Schweitzer Fachinformationen
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Zacken aus zerborstenem Glas ragten aus den geschmolzenen Fensterrahmen. Ein kühler Abendwind strich hindurch, aber der Temperatur-Balken in ihrem Visier verharrte auf orange. Am Morgen war das noch ihr Zuhause gewesen.
Während der Löschschaum von der Decke tropfte, stocherte sie in den schwarzen Klumpen am Boden. Reste eines Schuhs, Henkel ihres Kaffeebechers, das Spielbrett aus Kindheitstagen, halbverkohlt. In der Ecke ein Objekt wie aus erstarrter Lava: Das war ihre Digitafel gewesen, mit angeschlossenem Tastenfeld. Eigenkonstruktion.
Sie war den Tränen nah, und das lag nicht am beißenden Geruch der Asche, sondern an der Wut, die in ihr aufkam. Was war geschehen? Wer .? Sie griff in die Innentasche ihrer blauen Kunstlederjacke und zog einen noch blaueren Kautschik hervor. Zweimal faltete sie den Streifen, bevor sie ihn in den Mund steckte. Die Zähne begannen zu mahlen. Half beim Nachdenken.
Vor zwei Stunden hatte sie an einer Besprechung im Hauptquartier teilgenommen. Einladung der Chefetage. Ungewöhnlich, sie hätte sich von zu Hause zuschalten können, aber sie hatte sich nichts dabei gedacht. Vielleicht was Wichtiges. Planung für das neue Jahresprogramm. Erinnere dich.
Ihr Vorgesetzter saß ihr am anderen Ende des ovalen Konferenztischs gegenüber. Auf den restlichen Plätzen leuchteten die halbtransparenten Abbilder ihrer Kollegen. Über dem Konferenztisch drehte sich die Projektion eines Tortendiagramms. Fehlten nur noch die Kerzen, ging ihr durch den Kopf.
»Liebe Luxis, wir haben uns gewaltig hochgepilzt. Marktabdeckung kompletta. Ohne Luxor kann und will draußen niemand mehr leben. Wir kommen mit der Lieferung von Linsen kaum hinterher.« Mit einem Hüsteln deutete er auf den schmalen Spalt in der Torte. »Nur eine Handvoll Hirntote, die wir nicht erreichen. Bedeutungslos.« Er wartete, bis das Gemurmel links und rechts verstummt war. »Diesen Erfolg verdanken wir dir und deinen Leuten. Ohne euch kein technisches Fundament.« Er lehnte sich vor und stützte die Arme auf den Tisch. Mit anerkennendem Nicken ließ er seinen Blick über die Runde schweifen.
Ein Knall durchbrach die Stille, als seine Handflächen aufeinandertrafen. Ein-, zwei-, dreimal, immer schneller. Nacheinander schlossen sich die anderen an. Sie behielt die Hände unter dem Tisch und ließ das Weitere auf sich zukommen, als sein erhobener Finger den Applaus zum Erliegen brachte. »Ist gut, ist gut. Kann sich jemand an unsere erste Produktlinie erinnern? Panovision. Begehbare Panoramen für zu Hause. Stationär. Hat uns einen schönen Anfangsumsatz beschert. Und heute? Wenn ihr mich fragt: Danke, nächster bitte. Mit Omnivision versetzen wir das Volk in Vollrausch. Sehen, was andere sehen. Fühlen, was andere fühlen. Mein Leben mit anderen teilen, wo immer ich bin, und was immer ich mache. In Echtzeit, rund um die Uhr.« Er lächelte. »Und wisst ihr was? Die wenigsten schalten ihre Aufzeichnung zwischendurch ab, obwohl sie es können.«
Eine Wolke mit Auszügen laufender Übertragungen zog über sie hinweg.
Jemand balanciert auf einem Holzbalken über den Innenhof; ein anderer lässt sich von Kommentaren durch ein Labyrinth aus Gängen leiten; ein Keller voll schwitzender, zuckender Leiber in pulsierendem Violett (Tanz oder Orgie?); im Backofen wird Teig zu Kuchen; Aufprall eines Fahrzeugs, gesehen aus dem Inneren; eine Rentnerin badet ihren Terrier; ein Jugendlicher lässt einen Regenwurm auf seine Zunge fallen und schluckt; Ferkel tapsen durch Farbtöpfe.
Lärmende Bild- und Toneffekte überlagerten die Aufnahmen und wetteiferten um Aufmerksamkeit. Am Bildrand prasselten bunte Piktogramme herunter.
»Unser Prämiensystem kommt an. Wir belohnen alle, deren Aufnahmen von vielen gesehen und hochgewertet werden. Immer mehr Kunden haben eine große Anhängerschaft, einige leben gut von ihren Einnahmen. Soll uns recht sein. Um aufregende Bilder zu liefern, reißen sie sich ein Bein aus. Bitte, nicht wörtlich verstehen.«
Gejohle. Ihre Kollegen waren leicht zu erheitern.
»Alles schön und gut. Aber - was wir für die Prämien ausgeben, ist nichts im Vergleich zu dem, was wir mit Luxor Max verdienen.«
Unscharfe Ausschnitte leuchteten auf, die von Sperrsymbolen überdeckt waren.
»Diese Kanäle wollen wir teraplus machen.«
Sie sah ihm dabei zu, wie seine Finger in der Luft Klavier spielten und animierte Bilder aufriefen. Er glaubte daran. Mehr noch, er war davon besessen. Sie war nicht anders gewesen. Schon mit neunzehn hatte sie sämtliche Rotozess-Variablen auswendig beherrscht und ihre Entwickler zu Höchstleistungen angetrieben. Doch ihre anfängliche Begeisterung war verflogen. Sie konnte es kaum glauben. War das alles schon fünf Jahre her?
Ihr Gegenüber breitete die Arme aus. »Und hier, liebe Luxis, kommt eure Aufgabe. Wenn wir schon aus der Ich-Perspektive miterleben können, was andere so machen, warum nicht auch von außen draufschauen? Wir haben massenhaft Dronos angeschafft. Lassen wir sie fliegen! Rundum-Sicht, überall. Unsere Kunden können Zeitfenster kaufen, in denen sie ihren berühmten Lieblingen auf Schritt und Tritt folgen, aus allen Perspektiven. Hinter die Kulissen, Blick in Privates, verruchtes Nachtleben. Ihr wisst schon.«
Sie spürte, wie sein Blick auf ihr ruhte.
»Bekommt ihr das hin?«
»Irgendwelche Quomis auf der Straße verfolgen und nachts beim Nägelschneiden zeigen? Kein Prob.«
Er gestikulierte ihre Bemerkung weg. »Noch wichtiger: Aufzeichnungen. Unsere zahlenden Kunden wollen von der ersten bis zur letzten Übertragung eines Lebens vor- und zurückspringen können. Nach Tagen sortiert. Am Abosystem seid ihr dran, richtig?«
Sie nickte. »Im Prinzip fertig.«
»Aber?«
»Was ist mit den Filtern?«
Sein Blick wich ihr aus. »Ach, du meinst.«
»Genau. Wie lange liege ich dir damit schon in den Ohren?«
»Du kennst meine Antwort.«
Ihr Stuhl rasselte über den Boden, als sie aufstand.
»Heißt nicht, dass ich mich damit zufriedengebe.«
»Bitte, meine Liebe, setz dich.«
Sie rührte sich nicht, während ihre Kollegen nervös von einem Tischende zum anderen blickten.
Er räusperte sich. »Es wäre besser, wenn wir das im kleinen Kreis fortsetzen. Ich danke euch. Macht weiter mit eurer Arbeit.« Auf sein Handzeichen flackerten die Abbilder ihrer Programmierer und verschwanden.
»Ich kapier's nicht«, sagte sie und nahm wieder Platz. »Wir blockieren alle Aufnahmen, die Schrift enthalten. Aber diese Irren können einfach weitermachen und ihren Dreck übertragen, hinter den Türen der Exklusiv-Kanäle. Oder sogar frei zugänglich. Tierquäler, Vergewaltiger, Mörder .«
Ihr Chef drehte beschwichtigend die Handflächen nach unten. »Hör zu, das ist nicht meine Entscheidung.« Er seufzte. »Ja, es sind schreckliche Dinge, die da zu sehen sind. Mir wird auch regelmäßig schlecht. Aber diese Dinge bleiben nicht ohne Folgen. Wir melden sie an die Sekuritaten, und die greifen hart durch, wo immer nötig. Das Volk bekommt, was es will.«
Sie nickte. »Bild und Spiele.«
»Beschwer dich nicht, wir verdienen Geld damit.«
»Wann habt ihr vor, unseren Kunden von den Hintertüren zu erzählen? Durch die das Große Dreieck zuschaut, auch wenn sich die Leute ausgeklinkt haben.«
»Meine Güte, seit wann siehst du alles schwarz? Wir haben unsere Abonnenten befragt. Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch kein Problem damit. Dafür ist der ganze Spaß kostenlos. Jedenfalls für die große Masse.«
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Seine Assistentin stöckelte heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Mit jedem Satz verfinsterte sich seine Miene. Sie ging, und die beiden waren wieder allein.
»Was ist?«
Eine Zeitlang blieb er ohne Regung, dann richtete er sich im Stuhl auf. Er hatte sie noch nie so angesehen.
»Ich muss dich das fragen. Und denk nach, bevor du antwortest: Arbeitest du an etwas, von dem ich wissen sollte?«
»Keine Ahnung.«
»Der Sicherheitsdienst ist besorgt. Sie haben auf deinem System etwas gefunden. Außergewöhnlich gut getarnt. Unbekanntes Format. Lässt sich nicht öffnen.«
»Sagt mir nichts. Lass mich sehen.«
»Geht nicht, sie haben dich gesperrt. Ich hoffe, es stellt sich als Fehlalarm heraus.« Er sah aus dem Fenster, die Stirn in Falten gelegt. »Geh nach Hause. Du kannst hier nichts tun.«
In ihrem Visier leuchtete ein roter Punkt.
Das war der Moment, als sie vom Brand in ihrer Wohnung erfuhr. Jetzt stand sie in den schwarzen Brocken, die davon übrig waren. Sie spuckte den Kautschik durch den Fensterrahmen.
Was tun? Dem Sicherheitsdienst war ihr Hypositron-Programm aufgefallen, das war...
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