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Markus Wuebben
https://www.marketing-boerse.de/Experten/details/Markus-Wuebben
"It is the customer who determines what a business is, what it produces, and whether it will prosper" [1].
Die 1990er- und 2000er-Jahre können als die Geburtsstunden der datengetriebenen Kundenbindung angesehen werden. In diesen Jahren entstanden grundlegende Werke in der Kundenbindungsforschung und erste wichtige Initiativen im Handel, die uns bis heute alltäglich begegnen.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext der 1990 im Harvard Business Review veröffentlichte Artikel von Reichheld und Sasser [2]. In diesem Werk zeigen die Autoren empirisch eindrücklich und mit großer internationaler Wahrnehmung, dass Kundenbindung, insbesondere die Kundenbindungsdauer, von herausragender Wichtigkeit für die Profitabilität einer Kundenbeziehung ist. Eines der Schlüsselergebnisse ist, dass eine Reduzierung der Kundenabwanderung ("Churn") um 5 Prozent eine Profitabilitätssteigerung von 25 Prozent bis 85 Prozent zur Folge haben kann.
Eindrückliches Zeugnis dieser Zeit sind die Einführungen von Loyalitätsprogrammen wie der Tesco Clubcard im Jahre 1994/1995 in Großbritannien [3] oder der Payback-Karte in Deutschland im Jahre 2000. Es folgten unzählige weitere. Insbesondere die Luftfahrtindustrie war einer der Pioniere der Kundenbindungsprogramme (zum Beispiel Miles & More).
Diese Loyalitätsprogramme auf Basis einer Kundenkarte, die beim Bezahlvorgang eingescannt wird, funktionieren nach einem einfachen Schema: Kunden erklären sich bereit, dass ihre Einkäufe bis auf Einzelartikelebene zugeordnet und analysiert werden können. Im Gegenzug erhält der Kunde Rabatte und Punkte, die einen monetären Wert widerspiegeln und gegen Prämien eingetauscht oder als Zahlmittel verwendet werden können.
Gerade Verbraucherschutzinstitutionen heben seit Langem immer wieder hervor, dass der Gegenwert, den Konsumenten für ihre Daten bekommen, viel zu gering sei [4]. Ob dies wirklich so ist, sei dahingestellt. Der Erfolg der Loyalitätsprogramme und das Wachstum der Teilnehmerzahlen an diesen Programmen sind jedoch ungebrochen. Nichtsdestotrotz wird uns die von Konsumenten wahrgenommene Wertigkeit von persönlichen (Kunden-)Daten noch später in diesem Artikel begegnen.
Die Möglichkeit, einzelne Warenkörbe bis auf Einzelartikelebene auf einen individuellen Konsumenten zurückzuführen, bot im Vergleich zur klassischen Bon-Analyse ungeahnte Möglichkeiten. Wir wollen an dieser Stelle jedoch nicht vergessen, auf einer der Klassiker der Bon-Analyse hinzuweisen: Bier und Windeln werden gerne zusammen gekauft. Daher haben Einzelhändler Bier und Windeln in derselben Abteilung angepriesen und das mit großem Erfolg [5]. Mithilfe der Kundenkarten konnte man nun jedoch einen riesigen Schritt nach vorne machen. So war es möglich, individuelle Kunden oder Kundensegmente über die Zeit hinweg zu analysieren und mit Marketingmaßnahmen zielgenau zu bespielen.
In dieser Zeit formte sich jedoch auch ein ganz neuer Gedanke - nämlich den zukünftigen Wert eines Konsumenten zu prognostizieren und zu steigern. Die Idee des "Customer Lifetime Value" wurde geboren und ist seitdem der heilige Gral der Kundenbindung.
Wäre es nicht schön zu wissen, in welche und wie viel eine Unternehmung in einen individuellen Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt und auf einem bestimmten Kanal investieren sollte? Genau das (und vieles mehr) bietet der "Customer Lifetime Value" (CLV). Der CLV ist der Barwert (Net Present Value) der Summe aller zukünftigen "Einnahmen" eines Kunden, abzüglich aller mit diesem Kunden verbundenen Kosten. Der CLV hat seinen Ursprung in der Finanztheorie und spiegelt eine Discounted-Cash-Flow (DCF)-Analyse wider. Kunden werden demnach als Investitionsgut angesehen, in die man investiert (Stichwort: Kundenakquisitionskosten), um dann in der Zukunft (Periode "t") mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (Retention-Rate "r") eine Rendite zu bekommen (Marge "m"). Damit man den fairen Wert zum Zeitpunkt der Betrachtung erhält, werden die zukünftigen Renditen mit einem Faktor diskontiert (Diskontierungsfaktor "d") (Abb. 1).
Abb. 1: Definition des Customer Lifetime Values.
Der CLV hat im Vergleich zu klassischen Methoden, wie zum Beispiel der RFM-Analyse [6] charmante Vorteile. Insbesondere ist der CLV eine zukunftsgerichtete Metrik. Die Vergangenheit interessiert den CLV nur insofern, als sie als Grundlage für eine Vorhersage der Zukunft beziehungsweise des CLV dient. In der RFM-Analyse, wie bei allen in die Vergangenheit gerichteten Metriken, geht man davon aus, dass die Zukunft wie die Vergangenheit verläuft. Das ist jedoch nicht (immer) der Fall. Nehmen wir einen Hersteller für Babynahrung und dessen Kunden. Wird eine RFM-Analyse am Ende des Kundenlebenszyklus gemacht, sprich, wenn Babynahrung nicht mehr adäquat für das Kind ist, so wird die RFM-Analyse diese Kunden als hochrelevant für die Zukunft auf Basis der Vergangenheit einschätzen. Eine CLV-Analyse hingegen würde für einen Kunden am Ende des Kundenlebenszyklus einen sehr viel geringeren Wert prognostizieren und ist damit viel näher an der Realität, denn es besteht ja (zumindest vorerst) kein Bedarf mehr an Babynahrung.
Der CLV ist jedoch mitunter nur "eine prognostizierte Zahl". In der Tat ist dies eines der großen Missverständnisse des CLV. Schauen wir uns hierzu nochmals drei Komponenten des CLV an: Die Retention-Rate "r" und Marge "m" pro Periode "t". Durch Modifikation dieser Parameter kann man ganz unterschiedliche CLVs berechnen. Zum Beispiel könnten wir uns fragen, wie hoch der CLV eines Kunden in den nächsten vier Wochen sein wird und berechnen dies, indem wir den Prognostizierungszeitraum ("Kundenlebensdauer") auf vier Wochen einschränken. Wir können Äquivalentes mit der Marge tun. So könnten wir uns fragen, wie hoch der CLV eines Kunden in der Warengruppe Schuhe sein wird, wenn wir die Prognose des CLV nur auf Käufe in dieser Kategorie beschränken. Man erhält hierdurch ein flexibles Werkzeug, das nicht nur für die Analyse der Wertigkeit des Kundenstamms dient, sondern für die wert-basierte Personalisierung der Marketinginitiativen verwendet werden kann. Dass die wert-basierte Personalisierung das Gebot der Stunde ist, werden wir später in diesem Artikel noch näher beleuchten.
An dieser Stelle möchte ich noch kurz auf ein wichtiges Ergebnis der empirischen CLV-Forschung eingehen, die die Analysen von Reichheld und Sasser zur Kundenbindungsdauer imposant bestätigten [7]. Die Frage, die sich die Forscherinnen und Forscher gestellt haben, war, welche Elastizitäten die Komponenten des CLV haben: Sprich, wie entwickelt sich der CLV, wenn man entweder die Kundenakquisitionskosten um ein Prozent senkt, die Retention Rate oder die Marge jeweils um ein Prozent erhöht.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Retention Rate "r" und damit die Kundenbeziehungsdauer etwa 100-mal elastischer als die Kundenakquisitionskosten und etwa drei bis sieben Mal elastischer als die Marge ist. Ich kann mir kein eindeutigeres Plädoyer für die Kundenbindungsdauer vorstellen wie dieses. Doch wie konnten diese Erkenntnisse in den Hintergrund geraten? Verantwortlich war eine Erfindung namens E-Commerce - der Handel im Internet.
Für mich persönlich bleibt die Insolvenz des traditionsreichen Versandhändlers Quelle im Jahre 2009 eine der Zäsuren im Handel [8]. Quelle hat es nicht geschafft, konsequent den Schritt in den E-Commerce zu machen. Andere Player wie Amazon, Otto und eBay waren hier ganz anders aufgestellt und begannen, das Feld von hinten aufzuräumen. Für den klassischen Versandhandel mit einer älter werdenden Zielgruppe schien kein Platz mehr. Junge, digitale Unternehmen wie auch das 2008 gegründete Zalando schossen aus dem Boden.
In dieser Phase, die in der Corona-Pandemie ihren Höhepunkt erfuhr, ging es vor allem um eines: Neukundengewinnung. Das Potenzial des E-Commerce war groß und die Anzahl der Kunden, die noch nicht regelmäßig im Internet kauften, war es ebenso. Für Kundenbindung schien nur wenig Platz und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viele E-Commerce-Unternehmen dieses wichtige Thema mit einem regelmäßigen Newsletter "abfrühstücken" wollten. Der Hunger auf ungebremstes Neukundenwachstum war immens. So rückten CLV und Kundenbindung erstmal wieder in den Hintergrund.
Gleichzeitig etablierten sich soziale Netzwerke wie Facebook, Suchplattformen wie Google und weitere...
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