Schweitzer Fachinformationen
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Wir wollen gegen neun Uhr das Büro verlassen.
Meine Chefin Liliana rast die Treppen herunter. Ich habe den Eindruck, dass sie bald einfach herunterrutschen wird. Sie stürmt am Empfang vorbei - dort sitze ich - und schreit über die Schulter, zurück in Richtung erste Etage:
"Herr Ursuuuuuuu, wir geheeeen!"
Sie hat mir versprochen, dass sie mich mal mitnehmen würde. Seit acht Monaten wünsche ich mir, endlich mit auf die Baustelle zu kommen. Inzwischen ist der Gebäudekomplex schon fast fertig. Ab und zu stalke ich den Fortschritt der Arbeiten über den Link der Überwachungskameras.
Um sieben Uhr morgens hat Liliana mir eine SMS geschickt: Cristina, solltest du auf die Baustelle wollen, zieh dich warm an und nimm deine Stiefel mit.
Sie öffnet die Tür. Von draußen weht Kälte an meine Füßchen. Muss das sein?
"Soll ich mitkommen?", frage ich sie.
"Ja, los!"
In der Zwischenzeit klingelt ihr Handy, sie geht dran und hat keine Hand mehr frei, um die Tür zuzumachen. Die Kälte kriecht vom Fußboden an mir hoch. Liliana ist schon draußen, und ich überlege mir doch noch:
"Warte mal, ich muss noch schnell Pipi!" Und dann ergänze ich: "Timea, ich gehe auf die Baustelle. Pass mal bitte auf das Telefon auf!"
"Ja", höre ich Timeas Stimme hinter dem Paravent.
"Mach doch mal endlich diese verdammte Eingangstür zu!", ruft Paul Dobre ins Leere, aber ich bin schon auf dem Klo. Dort lege ich lange Klopapierstreifen auf der Klobrille aus, während ich die Heizung aufdrehe. Mit lautem Gepolter läuft warmes Wasser in der Nähe meiner Ohren in die Rohre.
Gehetzt schnappe ich Tasche und Jacke, laufe auf die Straße und springe in das gestartete Auto, wo der fette Herr Ursu große Mühe hat, sich anzuschnallen. Ich steige hinten ein, ziehe an meinem Sicherheitsgurt, möchte ihn schließen, aber ich finde keinen Anschnaller dafür. Pro forma halte ich ihn noch eine Weile in der geschlossenen Faust, lasse ihn dann später doch los.
Ich weiß, dass sie hetzt und rast. Immerhin bin ich ja schon zwei Jahre hier. Andere haben mir längst davon erzählt, aber nun sitze ich tatsächlich in ihrem Auto.
Bei der ersten Ampel verflucht sie die Idioten, die den Verkehr aufhalten, bei der nächsten telefoniert sie. Kurz bevor wir die Stadt verlassen, fragt sie den Dicken:
"Was soll man nur mit den ganzen Wahnsinnigen machen, Herr Ursu?" Danach schaut sie durch den Rückspiegel zu mir und sagt: "Pass mal auf, was für ein Zirkus das jetzt wieder wird." Ich bin Sekretärin bei einer Firma, die Projekte für öffentliche Bauvorhaben anleitet. Mich haben sie wegen der Fremdsprachen genommen, sonst hätte ich dem nötigen Profil gar nicht entsprochen. Von Baustellen und Ingenieuren verstehe ich ja nichts. Ich kannte diejenige, die vorher hier gearbeitet hat. Sie ging in Mutterschutz und hat anschließend das Land verlassen. Die Chefin hatte damals keine Zeit, eine Anzeige zu schalten. Meine Vorgängerin kannte mich, wusste, dass ich was suchte, und bot mir ihre Stelle an. Beim Vorstellungsgespräch bemerkte die Chefin leider die Lücken in meinem Lebenslauf, und doch verschwieg ich den zweiten Master, die Promotion, die ich nach drei Jahren aufgegeben hatte, und das zweite Studium, das ich ebenfalls nach zwei Jahren abgebrochen hatte.
"Was hast du in dieser Zeit gemacht?"
"Ich habe mit Verlagshäusern zusammengearbeitet", sagte ich ihr, und sie erschrak: "Pass auf, hier wirst du Verträge und Aufgabenlisten übersetzen müssen. Fang bloß nicht damit an, irgendwelche Fantasiegeschichten in die Welt zu setzen."
Sie brauchte mehr als einen Monat, um sich zu entscheiden. Am Ende sagte sie, dass ich "positiv" sei und sie mich anrufe, um mir eine zweiwöchige "Unterweisung" zu geben. Das war im Dezember. Gleich nach dieser Einarbeitungszeit kam die Weihnachtsfeier, eine Mottoparty, und ich musste mir plötzlich Gedanken darüber machen, was für ein Kostüm ich da anziehen soll.
Vor ungefähr einem Jahr, bei dem ersten Vertragsabschluss als Allgemeine Bauunternehmerin, konnte sie schon riechen, dass es im Bauwesen Geld regnet.
"Wir werden Bauarbeiter", sagte sie und rieb ihre Hände aneinander. Sie kassierte bereits von einem Kunden Raten in Höhe von einer Million Euro. Meine Aufgabe ist es, die Rechnungen ins System einzugeben. Ich muss mit dem Fingernagel am Monitor die Zahlen in Dreier-Gruppen einteilen, um feststellen zu können, ob es um Zehntausende, Hunderttausende oder Millionen geht. Beim Umgang mit dem Geld wird mir ganz schwindelig.
Mittwochs um neun stehen Besprechungen auf der Baustelle an. In unserem Baucontainer versammeln sich Vertreter der Kunden und der Subunternehmer, sprechen sich ab, schreien sich gegenseitig an, aber SIE übertönt alle. Sie ist stolz darauf, eine Frau in der Männerwelt zu sein. "Alle fürchten Sie, Frau Liliana", sagte ihr einst Mircea Negoescu von MirConstruct, woraufhin sie voller Stolz einen Augenblick lang vergaß, wie schlecht die Testergebnisse beim Beton ausgefallen waren.
Wir bauen ein Home- und Gartencenter am Stadtrand von Bukarest.
Am Eingang der Baustelle parken mehrere Jeeps hintereinander, und sie denkt laut:
"Guck mal, was für Autos die haben . Nur wir fahren mit einem Dacia Duster."
Sie und ihr Ehemann besitzen ein Viertel der Firma, der Rest gehört einem spanischen Unternehmer. Sie muss denen alles berichten. Das lässt ihr keine Ruhe.
Beim Aussteigen versinken meine Füße in einem Meer aus Schlamm und ich bekomme Mitleid mit meinen neuen Arbeitsstiefel, die so gut wie unbenutzt sind.
Eine Baustelle ist ein Ort, an dem du mehr als üblich und vor allem sofort wahrnimmst, dass du eine Frau bist, weil dich alle angaffen - neugierig, verwirrt, anzüglich. Man fragt sich einen Moment lang, was in denen vorgeht. Hinterher erinnert man sich daran, dass man eine unerwartete Erscheinung ist, welche großes Interesse hervorruft, aber man möchte nicht genau wissen, in welcher Hinsicht. Ach so, warte mal, ich bin ja eine Frau, okay. Bei dem Gedanken daran, dass Mona, die Architektin, den ganzen Sommer über in kurzer Hose hergekommen ist, wird mir ganz anders. Sie wollte immer alleine auf die Baustelle gehen. Die Tage ohne sie beim Mittagstisch waren daher ein Segen.
Im Besprechungscontainer haben sich die Leute bereits versammelt. Die Chefin empfiehlt mir, eine Runde auf der Baustelle zu drehen, vorher kommt sie mit, um mir zu zeigen, wo ich mir einen Helm besorgen kann. Sie fragt Mona nach dem Schlüssel zu ihrem Büro-Baucontainer. Die Chefin schließt Monas Container auf. Uns schlägt eine Hitzewelle entgegen, woraufhin sie zum elektrischen Heizkörper hechtet, um ihn auszustellen. "Warum lässt die den ständig laufen? Ich habe ihr schon so oft gesagt, dass sie nicht so viel heizen soll."
Im Büro hat Mona einen Haufen Papiere, eine Flasche Coke Zero, die wahrscheinlich abgestanden schmeckt, und ein Bild von sich und Claudiu auf einem Elefanten, als sie vor ein paar Monaten in Thailand waren. Sie sitzen auf einer Art improvisiertem Sattel, der unter dem Bauch des Elefanten festgebunden ist, während der Elefantenführer, ein schlaksiger Junge, den Hals des Tieres bestiegen hat und sich an seinen Kopf stützt. Mona lächelt auf dem Bild, aber Claudiu sitzt zu seitlich und sieht ziemlich panisch aus. Soweit ich das verstehe, ist das ihre Manie, unterschiedliche exotische Tiere zu reiten, wenn sie auf Inseln Urlaub macht. Er fügt sich nur. Dieses Mal hat sie uns jedoch gestanden, dass sogar sie selbst Angst hatte. Die haben sie eine halbe Stunde durch den Wald herumgeführt, der Elefant stolperte zwischendurch. "Ihr könnt euch vorstellen, wenn der ausgerutscht wäre", sagte sie zu uns. "Wenn man vom Elefanten fällt, ist man erledigt."
"Was für ein Chaos in diesem Büro!", sagt die Chefin.
Sie hinterlässt Schlammspuren auf dem Fußboden, der aussieht, als wäre erst vor kurzem gewischt worden.
Mittwochs kommt Tanti Oara, die Putzfrau der Firma. Sie kommt auch zweimal pro Woche für zwei Stunden zu uns ins Büro. Auf der Baustelle haben sie sie ebenfalls für zwei Stunden beauftragt, aber immer, wenn sie kann, ergreift sie die Chance, sich bei mir darüber zu beklagen, dass es ihr schwer fällt, mit den Stiefeln durch diesen Matsch zu laufen und die Hände unter das eiskalte Wasser zu halten, weil auf der Baustelle ja kein warmes Wasser vorhanden ist. Außerdem gibt Mona ihr nicht den Schlüssel von der Frauentoilette. Sie muss die der Arbeiter benutzen. Die Frauentoilette sei nur für Mona.
Sie wischt den Boden in den Containern, und sofort stürmt einer herein und macht alles wieder dreckig. Die Chefin schimpft dann mit ihr, dass sie auf dem Boden Wasser mit Schlamm verteile, aber wenn sie neues Wasser braucht, muss sie aus einem Becken Eisblöcke herausholen und sie im Eimer schmelzen lassen, damit sie wischen kann.
"Mir passt es auch nicht", sagt sie. "Ich kann nicht mehr, aber ich zeig's nicht."
Sie steht kurz vor der Rente.
Alle zwei, drei Wochen verarscht Mona sie und lässt sie auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt Mega Image stehen. Sie wolle nicht, sagt sie, dass die Zigeunerin ihr Auto vollstinke.
Tanti Oara kommt aus einem Dorf außerhalb von Bukarest, von der anderen Seite der Stadt. Der Kleinbus fährt in großen Intervallen. Der, der...
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