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18.07.2022, Flughafen Calgary
Jetlaggeplagt und mit einem riesigen Kloß im Hals stehe ich nach einer über 20-stündigen Reise am Serviceschalter von WestJet am Flughafen in Calgary. Meine Beine sind schwer, mein Kopf dröhnt vor Müdigkeit, während ich versuche, meine Situation zu erklären. "Mein Fahrradkarton ist nicht angekommen", sage ich erneut, diesmal etwas verzweifelter. Schon bei meinem Zwischenstopp in Vancouver gab es einige Probleme. Die Mitarbeiter meinten, dass mein Fahrrad, falls es angekommen sei, höchstwahrscheinlich direkt nach Calgary weitergeflogen wäre. Jetzt warte ich hier seit Stunden, und niemand kann mir sagen, wo es ist.
Die Frau am Schalter mustert mich genervt. Es ist kurz vor Mitternacht, und sie schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen gereizt an. "Fahrrad nicht da", sagt sie schnippisch, mit gelangweilter Miene. "Kommen Sie morgen wieder."
"Morgen?" Ich starre sie fassungslos an. Ein Tsunami aus Wut, Angst und Verzweiflung droht mich zu überrollen. Wie soll ich meine Reise ohne Fahrrad machen? Die Panamericana, mein Traum, mein Lebensziel, die Chance, mein Leben zu hinterfragen und einen kompletten Neustart zu wagen - alles hängt an diesem verdammten Karton. Dabei hatte doch alles so gut begonnen. Noch vor wenigen Stunden hatte ich mich tränenreich, aber voller Vorfreude von meiner Freundin Susanne verabschiedet. Wir standen am Flughafen, umgeben von den geschäftigen Geräuschen der Abreisenden. Sie hielt mich fest umarmt, ihre Wärme spüre ich noch immer. Ein letzter Kuss, ein letzter Blick, dann verschwand sie in der Menge.
16.07.2022: Abschied von Susanne am Frankfurter Flughafen.
Natürlich hatte ich Angst, besonders in den letzten Tagen vor dem Abflug, als der Stress immer größer wurde. Ich dachte immer wieder an all die Gefahren, die mich auf der Reise erwarten könnten: ein Grizzlybär, der mich beim Wildcampen überrascht. Ein Überfall durch ein Drogenkartell. Eine Reifenpanne mitten in der Wüste. Doch dass mir gleich zu Beginn mein Fahrrad abhandenkommt und ich dann auch noch von der Fluggesellschaft so im Stich gelassen werde - das hätte ich mir im Leben nicht vorstellen können.
"Kommen Sie morgen wieder. Ich kann nichts weiter für Sie tun!", reißt mich die Flughafenmitarbeiterin aus meinen Gedanken. Ihre Stimme klingt kalt und abweisend. Ich fühle mich hilflos und allein. Total genervt von dieser unfreundlichen Art, wende ich mich seufzend ab und trotte zu einer nahegelegenen Sitzbank, um meine Gedanken zu ordnen. Völlig erschöpft werde ich von meinen Emotionen überrollt. Wie soll ich das schaffen? Bin ich dieser Herausforderung überhaupt gewachsen?
Die erste Nacht in Calgary ist eine Qual. In einer vermeintlich ruhigen Ecke des Flughafens versuche ich zu schlafen, doch die Ungewissheit lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Meine Gedanken rasen wie ein Zug, der außer Kontrolle geraten ist. Wie soll ich diese Reise ohne Fahrrad antreten? Die Reise, die ich seit Jahren geplant hatte. Die Reise, die mir nach meiner Hirntumor-Diagnose und dem folgeschweren Kletterunfall auf Mallorca neuen Lebensmut geben sollte. Ist mein Traum jetzt schon vorbei?
Der menschenleere Flughafen mit seinen grauen Hallen und niedrigen Decken wirkt trostlos. Die bedrückende Stille verstärkt meine Sorgen. In meinem Kopf spielen sich Szenarien ab, in denen ich die Reise abbrechen muss. Ich sehe all meine Pläne zerplatzen wie Seifenblasen. Vielleicht ist das ein höheres Zeichen dafür, dass ich diese Reise nicht antreten soll. Doch dann erinnere ich mich daran, warum ich überhaupt aufgebrochen bin, nämlich um mir und der Welt zu beweisen, dass ich trotz all der Rückschläge und Hindernisse meine Mission verwirklichen kann.
Die nächsten zwei Tage ziehen sich wie Kaugummi. Ich hänge in einem Airbnb in einem tristen Vorort von Calgary fest. Ohne Fahrrad und ohne Perspektive fühle ich mich wie ein gestrandeter Wal. Meine Motivation ist am Boden, und ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Die Panamericana scheint in unerreichbare Ferne zu rücken. Selbstzweifel nagen erneut an mir. Meine Eltern, mein Onkel - ein Filmemacher, der eine Dokumentation über meine Reise für den SWR drehen will -, und meine Freundin Susanne bilden eine kleine Taskforce. Sie telefonieren, recherchieren und ziehen alle möglichen Register, um mein Fahrrad aufzuspüren. Doch die Situation spitzt sich weiter zu und wird mit jeder neuen Information immer undurchsichtiger. Verschiedene Kontakte geben mir widersprüchliche Informationen. Ein Kontakt behauptet, dass mein Fahrrad in Frankfurt sei, in einem riesigen Hangar für liegen gebliebenes Sperrgepäck. Ein anderer ist überzeugt, dass das Fahrrad irgendwo in Vancouver in einer Ecke des Flughafens steht, vergessen und unbeachtet. Und dann gibt es noch die Theorie, dass es aufgrund eines falsch zugeordneten Barcodes vielleicht sogar ganz woanders in der Welt verschollen sein könnte. Meine Verzweiflung wächst mit jedem Telefonat. Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, nach Vancouver zu fliegen und selbst nach meinem Fahrrad zu suchen. Aber die Kosten für die Flüge schrecken mich ab. Diese Ungewissheit, dieses Nichtwissen, was ich tun soll, ist das Schlimmste. Es fühlt sich an, als würde ich komplett in der Luft hängen.
Über Social Media berichte ich laufend über Neuigkeiten und Updates. Die Solidarität, die mir entgegengebracht wird, ist beeindruckend. Immer mehr Menschen schreiben mir und machen mir Mut. Die nächsten Tage verbringe ich damit, ziellos durch Calgary zu wandern. Irgendwo tief in mir wartet ein Funken Hoffnung darauf, dass sich doch noch eine Lösung findet. Die Nächte sind am schlimmsten. In meinem Airbnb liege ich wach, mein Kopf voller Gedanken und Sorgen. Warum passiert das ausgerechnet mir? Warum kann nicht einmal etwas reibungslos verlaufen? Der Zweifel lastet schwer auf mir wie ein Rucksack voller Steine. Doch wie so oft in meinem Leben wird mein Motto Und trotzdem auch diesmal zum entscheidenden Anker. Ich erinnere mich an all die Rückschläge, die ich bisher durchgemacht habe. So oft bin ich schon gescheitert. So häufig gab es Hindernisse, die mich Jahre zurückwarfen.
Wie damals, als mich der Tumor lahmlegte und ich meine Karriere als Leistungssportler an den Nagel hängen musste. Die immensen körperlichen Einschränkungen hatten mich damals fast gebrochen. Es dauerte Jahre, bis ich mich zurückkämpfen konnte. Und dann zwei Jahre später ein Kletterabsturz - ich hätte sterben können. Stattdessen überlebte ich mit einem gebrochenen Arm und durchtrennten Nervenbahnen, die mir die Kontrolle über meine Hand nahmen. Wieder brauchte ich über ein Jahr, um meine Hand bewegen zu können.
Nun, da ich in Calgary gestrandet bin, fühle ich mich an diese Zeiten erinnert. Gewiss, all diese Rückschläge haben mich geformt, aber auch ihre Spuren hinterlassen. Zwar kann ich immer wieder beweisen, dass ich mich nicht unterkriegen lasse, doch nun habe ich keine Lust mehr. Endlich soll es einfach sein, ohne großes Drama. Ich bin es satt, wieder aufs Neue stark sein zu müssen. Langsam verlässt mich die Geduld. Nach außen versuche ich, besonnen zu wirken, aber innerlich brodelt es in mir, und am liebsten würde ich losbrüllen. Ich kämpfe schon so viel, überwinde so viele Hürden. Eigentlich ist mir zum Heulen zumute. Am liebsten möchte ich das Handtuch werfen! Doch zum Glück gibt es diesen unbändigen Willen, der mich bisher mein Leben lang angetrieben und mich aus all diesen Situationen herausgebracht hat. Am dritten Abend sitze ich frustriert in einem der gesichtslosen Fastfood-Restaurants in der Nähe meines Airbnbs. In einem letzten Versuch, etwas Positives zu finden, öffne ich die App WarmShowers, eine Art Couchsurfing für Radreisende, und suche nach Gastgebern in Calgary. Zu meinem Glück meldet sich gleich der erste: Eric. Er bietet mir an, bei ihm unterzukommen, und schon am nächsten Tag treffe ich ihn in einem Café in Inglewood, einem charmanten historischen Stadtteil von Calgary, der mich mit seiner lebendigen Atmosphäre sofort in seinen Bann zieht.
Eric ist ein freundlicher, ruhiger Typ, sportlich, ein bisschen alternativ, hilfsbereit und weltoffen. Er ist eher zurückhaltend, aber ich spüre sofort, dass er es ehrlich meint.
"Oh Mann, ich kann echt verstehen, wie du dich ohne dein Rad fühlst", sagt er, als er mir einen Cappuccino reicht. "Keinen Stress. Du kannst erst mal bei mir bleiben. Ich freue mich, dir helfen zu können." Eric erzählt mir von seinen eigenen Radabenteuern, während wir auf dem Weg zu seiner Wohnung durch Inglewood schlendern. Seine Begeisterung ist ansteckend, und ich merke, wie sich meine Stimmung langsam aufhellt. Wir verstehen uns auf Anhieb, und ich folge ihm mit meinem Gepäck zu seiner Wohnung.
Meine Unterkunft für zwei Wochen: Erics Wohnung in Calgary.
Erics Zuhause ist ein gemütliches Apartment - ein charmantes Chaos aus Büchern, Kunst und Fahrradteilen, welches sich über zwei Zimmer und einen kleinen Dachboden erstreckt. Ein Ort, der Kreativität und Abenteuerlust ausstrahlt. Er ist ein absoluter Fahrrad-Enthusiast. Vier unterschiedliche Fahrräder für jeglichen Einsatzzweck stehen in seiner Wohnung verteilt. Im Wohnzimmer hängt ein altes Rennrad schmuckvoll an der Wand. Karten und allerhand künstlerische Souvenirs von den kanadischen Ureinwohnern stehen herum. Es ist nicht viel, aber es ist ein Zuhause, und Eric lässt mir alle Freiheiten. Ich fühle mich sofort wohl mit seiner unkomplizierten Art und seinem Vertrauen. Dass er mir seinen privaten Raum so selbstverständlich öffnet, berührt mich tief.
"Bleib...
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