Schweitzer Fachinformationen
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EINLEITUNG
Die Spätsommersonne liegt auf den Berghängen und über dem stillen Wasser des Sees. Die Luft ist warm, der Himmel von einem tiefen, allmächtigen Blau. Im dichten Unterholz singen die Zikaden, und irgendwo in der Ferne ist das Bimmeln von Ziegenglocken zu hören. Im Schilf wurde ein kleines Feuer entfacht, Bierdosen werden aufgerissen. Jemand holt eine Klarinette hervor und beginnt zwischen den Bäumen, die das Wasser säumen, umherzugehen und zu spielen. Es ist eine Szene von zeitloser Ruhe, und doch spielt sich hier einer der größten Konflikte unserer Zeit ab - zwischen menschlichem Handeln und der Intelligenz von Maschinen, zwischen der Illusion von menschlicher Überlegenheit und dem Überleben des Planeten.
Ich befinde mich in Epirus, ganz im Nordwesten Griechenlands, am Rande des Pindus-Gebirges und unmittelbar an der Grenze zu Albanien: eine Region, die für ihre Schönheit und ihre Widerstandsfähigkeit bekannt ist. Hier kämpfte im Winter 1940 eine zahlenmäßig unterlegene, schlecht ausgerüstete, aber entschlossene griechische Truppe unter schwierigsten Bedingungen und schaffte es, eine italienische Invasionsarmee aufzuhalten und zurückzudrängen. Der 28. Oktober, der Tag, an dem der damalige griechische Ministerpräsident Ioannis Metaxas das Ultimatum Mussolinis für eine Kapitulation ablehnte, wird heute als Ochi-Tag gefeiert - auf Griechisch ???, der Tag des Nein.
Epirus ist eine atemberaubende Landschaft mit zerklüfteten Bergen und tiefen Schluchten, gespickt mit Steindörfern und Klöstern, wo neben den Menschen auch Bären, Wölfe, Füchse, Schakale, Steinadler und einige der ältesten Bäume und Wälder Europas leben. Der Fluss Aoos fließt vom Pindus hinunter in den Vikos-Nationalpark, und das Ionische Meer glitzert an der felsigen Küste. Es ist so etwas wie ein Paradies, eine der schönsten und unberührtesten Gegenden, die ich je gesehen habe. Aber heute ist sie erneut bedroht.
Ich bin Autor und Künstler und beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Beziehung zwischen Technologie und Alltagsleben: inwiefern die Dinge, die wir herstellen - insbesondere so komplexe Dinge wie Computer -, die Gesellschaft, die Politik und zunehmend auch die Umwelt beeinflussen. In den letzten Jahren habe ich zudem in Griechenland gelebt und bin jetzt nach Epirus gekommen, um ein paar Freunde zu besuchen: eine Gruppe von Einheimischen und aus Athen Zugezogenen - Hirten, Dichter, Bäcker und Hoteliers. Sie alle sind Aktivisten im Kampf zur Rettung von Epirus vor einer neuen und schrecklichen Gefahr, die den Boden, auf dem wir uns bewegen, zu erschüttern und zu vergiften droht. Auf den Aufklebern ihrer Kampagne, die man auf den Anschlagtafeln der Dörfer, den Straßenschildern und den Laptop-Taschen findet, steht nur ein einziges Wort: ???. Nein.
Bei einem Spaziergang durch die Wälder rund um den See stoße ich auf dünne Holzpflöcke, die in den Boden gerammt wurden, und auf Plastikstreifen, die an Äste und Baumstämme gebunden sind. Die Pflöcke sind mit dickem Filzstift beschriftet: eine Reihe von Buchstaben und Zahlen, die mir nichts sagen. Ich folge dem Weg der Pflöcke, die sich in gezackten Linien durch den Wald ziehen. Als ich aus dem Unterholz herauskomme und auf einen frisch angelegten Schotterweg stoße, sehe ich, dass sie sich über eine Wiese und weiter in den dahinter liegenden Wald erstrecken. Und sie verzweigen sich: Weitere Plastikbänder, die an Bäumen und Ästen hängen, markieren rechte Winkel in einem riesigen Gitter, das der Landschaft, wie ich später feststelle, von oben auferlegt wurde. In den nächsten Tagen folge ich diesen Linien über Felder und Weinberge, durch Gärten und Dörfer, markiert durch weitere Bänder, die an Zäunen und Stacheldraht, an Toren und Straßenschildern befestigt sind. Sie erstrecken sich über Hunderte, vielleicht Tausende von Kilometern, wie ein Koordinatensystem, das von einer fernen, fremden Intelligenz vorgegeben wurde.
Gelegentlich gibt es Anzeichen für Aktivitäten, die mit dem Raster in Zusammenhang stehen: eine neue Straße, die mit Bulldozern durch die Felder gezogen wurde; Abraumhalden; Reifenspuren; tiefe Löcher, die von Geröll umgeben sind. Die Einheimischen erzählen mir von nicht gekennzeichneten Transportern, Hubschraubern und Arbeitstrupps in Warnwesten, die auftauchen und wieder verschwinden, deren Kommen und Gehen von lauten Explosionen begleitet wird, die die Fenster klirren lassen und die Vögel aus den Bäumen schütteln. Auf Facebook teilen meine Freunde verwackelte Handyvideos, die sie von Detonationen gemacht haben, bei denen Erde Hunderte von Metern in die Luft geschleudert wird, begleitet von den Sirenen und Signalpfeifen der Bergbautrupps.
Ich bin nach Epirus gekommen, um diese Spuren in Augenschein zu nehmen, aber was sie zu bedeuten haben, ist einzig und allein in verstreuten Internetbeiträgen, Nachrichtenmeldungen und Unternehmensbilanzen zu finden. Diese Markierungen, die durch den Wald geschlagen und in den Boden gegraben wurden, um im grauen Licht der Morgendämmerung zu explodieren, sind, so werde ich herausfinden, die Zahn- und Klauenabdrücke einer künstlichen Intelligenz, genau dort, wo sie auf die Erde trifft.
Seit 2012 verfolgen die verschiedenen griechischen Regierungen eine Politik der Erschließung fossiler Brennstoffe, indem sie Epirus und das Ionische Meer als Explorationsgebiete ausweisen und die Förderrechte an internationale Öl- und Gasunternehmen verkaufen. Für das klamme Griechenland, das unter einer jahrelangen Wirtschaftskrise und von außen auferlegten Sparmaßnahmen leidet, überwiegen die potenziellen Einnahmen die Bedrohung für die lokale Umwelt und das globale Klima. Die Diskussion über den Deal, ganz zu schweigen von Kritik daran, war denn auch verhalten. In Epirus hat die Öffentlichkeit nur eingeschränkten Zugang zu Regierungsverträgen, Umweltverträglichkeitsprüfungen werden nicht veröffentlicht, und die Erkundungsteams fahren in weißen Lieferwagen ohne Kennzeichen durch die Landschaft und verschwinden beim Anblick von Aktivist:innen und neugierigen Journalist:innen.
Ölvorkommen sind in Griechenland seit der Antike dokumentiert. Um 400 v. Chr. beschrieb der Historiker Herodot natürliche Ölquellen auf der Insel Zakynthos, wo dicker schwarzer Schlamm aus dem Untergrund an die Oberfläche trat. Die Einwohner benutzten ihn, um ihre Schiffe abzudichten und ihre Lampen zum Leuchten zu bringen. Heute fördern einige kleine Bohrinseln dieses Öl vor der ionischen Küste, und mit der Türkei gibt es Spannungen wegen ähnlicher Vorkommen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Bis vor kurzem hatte Epirus mit solcherlei Dingen nichts zu schaffen, aber dass sich unter seinem zerklüfteten Terrain möglicherweise Bodenschätze befinden, wurde schon lange vermutet.
Ich hatte gelesen, dass es in Epirus angeblich Ölquellen gab, aber meine einzigen Hinweise waren grobkörnige Fotos in Online-Präsentationen von Ölsuchern und Wissenschaftler:innen.[1] Als ich mich in Epirus aufhielt, tauchte der Name eines bestimmten Dorfes immer wieder auf: Dragopsa, ein paar Kilometer westlich der Regionalhauptstadt Ioannina und in der Nähe des Sees im Wald gelegen. Als ich mich umhörte, schlug mir jemand vor, mit Leonidas zu sprechen, einem Anti-Erdöl-Aktivisten, dessen Familie seit Generationen dort lebt.
An einem stillen, schwülen Nachmittag fuhr Leonidas mich nach Dragopsa und hielt unterwegs hin und wieder an, um seine ???-Aufkleber dort anzubringen, wo sie besonders gut ins Auge stachen. Im Tal unterhalb des Dorfes ließen wir das Auto stehen und gingen zu Fuß durch Wiesen und Obstgärten zu einem Fluss. Das klare, reine Wasser des Epirus ist die Quelle für etwa 70 Prozent des griechischen Trinkwassers; am Fuße der Berge reihen sich große Abfüllanlagen aneinander. Doch als wir um eine Flussbiegung kamen, nahm ich den unverkennbaren Geruch von Erdöl wahr. Am stärksten war der überwältigende Gestank am Fuße einer steilen Klippe, wo Baumwurzeln und lockere, dunkle Erdklumpen vom Fluss freigelegt wurden. Das war die Stelle, an der die Dorfbewohner in den 1920er Jahren entdeckten, dass das Öl wie auf Zakynthos von selbst aus dem Boden schoss. Leonidas erzählte mir, dass auch er in den letzten Jahren Ölquellen gefunden hatte: schwarze, klebrige Ölflecken, die weit entfernt von der nächstgelegenen Straße zwischen Schilf und Gräsern zu Tage traten. Man braucht keine künstliche Intelligenz, um in Epirus Öl zu finden, aber man braucht KI, um es zu fördern.
Der erfolgreiche Bieter für die Explorationserlaubnis in Epirus war einer der größten Energiekonzerne der Welt, Repsol.[2] Seit seiner Gründung im Jahr 1927 als nationale spanische Ölgesellschaft hat...
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