Schweitzer Fachinformationen
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Endlich fiel die Tür ins Schloss. Alena atmete erleichtert auf und sprang aus dem Bett. Ohne Gotthardt im Zimmer zu wissen, konnte sie sich nun in Ruhe waschen und ankleiden. Nichts war ihr verhasster, als wenn er ihre nackte Gestalt mit einem Blick musterte, den sie beim besten Willen nicht deuten konnte. Manchmal hatte sie den Eindruck, als läge Abscheu darin. Dann wiederum schien er durch sie hindurchzuschauen, als wäre sie gar nicht da. Einmal hatte sie ihn gebeten, die Kammer zu verlassen, während sie sich ankleidete. Doch da hatte Gotthardt gefragt, ob sie den Verstand verloren hätte. Schließlich sei er ihr Gemahl.
Nachdem Alena sich gewaschen hatte, zog sie das kobaltblaue Kleid mit der goldfarbenen Spitze über. Vaters Lieblingskleid. Nun musste sie sich nur noch das Haar richten. Ungeduldig versuchte sie, es aufzustecken, doch die seidigen Strähnen glitten immer wieder aus den Kämmen. Nach getaner Arbeit würde sie am Abend ohnehin wie ein Waldschrat aussehen. Und das Kleid war viel zu fein für die Drecksarbeiten, die die Schwiegermutter ihr sicherlich wieder auftragen würde. Seufzend legte Alena die Haarnadeln zurück in das Kästchen auf dem Frisiertisch und flocht sich einen Zopf. Dabei fiel ihr Blick auf die wuchtige Truhe neben dem Bett. Sie war die einzige Habe, die Gotthardt mit in die Ehe gebracht hatte - abgesehen von seiner Mutter, die sich in nur wenigen Tagen wie die Sintflut in Vaters Haus ausgebreitet hatte und herrschte, als wäre sie Königin und Kaiserin zugleich.
Plötzlich vernahm Alena auf der Gasse den Lärm der herannahenden Marktleute, die wie jeden Morgen zum Aldemarkt zogen. Rasch räumte sie den Frisiertisch auf und eilte zum Fenster. Das bevorstehende Schauspiel durfte sie sich nicht entgehen lassen. Vor allen Dingen nicht die Kappesbäuerin, die Kohlköpfe auf den Karren getürmt hatte, um sie auf dem Markt feilzubieten. Bestimmt verfing sich wieder eines der Räder in dem Loch, das der letzte Regen in die Gasse gespült hatte. Alena rieb sich aufgeregt die Hände und wurde nicht enttäuscht. Wie erwartet kippte auch an diesem Morgen der Karren, und schon kullerten die Kohlköpfe zwischen die Füße der Marktleute. Die Karawane geriet ins Stocken. Endlich war es so weit! Alena lauschte mit angehaltenem Atem, um auch ja keinen Fluch zu verpassen.
»Verdammter Dress! Leck mich doch, wo ich eh kaum was sehen kann!«, schrie die Kappesbäuerin, spie aus und trat wütend gegen einen der Kohlköpfe, der daraufhin einer Rübenbäuerin zwischen die Füße rollte.
Diese stolperte darüber und fiel mit dem Gesicht in den Dreck. »Du Höhnerföttche!«, keifte sie, während sie sich aufrappelte. »Wart's ab, dir reiß ich die Fusseln vom Kopf!« Schnaubend griff sie nach einer Rübe und stürzte sich auf die Kappesbäuerin.
»Wie nennst du mich, du Allermannshure?« Die Kappesbäuerin stellte sich breitbeinig vor ihren Karren und ballte die Fäuste.
Doch bevor die Weiber aufeinander losgehen konnten, warf sich ein Bauer mit der Statur eines Bären dazwischen und hielt sie auseinander.
»Dreckiger Hungsfresser, mach Platz!«, kreischte die Kappesbäuerin.
Alena hielt sich kichernd die Hand vor den Mund. »Hundefresser« hatte das Weib den Bauern genannt. Dieses Wort hatte sie noch nie gehört. Allerdings gefielen ihr die Beschimpfungen »Allermannshure« und »Hühnerpopöchen« fast noch besser.
Als die Marktfrau erkannte, dass sie gegen den Bauern nichts ausrichten würde, lud sie laut keifend die Kohlköpfe auf den Karren. »Tochter eines Maulesels und einer Hure! Dich krieg ich noch!«, fluchte sie ungehalten weiter.
Alena stockte der Atem. Es war ihr unbegreiflich, wie solche Worte einen Frauenmund verlassen konnten.
Nachdem die Kappesbäuerin ihre Ware endlich aufgeladen und währenddessen gut ein weiteres Dutzend Schimpfwörter ausgestoßen hatte, zog sie sich das sackfarbene Tuch vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Zum ersten Mal sah Alena ihr Haar, das wie Spinnweben auf ihre Schultern fiel. Die Frau war bestimmt nicht mehr die Jüngste, aber so alt, dass das einer Greisin würdige weiße Haar zu ihr passen würde, schien sie doch nicht zu sein. Plötzlich traf Alena der Blick des Weibs. Eisige Schauer rieselten über ihren Rücken.
»Dir wird das Lachen noch vergehen, du Fubbelsmatant!«, zeterte die Bäuerin in ihre Richtung.
Eilig trat Alena vom Fenster weg, verbarg sich hinter dem Vorhang und blies die Wangen auf. Sie war bestimmt keine Fubbelsmatant, schließlich trug sie keine billigen Fetzen am Leib, und eine alte Tante konnte man sie schon gar nicht nennen. Die Kappesbäuerin sollte sich tatsächlich lieber um ihre Sehkraft sorgen.
»In deinem Gemäuer hausen doch Dämonen. Nur deshalb kippt mir jeden Morgen der Karren um«, schimpfte das Weib.
Bei diesen Worten zuckte Alena zusammen. Was redete die Frau da? Sie war tatsächlich nicht bei Sinnen. Solchen Unfug hatte sie in all den siebzehn Jahren ihres Lebens noch nicht gehört. Vorsichtig lugte sie hinter dem Vorhang hervor.
Die Bäuerin ergriff soeben die Deichsel des Karrens und zog mit grimmiger Miene ihres Weges.
Alena blickte zu den traufseitigen Häusern auf der anderen Seite der Gasse, die zum Weismarkt im Kirchspiel Sankt Jakob führte. Auf ihren Dächern über den Stufengiebeln flatterten die Kölner Wappen im Wind, der an diesem Morgen für ein wenig Abkühlung sorgte. Die Worte der Bäuerin gingen ihr nicht aus dem Kopf.
Es klopfte an der Tür, und Änni lugte durch den Spalt. Alenas Herz machte einen Satz, als sie in die blauen Augen der Magd blickte, die mit einem Korb sauberer Wäsche unter dem Arm in die Kammer trat. Vor zwei Jahren noch war Änni ein ausgehungertes und verwaistes Bauernmädchen gewesen. Ihre Eltern hatte die Pest dahingerafft, und Änni hatte sie bis zum bitteren Ende gepflegt. Ein Jahr jünger als Alena selbst, war die Magd rasch zu einer Freundin geworden und dank eines gesegneten Appetits zu einer rundlichen jungen Frau gereift. Mit Alena an ihrer Seite hatte sie nun das Lachen wieder gelernt.
»Hübsch siehst du aus, Leni. Das blaue Kleid lässt dein Haar wie die Sonne strahlen.« Änni stellte schwungvoll den Korb auf die Truhe und warf einen Blick aus dem Fenster. »War es wieder die Kappesbäuerin, die so laut geschimpft hat?« Grinsend ließ sie sich auf das Bett fallen. »Mein lieber Henkersknecht, was die für Flüche auf Lager hat!«
»Von ihr können wir mehr lernen als in der dunkelsten Kaschemme, wo Hafenarbeiter und Fuhrleute sich das Bier in die Kehle schütten.« Alena ließ sich neben Änni auf der Bettkante nieder. »Du hättest hören sollen, was sie der Rübenbäuerin an den Kopf geworfen hat.« Die Worte, die ihr selbst gegolten hatten, verschwieg Alena.
Änni riss neugierig die Augen auf. »Erzähl!«
»Nein, um Himmels willen! Solche Reden darf ich nicht in den Mund nehmen. Glaub mir, die Buße, die mir nach der Beichte auferlegt würde, hätte mich bis an mein Lebensende am Schlafittchen.« Alena spürte, wie ihr die Schamesröte in die Wangen kroch.
»War vielleicht etwas dabei, das zu deiner frischgewonnenen Schwiegermutter passt? Das dumme Brauereipferd hat mich heute nämlich dazu verdonnert, die Bettwäsche zu schlagen. Und das bei der Hitze!« Änni verdrehte die Augen und stöhnte auf.
»Ich sag's dir aber nur ins Ohr.« Alena nickte Änni zu und flüsterte die verbotenen Worte.
»Was? Nein!«, prustete die Magd los. »Das hat sie gesagt?«
Ein verlegenes Lächeln huschte über Alenas Lippen. Nach dem Brennen in ihren Wangen zu urteilen, war ihr Gesicht sicher rot wie Klatschmohn.
»Darauf muss man erst einmal kommen.« Änni grinste. »Ich glaube, die Arbeit wird mir heute viel leichterfallen, wenn ich dem Brauereipferd diese Worte an den Kopf schleudere.«
»Aber nur in Gedanken! Sag das niemals laut zu Mergh.« Alena hob drohend den Zeigefinger.
»Glaubst du, ich bin lebensmüde? Diese Tochter eines Maulesels und einer Hu.« Ännis Stupsnase mit den unzähligen Sommersprossen kräuselte sich.
Um Schlimmeres zu verhindern, presste Alena ihr die Hand auf das lose Mundwerk. »Scht, Änni, nicht! Sprich es nicht aus.« Doch in ihrem Bauch kribbelte die Heiterkeit, die sich bald nicht mehr unterdrücken ließ. Sie nahm die Hand von Ännis Lippen und schüttelte sich vor Lachen, bis ihr der Leib schmerzte. Dann erinnerte sie sich plötzlich an die Dämonen, von denen die Bäuerin gesprochen hatte. Im Nu erstarb das Gelächter. »Du, Änni, die Kappesbäuerin behauptet, dass in unserem Haus Dämonen wohnen, die ihren Karren umkippen lassen. Außerdem habe ich ihr Haar gesehen. Wie Spinnweben fällt es von ihrem Kopf. Dabei ist sie doch noch gar nicht so alt. Richtig grauselig sieht sie aus.«
Änni winkte ab. »Gib nichts auf ihr Geschwätz! Mit dem weißen Haar ist sie eine Ausgeburt der Hölle. Das hörst du doch an ihren Flüchen.«
Mit einem Mal bemerkte Alena, dass sie zu lange getrödelt hatte. Der Vater brach heute zu einer langen Reise nach Venedig auf, um neues Tuch zu kaufen. Wenn sie sich nicht beeilte, würde er fort sein, ohne sich von ihr verabschiedet zu haben. Eilig sprang sie auf und lief die Treppe hinunter.
Im Flur herrschte reges Treiben. Thomas, der Knecht, hievte eine Truhe nach der anderen zur Tür hinaus.
»Ich dachte schon, du wolltest dich nicht von mir verabschieden.«
Alena drehte sich um und fiel ihrem Vater um den Hals. »Warum darf ich nicht mitkommen?«
»Weil du dich um den Haushalt kümmern musst.«...
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