Schweitzer Fachinformationen
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Dieses Buch verdankt seine Entstehung einem massiven Bandscheibenvorfall. Das überaus schmerzhafte Ereignis streckte mich völlig unvorbereitet im Januar 2019 nieder; knapp zwei Wochen später wurde ich an der Wirbelsäule operiert. Darauf folgte die obligatorische Reha-Behandlung, in deren Verlauf ich nicht nur massiert und mit Reizstrom traktiert wurde, mich an fiesen Kraftmaschinen abquälen und schweißtreibende Gymnastikübungen absolvieren musste, sondern auch verpflichtet war, mir eine Reihe mehr oder minder aufschlussreicher Vorträge anzuhören. Vorträge über Aufbau und Erkrankungen der Wirbelsäule, über neuartige Behandlungsmethoden und postoperative Vorsichtsmaßregeln, aber auch über rückenschonendes Verhalten im Alltag und muskelaufbauende Ernährung. Im Grunde samt und sonders Dinge, von denen ich glaubte, alles Wesentliche schon zu wissen. Aber man lernt ja bekanntlich nie aus, und so erfuhr ich im Hinblick auf die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse - das gebe ich ehrlich zu - doch das eine oder andere, was mir zumindest in Teilen neu war.
Eine der Referentinnen war eine Therapeutin um die 50 mit ausgeprägtem hessischem Dialekt, deren munterem, mit konkreten Beispielen gespicktem Vortrag ich eigentlich ganz gerne zuhörte - eigentlich deshalb, weil sie die Angewohnheit hatte, uns Patienten vor Beginn ihrer Ausführungen erst einmal einen nach dem anderen streng zu mustern und zu kontrollieren, ob wir auch absolut aufrecht mit durchgedrücktem Kreuz, den Kopf erhoben und keinesfalls die Rückenlehne berührend auf dem Stuhl saßen. Wobei die allergrößte Sünde darin bestand, die Beine übereinanderzuschlagen. Das würde unweigerlich zu Krampfadern führen, wurde sie nicht müde zu behaupten. Erst wenn auch der letzte Zuhörer - nach allerlei wortreichen Ermahnungen - ihren kritischen Blicken sitztechnisch standhielt, begann sie mit ihrem Referat, das sie jedoch auf der Stelle unterbrach, wenn sich jemand erdreistete, die unbequeme Haltung auch nur ansatzweise zu lockern, um es sich ein klein wenig bequemer zu machen.
So saßen wir denn, steif wie die Zinnsoldaten, nebeneinander auf unseren Stühlen und hatten größte Mühe, der Dozentin zu folgen, nahm doch der zunehmende Rückenschmerz unsere Aufmerksamkeit mehr und mehr in Beschlag. Als ich die Referentin einmal am Ende der Unterrichtsstunde darauf ansprach, winkte sie ab und meinte, das sei alles nur eine Frage der Gewohnheit. Wenn ich nur tapfer durchhielte, würde auch ich bald die segensreichen Wirkungen aufrechten Sitzens am eigenen Leib verspüren.
Darauf wartete ich in der Folgezeit zwar vergebens, doch meine Neugier war geweckt. Und so begann ich zu recherchieren. Im Internet, in Fachzeitschriften und Büchern sowie mithilfe eines längeren Telefonats mit einem Experten. Welche Meinung vertraten namhafte Wissenschaftler als Resultat einschlägiger Forschung zu der wohl den meisten Kindern vertrauten Ermahnung »Sitz gerade, sonst bekommst du einen krummen Rücken!«? Mit wachsendem Interesse las ich Studie um Studie und versank geradezu in den daraus gewonnenen Erkenntnissen. Deren einhellige Meinung lautete kurz gefasst: Der Mensch ist aufgrund seiner Anatomie und speziell wegen des Aufbaus seines Skelettes für stundenlanges Sitzen grundsätzlich nicht geschaffen. Schließlich hat sich dieses Skelett ja im Lauf der Evolution aus dem unserer vierbeinigen Vorfahren entwickelt, wurde also immer wieder nur angepasst und vielleicht in dem einen oder anderen Detail verbessert, aber niemals komplett neu konstruiert. Die Folge sind chronische Rückenschmerzen, unter denen speziell in den modernen Industriestaaten Millionen von Menschen leiden und die heutzutage einer der Hauptgründe längerer Berufsunfähigkeit sind.
Doch damit nicht genug. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten sogar darauf hin, dass übermäßiges Sitzen das Leben verkürzt. Das ist zumindest das Resultat einer Metastudie - darunter versteht man die zusammenfassende Auswertung zahlreicher Einzeluntersuchungen zu einem bestimmten Thema - US-amerikanischer Wissenschaftler vom Pennington Biomedical Research Center in Louisiana, veröffentlicht im renommierten Fachblatt British Medical Journal. Demnach verlängert die Beschränkung der Sitz- und speziell Fernsehstunden auf weniger als zwei pro Tag die Lebenserwartung um etwa eineinhalb Jahre. Peter Katzmarzyk, der Leiter der Studie, in der er und sein Team sich intensiv mit dem Zusammenhang zwischen den durchschnittlichen Sitzzeiten - nicht selten mehr als neun Stunden täglich - von 167 000 Erwachsenen und ihren Todesursachen beschäftigen, weist allerdings darauf hin, dass es sich bei dem Ergebnis um eine rein theoretische Abschätzung handelt, die weitgehend auf freiwilligen Angaben der Teilnehmer beruht.
Das veranlasst mich zu einer grundsätzlichen Warnung, die ich diesem Buch voranstellen möchte: Es ist es sicher kein Fehler, die Resultate wissenschaftlicher Studien mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Um über jeden Zweifel erhabene Ergebnisse zu liefern, gibt es schlicht zu viele Fehlerquellen. So ist es etwa möglich, dass die Probanden einer bestimmten Gruppe unbekannte Eigenschaften aufweisen, die den Angehörigen einer Kontrollgruppe fehlen. Wissenschaftlicher ausgedrückt: Korrelation ist keinesfalls gleichbedeutend mit Kausalität. Ein - zugegeben etwas konstruierter - Vergleich mag das verdeutlichen:
Nehmen wir an, ein Forscherteam würde eine Studie über den Zusammenhang zwischen Augenlasern und Lebenserwartung stellen. Dann kann man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Wissenschaftler zu folgendem Resultat gelangen: Die Behandlung von Sehfehlern mittels Laser verlängert das Leben. Doch ist die hochmoderne Behandlungsmethode tatsächlich der Grund für den erfreulichen Effekt? Besteht da wirklich ein kausaler Zusammenhang? Sicher nicht. Vielmehr ist es doch so: Augenlasern ist teuer. Leisten können sich das nur Menschen mit höherem Einkommen, unter denen der Anteil an Gebildeten zweifellos größer ist als unter den Angehörigen ärmerer Schichten. Und Menschen mit höherem intellektuellem Niveau achten bekanntermaßen deutlich mehr auf ihre Gesundheit und können sich zudem teurere Kliniken, Ärzte und Behandlungen leisten. Zwar lässt sich körperliches Wohlbefinden nicht kaufen, aber mit Geld lässt es sich deutlich steigern. Fazit: Zwischen Augenlasern und Lebenserwartung besteht eine klare Korrelation, aber keine Kausalität.
Auf einen vergleichbaren Effekt dürfte die lange Zeit propagierte Warnung vor zu viel Kaffee zurückzuführen sein, die heute als widerlegt gilt. Wir kommen später noch darauf zu sprechen. Denn es ist bekannt, dass nicht wenige Menschen zu ihrem Kaffee gerne eine Zigarette rauchen. Ich selbst habe als Student gern und viel Kaffee getrunken und dabei regelmäßig mindestens eine - selbst gedrehte, filterlose! - Zigarette gepafft (seit über 30 Jahren rauche ich nicht mehr). Vielleicht ist ja die angeblich gesundheitsschädigende Wirkung des Kaffees gar nicht auf das Getränk an sich, sondern auf den begleitenden Teer- und Nikotinkonsum zurückzuführen. Auch hier wieder eine Diskrepanz zwischen Korrelation und Kausalität. Die meisten gesundheitlichen Effekte haben eben mehr als einen Grund, sie sind multikausal. Was übrigens das ärztliche Handeln massiv erschwert. Denn zwei auf den ersten Blick scheinbar identische Krankheitsfälle können vollkommen unterschiedliche Ursachen haben und daher auch ganz anders auf identische Therapien ansprechen.
Eine wichtige Rolle spielt daneben aber auch reiner Zufall. Wenn ein Forscher zum Beispiel ein neues Medikament an Akne-Patienten testet und die Zahl der Pickel dadurch signifikant zurückgeht, ist das sicher ein ermutigendes Zeichen. Doch damit ist keinesfalls schlüssig bewiesen, dass der Effekt tatsächlich auf den enthaltenen Wirkstoff zurückzuführen ist. Würde der Forscher schlicht abwarten oder den Probanden ein bekanntermaßen unwirksames Präparat verabreichen, könnte es ja durchaus sein, dass diese nach einer gewissen Zeit im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ebenfalls »signifikant weniger« Pickel aufwiesen - allein aufgrund des Zufalls.
Ein weiterer zu berücksichtigender Effekt ist daneben auch die persönliche Interessenslage der Wissenschaftler. Denn von Kollegen und anderen interessierten Personen beachtet wird ihre Studie doch umso mehr, je spektakulärer das Ergebnis ist. Was möglicherweise ja die höchst erwünschte Folge hat, dass Forschungsgelder künftig üppiger fließen. Ganz besonders gilt das, wenn der Auftraggeber der Studie von vornherein ein starkes Interesse an einem bestimmten Resultat hat - etwa weil er es zu Werbezwecken einsetzen will. Wenn beispielsweise die Milchindustrie eine Untersuchung zu den gesundheitlichen Auswirkungen des...
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