Schweitzer Fachinformationen
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"Ein herrlich saftiges Familien-Epos, sehr jüdisch-amerikanisch und dementsprechend überbordend an Details, Fabulierlust und exzentrischen Figuren. Taffy Brodesser-Akner segelt mit lakonischer Distanz zu ihnen, aber nie ohne Liebe und Mitgefühl, mitten hinein ins Auge des Sturms." SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
1980 im wohlhabenden Long Island: Carl Fletcher wird vor seinem Haus gekidnappt. Kurz darauf, nach Zahlung eines üppigen Lösegelds, wird er freigelassen, und die Familie versucht, den Vorfall hinter sich zu lassen. Doch als sie vierzig Jahre später bei einer Feier wieder zusammentrifft, wird klar, dass die lange zurückliegende Entführung unerwartete Spuren hinterlassen hat - und zwar nicht nur bei Carl, sondern bei der ganzen Familie. Und diese Auswirkungen gestalten sich mal verstörend und mal überaus amüsant!
Eine große jüdisch-amerikanische Familiengeschichte, Jahrzehnte umspannend, die sich bereits jetzt wie ein Klassiker liest: sprachlich virtuos, fein beobachtet und sehr, sehr lustig.
»Dieses Buch steht Klassikern wie DIE KORREKTUREN und MIDDLESEX in nichts nach.« LOS ANGELES TIMES
Willst du eine Geschichte hören, die schrecklich endet?
Am Mittwoch, dem 12. März 1980, wurde Carl Fletcher, einer der reichsten Bewohner unseres Long-Islander Vororts, auf dem Weg zur Arbeit vor seiner eigenen Haustür entführt.
Der Morgen hatte ganz normal angefangen. Carl Fletcher wachte auf, duschte, zog sich an und ging nach unten in die Küche, um seiner Frau Ruth einen Abschiedskuss zu geben. Ruth hatte den beiden Söhnen schon ihre Schalen mit Kellogg's Product 19 hingestellt, als Carl Nathan und Bernard den Kopf tätschelte, die Küche verließ und hinaus ins helle Sonnenlicht trat. Das Wetter hielt sich damals noch weitgehend an die Jahreszeiten, und die ersten Frühlingsboten blitzten durch den Schneematsch, der nach dem letzten Wintersturm gemächlich vor sich hinschmolz. Das reflektierte Licht blendete Carl ein bisschen; vor seinen Augen tanzten dunkle Punkte, als er den Schlüssel in die Tür des Cadillac Fleetwood Brougham steckte, den er im Jahr zuvor erworben hatte.
Sein Gehirn hatte das Geräusch der Schritte im Schneematsch noch nicht verarbeitet, als ihm von hinten ein Mann auf den Rücken sprang und ihm mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung einen Sack über den Kopf zog, so dass Carls Welt schlagartig schwarz wurde. Unter dem Sack klang Carls überrumpeltes Ächzen und Keuchen überlaut. Ein weiterer Mann - es waren zwei - nahm den Autoschlüssel, der in der Tür steckte, und setzte sich hinters Steuer, während der erste Carl niederzuringen versuchte. Allerdings war Carl ein stattlicher Mann. Die beiden Angreifer waren offenbar erheblich kleiner. Nur dank des Überraschungsmoments gelang es ihnen, Carl in den Fußraum seines Wagens zu befördern.
Der Brougham fuhr los, den halbmondförmigen Kiesweg hinunter und hinaus auf den St. James Drive, weg von der gigantischen Tudor-Villa über der Bucht, in der die Fletchers wohnten. Er fuhr durch Middle Rock, rechts in die Ocean Vista Road, an den anderen riesigen Villen vorbei, in denen die Nachbarn der Fletchers wohnten, über die Brücke, nach der er auf Höhe des 1,8-Meilen-Steins das sechs Hektar große Anwesen passierte, auf dem Carl aufgewachsen war und wo in diesem Moment seine Mutter an ihrem Queen-Anne-Schreibtisch saß und Schecks für den Stromversorger und die Synagoge ausschrieb. Sie passierten den Ortskern mit der Bibliothek, der Metzgerei, Duplo's Ski & Skate Shop, wo Carls Mutter ihm vor vielen Jahren Rollerskates gekauft hatte und Carl seinem ältesten Sohn kürzlich den ersten Tennisschläger, dann die Abzweigung zur Synagoge, wo Carls Bar Mizwa stattgefunden hatte, den Festsaal, wo er geheiratet hatte, das kleine Industriegebiet mit den Autowerkstätten, bis sie schließlich den Shore Turnpike erreichten und Middle Rock verließen, einen Flecken, den man bis dahin eigentlich nur als Schauplatz eines berühmten Romans aus den 1920er-Jahren (und Wohnsitz dessen Verfassers) gekannt hatte, und später vielleicht als den ersten amerikanischen Vorort mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von über fünfzig Prozent.
Die Entführer fuhren etwa eine Stunde, dann blieben sie stehen, holten Carl aus dem Fußraum und zerrten ihn ein paar Stufen hinauf in eine Art Halle (Carl hörte es am Echo der Schritte), dann zwei Absätze einer Treppe hinunter, die ihn vage an die Gitterrosttreppen seiner Fabrik Consolidated Packing Solutions Ltd. erinnerte. Unten wurde er in einen kleinen Raum gestoßen, den er für eine Art Besenkammer hielt. Die Dunkelheit wurde noch dunkler. Der Cadillac Brougham tauchte nie wieder auf.
Carls Verschwinden fiel erst gegen fünfzehn Uhr auf. Eine Stunde zuvor sah Ruth auf die Uhr und stellte fest, dass es Zeit war, Nathan von der Schule abzuholen. Sie war am Anfang ihrer dritten Schwangerschaft, und als sich die Morgenübelkeit bis zum Nachmittag nicht legte, fürchtete sie, dass es nicht die Morgenübelkeit war, sondern ein Magen-Darm-Virus, der sie seit dem Morgen an die Couch fesselte, während der vierjährige Bernard fast den ganzen Tag vor dem Fernseher saß und schon die dritte Wiederholung von Gilligan's Island sah. Ruth überlegte, ob sie ihre Freundin Linda Messinger anrufen sollte, um sie zu bitten, Nathan mit ihrem sechsjährigen Sohn Jared von der Schule abzuholen, aber Linda hatte Nathan schon am Morgen zur Schule gebracht. Linda wusste noch nichts von Ruths Schwangerschaft, und deshalb wollte Ruth sie nicht fragen - ein zweiter Gefallen an einem Tag hätte Ruths Zustand sofort verraten, und Ruth wollte nicht, dass es jemand so früh erfuhr, nicht einmal Linda Messinger, von deren Loyalität sie nicht immer überzeugt war. Stattdessen rief sie ihre Schwiegermutter Phyllis an. Phyllis war Witwe, hatte einen Chauffeur und wohnte nicht weit entfernt, eine rüstige Anfang- oder Mittfünfzigerin (genau wusste es keiner, denn sie hatte an ihrem sechsunddreißigsten oder einunddreißigsten Geburtstag alle diesbezüglichen Nachweise zerstört).
Während Ruth auf Nathan wartete, rief sie in der Fabrik an, um Carl zu bitten, auf dem Heimweg Eier und Spaghetti mitzubringen. Carls Sekretärin Hannah Zolinski ging ans Telefon, räusperte sich, um Zeit zu schinden, und stotterte dann verlegen, dass Carl den ganzen Tag nicht im Büro gewesen sei. Hannah war davon ausgegangen, er hätte sich den Tag freigenommen. Sie habe sich gewundert, sagte sie zu Ruth, denn heute sei die Bestellung für das Albertson-Konto fällig, und Carl habe sich gestern noch Sorgen gemacht, weil die Produktion hinterherhinke. Deswegen könnte die Fabrik Tage, vielleicht Wochen in Verzug geraten. Aber Hannah habe nicht zu Hause angerufen, sagte sie, weil kein Anlass bestanden habe; die Produktion sei am Ende doch rechtzeitig fertig geworden, und für Albertson lief alles glatt. (Insgeheim fürchtete Hannah, Carl hätte ihr Bescheid gesagt, dass er sich den Tag freinahm, und sie hätte es vergessen, was Carl ihr übel genommen hätte. Sie war seit Kurzem mit einem Kollegen aus der technischen Abteilung verlobt, und Carl hatte in den letzten Wochen mehrmals geschimpft, weil Hannah so unaufmerksam war. Carl, wusste Hannah, rühmte sich eines bestimmten Führungsstils: Er leitete die Fabrik mit »strammen Zügeln«, was hauptsächlich hieß, dass er von der Grundannahme ausging, alle würden ihn ständig bestehlen - manchmal in Form von Geld, aber meistens in Form von Zeit. Diese Lektion hatte er von seinem Vater gelernt, der die Fabrik gegründet und bis zu seinem Tod geleitet hatte, und sie war der Grund, warum Carl sich fast nie freinahm, erst recht nicht spontan, weswegen sich Hannah, wie sie später der Polizei erklärte, wahrscheinlich doch erinnert hätte, wenn Carl ihr gesagt hätte, dass er sich den Tag freinahm.)
Ruth hängte den Hörer auf, den Finger an den Lippen. So stand sie lange da, während es still in der Leitung wurde, dann ertönte das Freizeichen und schließlich das aufdringliche Plärren eines Küchentelefons von 1980, das nicht richtig aufgelegt war. Im gleichen Moment betrat ihre Schwiegermutter die Küche und sah von Ruth zum Telefon und zurück zu Ruth.
»Was ist los?«, fragte Phyllis.
Zwanzig Minuten später war die Polizei da. Eine Stunde später kam Ruths Mutter Lipshe. Vierundzwanzig Stunden später hatte das FBI in der Villa von Carl und Ruth Fletcher eine Zentrale eingerichtet: fünf Vollzeit-Beamte (zwei hießen John), darunter eine Frau (Leslie), die rund um die Uhr vor Ort waren und in Gästezimmern, Kinderzimmern und Wohnzimmer schliefen. Außerdem wurden drei Beamte des Middle Rock Police Department abgestellt, die jedoch eher im Weg standen. Middle Rock war in den 1980er-Jahren wegen seines Reichtums und der relativen Entfernung von allem, was an Arbeiterviertel erinnerte, ein übernatürlich sicherer Ort, was dazu führte, dass die örtliche Polizei keine Erfahrung mit Dingen hatte, die so ungewohnt und möglicherweise kriminell waren wie das plötzliche Verschwinden einer Person.
Ruth zeigte den FBI-Agenten aktuelle Fotos von Carl bei der Bar Mizwa eines Neffen und gab ihnen eine Personenbeschreibung: ein Meter neunzig groß, kräftig, aber nicht dick, mit schönem braunen, ungewöhnlich vollem Haar - mit dreiunddreißig noch eine glatte Eins auf der Hamilton-Norwood-Skala, wie bei ihrer ersten Begegnung -, braunen Augen, die immer zu blinzeln schienen, aber trotzdem Güte ausstrahlten, und einer Nase mit heruntergebogener Spitze, die ihm meistens einen Ausdruck verlieh, als wäre er von dem, was er sah, leicht angewidert. Ruth blieb an einem Foto hängen, auf dem sie tanzten und Ruth über Carls Schulter in die Kamera sah, vielleicht, weil jemand sie gerufen hatte, vielleicht der Fotograf. »Hier tanzen wir«, sagte sie. Die FBI-Agenten nickten bedächtig und notierten sich etwas.
Und sie stellten Fragen: War jemand wütend auf Carl? Hatte jemand Grund, ihm zu drohen? Hatte Carl je erwähnt, dass er Feinde hatte, oder harmloser vielleicht, gab es Leute, die ihn nicht mochten? War da - wir müssen diese Frage stellen - vielleicht eine andere Frau?
»Sie nennen immer wieder diese Hannah Zolinski«, sagte einer der Johns mit Blick in seine Notizen.
»Hannah ist seine Sekretärin«, sagte Ruth entrüstet. Es gefiel ihr nicht, dass man ihr Unterstellungen machte; es gefiel ihr nicht, dass sie nicht nur diese absurde, belastende Situation ertragen, sondern auch noch den Ruf ihres Mannes verteidigen musste, obwohl ein Blinder mit Krückstock sah, dass Carl hier das Opfer irgendeiner Machenschaft war. »Wenn Sie wüssten, wie er sich manchmal über sie aufregt«, begann sie. Dann, schnell, als könnte sie ihren Mann damit in seiner...
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