Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Vaters Gefühle gegenüber seinem Schwager waren zwiespältig. »Der gute Karl weiß nicht nur alles, er weiß auch alles besser«, schimpfte er gern. Die beiden kabbelten sich oft, was Onkel Karl jedoch nicht hinderte, allein oder mit der Familie häufig mal eben von seinem zwei D-Zugstunden entfernten Gut »auf einen Sprung« zu uns zu kommen.
Uns Kindern war Onkel Karl ziemlich gleichgültig. Wir liebten Tante Sofie, und wir hassten unsere gleichaltrige Kusine Elisabeth.
Klein-Didi, wie sie von ihrem Vater zärtlich genannt wurde, war ein rechtes Goldkind. Sie hatte seidiges, blondes Haar, und ihre Haut verdunkelte sich in der Sommersonne nicht wie bei uns zu einem schmutzigen Braun, sondern behielt bis in den Winter hinein einen warmen Honigton. Teure Ballettstunden hatten dafür gesorgt, dass ihre Bewegungen anmutig und geschmeidig waren. Sie liebte es, sich wohlgefällig im Spiegel zu betrachten, sich vor ihm hin und her zu wenden und ihr Körperchen wie Knete zu streicheln und zu betasten.
Wir waren froh, wenn wir von den Erwachsenen in Ruhe gelassen wurden. Sie aber trieb sich mit Vorliebe bei ihnen herum und war ganz Ohr, wenn uralte Familiendramen neu aufgebacken wurden. Vater mochte es nicht, wenn man ihm zu nahe auf den Pelz rückte. Er machte deshalb jedesmal unwillkürlich eine scheuchende Bewegung, als wollte er eine lästige Katze verjagen, wenn sie sich zwischen ihn und ihren Vater auf das Sofa quetschte. Onkel Karl war dagegen ganz vernarrt in seine Tochter. »Na, mein Mäuschen«, schnurrte er, und Didi warf ihr langes, offenes Goldhaar zurück, so dass es Vater unangenehm in der Nase kitzelte, und piepste: »Ach, Papilein.«
Für uns war sie eine scheinheilige, verlogene, boshafte Hexe, raffiniert genug, uns Geschwister im Handumdrehen gegeneinander aufzuhetzen, so dass wir den verdutzten Eltern unerwartet den Anblick dreier sich streitender, prügelnder kleiner Idioten boten, während Didi selbst, ein Bild süßer Harmonie, still in einer Ecke saß und, vor sich hinsummend, eifrig malte. Meinen sonst schon recht vernünftigen Bruder Billi verhexte sie beim Angeln derart, dass er wie ein Irrer lachte, anstatt ihr eine zu kleben, als sie die gefangenen Plötzen und Barsche wieder zurück in den See warf. Ja, er entblödete sich nicht, ihr dabei noch zu helfen, während Bruno, der Krepel, vor Wut über so viel Schwachsinn fast einen seiner epileptischen Anfälle bekam.
Vor Didis Habgier war nichts sicher. Sie klaute mir meine gläserne Lieblingsmarmel, in die ein weißes Lamm eingeschlossen war, und köpfte unsere schönsten Papierpuppen, ohne dass wir ihr etwas nachweisen konnten. Ihr letzter Besuch bei uns im Forsthaus war besonders unerfreulich gewesen. Die schlimmste Gemeinheit hatte sie sich noch kurz vor ihrer Abreise geleistet. Vater war mit Tante Sofie ins Kinderzimmer gekommen, als sie sofort losquengelte: »Mami, Omamis Spieluhr.«
»Ja, ja, das Leben ist voller Erinnerungen«, sagte Tante Sofie, die herzensgute, ohne zu begreifen, worauf ihre Tochter eigentlich hinauswollte.
»Aber sie gehört mir«, rief das Goldkind. »Kannst Paps fragen.«
»Das ist mir neu«, sagte Tante Sofie.
»Vera hat sie von ihrer Großmutter bekommen. Ich war selbst dabei, als Mutter sie ihr geschenkt hat«, sagte Vater.
»Aber natürlich, Alfred«, beschwichtigte ihn Tante Sofie. »Die Sache ist doch nicht der Rede wert.«
Aber für Didi war sie es durchaus. Sie steckte sich hinter ihren Vater, und Onkel Karl hatte eine kleine Aussprache mit Tante Sofie, die daraufhin mit unglücklichem Gesicht zu Vater ging. Er kämmte mir gerade das Haar, was er gern tat, und sah sie erstaunt an. »Was hast du denn?« fragte er.
Tante Sofie tat einen tiefen Seufzer. »Karl lässt mir mal wieder keine Ruhe. Er behauptet fest, unserer Elisabeth gehöre die Spieldose, so stünde es auch im Testament. Er sagt, sie habe einen beträchtlichen Wert. Du kennst ihn ja.«
»Bin ich vielleicht ein Erbschleicher?« Vater ließ seine Gekränktheit an meinen Haaren aus, und ich schrie. »Meinetwegen kann eure Elisabeth dieses verdammte Ding haben. Ich werde es Vera erklären. Sie ist eine sehr vernünftige Person.«
Vera jedoch dachte nicht daran, eine vernünftige Person zu sein. Sie weinte und wütete, bis Vater ratlos schnauzte: »Schluss jetzt, benimm dich! Reiß dich zusammen, stell dich nicht an!«
Triumphierend zog unsere Kusine mit der Spieldose ab, und Abend für Abend mussten wir in unseren Betten mit anhören, wie aus ihrem Zimmer das Lied ertönte: »Mein Hut, der hat drei Ecken.«
Vera strampelte vor Wut und sagte: »Eines Tages bring ich sie um. Ich erwürge sie mit meinen eigenen Händen.« Eine Redensart, die sie irgendwo aufgeschnappt hatte.
»Leere Drohungen«, sagte ich.
»Wirst schon sehn«, versicherte Vera.
Und jetzt stand uns Didi schon wieder ins Haus.
»Können die nicht mal in den Ferien woanders hinfahren«, brummte Billi. Vorsorglich versteckten wir, woran unser Herz hing: einen Bismarckkopf, auf dem man Gras säen konnte, eine aufziehbare Maus, den Karton mit den Papierpuppen und unsere Schuhspangen vom Lumpenmann.
Wie gewöhnlich reiste die Familie mit dem Abendzug an. Als Mamsell den Spargelpudding aus dem Wasserbad nahm, hielt der Wagen vor dem Haus. Zuerst pellte sich Onkel Karl zappelig wie gewöhnlich aus den Decken und sprang aus dem Wagen. »Schlechte Zeiten, Alfred, schlechte Zeiten.« Er küsste Mutter die Hand. Ihm folgte, füllig und schweigsam, Tante Sofie. Sie bedachte jeden von uns mit einem freundlichen, aber abwesenden Lächeln. In der Familie galt sie als etwas eigentümlich, weil sie oft in Gedanken versunken vor sich hinstarrte. In Wahrheit war sie wohl nur ein wenig träge und litt mit stoischer Ruhe unter ihrem ungeduldigen und rechthaberischen Mann. Hinter ihr hüpfte unsere Feindin vom Trittbrett. Den Schluss bildete Wilhelma, ein gutartiges, unterdrücktes, ziemlich hässliches Wesen, das von seiner älteren Schwester unter dem Deckmantel größter Fürsorge schikaniert wurde.
»Gib mir meine Brille wieder«, hörten wir Wilhelma klagen. Sie stolperte und schlug sich das Knie auf.
Didi drehte sich nach ihr um. »Pass doch auf, Dummchen.«
»Immer nimmst du sie mir weg«, weinte die Kleine.
»Nur, damit du sie nicht verlierst.« Didi wischte ihr mit dem Taschentuch so kräftig über die Schramme, dass Wilhelma aufschrie und nach ihr schlug.
»Aber, aber!« Onkel Karl drehte sich nach seiner kleinen Tochter um. »Wie kann man sich nur so anstellen. Heb lieber deine Füße.«
»Ich seh aber nichts«, schrie Wilhelma.
»Du musst nicht immer das letzte Wort haben«, verwies sie der Onkel. »Kinder in deinem Alter sollten überhaupt nicht so viel reden.«
Wir Geschwister sahen uns an. Die Kleine konnte einem leid tun.
Unsere Kusine war kaum eine Stunde im Haus, und schon hatte sie es mühelos fertiggebracht, uns bis ins Mark zu kränken. Sie hatte fünf Vornamen - wir hatten nur drei. Sie besaß eine echte Vollblutstute - Vera nur ein Hinkebein als Pferd. Ich würde dieselbe dicke Nase wie Onkel Adalbert, der Puffbiber, bekommen, und für Billi sei es höchste Zeit, unser Kuhdorf zu verlassen, sonst werde sich sein Brett vorm Kopf zu einem Scheunentor auswachsen.
Vater las mir die Leviten, weil sich am nächsten Morgen auf meinem Frühstücksteller unverschämt viel Pelle der guten Schlackwurst angesammelt hatte, und blamierte mich mit der Bemerkung »du Raffzahn« vor dem Besuch. Dabei war es Didi gewesen, die ihre Pelle dazugelegt hatte. Ich rächte mich, indem ich eine Küchenschabe zerhackte, sie in ein Stück Nusstorte drückte und schadenfroh zusah, wie Didi es sich schmecken ließ. Als sie hörte, was sie da eben gegessen hatte, begann sie fürchterlich zu würgen, und ich jubelte: »Elisabeth, wie ist dein Bett, krumm oder gerade!«
Sie verpetzte mich nicht. Sie hatte ihre eigenen Methoden.
Vater veranstaltete zur Unterhaltung der Gäste ein Preisangeln, und Didi, die herumtönte: »Die Preise hat mein Paps ganz allein gestiftet«, ließ es sich nicht nehmen, mir, der Siegerin, den ersten Preis, ein großes Schraubglas voll Himbeerbonbons, zu überreichen. Dabei täuschte sie vor zu stolpern und ließ das Glas geschickt in ein Modderloch am Ufer fallen, wo es sogleich mit einem schmatzenden Geräusch auf Nimmerwiedersehn verschwand.
Scheinheilig jammerte sie: »Was bin ich bloß für ein Tollpatsch!« - und schnitt mir eine höhnische Grimasse. Vater fiel prompt auf ihr Theater herein. »Das hätte mir ebensogut passieren können, mein Kind. Mach dir nichts draus«, tröstete er sie. Ich musste mich mit einer schäbigen Rolle Drops abfinden.
Wenn Didi nun wenigstens eine Heulsuse, ein Feigling gewesen wäre. Aber den Gefallen tat sie uns nicht. Sie sprang vom höchsten Balken ins Heu, radelte den steilsten Berg freihändig hinunter und näherte sich dem wütend mit den Hufen scharrenden Bullen auf der Weide bis auf wenige Schritte, obwohl er sich schon zweimal von der Kette gerissen hatte. Widerwillig bewunderten wir sie, wenn sie sich bei unseren Streifzügen in einer Koppel auf ein fremdes Pferd schwang und ohne Zügel und Sattel mit wehendem Haar das erschrockene Tier zu immer schnellerem Galopp zwang. Als Billi hämisch sang: »Ach, wenn die Elisabeth nicht so krumme Beine hätt«, setzte sie ihm ihre Elfenhand mitten ins Gesicht, dass ihm die Funken vor den Augen tanzten.
Der Einzige, vor dem sie sich in Acht nahm, war Bruno. Seine Wutanfälle nötigten auch ihr Respekt ab. Einmal hatte sie, um ihn zu ärgern, einen Klumpen Dreck nach seinem Kater Mauzer geworfen und ihn zielsicher getroffen. Der Kater war vor Schreck auf einen Wäschepfahl...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.