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Er war noch so jung, viel zu jung, um zu sterben.
Mit Tränen in den Augen betrachtete Ríona den Verletzten, der auf dem Moos lag, weich dieses, aber auch dunkel. An keinem Ort waren die Wälder so tief und geheimnisvoll wie hier, desgleichen nirgendwo so viele Feen im Dickicht wohnten.
Ennis, der mit ihr in den Wald gegangen war, beugte sich ebenfalls über den Verletzten. »Der ist doch längst tot«, erklärte er mit kalter Stimme.
»Ist er nicht!«, rief Ríona. »Seine Brust hebt und senkt sich noch!«
Ennis zog skeptisch die Brauen hoch und wollte sie am Arm packen, doch sie wehrte seinen Griff ab, ließ sich in den Farn fallen, der um das Moos herum wuchs, und betastete den Verletzten vorsichtig.
»Was . was ist ihm wohl zugestoßen?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Ob ihn ein wildes Tier angefallen hat? Ob er unglücklich gestürzt ist? Oder ob es gar ein Mensch war, der ihn verwundet hat?«
Aus einem Schnitt auf der Brust des Verletzten sickerte ein wenig Blut - kaum mehr als ein Tropfen, wie er in den Adern der Feen floss, und mit dem man, tauchte man eine Feder hinein, nur einen winzigen Punkt zeichnen könnte. Wie merkwürdig, dass sich die Menschen trotzdem vor den Feen fürchteten, manch einer sich sogar weigerte, ins Moor zu gehen, um ein Bündel Torf zu holen. Ríona hatte die Feen nie gescheut, und auch Ennis behauptete, er täte es nicht. Doch das war das Einzige, was sie miteinander gemein hatten.
Sie liebte das Land, in dem sie lebten, er nicht. Sie wanderte gern die zerklüfteten Küsten entlang, er beklagte, dass man hier kaum mit dem Boot ab- und anlegen konnte. Sie war froh, dass kaum Fremde in die Siedlung kamen, weil die wenigen Straßen mit Geröll und morschem Holz zugeschüttet waren, er war verdrossen, weil sie so abgeschnitten von der Welt lebten. Und jetzt drängte er darauf, den Verletzten seinem Schicksal zu überlassen, während sie ihn behutsam streichelte und vorsichtig auf die Ränder der Wunde drückte, sodass weitere Blutstropfen heraussickerten.
»Wenn ihn eine bösartige Elfe verletzt hat, könnte man ihn nur mit jener Medizin heilen, die aus fünfundzwanzig Kräutern gebraut wird«, murmelte sie. Ihr war nur eines dieser fünfundzwanzig Kräuter bekannt - der Fingerhut, von dem die Mutter manchmal ein Blütenblatt in den Badetrog fallen ließ, bevor sie hineinstieg. Aber sie kannte jemanden, der sämtliche dieser Kräuter benennen konnte. »Fionn könnte den Trank brauen«, fuhr sie fort. »Und selbst wenn nicht - er könnte dem Verletzten einen Verband anlegen, am besten einen, den man in Bienenwachs und ein Hühnerei getränkt hat.«
Fionn war Ennis' Bruder, jünger als er, schmächtiger - und freundlicher. Und was für Ríona am meisten zählte: Fionn liebte die Einsamkeit wie sie. Für gewöhnlich durchstreifte sie an seiner Seite die Wälder oder wanderte die Klippen entlang. Leider hatte ihr Vater vor Kurzem entschieden, dass sie irgendwann nicht ihn, sondern Ennis heiraten sollte, und sie deswegen heute angehalten, gemeinsam mit ihm Brennholz zu suchen und später Rispengras zu schneiden, woraus Körbe geflochten wurden.
Ríona hatte sich an Ennis' Seite von Anfang an unwohl gefühlt. Er war blind für die Schönheit, die ihm umgab, und taub für das wunderschöne Lied des Waldes - wie Harfenlaute klang es, wenn die Regentropfen auf die schweren Blätter des Ahorns fielen oder im saftigen Moos gluckerten. Und dafür, dass er den Verletzten einfach liegen lassen wollte, verachtete sie ihn regelrecht.
Ennis wiederum verachtete seinen Bruder. »Fionn, pah!«, rief er eben. »Er ist ein Taugenichts, der ein Schwert wie eine Mistgabel hält.«
»Na und?«, entgegnete Ríona mit schrillerer Stimme, als ihr eigentlich zu eigen war. »Unlängst kam ein liaig in unser Dorf und hat die Wunde des alten Caol genäht, dem ein Stein auf den Fuß gefallen ist. Fionn hat ihm geholfen, und der liaig meinte, er sei sehr begabt.«
Ein liaig war ein Wanderarzt, und der, den es in ihre Gegend verschlagen hatte, hatte nicht nur Caol behandelt, auch Ríonas Mutter ein Mittel gegen ihre ständig trockenen Augen genannt. Sie müsse Schafgarbe und Gänseblümchen mit der Milch einer Frau vermischen, die eben eine Tochter geboren habe, hatte er gesagt. Leider hatte die einzige Frau, die gerade ein Kind stillte, einen Sohn zur Welt gebracht, woraufhin sich Ríonas Mutter die Milch einer Katze beschafft hatte, die kürzlich zig Junge geworfen hatte.
»Der liaig war ein Stümper«, sagte Ennis. »Verstünde er wirklich etwas von der Heilkunst, würde er am Hof eines Königs leben, nur ihn und seine Familie behandeln und dafür großzügig mit Landbesitz belohnt werden.«
»Wahrscheinlich hat er sich nicht dagegen entschieden, weil es ihm an Können mangelt, sondern weil er Könige, die ständig um Land kämpfen, für grausame Männer hält. Land muss man doch nicht besitzen, um sich daran zu erfreuen.«
»So kann nur ein Mädchen reden.«
Und Fionn, dachte sie und sehnte sich noch mehr nach ihm.
Ennis verlor indes endgültig die Geduld. »Den größten Dienst, den wir dem da erweisen können«, sagte er und deutete auf den Verletzten, »ist es, ihn zu erschlagen.« Schon sah er sich nach etwas um, das diesem Zweck dienen könnte - nach einem besonders großen Ast oder einem spitzen Stein.
Ríona sprang auf. »Du darfst ihm nichts tun!« Ennis hörte nicht auf sie. Er fand zwar keinen Stein oder Ast, aber ihm fiel ein, dass er ein Schwert am Gürtel trug - viel zu groß für ihn, dennoch sein ganzer Stolz, seit er es vor nicht allzu langer Zeit einem Nordmann abgeluchst hatte. Das behauptete er zumindest, wahrscheinlich hatte er es im feuchten Gras gefunden. Jedenfalls war der Knauf mit sonderlichen Tieren und Ornamenten verziert und die Klinge, gleichwohl verrostet, scharf genug, jemanden zu töten. »Du darfst ihm nichts tun!«, schrie Ríona wieder.
Sie beließ es dieses Mal nicht bei Worten, packte Ennis am Handgelenk und warf sich, als das nichts fruchtete, vor den Verletzten. Ennis wollte sie mit dem Fuß wegstoßen, woraufhin sie einfach sein Bein umklammerte. Jetzt packte er sie schmerzhaft am Haar, um sie wegzuziehen, und sie überlegte, in sein Knie zu beißen - eigentlich die härteste Stelle, aber die, an die sie am leichtesten herankam.
Am Ende riss er ihr weder ein Büschel Haare aus noch schlug sie ihm die Zähne ins Fleisch. Ein Laut ließ sie innehalten, der sie schon mit Panik erfüllte hätte, hätte sie im warmen Sonnenlicht vor der heimatlichen Hütte gesessen. Umso unheilvoller klang er im Wald, wo überreizte Ohren stets auf jedes Knacken zu achten hatten, könnten doch wilde Tiere in der Nähe sein.
Nun, dieser Laut kam nicht von einem wilden Tier, es war ein Stöhnen. Ein qualvoll klingendes Stöhnen. So wie der Verletzte wohl stöhnen würde, hätte er die Kraft dazu. Hatte sein Peiniger noch mehr Opfer gefunden? Und würde sie sein nächstes sein?
Ríona erstarrte, Ennis auch. So eifrig er sein Schwert gezogen hatte, gegen einen echten Feind wollte er es nicht erheben.
»Komm, lass uns schnell zur Siedlung heimkehren!« Ohne Zweifel war das klug - feige aber auch. »Nun komm schon«, drängte er, ließ ihr Haar los und lief davon. Ríona lief ebenso, wenn auch nicht ihm hinterher, sondern in Richtung des Stöhnenden.
Es kam vom Rand des Waldes, von dort, wo die Bäume ihre fahlen Blätter hängen ließen. Deren Wurzeln, dürren Fingern eines Greises gleichend, klammerten sich, statt sich in saftige Walderde zu graben, an graue Steine. Die Steine waren geduldig, sie schüttelten die Wurzeln nicht ab - und noch geduldiger war das Meer, das hier nur selten rauschte, jedoch beharrlich an den Stein schlug, sodass sich im Laufe der Jahrhunderte eine Klippe geformt hatte.
Der Wind, der hier wehte, zerrte an Ríonas Haar, das an helleren Tagen vom dunklen Rot des Blutes war und jetzt eher dem Harz glich, welches manchmal aus verschorften Rinden quoll. Er konnte, obwohl er selbst so laut heulte, das Stöhnen nicht übertönen. Wie denn auch? Es kam ja nicht aus einem Mund, es kam aus Dutzenden Mündern. Das schwarze Tuch des Meeres, auf das Ríona nun starrte, wurde an mancher Stelle vom Bug eines Schiffes aufgerissen, und auf diesem Schiff knatterte ein riesiges Segel, viereckig, rot-weiß gestreift und solcherart giftigem Getier gleichend. Zumindest stellte sich Ríona giftige Tiere so vor. Sie hatte nie eines gesehen, der heilige Patrick hatte ja alle Schlangen von Érius Insel vertrieben.
Männer wie die auf dem Schiff hatte er leider nicht vertrieben. Gall-Ghaedil nannte man sie, und auch wenn Ríona nicht genau wusste, was das hieß - es waren furchterregende Gestalten, die von Inseln noch weiter im Norden kamen, den Teufel nicht fürchteten, weil sie selbst Teufel waren, dann und wann die Küsten heimsuchten, um Gold von Klöstern und Waffen von Königen zu rauben, und hier, wo es solche Schätze nicht gab, Getreide von Bauern und diese Bauern selbst.
Dicht gedrängt hockten die Gefangenen auf dem Schiff, Alte wie Junge, Männer wie Frauen. Eine hielt einen Säugling an die Brust gepresst, doch während der verstummt war, stieß sie selbst ein Greinen aus. Die Menschen mussten aus einem Dorf weiter südlich stammen, wo man etwas leichter an Land gehen konnte, wurden nun entweder zu den gottlosen Inseln verschleppt, woher die Gall-Ghaedil stammten, oder nach Dublin gebracht. Dort lebten Menschen, die die gleichen Vorfahren wie die Gall-Ghaedil hatten und gern mit ihnen Handel trieben, gleichwohl sie...
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