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Vom Verlust der militärischen Führungskunst
»Von der Strategie bis hinab zur Taktik und auf sämtlichen Stufen dazwischen war Frankreich der Kriegsschauplatz, wo der >Genius of War< der Wehrmacht wie Asche zerfiel, wo >Hitlers Legionen< zerbröselten und wo die >Magier des Teufels< wie Amateure agierten. An Frankreichs Küsten erlitt die militärische Tradition, die Friedrich den Großen, Carl von Clausewitz und Helmuth von Moltke hervorgebracht hatte, die wohl schmerzlichste und demütigendste Niederlage in ihrer langen Geschichte.«
Robert Michael Citino, The Wehrmacht's Last Stand, S. 110.
Es war gewiss eine der schlimmsten Niederlagen unserer Geschichte, notierte am 23. Februar 1943 Commander Harry Butcher, der Verbindungsoffizier der US-Navy zum Stab von General Dwight David Eisenhower, ratlos und erschüttert in sein Tagebuch. Zwei Panzerdivisionen aus Rommels Afrikakorps hatten erst wenige Tage zuvor das »stolze und angeberische Amerika«, wie Butcher es sarkastisch ausdrückte, im algerisch-tunesischen Grenzgebiet militärisch gedemütigt.1 Nicht allein waren mehr als 6 000 Mann und fast 300 Panzer des amerikanischen II. Corps bei Sidi Bouzid und am Kasserine-Pass verloren gegangen, teilweise hatten die Männer sogar in Panik ihre Stellungen verlassen und waren kilometerweit ins Hinterland geflohen.2
Lieutenant General Sir Harold Alexander, der britische Oberbefehlshaber in Nordafrika, sah sich in seinem alten Argwohn gegenüber den militärischen Qualitäten des Verbündeten glänzend bestätigt. Die Amerikaner seien zu weich, zu unerfahren und schlecht ausgebildet, klagte er am 3. April 1943 in einem Brief an den Chef des Imperial War Staff, Sir Alan Brooke. Es fehle ihnen nicht nur der Wille zum Kampf, sondern leider auch jeder Hass gegenüber Deutschen und Italienern.3
Tatsächlich hatten eine lange Reihe taktischer Fehler wie auch ein überforderter Korpsbefehlshaber das amerikanische Anfangsdesaster in der Wüste verursacht. Die Niederlage gab auch allen Kritikern aufseiten der Briten Auftrieb, die schon immer Zweifel an General Eisenhowers Führungsqualitäten geäußert hatten und sich kaum vorstellen konnten, dass amerikanische Truppen jemals erfolgreich in Frankreich landen würden. Dagegen zeigte sich der noch einmal siegreiche »Wüstenfuchs« in seinem Urteil über die Amerikaner durchaus nachdenklich. Wenn sie erst einmal genügend Kampferfahrung gesammelt hätten, würden sie bestimmt brauchbare Soldaten abgeben, schrieb Generalfeldmarschall Erwin Rommel am 18. Februar 1943 an seine Frau.4
Dass allerdings die beiden Eröffnungsschlachten im westlichen Tunesien nicht nur die letzten Siege seines alten Afrikakorps sein würden, sondern zugleich auch die einzigen Erfolge der Deutschen Wehrmacht über diesen neuen Gegner überhaupt, ahnte der gefeierte Held der Goebbels'schen Propaganda zu diesem Zeitpunkt wohl nicht. Mehr als 100 Schlachten oder größere Gefechte zwischen Deutschen und Amerikanern zählte der britische Historiker Geoffrey Perret nach Sidi Bouzid und Kasserine bis zum Ende des Krieges in Europa auf, die ausnahmslos mit einer Niederlage der Wehrmacht oder allenfalls mit einem temporären Patt geendet hatten. Dabei konnten sich die Deutschen bei vielen ihrer Misserfolge nicht einmal auf eine personelle oder materielle Unterlegenheit berufen.5 Oft waren die deutschen Waffensysteme wie etwa das MG42, die Panzer vom Typ »Panther« oder »Tiger« sowie die legendäre 8,8-Flakkanone der alliierten Bewaffnung qualitativ derart überlegen, dass auf der Gegenseite gelegentlich sogar Panik ausbrach.6
Auch unter Berücksichtigung der für die Amerikaner äußerst verlustreichen Kämpfe im Hürtgenwald, die schließlich in ihrem Rückzug aus Schmidt und Kommerscheidt gipfelten, wirkt die militärische Bilanz der Wehrmacht gegen die US-Armee geradezu deprimierend. Weder in Italien noch in Frankreich gelangten deutsche Truppen gegenüber ihren amerikanischen Widersachern jemals über temporäre Abwehrerfolge hinaus. Ein nach allen Regeln der operativen Führungskunst unternommener Angriff auf den amerikanischen Brückenkopf bei Anzio-Nettuno schlug im Februar 1944 nicht mehr durch.7 Selbst Phasen beispielloser Schwäche auf Seiten der Amerikaner wie am Strand von OMAHA, in den überfluteten Landezonen der US-Fallschirmjäger auf Cotentin oder später in den verschneiten Wäldern der Ardennen und Vogesen konnten die Deutschen trotz örtlicher numerischer Überlegenheit nicht mehr zu ihren Gunsten nutzen.
Die bis dahin in der ganzen Welt hoch geachtete oder je nach Sicht auch gefürchtete preußisch-deutsche Armee mit ihrem durch Tradition und Kastengeist gefestigten Korps hervorragend geschulter Berufsoffiziere sollte in den letzten drei Kriegsjahren beinahe regelmäßig gegen eine Armee aus Bürgersoldaten und eilig angelernten Offizieren versagen, die erst zwei Jahre zuvor aus dem Nichts geschaffen worden war.
Trotz ihrer mehr als ernüchternden Bilanz gegen amerikanische Truppen ist es deutschen Generalen nach dem Krieg noch lange gelungen, den Mythos ihrer überlegenen operativen Führungskunst und der überragenden kämpferischen Qualitäten des deutschen Soldaten aufrechtzuerhalten. Auch neuere Militärhistoriker wie etwa der Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Martin van Creveld, haben dazu beigetragen, dass das schmeichelhafte Selbstbild der Angehörigen der Deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS trotz ihrer fortgesetzten Niederlagen bis 1945 noch lange im Kern kaum infrage gestellt worden war.8 Nicht nur in Deutschland konnte sich bis in die jüngste Vergangenheit der Mythos einer Armee von Helden und Magiern der Kriegsführung halten, die erst vor dem immensen Materialaufgebot ihrer Gegner die Waffen strecken musste.
In einer ursprünglich für das Pentagon angefertigten Studie war der israelische Kenner der deutschen Militärgeschichte Anfang der 1980er-Jahre der Frage nachgegangen, welche Faktoren zur Verbesserung der Kampfkraft von Armeen beitrugen. Ausgerechnet bei der gründlich geschlagenen Deutschen Wehrmacht glaubte van Creveld besonders fündig geworden zu sein. In beinahe allen Bereichen von der Führerauswahl bis zur Organisation des Personalersatzes, so sein paradoxer Befund, sei die immer wieder geschlagene deutsche Wehrmacht dem amerikanischen System weit überlegen gewesen. Weniger als mittelmäßig stufte er dagegen das amerikanische Offizierkorps im Zweiten Weltkrieg ein. Ein Vergleich mit ihren deutschen Kontrahenten sei sogar schlechterdings kaum möglich.9
Lediglich in ihrer konsequenten Konzentration auf das Operative und damit auf das Gefecht der verbundenen Waffen, glaubte van Creveld eine notorische Blindstelle deutscher Streitkräfte zwischen 1939 und 1945 ausmachen zu können. Militärische Doktrin, Ausbildung und Organisation des Heeres seien nach seinem Urteil mit seltener Konsequenz auf das Kämpfen ausgerichtet gewesen. Logistik, Verwaltung und Management hätten dagegen nur eine nachrangige Rolle gespielt. Die Amerikaner seien genau umgekehrt vorgegangen und schienen sogar alles getan zu haben, um ausgerechnet die Infanterie, immer noch das Rückgrat auch moderner Armeen, zugunsten anderer Truppengattungen zu vernachlässigen. Bei der Zuweisung des besseren Personals sei sie gewöhnlich leer ausgegangen, da die Militärbehörden diesen »Job« jedem Kandidaten zugetraut hätten. An wirklicher Kampfkraft sei den Amerikanern auch gar nicht gelegen gewesen, da nach ihrer Philosophie sämtliche Gefechte hauptsächlich durch die Massierung gewaltiger Feuerkraft entschieden werden sollten. Der Jerusalemer Professor nannte Eisenhowers und Omar Bradleys Methoden sogar verächtlich einen Maschinenkrieg.10
Selbst amerikanische Historiker und ehemalige Militärs sparten im Rückblick nicht mit Kritik am Kampfverhalten der amerikanischen Divisionen in Europa. Der renommierte Militärhistoriker Russel Weigley von der Temple University in Philadelphia beurteilte den Kampfgeist der amerikanischen Infanterie sogar als äußerst gering. Sie habe es praktisch nie gewagt, sich auf ein unmittelbares Gefecht mit Wehrmachtsverbänden einzulassen.11
In das gängige Bild des angeblich kampfscheuen US-Soldaten schien sich auch das erstaunliche Fazit einzufügen, das Lieutenant Colonel Samuel Lymann Marshall nach einer Auswertung von rund 400 Interviews mit amerikanischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges zog. Nicht einmal jeder Vierte aus der befragten Gruppe habe im Kampf seine Waffe überhaupt eingesetzt, so resümierte Marshall. Die Herstellung einer infanteristischen Feuerüberlegenheit auf dem Gefechtsfeld sei unter diesen Umständen kaum möglich gewesen.12 Amerikanische Generale hätten es gewöhnlich ganz ihrer Artillerie überlassen müssen, den Gegner zu zerschlagen. Insgesamt seien, so Weigley, die Amerikaner allein dank ihrer materiellen Überlegenheit zum Sieg über die Deutschen...
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