Schweitzer Fachinformationen
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Nach dem Tod ihrer Mutter nimmt Sveva eine berufliche Auszeit, um ein Versprechen einzulösen: in Umbrien nach ihrem Vater zu suchen, den sie nie kennengelernt hat.Gebannt von der wohltuenden Natur, werden Erinnerungen an sorglose Kindertage wach. Eines Tages begegnet ihr der sanftmütige Norweger Rurik, der ebenfalls Gründe hat, in der magischen Landschaft nach Entspannung zu suchen. Beide fühlen sich zueinander hingezogen, und Sveva ist endlich bereit, das Geheimnis ihres Vaters zu ergründen ...
Rom
Der herbstliche Himmel über Rom war grau. Der Himmel dieser Stadt, die mittlerweile auch zu Svevas Stadt geworden war.
Das San-Camillo-Krankenhaus war ein Klotz aus abgeblättertem Putz, dem vier kahle Yuccas an der Front als Dekoration dienen sollten.
Sie betrat die Empfangshalle. Machte den MP3-Player aus, ohne die Kopfhörer abzunehmen, und wandte sich in Richtung Onkologie. Dann stieg sie die Treppen hinauf und trat durch die Tür im zweiten Stock.
Die Wände auf dem Flur hatten eine blassgelbe, kalte Farbe. Es stank nach Chloroform.
Eine alte Frau kam, auf einen Rollator gestützt, mühsam den Flur entlang. Sie war allein, ihre Gesichtshaut sah aus wie Pergamentpapier, und ihre geschwollenen Füße waren in uralte Pantoffeln gezwängt. Sie lächelte, als sie vorbeischlurfte. In ihren Augen blitzte es pfiffig auf, wie bei einem Kind, das gerade bei einem Streich ertappt worden war.
Sveva senkte den Blick und ging weiter zu Zimmer sieben. Die Tür war angelehnt, sie stieß sie auf und trat ein.
Ihre Mutter lag im Bett, die Beine unter einer weißen Decke. Ihre Arme ruhten an den Seiten, im linken Unterarm steckte eine Infusionsnadel.
Die wenigen Haare auf ihrem Kopf waren hell, sie sahen ganz flauschig aus, wie bei einem Lämmchen. Sie schlief, ja. Der Atem hob und senkte gleichmäßig ihre Brust. Und in dieser Brust lag ihr Herz.
Ein Herz, das noch schlug.
Sveva kniff die Augen zusammen, ihre Beine fühlten sich an, als wären sie im Boden verankert. Ihr Herz war nicht in diesem Körper, sondern lebte in der Erinnerung. In der Erinnerung an ein Lächeln, an Seidentücher und heimliche Küsschen im Schutz einer Decke.
Diese Wärme ihrer Mutter, an die sie sich immer verzweifelt zu klammern versucht hatte.
In Svevas Herz aber lebte auch blanke Wut: auf dieses Vagabundenblut, das durch Ljubas Venen floss und dafür gesorgt hatte, dass sie zeitlebens so unstet gewesen war; auf die Einsamkeit, die Sveva von jeher in ihrem Inneren verspürte und nicht aufzulösen vermochte.
Und nun war es zu spät.
Die Wörter flogen in ihrem Kopf durcheinander, und es gelang ihr nicht, sie zu ergreifen. Wo war das Wort für Einsamkeit? Das für abgewiesene Liebe? Wo war der Lauf ihres Lebens so jäh unterbrochen worden, dass er nun nicht mehr wiederherzustellen war? Zu viele Jahre hatte sie schweigend in ihrem Schmerz verbracht, während sie nach außen vorgab, alles wäre gut. Aber wenn dein Lächeln unecht ist und du in der Stille deines Zimmers heimliche Tränen vergießt, dann ist gar nichts gut. Du bist nicht du selbst. Reden hilft nicht, Schreien hilft nicht. Niemand hört dir zu. Also bleibt dir nur ein Lächeln. Glauben kannst du an gar nichts mehr, aber lächeln. Immerzu.
Ihre Schwester Sasha saß neben dem Bett. Den Kopf in die darauf verschränkten Arme gelegt.
Sie hatte sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen und wünschte, dass all diese Zeit niemals vergangen wäre. Zeit, in der viele Dinge geschehen waren, unter anderem Reynauds Tod. Sein Wagen war ins Schleudern geraten und dann die Felsen hinuntergestürzt.
Er, dem im Leben kein Risiko zu groß gewesen war, hatte Ljuba so sehr geliebt und immer geglaubt, er sei für sie der einzige Mann. Doch er hatte sie nicht zu fassen bekommen, flüchtig wie der Wind war sie ihm entwischt.
Sasha war die Frucht ihrer Liebe, dieser Liebe zwischen Rom und Paris, bestehend aus atemlosen Wochenenden, Sex und nicht gehaltenen Versprechen.
Sasha, große Schwester, Ärztin; die Frau, die Sveva niemals sein würde.
Denn es gab diesen einen beträchtlichen Unterschied zwischen ihnen: Sasha hatte ihren Vater gekannt, Sveva den ihren nicht. Und er hatte auch nie nach ihr gesucht.
Sasha hob leicht den Kopf, ihre Augen waren geschwollen, und zwei tiefe Falten zogen sich von ihren Mundwinkeln hinunter. Sie sah Sveva an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Svevas Gesichtsausdruck war so hart, irgendwie resigniert und herausfordernd, so hatte Sasha sie noch nie gesehen.
Mittlerweile war Sveva zu einer Frau geworden, und doch konnte sie in ihren bebenden Lippen noch immer die Zerbrechlichkeit des Kindes sehen, das sie einst auf den Armen getragen hatte.
Sie hatte ihr gefehlt. Oh ja. Jeden Tag ihres Lebens in Indien. Seitdem sie vor Jahren in ärztlicher Mission nach Varanasi gegangen war.
Sie hatte ihr E-Mails geschrieben, sie gebeten zu kommen.
Sveva hatte nur ein einziges Mal geantwortet und nur, um ihre Einladung abzulehnen.
»Schaffe es nicht, zu viel zu tun«, hatte sie geschrieben. Aber Sasha kannte sie. So war sie eben: Sie lehnte Hilfe ab. Sie war sie nicht gewohnt.
Eine andere Gelegenheit wäre ihr für ein Wiedersehen lieber gewesen. Vielleicht in der Bar della Pace, wo sie so gerne mit Ljuba auf einen Aperitif hingegangen waren und den neuesten Tratsch ausgetauscht hatten. Aber nun saßen sie beide hier, an diesem Krankenbett.
Wer hat gesagt, dass nur die Liebe Menschen zusammenbringen kann? Auch der Schmerz vermag das.
Sveva blieb, wo sie war, als wäre sie mit der Tür verbunden.
Flehend streckte Sasha ihr die Arme entgegen.
Sveva atmete tief ein, ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Sie bewegte sich zögernd, machte einen Schritt auf sie zu. »Wie lange das her ist, Sasha.«
Sie nickte. »Komm her und drück mich ganz fest.«
Und als sie sich in ihre Arme warf, sah Sasha in den Augen ihrer Schwester den gleichen verlorenen Blick, den sie schon als Kind gehabt hatte.
Bei Sonnenuntergang verließen sie die Klinik. Die Krankenschwester hatte gesagt, es sei nicht nötig, über Nacht zu bleiben. Sie hatten sich bei Ljuba verabschiedet, die dank einer hohen Dosis Morphium fest schlief. Die Schwestern entschieden, nicht im Haus der Mutter in Prati zu übernachten, ihre Abwesenheit wäre zu schmerzhaft gewesen. Sveva und Sasha fuhren nur auf einen Sprung vorbei, um für Sasha etwas zum Wechseln und einen Pyjama zu holen.
In Svevas Wohnung schliefen sie wenig und schlecht, ineinander verschlungen im selben Bett. Die kleine Wohnung lag im Viertel Monti di Roma. Es gab zwei Zimmer und ein Bad; an den elfenbeinfarbenen Wänden hingen farbenfrohe Drucke von Paul Klee.
Im Schlafzimmer des barocken Hauses war ein großes Fenster, das auf den Innenhof hinausging.
Ein gekachelter Hof mit verblühten Topfblumen, die der ungewöhnliche Oktoberwind in diesem Jahr nicht verschont hatte. Ein kleiner Olivenbaum stand auch dort, mit seinem dünnen Stamm sah er fast schwindsüchtig aus.
Es war Sonntagmorgen, Kaffeeduft lag in der Luft. Das große Bett war noch ungemacht.
Durch das geöffnete Fenster hörte man das Klappern von Geschirr.
Sasha stand vom Schreibtisch auf und ging zu der Kochnische. Zwei Hängeschränke, ein alter Gasherd, ein weißer, beschichteter Tisch und zwei Stühle.
Sveva stand mit dem Rücken zu ihr und wollte gerade den Kaffee einschenken. Sasha nahm eine Zigarette aus dem Päckchen, das sie in der Pyjamatasche trug, und steckte sie an. Sie nahm einen Zug.
Plötzlich musste sie weinen. Ljuba lag im Sterben, und sie fürchtete, mit ihr auch Sveva für immer zu verlieren. In den letzten Jahren war die Mutter die einzige Verbindung zwischen ihnen gewesen.
Sveva reichte ihr eine Tasse und setzte sich ihr gegenüber. Ihr Haar war verstrubbelt, sie trug ein großes T-Shirt, das ihr bis zu den Knien reichte. Schweigend griff sie nach der Zigarette in Sashas Hand, nahm einen Zug und drückte sie im Aschenbecher aus. Sie blickte sie ungerührt an.
Sasha wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, versuchte zu lächeln. »Ich mache etwas zu essen für Mamma.« Sie stand auf. Sveva streifte ihren Arm, ganz leicht. Das war ihre Art zu zeigen, dass sie da war.
Sveva fuhr wieder ins Krankenhaus, Sasha blieb zu Hause, um ein wenig auszuruhen.
Sie saß am Bett, eine Hand auf dem Arm ihrer Mutter, die schwer atmete. »Im Schrank ist eine kleine Flasche. Gib mir einen Schluck Wein, mein Schatz.« Ljuba sah sie bittend an.
Sveva zögerte. »Nein, Mamma, du darfst nicht. In deinem Zustand kommt das nicht infrage. Wenn du Durst hast, trink Wasser.«
Weder wollte sie diskutieren noch die Flausen ihrer Mutter anhören.
Es war schon später Vormittag, und bald würde sie in die Agentur fahren müssen. Sie hatte sich zwei freie Stunden erbeten, und es war schon verwunderlich, dass ihr Chef sich darauf eingelassen hatte.
»Bitte, mein Schatz.« Das Licht des kalten Novembertages fiel schräg durch das Fenster, legte sich auf Ljuba und ihre trockene, gelbliche Gesichtshaut. Ihre Lippen waren so rau, dass sie aussahen wie Schleifpapier. Sie versuchte ein Lächeln, aber man sah ihr an, wie schmerzhaft es sein musste.
»Bitte. Ich brauche das.«
Sveva seufzte. Sie fror. Dieses Zimmer war so steril, dass es keinerlei Wärme zuließ.
Sie warf sich ein wollenes Cape über die Schultern, öffnete die Schublade in der Kommode neben dem Bett, nahm die Flasche heraus und goss etwas Wein in einen Plastikbecher.
Ljuba schloss die Augen, sie atmete wieder schwer. Wie ein zartes Vögelchen sah sie aus, nur ihr Kopf war zu groß.
»Hier, Mamma.«
Sie half ihr, sich aufzusetzen, Ljuba öffnete ihre Lider nur ein kleines Stück. Sie trank den Wein in winzigen Schlückchen. Dann hustete sie und sah ihre Tochter an. Ihre Pupillen waren stumpf, wie traumverschleiert.
»Ah«, flüsterte sie. »Ich kann die roten Weinberge sehen. Die schweren Trauben.« Sie legte den Kopf...
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