Schweitzer Fachinformationen
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Please don't go!
Liesl beschleunigt auf der lang gezogenen, leicht abschüssigen Kurve rauf auf einen 70er, schaltet kurz vor der Stöttlbachbrücke einen Gang runter und dreht den Motor in den roten Bereich. Dann kommt auch schon die Kuppe und sie hebt mitsamt ihrer gelben Rakete ab und fliegt bei günstigem Wind bis zum Ortseingangsschild.
Sie schnappt sich das kleine Paket vom Beifahrersitz und steigt aus ihrem verbeulten Postauto. Den Motor lässt sie laufen. Wie das halt so ist am Land. Da würde sie ja deppert werden, wenn sie den jedes Mal neu starten würde. Reicht schon, wenn sie an die Kupplung denkt. Sie hat sich einmal ausgerechnet, als ihr fad war, wie oft sie an einem Vormittag die Kupplung tritt.
Liesl geht auf das alte, mit violetten und weißen Geranien überreich verzierte Häuschen von der Schamberger Magdalena zu. Eine eigenwillige Sitte, dass am Land immer erst der Nachname genannt wird. Nur bei der Liesl ist es anders, aber vielleicht nur, weil sich keiner mehr wirklich dran erinnern kann, wie sie mit Nachnamen heißt. Und "die Post-Liesl" klingt halt nicht so schön wie "Die Liesl von der Post". Da denkt ein jeder gleich einmal an Operette.
344-mal! An einem Vormittag. Wieso die keine Automatikautos bei der Post haben, wird Liesl für immer ein Rätsel bleiben. Da ist einen Mord aufklären ein Kinderspiel dagegen.
Sie marschiert auf das prachtvoll renovierte Häuschen zu. Die Schamberger war lange Jahre die Vorsitzende vom Dorfverschönerungsverein, kein Wunder also, dass ihr Haus so aussieht, wie es aussieht. Und im Kirchenchor spielt sie Gitarre. Und wer es genau wissen will, sie war nie verheiratet.
Liesl klopft mit dem schönen alten Metallklopfer an. Eine Klingel gibt es nicht. Die würde auch nichts nützen, bei dem Lärm, der aus dem Haus dringt. Wobei, Lärm ist nicht ganz richtig. Schmuserock wäre stimmiger. Liesl kennt die Nummer: "Please don't go", KC and the Sunshine Band. Ist auf Schmuserock für romantische Stunden, Volume 1. Das ist eigentlich eine ganze CD-Box. Ja, Liesl hat noch CDs, auch wenn ihre Freundin Barbara sie dafür auslacht. Liesl steht dazu. Aber nur, weil ihr nix anderes übrig bleibt.
Während Liesl vor der rustikalen Holztüre wartet, an der auch noch an einem grünen Samtbandl ein kleiner selbst gemachter Kranz hängt - die Schamberger ist ja schließlich auch im Öder Brauchtumsverein -, dringt aus dem Haus: "I want you to know that I'm gonna miss your love the minute you walk out that door." Wie passend, denkt Liesl. Dabei fällt ihr Blick auf das rostig-rote Mountainbike, das an der schönen alten Holzbank lehnt, die die Schambergerin sicher selber abgebeizt und renoviert hat. Keine Ahnung, welchen Verein es dafür wieder gibt. Irgendwie passt das Radl nicht in das perfekte Bild.
Dass man am Land den Nachnamen zuerst nennt, kommt übrigens aus dem Mittelalter. Bis dahin hatten alle nur einen Namen. Aber weil es dann immer mehr Leute wurden in Tirol und man sie nicht mehr unterscheiden konnte, hat man ihre Berufe dazugesagt: der Müller-Josef, der Bauer-Karl, der Nah- &-Frisch-Walter. Warum jetzt die Schamberger Magdalena Schamberger heißt, darauf hat Liesl auch keine Antwort.
"Magdalena!?", ruft sie und klopft erneut. "Du musst mir was unterschreiben!" Noch immer keine Antwort. "So please don't go, don't go, don't go away", singen sie und KC, der eigentlich Harry Wayne Casey heißt, nun gemeinsam, während sie hinters Haus in den perfekt gestalteten Garten geht und durch die große Terrassentüre lugt, die die Magdalena vor ein paar Jahren nachträglich hat einbauen lassen. Sehr stimmig, das Ganze. Und überhaupt kein Störfaktor. Manchmal haben die Leute ja gar kein Gespür für so was. Aber die Magdalena schon. Das muss man ihr lassen.
Da drinnen ist niemand zu sehen, denkt sich Liesl, bis auf den Umstand, dass die Schiebetüre einen Spalt offen steht. Und bevor sie das Packerl wieder einpackt und mit zurück auf die Post nimmt und die Magdalena dann wieder zum Nah & Frisch fahren muss, wo jetzt auch die Post untergebracht ist - man hat ja schließlich einen ökologischen Fußabdruck zu verlieren -, geht sie lieber rein und schaut, ob die Magdalena vielleicht nur gerade vor ihrem alten Wäschetrockner steht und die Liesl einfach nicht gehört hat.
"Schambergerin?"
Was Liesl nicht sieht, wie sie die frisch restaurierte Zirbenstube mit den vielen schlichten Heimatbildern betritt - Magdalena hat einmal am Wifi einen Malkurs belegt -, sind die nicht mehr ganz so weißen Arbeitsschuhe mit den blutigen Flecken, die unter den selbst genähten Vorhängen mit der grünen Samtbordüre hervorlugen. Wahrscheinlich hatte die Schamberger von der Bordüre noch was übrig gehabt und draus Bandln gemacht für Weihnachtsgeschenke oder nette Kranzln. Magdalena ist Vorsitzende vom Adventverein.
"Hallo? Da ist die Lieselotte von der Post", ruft sie noch ein bissel lauter und bestimmter, um Casey mit seinem nervigen "Please don't go" zu übertönen, das aus einem der hinteren Zimmer kommen muss. Und gerade wie Liesl weitergeht in Richtung Schmuserock, huschen auch schon die nicht mehr ganz so weißen Schuhe mit den blutigen Flecken zur Terrassentüre hinaus. Klar, dass nachher das rostig-rote Radl verschwunden ist.
Liesl steht inzwischen vor der Schlafzimmertüre. Ein letzter Versuch. Sie klopft sachte an und fragt: "Magdalena, alles okay bei dir?" Wieder keine Antwort. Und bevor jetzt "Why can't we live together" ertönt, macht sie lieber die Türe auf, den Song mag sie nämlich nicht und versteht bis heute nicht, was so eine negative Aussage auf Schmuserock für romantische Stunden zu suchen hat.
Ob allerdings das, was sie jetzt sieht, romantisch ist, sei dahingestellt. Auf einen Sitz kriegt sie keine Luft mehr, ihr Herz legt eine Vollbremsung hin, ihr Kreislauf tanzt Cha-Cha-Cha, dann wechselt er ins Notprogramm. Eine Hundertstelsekunde später rutscht sie mit dem Rücken am Türstock hinunter, das Packerl fällt ihr aus der Hand und geht zu Boden. Genau wie sie. Sie kann gerade noch am Handy auf Barbaras Nummer drücken: "Kannst du herkommen? Ich bin bei der Schambergerin." Das Letzte, was sie denkt, ist: Verdammt, der Motor läuft. Dann fliegt auch schon die inwendige Sicherung und Liesl hat einen kompletten Stromausfall.
Lieselotte
Niemand weiß, wie Liesl eigentlich mit Nachnamen heißt. Sie weiß es selber nicht mehr so genau. Dazu müsste sie mal in ihrem Pass nachschauen, aber den hat sie bis jetzt nur einmal gebraucht in ihrem Leben und dann nie wieder. Und Post bekommt sie auch nicht, obwohl sie bei der Post arbeitet. Aber nur weil man Post austrägt, bedeutet das ja nicht, dass man auch Post bekommt. Für die Leute in Öd ist sie einfach die Liesl von der Post.
Die Liesl hat Öd erst einmal verlassen, da ist sie aber nicht weit gekommen. Klar, sie war schon mal in der Landeshauptstadt in der Postzentrale, aber so richtig weit weg war sie noch nie. Einmal, als sie noch ein Kind war, ist sie mit ihren Eltern nach Salzburg gefahren, aber am deutschen Eck hat sie schon so derartig Heimweh bekommen, dass ihr Vater schließlich bei der nächsten Ausfahrt rausgefahren ist und umgedreht hat. In Wahrheit war es ihm eh recht und der Mama auch.
Liesl ist einfach gern daheim. Sie hat nichts gegen die Welt da draußen, sie hat nur überhaupt keinen Drang, sie kennenzulernen. Wozu auch? In Öd ist es wunderschön. Vielleicht manchmal ein bisschen öd, aber dafür gibt es ja noch Oberöd und Unteröd. Oberöd hat zum Beispiel einen Nah & Frisch zu bieten, da ist auch die Post untergebracht, nachdem sie die anderen Filialen geschlossen haben. Und eine Kirche und einen Friedhof hat's auch. Außerdem gibt es in Öd einen Recyclinghof. Das ist quasi der moderne Dorfplatz. Zwischen Altpapier und Glascontainer trifft man sich jeden Samstag und tauscht den neuesten Tratsch aus. Und die Diskont-Tankstelle am Ortseingang ist die neue Wasserstelle. Da hockt jeden Abend auf mitgebrachten Campingstühlen die Jungbauern-Dorfelite mit ihren aufgemotzten Kleinwägen und wartet darauf, dass was geschieht. Es geschieht natürlich nix. Aber das hat auch was Verlässliches und Beruhigendes an sich, wenn man bedenkt, was sonst so alles in der Welt passiert.
Einen Badesee gibt's auch, mit Algen und einem Kiosk. Wenn kaltes Wetter ist, gibt's keine Algen, aber auch keinen Kiosk. Der Brenner Rudi wollte einmal einen Campingplatz am See errichten, aber die Gemeinde hat sich quergestellt. Seitdem ist er im Clinch mit dem Gemeinderat. In letzter Zeit wird gemunkelt, dass eine internationale Investorengruppe ein riesiges Wellness-Retreat direkt am See errichten will. Viel Spaß mit den Algen.
In Unteröd gibt's sogar ein Businesscenter aus Waschbeton. Aber das steht leer. Da hat sich schon einmal ein Investor verspekuliert. Alle anderen hätten ihm das vorher schon sagen können. Es heißt aber, dass da jetzt bald ein Friseur oder ein Brautmodenladen reinkommt. Aber das sagen die Leute schon seit Jahren. Bis das passiert, sind die meisten schon wieder geschieden. Einen Prominenten kann Öd übrigens auch vorweisen. Aus der Schlagerbranche.
Die Schottergrube gehört der Schwester vom Brenner Rudi. Die zwei sind allerdings spinnefeind. Aber mit wem ist der Brenner Rudi das nicht?
Gleich an der...
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