Schweitzer Fachinformationen
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Jenny nahm die aus künstlichem Tannengrün und Bändern gedrehte Girlande von der Kommode und legte sie in das oberste Fach. Dann stopfte sie die beiden Zierkissen mit Schneemanngesichtern hinterher, schloss die Schranktür und sah sich im Zimmer um. Die grün-rot karierte Decke auf dem Lehnstuhl neben dem Fenster konnte als saisonunabhängiges schottisches Wohnaccessoire durchgehen und durfte bleiben. Alles andere sah neutral aus - wie ein gewöhnliches Hotelzimmer eben.
Bin müde, aber wohlbehalten in Edinburgh angekommen, tippte sie in die Nachrichten-Gruppe, die sie vor Jahren angelegt hatte, um ihre Eltern gleichzeitig mit Informationen zu versorgen.
Gut, Schatz, schönen Abend noch!
Genieß die schottische Meeresluft! Liebe Grüße, Mama.
Ihre Eltern kommunizierten bereitwillig in dieser Gruppe. Mit ihr. Nie miteinander. Das fand Jenny kindisch, denn immerhin waren die beiden seit vierzehn Jahren geschieden und betonten, es gebe zwischen ihnen keine ungelösten Konflikte, die sie davon abhielten, gemeinsam Eltern zu sein. Aber das bedeutete in ihrem Fall nur, dass sie sich bemühten, Enttäuschung und Groll vor ihrer Tochter zu verbergen - mit mäßigem Erfolg. Jenny merkte, dass ihr Vater, wann immer das Gespräch bei seiner Ex-Frau landete, einen harten Zug um den Mund bekam. Und es war offensichtlich, wie wenig ihre Mutter verstand, warum Ralf stur allein blieb, während sie relativ rasch nach der Trennung eine neue Partnerschaft eingegangen war.
Jenny legte das Handy weg und sah sich noch einmal im Hotelzimmer um: King-Size-Bett, Schrank, Kommode, Lehnstuhl und Fernseher. Auf dem Fensterbrett standen - wie in britischen Unterkünften üblich - Wasserkocher, Tassen und ein Körbchen mit Teebeuteln. Der Raum war nett und sauber, aber nicht so spannend, dass sie den Rest des Tages hier verbringen wollte. Professor Shaw und sein Team würde sie erst am nächsten Morgen treffen, also sollte sie sich überlegen, womit sie die Zeit bis dahin ausfüllen konnte. Ihre Wohnung in München hatte sie kurz vor elf Uhr nachts verlassen und dann siebzehn Stunden lang in insgesamt vier verschiedenen Zügen gesessen. Daher sehnte sie sich nach Schlaf. Aber es war mitten am Nachmittag und sie zum ersten Mal in Edinburgh. Also fand sie, sie sollte zur berühmten Royal Mile spazieren. Vielleicht irgendwo Haddock oder eine andere schottische Fischspezialität essen. Ausruhen konnte sie sich immer noch, wenn sie in acht Tagen wieder zu Hause war. Oder spätestens Ende der folgenden Woche auf einer gemütlichen Strandliege, während ihr die Dezembersonne in Dubai sanft die Haut wärmte.
Ein weiterer Blick zum Bett genügte, um die Erschöpfung gewinnen zu lassen. Seufzend streckte sie sich auf der Tagesdecke aus.
Nur ganz kurz, dachte sie, dann war sie auch schon eingeschlafen.
»Make my wish come truuue - all I want for Christmas is youuu .«
Jenny fuhr aus dem Schlaf hoch. Irritiert sah sie sich um, bis sie realisierte, dass sie auf dem Hotelbett lag und der Song vom Erdgeschoss durch die Wände zu ihr drang. Irgendwo dort unten musste wohl eine Weihnachtsparty in vollem Gange sein. Jenny gähnte und sah auf die Uhr. Sie hatte fast eine Stunde lang geschlafen.
»Underneath the mistletoe . Mitsingen, Leute! Auch du, Bob aus der Personalabteilung! Wir wollen deine glockenhelle Stimme hören!«, ertönte eine betont fröhliche Männerstimme.
Unwillkürlich trat Bob vor Jennys inneres Auge - und zwar als unscheinbarer Mittvierziger, der ein Polyesterhemd und die verschwitzten Haare nach hinten gekämmt trug.
»Habe ich zu viele schlechte Filme gesehen?«, fragte sie in die Düsterkeit des Zimmers. Warum sollte Bob kein sexy Typ mit Sixpack sein? Bestimmt verdrehte er in diesem Augenblick über den nervigen Moderator die Augen und küsste zu später Stunde Sally vom Marketing.
Jenny schmunzelte bei der Vorstellung.
Oder Jack, den Controller, überlegte sie. Genau! Bob und Jack. Die zwei standen garantiert schon seit Monaten insgeheim aufeinander.
Sie fror. Irgendwie schien der Heizkörper nicht richtig zu funktionieren, und es zog beim undichten Fenster herein. In der Hoffnung auf Behaglichkeit drehte sie sich noch ein paarmal im Bett hin und her, dann schaltete sie das Licht ein und setzte ihre kalten Füße auf den Teppich.
»Bob aus der Personalabteilung, brauchst du auch eine warme Strickjacke, um dich wohlzufühlen?«, fragte sie Richtung Erdgeschoss.
Schlotternd schlüpfte sie in das wollene Kleidungsstück und dann rasch zurück unter die Bettdecke. War es in diesem Raum wirklich so frostig, oder spielte nur ihr Kreislauf verrückt? Noch fester hüllte sie sich in die Jacke und schob die eisigen Finger in die Taschen. Dabei stieß sie auf ein Stück Papier. Neugierig zog sie die Hand wieder heraus und besah sich den Zettel: eine Adresse hier in Edinburgh, schnell auf die abgerissene Ecke eines Werbeprospektes gekritzelt. Sie musste nicht lange nachdenken, um sich daran zu erinnern, wie ihr die betagte Nachbarin ihres Vaters vor ein paar Wochen am Zaun diese Notiz überreicht hatte. Jenny kannte Christine schon seit ihrer Kindheit und war früher auch oft bei ihr im Garten gewesen.
»Ich habe von deinem Papa gehört, dass du beruflich nach Schottland reist«, hatte Christine gesagt und ihr den Papierfetzen hingehalten. »Du solltest einen Besuch in Erwägung ziehen.«
Nur zögernd hatte Jenny den Zettel entgegengenommen und in genau diese Jackentasche gesteckt, nachdem sie den Namen darauf gesehen hatte.
»Irgendwann wirst du es bereuen, wenn du nie bei ihr warst«, hatte Christine noch hinzugefügt.
Jenny war sich ziemlich sicher, dass sie solcherlei Gefühle niemals hegen würde. Die Dinge lagen nun mal, wie sie lagen. Und doch glitten ihre Augen nun wiederholt über die Adresse.
Morningside, stand unter dem Straßennamen.
Sie nahm ihr iPhone zur Hand und schlug diesen Edinburgher Stadtteil auf Wikipedia nach. Rasch erfuhr sie, dass es sich um ein früheres Bauerndorf im Süden der Innenstadt handelte, aus dem mittlerweile eine beliebte Wohngegend mit netten Cafés und ausgefallenen Boutiquen entstanden war. Erwähnt wurden auch gut erhaltene Villen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Was an der Adresse auf dem Zettel wohl zu finden war? Lebte sie etwa in einem dieser altehrwürdigen viktorianischen Gebäude?
Kopfschüttelnd legte sie das Handy mitsamt dem Stückchen Papier auf den Nachttisch. Dieses Haus war schließlich völlig irrelevant für Jenny.
»Frosty the Snowman, liebe Leute! Wann immer ihr in diesem Lied das Wort snow hört, trinkt einen kräftigen Schluck!«, war aus dem Saal unter ihr zu hören. Dann vernahm sie eindringliches Gedudel. Wahrscheinlich hatte der DJ die Lautstärke hochgedreht, denn Jenny war, als stünde der Sänger Nat King Cole direkt neben dem Bett und plärrte ihr ins Ohr.
Jenny atmete durch. Egal, wie müde sie war, sie musste sich wohl damit abfinden, dass sie nicht zur Ruhe kommen würde, solange die Party zugange war. Also beschloss sie, zu ihrem ursprünglichen Plan zurückzukehren und sich ein bisschen was von Edinburgh anzusehen.
Im Veranstaltungsraum hinter der Hotelrezeption herrschte wildes Treiben. Gerade eilte ein Mann in einem quietschgrünen Anzug, auf den rote Kugeln und gelbe Glocken gedruckt waren, aus dem Saal. Er trug ein Headset, in das er rief: »Freunde, diese Office Christmas Party wird euch für immer in Erinnerung bleiben!« Seine Stimme dröhnte hinter ihm aus den Lautsprechern. Er verschwand auf der Toilette. »Gleich geht es weiter mit Alastairs Ansprache. Hoffen wir auf ein Feuerwerk von Witzen!«, hörte man ihn unverdrossen weitermoderieren.
Amüsiert stemmte sich Jenny gegen die gläserne Schwingtür und trat ins Freie.
Mit tief ins Gesicht gezogener Mütze spazierte sie dann die Straßen entlang. Laut Wetter-App hatte es immerhin fünf Grad, aber getragen von der Luftfeuchtigkeit zog die Kälte im Nu durch ihre Kleidung und ließ sie frösteln. Da halfen auch das langärmelige T-Shirt unter dem Wollpullover und die dicke Thermo-Strumpfhose nicht viel. Doch Jenny war entschlossen, das Unbehagen zu ignorieren und ihren kleinen Trip in den schottischen Winter als Abenteuer zu sehen. Wenn sie reiste, wollte sie das Land schließlich mit allen Sinnen spüren, seinen Charakter kennenlernen und sich von ihm überraschen lassen. Es stimmte schon, es war hier bereits ab halb vier dunkel - also seit ihr Zug die gedachte Grenze zwischen England und Schottland passiert hatte. Und ja, sie fror. Aber sie liebte Großbritannien, und jetzt war sie endlich wieder hier.
Jenny blieb vor einem hell erleuchteten Schaufenster stehen. Neben all den mit Kugeln, Lichterketten, Girlanden, Weihnachtsmännern und Rentieren üppig dekorierten Läden hatte sie diese nüchterne Präsentation magisch angezogen. In bläulichem Licht standen zwei gesichtslose Modepuppen, die stark gemusterte Kleider trugen. Sie waren aus einem leichten Stoff genäht, tief ausgeschnitten und ärmellos. Bei uns finden Sie das passende Outfit für Ihre Weihnachtsparty, stand auf einem Schildchen daneben. Jenny musste lachen. Wie konnte man auf die Idee kommen, diese Fähnchen wären warm genug für den Winter? Sie ging weiter zum zweiten Fenster. Unter einem Kristalllüster präsentierte dort eine männliche Puppe einen knallroten Schottenrock. Vor dem Bauch hing eine Tasche, die zwar traditionell geformt, in diesem Fall jedoch aus weißem Puschelfell gefertigt war. Bekrönt wurde das...
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