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Natürlich kennen wir die »böse Schlange« aus dem Paradies, die Schlange als Bild des Bösen an sich in der christlichen Ikonografie, wenden wir uns daher zunächst nach Asien, wo bis heute in vielen Fällen eine positive Beziehung zwischen Mensch und Schlange besteht.
Die Erde, die Materie, trägt ein Bewusstsein in sich. Dieses Bewusstsein trägt das Potential der eigenen Göttlichkeit. In Asien wird dieses Bewusstsein durch die Naga symbolisiert. Naga heißt zunächst »Schlange« (die weibliche Form ist nagini; wir erinnern uns an die Schlange dieses Namens als Begleittier von Lord Voldemort aus den Harry-Potter-Romanen). Die Nagas sind in der indischen Volksreligiosität hochverehrte chthonische (unterweltliche) Gottheiten. Auch sind sie Hüterinnen des Hauses. In Südindien zeichnen die Frauen als magischen Akt das verschlungene Muster vor die Haustür, das kalam genannt wird. Es dient dazu, die Naga einzuladen, um ihre glücks- und fruchtbarkeitsbringende Kraft herbeizurufen.
Die Verehrung der Naga hat sich im ganzen asiatischen Raum verbreitet: Sie werden als Schlange, als Mensch mit Schlangenkopf, als Mensch mit Schlangenschwanz oder als mehrköpfige Schlange dargestellt.
Abb. 1: Nagas als Schwellenhüter
Nagas haben oft konkrete Orte als Wohnsitz. Shesha, einer der bekanntesten Nagas, trägt die Erde selbst (und lässt eine Verbindung zu Jörmungandr, der germanischen Midgardschlange, erahnen). So gilt der Yanzhog Yumco, der größte See Tibets, als Wohnstätte der Naga-Könige. In Thailand dagegen leben sie in den Bergen, aber auch auf dem Grund von Flüssen, Seen und Meeren bewohnen sie reich verzierte Paläste. Sie werden hier zu den Beschützern des Bewusstseins der Erde selbst, ihrer geistigen Schätze. Der mythische Berg Meru, der Weltenberg, verbindet als axis mundi, als Weltenachse, die verschiedenen Seinsebenen. In ihm hausen auch die Nagas als Beschützer; ganz ähnlich wie bei den Germanen Nidhöggr an den Wurzeln des Weltenbaums lebt. Bevor in Indien der Grundstein eines Hauses gesetzt wird, erforscht ein Geomant den Punkt, der auf dem Haupt der Naga liegt. Mit einem Pfahl wird er am Ort fixiert. Durch die Nutzung als Ort des Grundsteins ist das Haus mit der Kraft der Erde verbunden.
»Naga« kann aber auch die Bedeutung von »Berg«, »Pflanze«, oder »Baum« annehmen, denn die Naga wohnt ihnen inne.
Auf der Schlange Ananta (»der Unendlichen«) ruht Vishnu in seiner Form als Narayan im kosmischen Schlaf. Der Nagakönig Mucalinda dagegen beschirmt Buddha in seiner vielwöchigen Meditation und beschützt ihn vor dem Regen. In seiner Gestalt als Pasupathinath ist Shiva Herr aller Geschöpfe. Auch er ist von Schlangen umwunden. Die Schlange Vasuki wickelt sich um seinen Nacken, aber auch Armbänder aus Schlangen schmücken Shiva. Nach der Legende verwandelten diese sich bei seiner Vermählung mit Parvati zu Körpertätowierungen. Die Schlange ist eng mit dem Schöpfergott verbunden, so wie auch im Alten Testament eine Schlange den Baum der Erkenntnis bewacht. Die Naga ist damit ein göttliches Bewusstseinssymbol, das der Materie innewohnt. Eines der stärksten Bewusstseinssymbole ist die Sonne, und so kann Naga auch in seiner Bedeutung als »Sonne« gemeint sein.
Nagas bewachen traditionell Türen und Schwellen, die Orte des Übergangs. Jeder Übergang ist ein Bewusstseinswechsel. In der indonesischen Provinz Kalimantan Tengah wird eine Nagamaske im Totenritual (tiwah) getragen. Während des Totentanzes wird der Sargdeckel gehoben, und an den Füßen des Verstorbenen wird ein Nagakopf sichtbar. Der Schwanz der Naga verlängert das Kopfende des Sargs. So ist die Naga ein Psychopompos, ein Seelenführer in das Reich der Ahnen. Das Bewusstsein der Erde dient als Ahnenraum, ja, ist dieser gar selbst.
Tod und Leben sind keine Antipoden, sie entstammen derselben Quelle. Die Naga ist so nicht nur Führerin ins Jenseits, sondern auch Bringerin der Fruchtbarkeit, ja der Lebenskraft an sich, des Prana! Der Schlangenkönig Vasuki half den Göttern das Lebenselexier Amrita herzustellen. Als Fünfköpfige Schlange symbolisiert die Naga die fünf Sinne, sowie die »Elemente« (Tattvas), wobei sie auch die Quinta Essentia, das fünfte Element, vertritt: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Ihr Zischen steht für die fünf Pranas. Die fünf Köpfe werden daher auch als die Tanmatras (als Urelement) betrachtet, die fünf subtilen Elemente. »Tan« kann hierbei die Bedeutung von »Mutter« haben und »matra« die der Materie. Die fünf Kräfte sind zugleich Mutter Erde selbst. So gebiert sich das Bewusstsein aus dem Schoß der Erde, ergießt sich in die konkrete Natur - in Berge, Flüsse, Seen und Bäume - und steigt auf als Bewusstseinskraft. All dies ist Naga!
Nicht zuletzt kann Naga auch die Bedeutung von »Blei« bekommen. Sie ist damit das dichteste Element. Die Naga ist Sonne (Gold) und Erde (Blei) in einem Wesen, sie ist das Bewusstsein der Materie und die Quinta Essentia des »Steins der Weisen«.
Wir sehen, dass die Schlange eng mit dem Schöpfungsmythos und dem Leben auf der Erde verbunden ist. Erst aus der Abwendung der patriarchalen Religionen von der Körperlichkeit, der Sexualität und der Erde selbst, wird die Schlange, insbesondere im Christentum, zu einem Symbol des Bösen. Sie wird zu unserem Schatten im Jung'schen Sinne, der all das Verdrängte enthält und sich damit gegen uns zu wenden scheint. Und so bekämpfen männliche Götter und Heroen die Schlange und den Drachen als Symbole des Chaos, ja des Bösen: Jahwe besiegt die Urdrachenschlange Rahab, Herkules besiegt Hydra und Ladon, Thor die Midgardschlange, Re obsiegt über Apophis und Apoll tötet Python.
Wir sehen also, dass in Asien die Schlange als ein Symbol verstanden wird, das zutiefst mit der Erde, der Materie, verbunden ist, aber ebenso mit seinem Gegenpol, dem Geist. Die Schlange ist Lebensund Schöpfungskraft.
Ich möchte hier schlicht einmal zwei Mythen gegenüberstellen:
Eine junge Frau ging einmal in den Wald. Da begegnete ihr eine Schlange. »Komm!« sagte die Schlange. Aber die junge Frau zierte sich: »Wer will dich zum Manne haben? Du bist eine Schlange. Ich will dich nicht haben.« Da entgegnete die Schlange: »Mein Leib ist zwar der einer Schlange, aber meine Sprache ist die eines Menschen. Komm!« Da ging die junge Frau mit, heiratete den Schlangenmann und gebar ihm ein Mädchen und einen Jungen. Danach schickte die Schlange sie mit den Worten fort: »Geh! Ich werde für die Kinder sorgen und ihnen zu essen geben.«
Die Schlange ernährte die Kinder, und die beiden wurden groß. Eines Tages sprach die Schlange: »Geht Fische fangen!« Sie taten es. Da sagte die Schlange: »Kocht die Fische!« Die Geschwister aber erwiderten: »Die Sonne ist noch nicht aufgegangen.« Sie warteten bis Sonnenaufgang und darauf, dass die Sonne die Fische mit ihren Strahlen wärmte. Dann aßen sie die Fische roh und blutig.
Die Schlange sagte: »Ihr seid zwei Teufel! Ihr esst eure Nahrung roh. Vielleicht werdet ihr mich essen. Du, Knabe geh in meinen Bauch!« Der Knabe fürchtete sich und fragte: »Was soll ich machen?« Aber der Schlangenmann sagte zu ihm: »Komm!« Und da ging der Knabe in den Bauch der Schlange. Da sagte die Schlange: »Nimm das Feuer und bring es zu deiner Schwester hinaus! Komm heraus, sammle Kokosnuss, Yams, Taro und Banane!« Da ging der Knabe wieder aus dem Bauch und brachte das Feuer mit, und sie kochten ihr Essen.
Dieser Mythos stammt von den Admiralitätsinseln vor der Nordküste Neuguineas, und wir erkennen mit dem Bild des Feuers im Bauch der Schlange bereits die starke Verbindung zum Drachen.
Ein anderer - uns bekannter - Mythos liest sich so:
Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: An dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet...
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