Heldinnen mit List und Tücke ihr Schicksal selbst bestimmen, und wann bleibt ihnen nur der Wahnsinn oder der Mord, um sich innerhalb einer patriarchalen Kultur zu behaupten? Warum sind gewisse Figuren in eine Wiederholungsschlaufe der Geheimhaltung oder der Gewalt unentrinnbar gefangen, während andere sich dieser Fatalität entziehen können? Warum bereitet es bestimmten Figuren Lust, sich einem vermeintlich unüberwindbaren Schicksal hinzugeben, während andere erkennen, dass ihre Zukunft nicht in den Sternen liegt, sondern in ihren eigenen Händen? Was braucht es, damit Figuren von ihrer verblendeten Liebe oder ihrem gefährlichen Machthunger absehen?
Eine serielle Lektüre lässt somit nicht nur die andere Tonart bemerken, die sich in der Bewegung von einem Stück zum anderen ergibt. Es rückt auch in den Vordergrund, was es heißt, dass ein Drama, seriell gedacht, sich verändert. Erst beim Entfalten einer Reihenfolge ergeben sich die bedeutsamen Unterschiede, die dem Spiel der wandelnden Denkformen zugrunde liegt. Die Wiederholung adjustiert den Blick, rückt etwas Neues in den Fokus, lässt etwas aus dem Blickfeld verschwinden, legt die Betonung anders. So rückt die Typologie der Souveränin dramatische Figuren ins Zentrum der Betrachtung, die, behandelt man die Stücke als Ganzes, oft übersehen werden, weil sie nur wenige Szenen bestreiten. Dadurch, dass diese Figuren in Bezug auf die Möglichkeiten und Beschränkungen weiblicher Macht ein Verhältnis zueinander einnehmen, gewinnen sie an Ausstrahlungskraft. Was entsteht, ist ein facettenreiches Gesamtporträt der Herrscherin.
Zugleich gilt es nicht nur eine Verbindung zwischen dramatischen Gestaltungen festzustellen, sondern danach zu fragen, welche Folgen sich daraus ergeben. Serielles Lesen lädt dazu ein, die Veränderungen, die das Spiel der Variation mit sich bringt, auszuwerten. Stanley Cavell stellt für das Aufflackern von Shakespeares Dramen in den klassischen Hollywood-Komödien fest: Er reicht nicht aus, eine auf Ähnlichkeit basierende Beziehung zwischen diesen beiden Genres, nämlich dem Theaterstück und dem Film, festzustellen. Ausgehend von der Entdeckung, dass dieses Verhältnis existiert, gilt es vielmehr danach zu fragen, welche Konsequenzen für das Verständnis der einzelnen Texte sich daraus ergeben. Dabei ist das Beharren auf den Unterschieden ebenso wichtig wie das Entdecken der Ähnlichkeiten. Es ist nicht allein damit getan, bestimmten Ereignissen, Figurenkonstellationen oder Sinnbildern aufgrund dieser entdeckten Beziehung eine Bedeutung zuzuschreiben. Vielmehr gilt es, danach zu fragen: Was wird durch die erzeugte Reihenfolge ersichtlich? Was drängt nach einer Zuschreibung von Bedeutung? Wie verändert sich die Bedeutungsstiftung, wenn man von einer auf Fortsetzung angelegten Beziehung zwischen den Stücken ausgeht?
Weil die Serie sowohl Teilelemente in Beziehung zueinander setzt als auch eine Fortsetzung erwarten lässt, sind in den folgenden Kapiteln sowohl die Verbindungslinien, die gezogen werden, bedeutsam, wie auch die Zwischenräume; das, was sich zwischen den Zeilen und zwischen den Stücken abspielt. Vorbild für mein hermeneutisches Verfahren ist deshalb auch Aby Warburgs »Mnemosyne Atlas« und die Serialisierung von affektreichen Gesten, die er auf seinen Tafeln inszeniert; jeweils in einem Wechselspiel zwischen imaginärem Zugreifen und begrifflicher Schau. Dabei wählt er Pathosformeln aus dem Speicher des kulturellen Gedächtnisses aus und passt diese seiner Gegenwart an, um ähnlichen zeitgenössischen Ausprägungen einer inneren Bewegtheit Ausdruck zu verleihen. Die Montage legt Beziehungen, Korrespondenzen und Analogien frei, die sonst übersehen oder ausgeblendet werden. Sie erlaubt eine unendliche Assemblage. Ziel ist es, das kulturelle Nachleben dieser affektreichen und wirkungsträchtigen Formalisierungen über eine stets veränderbare Anreihung auf den Bildtafeln zu kartographieren. Der Begriff »Pathosformel« hebt hervor, dass es sich dabei um eine formalisierte Intensität handelt. Die Formel enthält und erhält das Pathos; sie beinhaltet, birgt und umfasst die affektreichen Emotionen. Dank der Formalisierung wird diese Intensität aber auch kontrolliert und gezügelt. Gleichzeitig versteht Warburg die Pathosformel als eine Gedächtnisform, in der affektives Material sowohl zurückgehalten als auch aufbewahrt wird. Somit gewährleistet die Formalisierung, dass diese Intensität aufgegriffen und wieder freigelassen werden kann. Sie sichert nicht nur das eigene Nachleben, sondern macht dieses auch erwartbar.
Weil auf den Warburg'schen Bildtafeln ständig neue Verbindungslinien zwischen ausgewählten Bildformen und ihren nachträglichen Effekten aufgezeigt werden können, lassen sie einen Denkraum entstehen. In diesem führt die Distanz zwischen den einzelnen Pathosformeln zu einem Denken, das sowohl die Bezüge zwischen ihnen wie auch deren Entwicklung reflektiert. Auf Shakespeares Dramen übertragen heißt das: Serielles Lesen dient dazu, in der Begegnung mit den Stücken einen Denkraum entstehen zu lassen, in dem Beziehungen innerhalb der einzelnen Stücke und zwischen ihnen nochmals und zugleich anders greifbar und begreifbar gemacht werden. Einerseits werden in den folgenden Kapiteln dramaturgische Pathosformeln kartographiert, die von einem Stück zum anderen wandern und sich im Zuge dieser Bewegung verändern. Dank der Wiederholung leben die in ihnen enthaltenen Intensitäten innerhalb des Ouvres fort. Andererseits dienen die von mir produzierten Reihungen dazu, das kulturelle Nachleben dieser dramaturgischen Pathosformeln als nachhaltiges Spiel zwischen korrespondierenden und sich fortsetzenden Formalisierungen zu begreifen. Auch für meine Verfahrensweise gilt es, eine produktive Balance zwischen Affiziertsein und Begreifen beizubehalten. Die von mir entworfenen Reihenfolgen zeichnen die in Shakespeares Dramen enthaltenen Leidenschaften empathisch nach und werten sie zugleich im Hinblick auf die Denkformen, denen sie Gestalt geben, analytisch aus. Die dramaturgischen Formeln sind Schemata, die wiedererkannt werden, die aber auch mit jeder Wiederholung an Bedeutungsdichte gewinnen. Als Formgedächtnis erhalten sie mit jedem neuen Einsatz eine weitere Bedeutungsschicht. Erinnert werden in der Fortsetzung auch jene Szenen und Situationen aus vorhergehenden Dramen, in denen die dramaturgische Formel bereits schon einmal zum Einsatz gebracht wurde.
Der Denkraum, der sich mit einem seriellen Lesen öffnet, lotet Zwischenräume aus; er setzt die formalisierten Intensitäten, die weiter zirkulieren, auch in Beziehung zu denjenigen, die in jeder Wiederholung implizit mitschwingen. Die Dramen neu miteinander zu verknüpfen heißt, sie neu zu denken. Es schärft den Blick für die in ihnen enthaltenen Intensitäten wie auch für die Formalisierungen, die diese erhalten. Das Nachleben, das sie ermöglichen, zeigt nicht nur auf, dass sie fortgesetzt werden können. Es macht auch deutlich, dass sie, weil ihr Potenzial nicht ausgeschöpft worden ist, nach neuem Ausdruck drängen, eine Anreicherung anstreben. Somit lässt sich das in der dramatischen Pathosformel angelegte Nachleben mit Walter Benjamins Vorschlag zusammenbringen, dass die Übersetzbarkeit eines Werkes dessen Fortleben betrifft; genauer gesagt dessen stete erneuerte, spätere und umfassendste Entfaltung. Für Benjamin ist der entscheidende Punkt beim...
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