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Einen von allen Wunschträumen sollte man sich nicht erfüllen, hatte Norbert oft gesagt und hinzugefügt, erfüllte Träume haben ihren Reiz, bestehend aus Fernweh, Sehnsucht, Neugierde, Hoffnung und Vorfreude, verloren.
Daran musste er denken, als er über die unendlich erscheinende Wasserfläche schaute, hinter deren Horizontlinie er Afrika wusste. Afrika, sein unerfüllt gebliebener Traum!
Für die Verwirklichung wie vieler Wunschträume hatte er hart und zäh gearbeitet!
Da war der Traum, nach der Lehre und den Gesellenjahren die Meisterprüfung ablegen zu können, war der Traum, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben, ein Eigenheim zu besitzen, ein eigenes Auto fahren zu können, sich selbstständig zu machen, fremde Länder kennen zu lernen. Träume, für die es sich gelohnt hatte, zu schuften und sich abzurackern.
Der Weg zur Erfüllung all dieser Wunschträume war lang und steinig, war mit Entbehrungen und schwerer Arbeit ohne Rücksicht auf die Gesundheit verbunden gewesen.
Die Reihenfolge der Verwirklichung hatte er zwar nicht ganz eingehalten. So meldete sich das Kind bereits vor der Familiengründung, was allerdings dazu beigetragen hatte, dass er das Eheglück früher als geplant genießen konnte. Auch das eigene Auto hatte er sich früher angeschafft, als im Plan vorgesehen war. Doch der Mittelklassewagen hatte ihm das Gefühl der Freiheit vermittelt, hinzufahren, wohin er wollte.
Die Meisterprüfung wurde darum um einige Jahre zurückgestellt. Denn die ungestüme Reiselust hatte von ihm Besitz ergriffen. Ein Glück, dass seine Frau Rosemarie, genannt Rose, ebenso neugierig auf andere Länder und andere Sitten, Gebräuche und Menschen war wie er.
So waren sie in den knapp bemessenen Urlaubstagen der folgenden Jahre nach Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland gefahren, hatten dort gezeltet, die Mitternachtssonne erlebt und neue Eindrücke in sich aufgenommen wie frische, duftende Frühlingsluft nach kalten Wintertagen.
Die anderen Träume hatte Norbert deshalb aber nicht aus den Augen verloren. Während der Vorbereitung zur Meisterprüfung konnte er sich Urlaubsreisen erst einmal nicht leisten. Nun galt es sparsam zu wirtschaften, um die Zeit bis zum Meistertitel zu überbrücken. Wieder hatte Rose ihm hilfreich zur Seite gestanden und ihn in seinen Bestrebungen unterstützt. Und natürlich war sie zugleich eine fürsorgliche, liebende Mutter, die auch die Hauptlast der Kindererziehung trug.
Bald nach dem Ablegen der Meisterprüfung hatte Norbert den »Sprung ins kalte Wasser« gewagt und sich als Handwerksmeister selbstständig gemacht. Der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung kam seinem jungen Unternehmen zugute. Die eigene Firma florierte, der Wohlstand wuchs.
Während er sich um Werkstatt und Kundschaft bemühte, übernahm Rose das kleine Büro, in dem schon bald eine kaufmännische Angestellte eingestellt werden musste. Auch in der Werkstatt arbeiteten inzwischen neben Meister Norbert zwei Gesellen und ein Lehrling.
Es dauerte nur wenige Jahre, bis der Punkt Eigenheim abgehakt werden konnte.
Vorausschauend ließen sie gleich neben dem Wohnhaus eine Werkhalle mit Bürogebäude errichten, so dass einer Ausweitung des Betriebes nichts mehr im Wege stand.
Als genügend Mitarbeiter eingearbeitet waren und der Betrieb hervorragend wirtschaftete, konnten Norbert und Rose auch wieder an Auslandsreisen denken. Nun mit Söhnchen Horst im Wohnmobil. Nach dem Norden nahmen sie sich jetzt die südlichen Staaten vor: Italien, Griechenland, Spanien und die Türkei standen auf ihrem genau ausgetüftelten Reiseplan. Für die gute Vorbereitung sorgte Rose, die jede Tour generalstabsmäßig ausarbeitete, Kartenmaterial und Literatur über die Länder beschaffte, so dass jede Zwei-Wochen-Fahrt zu einem Erlebnis wurde. Mit unvergesslichen Eindrücken und neuem Wissen über Land und Leute kehrten sie von jeder Reise zurück.
Später, nachdem das Wohnmobil seine Schuldigkeit getan hatte und sie sich gute Hotels leisten konnten, waren unter anderem die USA, Kanada, Russland, Thailand und Bali ihre Traumreiseziele. Jetzt jedoch meist ohne Sohn Horst, der sich nach erfolgtem Schulabschluss bereits darauf vorbereitete, eines Tages Vaters Platz einzunehmen.
Aber noch war Norbert fest in den Sielen, 16- und 18- Stunden-Tage waren keine Seltenheit für ihn. Im Laufe der Jahre forderte der Berufsstress jedoch seinen gesundheitlichen Tribut.
Der Arzt riet Norbert kürzer zu treten, mehr Arbeit und Verantwortung zu delegieren und sich zu schonen.
»Selbst Ihre Reisen bringen Ihnen keine Erholung, so wie Sie sie durchführen«, mahnte der Arzt. »Wenn Sie Stress abbauen und etwas für Ihre Gesundheit tun wollen, sollten Sie sich irgendwo in der weiten Welt, wo es Ihnen gefällt, ein Häuschen bauen, die Füße in den Sand stecken, unterm Sonnenschirm den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, lesen, dösen, sich mit Ihrer Frau unterhalten und einfach erholen!«
Als er zu Hause Rose die Ratschläge des Arztes erzählte, lachten sie beide. Ein Leben ohne Stress? Unvorstellbar!
Aus der Werkstatt war inzwischen eine kleine Fabrik geworden, in der 30 Mitarbeiter beschäftigt waren.
Dann kam der Tag, den Norbert in seinem Kalender als einen Glückstag rot anstrich.
Ein Geschäftsfreund, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, bot Norbert seinen kleinen Bungalow auf Gran Canaria zum Kauf an.
Mit Rose flog Norbert auf die Insel. Beide verliebten sich im ersten Augenblick in das malerische Anwesen. Im Süden Gran Canarias lag der Bungalow hoch über dem Meer. Nur ein schmaler Fußweg trennte das Grundstück vom Atlantik, der unter den steil abfallenden Felsen rauschte. Bis zum Badestrand waren es keine fünf Minuten zu gehen.
Schon nach wenigen Wochen hatten sie alle behördlichen Hürden überwunden und bezogen ihre Neuerwerbung in San Agustín.
Hier, auf der drittgrößten Insel des Archipels nahe Afrika, fanden Norbert und Rose ihre zweite Heimat.
Nachdem Sohn Horst bereits Juniorchef des Familienunternehmens war und den Vater in den meisten Geschäftsbereichen ersetzte, konnten die Eltern nun Monate lang im sonnigen Süden verbringen. Stets durch die modernen Telekommunikationsmittel mit zu Hause verbunden, war Norbert erreichbar, wenn dort Entscheidungen zu treffen waren, für die er gebraucht wurde.
In den vergangenen Jahren hatten Rose und Norbert so die Winterhalbjahre auf der Insel verbracht. Das kam besonders Roses Gesundheit zugute, die seit einigen Jahren wegen eines Lungen-Emphysems an Atemnot litt, wenn sie sich anstrengte. Das Inselklima ersetzt mir ein Sanatorium, sagte sie oft zu Bekannten, die sich darüber wunderten, wie sich ihr Gesundheitszustand von Jahr zu Jahr verbesserte.
Wenn Norbert Bilanz seines bisherigen Lebens zog, war er zufrieden. Fast alle seine Jugendträume waren in Erfüllung gegangen. Zwar war ihm nichts in den Schoß gefallen, aber die harte Arbeit hatte sich gelohnt, selbst wenn auch seine Gesundheit mit zunehmendem Alter zu wünschen übrig ließ.
Nur ein Wunschtraum war bisher Traum geblieben: Afrika.
Dabei war der »schwarze Kontinent« nur ein Katzensprung von der Insel entfernt. Wenn er auf der Terrasse saß und über das Meer blickte, wusste er, dass nur etwas mehr als l00 Kilometer das afrikanische Festland von der Insel trennten. Es ist ein Klacks hinüber zu kommen, sagte sich Norbert, zumal auf der Insel ständig Flüge nach Afrika angeboten wurden.
Die freundlichen schwarzen Händler aus Gambia, Ghana, dem Senegal und anderen Staaten, die Abend für Abend den Gaststättenbesuchern afrikanische Holzschnitzereien und billige Plagiate teurer Markenuhren anboten, erweckten stets den Wunsch in Norbert, deren Heimatländer kennen zu lernen. Aber er konnte sich nicht dazu aufraffen. Ja, wenn Rose noch an seiner Seite gewesen wäre, seine Eva!
Wenn Horst in den letzten Jahren während des deutschen Winters jeweils für eine Woche zu ihnen auf die Insel kam, hatte er immer lächelnd gesagt, er wolle Adam und Eva in ihrem Paradies besuchen.
Das war einmal, denn im Paradies fehlte seit zwei Jahren die Eva.
Als sie damals im April nach Deutschland geflogen waren, hatten sie fest damit gerechnet, im Oktober zurück zu kommen, um in ihrem Paradies zu überwintern. Doch kaum in Deutschland, hatte Rose über Schmerzen geklagt, und ein Vierteljahr später war sie bereits tot. Dabei musste Norbert dem Schicksal noch dankbar sein, dass Rose einen sanften Tod gestorben war und nicht Monate oder Jahre hindurch bis zur Erlösung unter Schmerzen zu leiden hatte, wie so manche andere Krebspatienten.
Seinem Inselparadies fehlte seitdem die Seele. Seit Norbert alleine war, hatte er nur noch halb soviel Freude an seiner zweiten Heimat.
Mit seiner Gesundheit stand es nach Roses Tod auch nicht zum Besten. Aber er mied die Ärzte.
Lange Spaziergänge entlang der Strände, ein wenig Garten- und Hausarbeit, stundenlanges Lesen, einige Besuche bei liebgewordenen spanischen, schwedischen und deutschen Nachbarn und hin und wieder mit dem Auto eine Fahrt in die Berge verkürzten ihm die Zeit.
Während er das Buch beiseite legte, in dem er gerade gelesen hatte, kam ihm wieder der Satz in den Sinn, dass man sich einen unerfüllten Wunschtraum erhalten solle.
Warum eigentlich, lächelte er vor sich hin, wer oder was hindert mich daran, mir meinen letzten Traum zu verwirklichen?
Er beobachte die allabendliche Invasion der...
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