Schweitzer Fachinformationen
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Rabenburg, Wohnsitz des Brendan mac Cuinn, Irland
Da da lan da lan la la dan .« Die Magd stimmte einen neuen Rundgesang an, ohne die flinke Arbeit ihrer Finger zu unterbrechen. Sie wiegte sich dabei, als brächten erst ihre Bewegungen, das unermüdliche Drehen der Spindel und das Zupfen an der Wolle, den Puls des Liedes hervor. Sobald die anderen Frauen es erkannten, fielen sie in den Kehrreim ein. Vom nächtlichen Wanderer sangen sie, der Fuß vor Fuß setzte, Fuß vor Fuß, bis er an einen See kam, so tief, so tief, an dem ihn Grauen erfasste. Ihm erschien eine Frau, deren Gewand weiß, ach so weiß war . Die Flämmchen der Tranlampen im Raum tanzten dazu ihren flackernden Reigen.
Ceara kannte mittlerweile alle Lieder, die der gleichförmigen Tätigkeit der Frauen die Langeweile nahmen, und summte leise mit. Eine Fußspitze stieß an ihr Schienbein und lenkte ihren Blick auf die tadelnd zusammengezogenen Augenbrauen ihrer Stiefmutter Eithne. Mit einem ungehaltenen Kopfnicken forderte diese sie auf mitzusingen.
Ceara seufzte. Wieder eine der kleinen Quälereien, die ihr das Leben schwermachen sollten. Sie konnte nun einmal nicht singen wie die Hausherrin, deren kräftige dunkle Stimme den Höhen der anderen eine wohltönende Dichte verlieh, oder wie die kleine Úna, ihre jüngste Halbschwester, die wie eine Lerche trällerte und darüber gern ihren Faden vergaß. Widerwillig, doch ergeben mischte Ceara ihre heisere Stimme dazu. Das Zischen zweier Nachbarinnen ließ nicht lange auf sich warten und gab ihr zu verstehen, dass ihre Misstöne nicht willkommen waren. Eithne schien zufrieden.
Gleichmütig klemmte Ceara sich ihren Spinnrocken zwischen die Knie. Sie hatte schon anderen Kummer ertragen müssen. Schmerzen, die sie kaum hatten atmen lassen. Die sorgsam ausgeteilten Nadelstiche ihrer Stiefmutter erschienen ihr dagegen nur ermüdend.
»Du singst absichtlich falsch!«, warf Eithne ihr vor. »Du lässt keine Gelegenheit aus, uns zu verärgern.«
»Es bereitet dir doch Vergnügen, mich zu schelten«, flüsterte Ceara zurück und stülpte ein neues Büschel gekämmter Schafwolle über den Rocken. »Genieße es, solange du kannst.«
Ein Räuspern ließ sich vernehmen. Der Streit nahm immer den gleichen Verlauf und eignete sich schon lange nicht mehr zum Tratsch hinter vorgehaltener Hand. Er störte nur den Frieden des Frauengemachs. Eithne warf einen warnenden Blick in die Ecke, aus der das Räuspern gekommen war, und lehnte sich zurück, ihr Gesicht verschwand wieder im unsteten Halbdunkel des Feuerscheins.
Ceara kreuzte ein Leinenband um die Wolle, damit sie nicht vom Stab rutschte. Vielleicht musste sich Eithne wirklich bald eine neue Lieblingsbeschäftigung suchen. Es drängte sie, dieses Haus, in dem sie nur ein schlechtgelittener Gast war, für immer zu verlassen. Nur zwei Wege führten für sie aus der Rabenburg hinaus - eine neue Ehe oder der Eintritt in ein Kloster. Ihr Vater, Brendan mac Cuinn, verhandelte ununterbrochen mit Clans, an deren Bündnis ihm gelegen war, und würde über kurz oder lang erneut einem der Anführer ihre Hand versprechen. Mit ihren nunmehr achtzehn Jahren wurde es für Ceara höchste Zeit, ein Auskommen zu finden. Von den Mitteln, die ihr nach ihrer kurzen Ehe zugefallen waren, konnte sie nicht unabhängig leben. Eine Frau erwarb für jedes Jahr, das sie mit ihrem Mann verbrachte, einen Anteil am gemeinsamen Vermögen. Dieser ermöglichte es ihr später, wenn der Mann sich einer fruchtbaren Jüngeren zuwandte, sich in Würde zurückzuziehen. Als Witwe aber, viel zu jung für einen erwachsenen Sohn, der für sie sorgen konnte, bestimmte wieder der Vater über sie. Und da ihr der einzige erfüllende Ort, den sie sich je gewünscht hatte, vom Schicksal so rasch wieder genommen worden war, blieb ihr nur, auf einen neuen Ehemann zu warten.
Und der andere Weg? Sie haderte mit sich. Das Vorbild ihrer Mutter, die ihr Dasein im demütigen Grau einer kleinen klösterlichen Gemeinschaft fristete, spendete ihr keinen Trost. Die Vorstellung eines stillen Skriptoriums hingegen, in dem sie, umgeben von Tinte, Feder und Pergament, einem friedlichen Tagewerk nachginge und von den Menschen, die wie ein Schwarm angriffslustiger Stechmücken um sie herumsummten, unbehelligt bliebe, zog sie an manchen Tagen unwiderstehlich an. Warum war sie diesen Schritt nicht längst gegangen? Auf der Rabenburg strafte man sie täglich für das Vergehen, sich für einen Mann entschieden zu haben, den ihr Vater nicht guthieß. Was sie sich selbst vorwarf und was ihr den Weg ins Kloster verwehrte, ahnte niemand: Dass sie den Geliebten nicht fest genug gehalten hatte, als der König ihn fortrief, und er nicht zurückgekehrt war. Und dass sie sein Kind im Stich gelassen hatte. Solange sie mit der göttlichen Vorsehung, die ihr das Kostbarste genommen hatte, so wenig Frieden fand, fühlte sie sich nicht bereit für den Rückzug in Seinen Schoß.
Sie zwirbelte einen feinen Faden aus der Wolle hervor und verband ihn mit dem Ende des Garns, das sich schon auf der Spindel befand. An ihrer Hand funkelte noch immer der Ring, mit dem er sich ihr versprochen hatte. Nie würde sie ihn ablegen, es sei denn, man hackte ihr den Finger ab. Wenn sie seinen Namen dachte, zog ein Schatten über sie hin, hörte sie den hohen, durchdringenden Schrei der bean sí, der ihr das Mark gefrieren ließ. Finn. Ihr Beschützer, ihr Freund, ihr Mann. Ihre Liebe zu ihm war ihr Schutzwall gewesen, die einzige Antwort auf hereinstürmende Gewalt und Falschheit. War Fürsorge und Hingabe. Seine Wärme vertrieb ihre Angst, heilte ihren Schmerz, machte sie endlich ganz. Auf ihre gemeinsame Kraft hatte sie vertraut. Vor zwei Jahren, nur wenige Wochen nach ihrer Hochzeit, war sein Leben am Rande eines Schlachtfelds in Connaught ausgelöscht worden. Kein Sommer hatte seither ihr Blut aufgetaut.
Daumen und Mittelfinger der rechten Hand drehten die Spindel. Tagein, tagaus die gleichen Handgriffe, der gleiche Singsang. Von ihrem Zeigefinger geführt, spulte sich der Faden sauber um den Stab auf. So hatte sie es einst von Hallveig, ihrer Ziehmutter, gelernt. Sicher saßen auch die Frauen von Ásmundrs Hof zu dieser Stunde beisammen und spannen.
Während der Wanderer aus dem Lied von der weißen Frau mit einem Pfeil im Herzen verwundet wurde, betrachtete Ceara ihr Leinenband, das die Wolle hielt. Sie hatte es mit blauem und rotem Garn bestickt, als sie sechs Jahre alt war. Die Farben waren in den zwölf Wintern, die seither vergangen waren, durch das häufige Anfassen und Binden vergilbt, aber noch immer erinnerten sie Ceara an das Zuhause ihrer Kindheit. Hallveig hatte ihre Töchter und Mägde ebenso mit der Fußspitze getreten, wie Eithne es nun bei Úna tat, da diese durch Unachtsamkeit den Faden verknotet hatte. Von dessen Makellosigkeit hing die Güte des Gewebes ab, aus dem die Kleider für die Familie und die Angehörigen des Haushalts geschneidert wurden. Diese Sorge teilte die kleine Úna jedoch noch nicht. Trotzig warf sie ihren Rocken auf den Boden und stürmte aus der Kammer. Mit einem strengen Blick in die Runde erhob sich Eithne und folgte ihrer Tochter, um sie am Ohr zu ihrer Pflicht zurückzuholen.
Ceara fröstelte bei dem Gedanken an den schneidenden Wind, der draußen um die Gebäude pfiff und wohl in diesem Augenblick nach den Röcken des kleinen Mädchens schnappte. Sie fror ununterbrochen, seit sie wieder in der Burg ihres Vaters lebte, selbst hier in der Kammer, in der ein Feuer prasselte und zahlreiche Tranlampen brannten. Es war die Kälte der Verlassenheit, die ihr in die Knochen gedrungen war. Eithnes kühle Herablassung ihr gegenüber konnte Ceara in gewisser Weise verstehen; sie war eine Tochter aus erster Ehe und damit ein Eindringling in Eithnes Haushalt. Die Gereiztheit ihres Vaters jedoch wurde ihr von Tag zu Tag unerträglicher. Waren Eithnes Spitzen wie ein gelegentlicher Schauer aus feinen Eiskristallen, so wehte sie von Brendan der Hauch eines zugefrorenen Flusses an. In jedem Wort, in jeder seiner herrischen Anweisungen lag der Vorwurf, sie trüge die Schuld daran, dass seine Erwartungen an ihre erste Ehe enttäuscht worden waren.
Im Sommer vor zweieinhalb Jahren hatte er, der König der Ifernan, sie von ihrer Ziehfamilie aus der Normandie weggeholt, um sie seinem sorgfältig angelegten Machtspiel zuzuführen. Jahrelang hatte er gegen den Nachbarstamm, die Corco Mruad, Krieg geführt, angestachelt, wie sich zu spät herausstellte, von Olcán, jenem falschen Freund und Verbündeten, den Ceara hatte heiraten sollen. Finn mac Cein von den Corco Mruad hatte den Verrat Olcáns aufgedeckt und das Blutvergießen zwischen den Stämmen beendet. Brendan war zum ersten Mal im Leben gezwungen gewesen, einen Fehler zuzugeben. Die Bloßstellung beschämte ihn, ein Gefühl, das ihm bis dahin fremd gewesen war. Es verdross und verunsicherte ihn, weshalb er seine Feindseligkeit gegen die Corco Mruad nie ganz hatte überwinden können. Doch Finn war ein über die Grenzen seines Volkes hinaus bekannter und geschätzter Heiler und hatte einen hohen Gelehrtenrang innegehabt, der seinen Ehrenpreis dem eines Königs gleichsetzte. So konnte Brendan sich seiner Eheschließung mit Ceara am Ende nicht widersetzen. Ihre Liebe hatte den Friedensschluss besiegelt.
Nach Finns Tod hatten seine Verwandten ihr einen Mondzyklus lang das Verweilen in ihrem gemeinsamen Heim gewährt, um abzuwarten, ob sie sein Kind trug. Als offenbar wurde, dass dem nicht so war, hatte Bressal, der nachfolgende Clanführer, die Burg auf dem Möwenfelsen seinem neu gewählten Stellvertreter zugesprochen. Er selbst hatte das von Finn erbaute große Haus in der Hospitalssiedlung zum neuen Häuptlingssitz erhoben, damit seine Gemahlin, die...
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