Die zweite Rede des Petrus (Apg 3,12-26)
Apostelgeschichte 3, Verse 12-26
Wir kommen nun zu einem bedeutenden Abschnitt in der Apostelgeschichte. Nicht nur werden wir hier mit den Wegen Gottes mit Israel näher vertraut gemacht, sondern es tritt auch die Person des Herrn Jesus in so mannigfacher Weise und Beziehung vor uns, dass unsere Herzen überströmend glücklich werden, wenn wir das betrachten.
In der Säulenhalle Salomos
Offensichtlich nachdem der Dienst des Gebets und das Darbringen des Abendopfers vorüber waren, kamen Petrus und Johannes, begleitet von dem geheilten Gelähmten, aus dem inneren Hof in den äußeren heraus, an dessen Ostseite die Säulenhalle oder der Säulengang Salomos lag. Verwunderung und Erstaunen erfüllten die Volksmengen, als sie den einst Gelähmten mit den Aposteln umhergehen sahen, und das ganze Volk lief "voll Erstaunen zu ihnen in der Säulenhalle zusammen, die Salomonshalle genannt wird" (Vers 11).
Diese Säulenhalle war, so berichtet Josephus, ein Relikt aus der Zeit Salomos und war über all die Jahrhunderte hinweg vor Zerstörung bewahrt geblieben. In dieser Säulenhalle hatte Sich auch der Herr aufgehalten, als Ihn die Juden umringt und gefragt hatten, ob Er der Christus sei (Joh 10, 23). Und weil der Ort offensichtlich zur Aufnahme größerer Menschenmengen geeignet war, finden wir später in der Apostelgeschichte auch die Apostel dort (Kap. 5,12), ehe sie ins Gefängnis kamen und geschlagen wurden.
Auch hier nun bietet die Säulenhalle Salomos den vielen herbeilaufenden Menschen Platz und den Aposteln die Gelegenheit, zu einer großen Zuhörerschaft zu reden. Wenn den meisten der Juden die geistliche Bedeutung des Wunders entgangen sein sollte, was wir als gegeben annehmen können, dann hat Petrus jetzt eine ausgezeichnete Gelegenheit, sie ihnen klar zu machen. Mit dem Geheilten als lebendem Beweis der Macht Gottes neben sich, ergreift er sie unverzüglich. Der Herr hatte ihn zum Menschenfischer gemacht, und jetzt, da er die Wogen in Bewegung sieht, wirft er sogleich und unerschrocken das >Netz< aus.
Wie sich der Diener verbirgt
"Als aber Petrus es sah, antwortete er dem Volke: Männer von Israel, was verwundert ihr euch hierüber, oder was sehet ihr unverwandt auf uns, als hätten wir aus eigener Kraft oder Frömmigkeit ihn wandeln gemacht?" (Vers 12).
Petrus, ruhig und besonnen, beginnt mit zwei Fragen an seine Zuhörer. Warum verwunderten sie sich derart über die Heilung dieses Gelähmten? Es war nicht lange Zeit her, dass ein Mensch unter ihnen gewesen war, der größere Wunder als dieses vollbracht hatte. Unsagbar Gutes hatte Er in ihrer Mitte getan und alle die geheilt, die von dem Teufel überwältigt waren (Kap. 10, 38). Die Zunge der Stummen hatte Er gelöst, die Augen der Blinden aufgetan, selbst Tote hatte Er auferweckt. War damals nicht eine große Anzahl von ihnen nach Bethanien gekommen, "nicht um Jesu willen allein, sondern damit sie auch den Lazarus sähen, welchen er aus den Toten auferweckt hatte" (Joh 12, 9)? Bei ungezählten Gelegenheiten hatte Jesus so viele wunderbare Dinge unter ihnen getan, dass, wenn sie alle einzeln niedergeschrieben würden, "selbst die Welt die geschriebenen Bücher nicht fassen" würde (Joh 21, 25). Warum dann jetzt diese Verwunderung, da dieselbe Kraft erneut unter ihnen wirksam geworden war?
Es ist, als fühle Petrus, wie der Blick der Menge vom Gelähmten weg zu ihm und Johannes gleitet. Mit seiner zweiten Frage kommt er jeder aufkeimenden Bewunderung für ihre Person zuvor: "Was sehet ihr unverwandt auf uns, als hätten wir aus eigener Kraft oder Frömmigkeit ihn wandeln gemacht?" Keinen Augenblick duldet er den Gedanken, dass irgendein persönlicher Vorzug in ihnen dieses Wunder bewirkt hatte. Sobald er in den Herzen der Menschen Bewunderung oder gar Verehrung für die von Gott benutzten Werkzeuge aufsprießen sieht, zieht er sich als Diener unverzüglich in den Hintergrund zurück und bringt desto nachdrücklicher den Herrn Jesus in den Vordergrund. Das ist einem Diener des Herrn angemessen, und das allein entspricht der Würde und Erhabenheit Dessen, dem er dient.
Aber das Neue Testament gibt uns auch Beispiele dafür, dass Personen anders gehandelt haben als Petrus. Zwei wollen wir nennen, wovon eins positiver, eins negativer Natur ist.
Das erste Beispiel ist das des Herrn Jesus selbst. Kam Er in eine ähnliche Situation wie Petrus, so unterschied sich Sein Verhalten deutlich von dem Seines Jüngers. Als Er in der Synagoge von Nazareth den Propheten Jesaja gelesen und Sich gesetzt hatte, richteten sich die Augen aller Anwesenden gespannt auf Ihn. Doch Er unterbrach nicht den Strom der Erwartung oder Bewunderung, noch lenkte Er ihn in eine andere Richtung. Er nahm vielmehr die auf Ihn gerichtete Erwartung der Menschen und die damit verbundene Würdigung an. Er schloss das Buch und ließ es beiseitelegen. Und dann stellte Er Sich selbst den Juden als die Erfüllung der Prophezeiung, als den erwarteten Messias Seines Volkes vor (Lk 4, 16-22).
Wir verstehen natürlich, worin dieses gegensätzliche Verhalten des Herrn begründet liegt - in der Würde Seiner Person. Fast wie nebenbei, wie selbstverständlich tritt sie hervor, und immer wieder ist das Herz eines wahren Jüngers darüber erfreut. Obwohl der Herr in tiefer Armut und Erniedrigung hier war und den Platz des Dieners einnahm, war Er der Herr von allen und nahm die Huldigung Seiner Geschöpfe entgegen (Mt 28, 9; Mk 5, 33; Lk 8, 47).
Das zweite Beispiel eines anderen Verhaltens gibt uns im achten Kapitel der Apostelgeschichte der Zauberer Simon. Nicht nur übte er satanische Macht aus, sondern er sagte auch von sich selbst, dass er etwas Großes sei (Vers 9). Und wenn die Menschen ihm vom Kleinen bis zum Großen anhingen und von ihm sagten, er sei "die Kraft Gottes, die man die große nennt", so Heß er sich diese Ehrung gefallen. Der natürliche Mensch liebt es, sich zu erheben und sich verehren zu lassen.
Die Apostel aber geben alle Ehre Gott und Seinem Knecht Jesus. Das Wunder war tatsächlich geschehen, Petrus bestätigt es ausdrücklich. Die Kraft aber, die es bewirkt hatte, war göttlich. Jede Ehrerbietung kam daher Gott allein zu.
Von Leonardo da Vinci wird erzählt, dass er, als er in Mailand sein berühmtes Gemälde >Das letzte Abendmahl< vollendet hatte, einen Freund einlud, das Werk privat zu begutachten und seine Beurteilung darüber abzugeben. "Ausgezeichnet", rief sein Freund aus, "der Kelch dort tritt geradezu aus dem Tisch hervor - gediegenes, glanzvolles Silber." Daraufhin nahm der Maler ruhig einen Pinsel in die Hand, übermalte kurzerhand den Kelch und sagte: "Meine Absicht war, dass die Person Christi zuerst den Blick des Betrachters gefangen nimmt, und was immer die Aufmerksamkeit von Ihm abzieht, muss ausgelöscht werden."
Geradeso löschte Petrus sich und Johannes aus dem Bild aus, damit der Herr es ausfülle. Wie wichtig ist es für einen Diener des Herrn, alles zu vermeiden, was die Person des Herrn Jesus verdunkeln könnte! Petrus und Johannes sind nachahmungswürdige Beispiele dafür, wie sich der Knecht des Herrn verbirgt. Auch Paulus verwirklichte, dass sie den wunderbaren Schatz der Erkenntnis Gottes in "irdenen Gefäßen" hatten, "auf dass die Überschwänglichkeit der Kraft sei Gottes und nicht aus uns" (2. Kor 4, 7). Und wenn auch Petrus kein gelehrter Mann war, Paulus war es. Und doch war seine Rede und seine Predigt "nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht beruhe auf Menschen-Weisheit, sondern auf Gottes Kraft" (1. Kor 2, 4.5). Apollos war "ein beredter Mann" und "mächtig in den Schriften" (Apg 18, 24), und doch stellte er diese Fähigkeiten und Kenntnisse nicht selbstgefällig zur Schau, sondern suchte "sorgfältig die Dinge von Jesu" zu lehren (Vers 25) und "den Glaubenden durch die Gnade behilflich" zu sein (Vers 27). Diese Diener des Herrn achteten die ihnen verliehene Gabe und den damit verbundenen Dienst nicht gering, im Gegenteil, sie waren darin treu (1. Kor 4, 1.2). Aber wenn sie selbst oder ihre Gabe in den Vordergrund gestellt werden sollten, machten sie deutlich, dass sie nichts waren: "Also ist weder der da pflanzt etwas, noch der da begießt, sondern Gott, der das Wachstum gibt" (1. Kor 3, 7).
Jesus, der Knecht Gottes
Petrus geht nun dazu über, von dem einen vollkommenen Knecht Gottes zu sprechen und zu zeigen, was seine Zuhörer mit Ihm getan hatten.
"Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr überliefert und angesichts des Pilatus verleugnet habt, als dieser geurteilt hatte, ihn loszugeben" (Vers 13).
Zuerst macht er deutlich, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott ihrer Väter, noch in ihrer Mitte wirkte. Das war ohne Frage eine große Gnade, aber das eigentliche Ziel Seines Wirkens war die Verherrlichung Seines Knechtes Jesus. Das ist das Wesentliche, und das mussten sie sehen lernen.
Dabei fällt auf, dass Petrus nicht von dem >Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus< spricht, wie wir das später in den Briefen finden (Eph 1, 3; 1. Pet 1, 3). Dieser Name oder diese Bezeichnung Gottes weist auf die volle Offenbarung hin, die Gott von Sich in Seinem Sohn Jesus Christus gegeben hat. Wahres Christentum ist durch diese Offenbarung gekennzeichnet. Die Zuhörer in der Säulenhalle Salomos aber waren keine Christen. Doch Sein Name als >Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs<, als Gott der Vater Israels, trägt unübersehbar jüdischen Charakter. Die ganze Rede des Petrus ist davon geprägt. Unter diesem Namen hatte Gott Sich Mose...