Schweitzer Fachinformationen
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Aus heutiger Sicht gesehen war die Küche meiner Kindheit eher murklig. Sie befand sich im Keller, den man damals vornehm Souterrain nannte und der heute zum Tiefparterre hochstilisiert ist. Sie hatte einen reichlich porösen unebenen Zementfußboden und statt einer Wasserleitung eine Pumpe mit Spülstein. Auch das Meublement war bescheiden. Es bestand aus einem wurmstichigen Küchenbuffet für Geschirr, Bestecke und Töpfe und einem Schrank, in dem alles andere Gerät, das man so in der Küche brauchte, untergebracht war. Es gab einen kleinen Brottisch und einen großen Tisch am Fenster, unter dem die beiden Zinkwannen für den Abwasch standen. Die Wände waren gekalkt und über dem Herd von Ruß geschwärzt.
Der Herd war natürlich der Mittelpunkt des Ganzen, ein betagtes Ungetüm, das noch von dem früheren Bewohner des Forsthauses, einem Förster meines Großvaters, stammte. Er war nicht irgendein beliebiger Gegenstand, er gehörte zur Familie und war, wie wir alle, ein eigenwilliger Charakter, der sich nichts gefallen ließ, am wenigsten von schusseligen Stubenmädchen, die, wie Mamsell behauptete, eher den Spruch »Arbeite fröhlich und gediegen, was nicht fertig ist, bleibt liegen« beherzigten als den von den fleißigen Händen, die kein Ende finden, und ihn gedankenlos mit nassem Holz vollstopften. Die Strafe folgte denn auch im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Fuße. Die Ofentür öffnete sich wie von Geisterhand, und eine Ladung angekohlten, rauchenden Holzes landete auf den Schuhen des aufkreischenden Mädchens. Wenn man ihn mit zu viel Kien fütterte, um so schnell wie möglich Kohlen und Holz zum Brennen zu bringen, nahm er es übel. Es entstand in Windeseile eine derart mörderische Hitze, dass die Herdplatte zu glühen und das Wasser im Seitenschiff zu brodeln begann. Dann war es höchste Zeit, einen Teil der Glut in den Ascheimer zu befördern, die Ofentür zu öffnen und das Fenster aufzureißen, damit sich der echauffierte Herd wieder beruhigte.
Mamsell hasste ihn von ganzem Herzen und ließ nicht nach, sich über ihn zu beschweren und einen neuen zu fordern, womit sie natürlich bei Vater auf taube Ohren stieß. Er sah gern über alles hinweg, was er nicht selbst benutzen musste. Zum Beispiel war das Tranchiermesser ein geheiligter Gegenstand, dessen Klinge er genau prüfte, ehe er es in Gebrauch nahm. »Hat schon wieder ein Idiot Kien damit geschnitten? Ist ja ganz schartig«, behauptete er jedes Mal, und während alle Augenblicke neue Wundermesser gekauft werden mussten, verhallten Mamsells Klagen ungehört. Galt denn nicht im ganzen Dorf unsere Küche geradezu als hochherrschaftlich? Na also!
Und er hatte recht, sie tat es. Allein schon dieser Luxus, eine Pumpe in der Küche! Nicht mehr die ewige Schlepperei mit den Wassereimern vom Hof! Und dann dieser wundervolle Herd, ausgestattet mit zwei Röhren, einer zum Backen und einer zum Braten. In manchen Häusern gab es nur eine Art Feuerstelle, aus Backsteinen gemauert, mit offenem Kamin, durch den die Sterne schauten. Und Dohlen, die ein Nest im Schornstein in Erwägung zogen und sich dazu ein wenig umsahen, kam plötzlich ein zum Wenden in die Luft geworfener Eierkuchen entgegengesegelt. Von einem solchen Herd, wie wir ihn hatten, konnte man nur träumen. Außerdem wusste doch jedermann, dass Seine Königliche Hoheit, der Prinz von Hannover und Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Kommandeur der Ziethenhusaren in Rathenow, nach einer Jagd bei meinem Großvater des Öfteren im Försterhaus eingekehrt war und den Rehrücken der Förstersfrau immer besonders gelobt hatte!
Unsere Küche besaß für Mensch und Tier die gleiche Anziehungskraft. Wintermärchen, das Pferd meiner Schwester, liebte es, in den Garten einzudringen und von dort aus seinen Kopf durchs Küchenfenster zu stecken, um die Streusel vom Blechkuchen zu fressen, der von Mamsell zum Auskühlen aufs Fensterbrett gestellt worden war. Die Backröhre diente im Sommer als Brutkasten für zu früh geschlüpfte Küken, die dort in einem Schuhkarton dem rauen Leben auf dem Hühnerhof entgegenpiepsten. Junge Katzen strichen Mamsell um die Beine, und von uns aufgelesene, aus dem Nest gefallene Spatzenjunge wollten gefüttert werden. In der Küche herrschte Burgfrieden, und so trottete Möpschen, unser Bernhardiner, nur hin und wieder zur offenen Backröhrentür, um die Küken vorsichtig zu beschnuppern, wobei ihm vor lauter Gier nach diesen zarten Leckerbissen der Sabber nur so heruntertropfte. Auch die Katze hielt sich fern. Allein die Unart, sich in die Schüssel mit dem Quark zu legen, der sich mit Hilfe von Natron in Kochkäse verwandeln sollte, war ihr schwer abzugewöhnen.
In unserer Küche gab es ein ständiges Raus und Rein. Wir waren sehr unruhige Kinder und hielten es nicht lange an einem Ort aus. Außerdem waren wir Topfgucker der schlimmsten Sorte und gaben dabei mit großer Wichtigkeit die von den Erwachsenen aufgeschnappten Weisheiten zum Besten. Mamsell war die Geduld selbst und hörte sich den größten Unsinn gelassen an. Nur wenn wir anfingen, uns zu zanken, schmiss sie uns raus.
Die Küche war zudem Schauplatz vieler turbulenter Ereignisse. So beförderte Tante Herta unsere Hauskröte, die sich gerade auf dem Weg von der Kellertreppe zu ihrem Stammplatz unter dem Spülstein neben der Pumpe befand, fast ins Jenseits. Sie stolperte auf der letzten Stufe und versuchte sich vergeblich am Butterfass festzuhalten. Tante und Fass stürzten zu Boden, und die Buttermilch ergoss sich zu Möpschens großer Freude durch die Küche. Oder der für die Gäste im Wasserbad zubereitete Spargelpudding klebte plötzlich an der Decke, weil Mamsell die Form zu hastig geöffnet hatte. So manches Stück wertvollen Porzellans ging zu Bruch, darunter zwei besonders erlesene Mokkatassen, weil Möpschen hin und wieder über die Tauben, die vor dem Küchenfenster auf und ab spazierten, so in Rage geriet, dass er auf den Küchentisch sprang, auf dem die Kostbarkeiten gerade des Abwaschs harrten.
Aber das war nichts gegen das, was Tante Hertas Dackel passierte. Das streitsüchtige Tier griff in der Küche plötzlich Möpschen an, und es gab eine wilde Beißerei. Mamsell fackelte nicht lange. Sie nahm, wie sie glaubte, einen Topf mit Wasser und leerte ihn über beide Hunde aus. Den größten Teil bekam der Dackel ab, der sich augenblicklich in eine Art Zuckerschnecke verwandelte. Was Mamsell für Wasser gehalten hatte, war eine von ihr vorbereitete Zuckerlösung für Obst gewesen, das sie einwecken wollte. Sie schmiss die verdatterten Hunde raus und hatte alle Mühe, die verklebte Küche wieder einigermaßen begehbar zu machen. Als sie damit fertig war, fielen ihr die Hunde wieder ein, die sich inzwischen wahrscheinlich gegenseitig völlig zerfleischt hatten. Doch als sie auf den Hof kam, sah sie die beiden friedlich vereint auf dem Rasen liegen. Mamsell rief den Bernhardiner, aber der kümmerte sich nicht darum. Er war ganz damit beschäftigt, den Dackel abzulecken. Möpschen liebte Süßes über alles, er leckte und leckte, und der Dackel schien seine Streitsucht vergessen zu haben. Von da an waren die beiden Freunde fürs Leben.
Unsere Küche war aber auch ein Ort der Bekenntnisse und Beichten. Junge Tanten, die nach Bällen in Berlin den kleinen Abstecher in unsere Wildnis nicht scheuten und gern einmal bei meinen Eltern hereinschauten, schütteten Mamsell ihr Herz aus. Sie sahen ihr beim Kochen zu und redeten und redeten, während Mamsell alle Augenblicke nach den Kartoffeln kuckte, die nicht kochen wollten, weil der Herd mal wieder nicht genug Hitze gab, und »Miststück!« vor sich hinmurmelte, womit sie natürlich den Herd meinte und nicht - wie die Tanten, gerührt über so viel Teilnahme, annahmen - den treulosen Verehrer.
Der Herd war und blieb für Mamsell ein leidiges Thema, das anscheinend im Frühjahr besonders akut wurde, wenn der Schornsteinfeger kommen sollte, der jedoch gern auf sich warten ließ.
Mit dem Frühling war es nicht anders. Auch er nahm sich Zeit und konnte es, was Verspätung anging, durchaus mit der Kleinbahn aufnehmen, die, je nach der Zahl der Waggons, vor jeder kleinsten Steigung eine längere oder kürzere Verschnaufpause einlegen musste. Zwischendurch foppte er uns gern mit ein paar überraschend warmen, fast sommerlichen Tagen, was uns sofort herumnölen ließ: Wir wollten endlich nicht mehr die kratzigen langen Wollstrümpfe tragen, sondern Kniestrümpfe oder Söckchen, warm genug dafür sei es doch nun wirklich. Wie immer gab Mutter nach. Endlich waren wir auch das verhasste Leibchen mit den Strumpfhaltern los, an die die Strümpfe geknöpft waren. Aber nur für kurze Zeit. Das Wetter schlug um, und Husten und Fieber waren die Folgen unseres Leichtsinns, von Mutter als schwere Grippe, von Vater als leichte Erkältung bezeichnet. Während sich die Temperaturen bereits wieder bedenklich dem Gefrierpunkt näherten und vorwitzige Schneeglöckchen, Krokusse und Osterglocken auf dem Rasen von Schlackerwetter überrascht wurden, bekam man kalte Wickel, die das Fieber herunterdrücken sollten, verbrauchte unzählige Taschentücher, trank schaudernd Huflattichtee aus einer von Tante Herta selbst zusammengestellten und von ihr wärmstens empfohlenen Kräutermischung, die grauenvoller als Lebertran schmeckte, fror und schwitzte abwechselnd vor sich hin, das Fieber stieg weiter, und die Tapetenmuster schnitten einem Fratzen. Mutter bestand auf einem Arzt, was Vater völlig überflüssig fand. »Willst du diesen armen Menschen wegen so einer Lappalie wirklich bei Sturm und Regen hierher hetzen?«
»Ja, das will ich«, sagte Mutter sehr bestimmt. Das Fräulein vom Amt, ebenfalls stark verschnupft, erkundigte sich teilnehmend, ob es etwas Ernstes sei, ehe sie meine Mutter mit...
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