Schweitzer Fachinformationen
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Möpschen wälzte sich gerade genüsslich im Garten in dem von uns mühsam zusammengeharkten Laub, und Vater erklärte uns, warum uns nach dem herrlichen Sommer nun ein so schöner Herbst mit besonders buntem Laub beschert wurde: Durch die viele Sonne hätten die Bäume besonders viel Zucker produziert, und daher leuchteten die Blätter jetzt so intensiv. Danach wollte er von uns wissen, wieso das Laub sich überhaupt verfärbte. Glücklicherweise blieb uns eine Antwort erspart, denn Mutter erschien und sagte mit derselben feierlichen Stimme, mit der das Mädchen das angerichtete Diner anzukündigen pflegte: «Herr Ruhnke hat sich angesagt!«
«Oh», sagte Vater.
Mutter tat einen abgrundtiefen Seufzer. «Und ich hatte mir gerade vorgenommen, nach Berlin zu fahren.«
«So viele Neuigkeiten auf einmal», sagte Vater. «Erst Herr Ruhnke und dann du nach Berlin. Von diesem Plan weiß ich ja noch gar nichts.«
«Nun weißt du es.» Mutter dachte gar nicht daran, sich mit Erklärungen aufzuhalten. Sie war ganz mit Herrn Ruhnke beschäftigt, den wir Onkel nennen durften und der eine sehr wichtige Person für Vater war. «Ach, es ist zu ärgerlich. Immer kommt einem was dazwischen.«
«Nun, wir müssen alle Opfer bringen», sagte Vater. «Dafür klingelt's dann aber ordentlich in der Kasse.«
«Bei dir viellicht. Ich hab davon noch nicht viel gemerkt. Wir haben im Haus nur die Arbeit, und Mamsell hat das Vergnügen, sich mit diesem altersschwachen Herd rumzuplagen, damit der Herr an unserem Essen nichts auszusetzen hat.«
«Er ist eben ein Feinschmecker.» Vater legte ihr begütigend die Hand auf die Schulter. «Aber wie ich Mamsell kenne, wird es ihr meisterhaft gelingen, ihn zufrieden zu stellen.«
Doch Mutter war anzumerken, dass sie nicht beruhigt werden wollte, und so verzog er sich mit dem Hinweis, er müsse dringend nach dem Fernglas suchen, das mal wieder nicht an seinem Platz hänge.
«Wahrscheinlich weggeschleppt von dem berühmten Irgendjemand», sagte Mutter spöttisch. Das Fernglas stammte noch vom Urgroßvater, und jedes normale Auge konnte schärfer sehen. Aber Vater behauptete, er könne damit noch auf fünfzig Meter Entfernung einen Zaunkönig entdecken.
Kaum war Vater gegangen, nahm sich Mutter meinen Bruder vor. «Kind, wie sehen deine Haare aus. Die muss ich unbedingt noch schneiden lassen.«
Er fasste sich unwillkürlich an den Kopf. «Warum das denn?«
«Weil ich keine Lust habe, mir das stundenlange Gedröhne von Herrn Ruhnke anzuhören, wie der Haarschnitt eines deutschen Jungen auszusehen hat.«
«Aber auf keinen Fall in Ferchesar!», sagte mein Bruder beschwörend. Der Dorffriseur konnte nur den Topfschnitt und befeuchtete die Haare, indem er einen Schluck Wasser nahm und ihn über den Kopf des Kunden sprühte.
Wir mochten Onkel Otto, vor dem Mutter sich so grauste, ganz gern. Er brachte uns immer schöne Sachen mit, mir zum Beispiel einen Miniatur-Schokoladenautomaten, aus dem man kleine Schokoladentäfelchen ziehen konnte, wenn man einen Groschen hineinwarf. Letzteres taten leider nur gütige Onkel und Tanten. Die Geschwister hingegen handelten nach dem Familienmotto: Was dein ist, ist auch mein, und was mein ist, geht dich gar nichts an. So fand mein Bruder sehr schnell heraus, wie sich der Automat auch ohne den von mir gehüteten Schlüssel öffnen ließ.
Onkel Otto konnte außerdem ebenso spannende wie anschauliche Geschichten aus seinem Jägerleben erzählen. So erfuhren wir, dass bei den Wölfen die Wölfinnen oft bessere Leittiere seien als die männlichen Tiere, ja auch deren Junge eine Sonderstellung hätten und von der Beute die besten Bissen abbekämen. Das fand meine Schwester phänomenal, und als zwei Vettern und eine Kusine in den Herbstferien zur Vesper erschienen waren, schaffte sie es, uns zum Wolfsrudelspielen zu überreden. Und so rannten wir mit ihr an der Spitze hechelnd durchs Dorf, hinter uns das bellende Möpschen, das nicht recht wusste, was es davon halten sollte. Aufgrund des Tempos, das meine Schwester anschlug, gerieten wir schnell außer Atem und wurden des Spiels überdrüssig, zumal sie von uns verlangte nachzusehen, ob sich in unseren Taschen nicht irgendwo ein Himbeerbonbon oder eine Lakritze verkrümelt hatte, die ihr als Leittier zustand. Da zeigten wir ihr nur einen Vogel und trotteten nach Haus, wo wir uns den Rest des Tages einem der sinnlosesten Kartenspiele meiner Kindheit hingaben, Tod und Leben, bei dem es weder Verlierer noch Gewinner gab.
Inzwischen hatten wir begriffen, weshalb mit Onkel Otto viel mehr Umstände als mit der Verwandtschaft gemacht wurden. Onkel Otto war ein zahlender Jagdgast und ein großzügiger dazu, der, um einen guten Hirsch zu schießen, nicht knauserte. Vater verriet nie, wie viel so ein Tier an barer Münze einbrachte. Es musste sich aber immer gelohnt haben, denn nach Onkel Ottos Abreise blätterte er meist gedankenvoll in einem kostbare Bäume anbietenden Katalog, spendierte jedem von uns Kindern eine Tüte Himbeerbonbons und beglückte Mutter mit einem hübsch eingepackten Schächtelchen vom Juwelier, das er bescheiden «eine Kleinigkeit» nannte, und mehr war es auch nicht.
Nachdem Onkel Otto also nun wieder ins Haus stand, wurde ein pensionierter Förster angeheuert, der gemeinsam mit Vater einen stattlichen Zwölfender ausmachte, den sie beschatteten, um seine Gewohnheiten herauszukriegen. Währenddessen ließ Mutter das Haus auf Hochglanz bringen und brütete Mamsell über ihren Kochbüchern, um den Gast mit etwas Außergewöhnlichem zu verwöhnen.
Auch wir Kinder hatten unseren Beitrag zu leisten: Wir mussten den Zwinger am Ende des Gartens säubern. Ebenso wie der Herd stammte er noch von anno dazumal, nämlich von unserem Vorgänger im Haus, dem Förster meines Großvaters. Seitdem war der Zwinger nicht mehr benutzt worden und gammelte mit verrosteten Stäben, einer quietschenden Tür, fast ganz vereinnahmt von Schneeball- und Holunderbüschen, Jahr um Jahr vor sich hin. Nur die Hühner kratzten manchmal ein wenig darin herum, Möpschen hielt dort gelegentlich seinen Mittagsschlaf, und wir spielten Affen im Zoo, wobei selbstverständlich ich der einzige Affe war, dem man gütig ein paar Haselnüsse durch die Stäbe reichte. Aber nun wurde der Zwinger dringend gebraucht, denn Onkel Otto kam selbstverständlich mit dem unvergesslichen Hannibal, einem Jagdhund erster Klasse, der bei jedem Wettbewerb die Preise nur so abräumte. Er gehorchte aufs Wort, und wo immer Onkel Otto ihn ablegte, harrte er aus, bis ein bestimmter Pfiff seines Herrn ihn erlöste, egal, wie lange er darauf warten musste. Doch noch erstaunlicher war ein Dressurakt, der uns bei Möpschen nie und nimmer gelungen wäre. Sein Herr warf ihm etwas Fressbares zu, auf das der Hund besonders scharf war. Doch Hannibal rührte es nicht an, bis Herr Ruhnke ihm ein Zeichen gab, indem er mit dem Finger schnippte.
«Ein kluger Hund», sagte Vater bewundernd. «So was hätte ich auch gern.«
«Wofür denn?», sagte Mutter. «Du gehst doch kaum auf die Jagd. Höchstens mal auf Enten.«
«Eben», sagte Vater. «Hannibal apportiert Enten bestimmt erstklassig.«
Mutter lachte. «Bestimmt nicht besser als dein Sohn. Den schickst du doch geradezu mit Wonne bei jeder Temperatur ins Schilf.«
Vater warf meinem Bruder einen schrägen Blick zu. «Tu ich das?«
Mein Bruder nickte anklagend. «Und immer da, wo es die meisten Miesmuscheln gibt, damit ich mir die Füße schön zerschneide.«
Im Wald herrschte inzwischen Hochbetrieb, und die Hirsche waren mächtig zugange. Ihre majestätischen Brunftschreie drangen nachts bis in unser Schlafzimmer.
Der große Nimrod kam angereist, und während Förster Leisegang Onkel Ottos prachtvolle Büchse bewunderte, hatte es uns Kindern mehr seine graue Strickmütze angetan. Sie besaß die Form eines Baumkuchens, war mit einer großen roten Bommel ausgestattet und stammte aus Finnland. Und natürlich zeigten wir größtes Interesse für Hannibal, eine, wie uns der Onkel erklärt hatte, urdeutsche Hunderasse, speziell für die Jagd gezüchtet. Der Onkel war ungeheuer stolz auf ihn, aber er achtete streng darauf, dass er nicht verpimpelt wurde. Denn, wie er uns erklärte, Hannibal war schließlich kein Luxus- oder Modehund. Uns war es daher untersagt, mit ihm herumzualbern, wie wir es mit Möpschen taten, und ihm womöglich Pfötchengeben beizubringen. Herr Ruhnke hatte kaum den Mantel abgelegt, da beauftragte er uns schon, den Hund in den Zwinger zu bringen, was Hannibal traurig, aber gehorsam zuließ, allerdings nicht ohne vorher schnell noch der schwanzlosen Katze einen kleinen Stups zu geben, sodass sie empört aufmauzte.
«Vielleicht könntest du ihm ja Gesellschaft leisten», sagte mein Bruder, während er den Riegel vorschob. «Als Affe warst du doch sehr gut.«
«Wer's sagt, isses selber», sagte ich wütend und ging auf ihn los. Aber da rief uns Mamsell zum Mittagessen, und wir hatten noch nicht die Hände gewaschen und uns gekämmt.
Das Essen konnte sich wirklich sehen lassen. Es gab Huhn nach Moskauer Art, ein Rezept, wie Mamsell uns kundtat, von Ihrer Durchlaucht Elise Erbprinzessin Reuss, jüngere Linie. Auch der Nachtisch, Schlagrahm mit Pumpernickel, war hochadlig und eine Kreation Ihrer Hoheit, der Herzogin Karoline Mathilde zu Schleswig-Holstein. Natürlich gab es nur ein Thema: die Jagd. Aber es ging nicht nur um den Hirsch im tiefen Forst und die Ente auf dem See, sondern auch um Wild in fernen Ländern. Der Onkel war recht eloquent, und so sahen wir vor unserem geistigen Auge die Büffel galoppieren, die Leoparden schleichen, die Bären brummend durch die Wälder trotten und den Fischadler kreisen. Und Vater mahnte mich mehrmals: «Kind,...
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