Schweitzer Fachinformationen
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"Ich war ein Kind, das nie gewollt war", sagt Tanja Brandt. Sehr schmerzhaft sind ihre Erinnerungen, sobald sie über ihr Elternhaus spricht. In ihrem Buch schreibt sie über ihren harten Lebensweg und die Liebe zu den Tieren, die sie daran erinnert, dass Träume wahr werden können. Auch lernt sie von ihren Tieren, was es braucht, um glücklich zu sein: Von Ingo, dem Schäferhund, alles über Geborgenheit. Von Bärbel Mitgefühl und Verlässlichkeit, und auch Gandalf zeigt ihr, wie wunderbar Fürsorge ist.
Meine früheste Erinnerung betrifft die Stallhasen, die meine Großmutter im Garten hinter ihrem Haus hielt. Tagein, tagaus saßen sie in ihren länglichen Verschlägen und mümmelten vor sich hin. Eines Tages suchte mich meine Oma . und entdeckte mich inmitten der Hasen. In Windeln saß ich im Käfig, ein Stöckchen in der Hand, um sie, wenn nötig, vom Beißen abzuhalten. Das Stroh pikste mich, aber das war mir egal. Das braune Fell der Tiere fühlte sich so seidig unter meinen kleinen Fingern an, und sie lagen mit ihren weichen, warmen Körpern auf meinen strammen Beinen und schmusten mit mir.
Oft hatte meine Oma mich gewarnt, den Stallhasen ja nicht zu nahe zu kommen, weil sie bissen. Doch bei mir taten sie das nie, sie waren meine allerersten Freunde.
Das muss Ende der Sechzigerjahre gewesen sein. Geboren wurde ich im Juni 1968. Von dem legendären Zeitgeist jenes Jahres war auch in Stuttgart, wo ich aufwuchs, etwas zu spüren. Tausende Studenten gingen in den Großstädten Westdeutschlands auf die Straße, skandierten »Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren« und protestierten gegen verkrustete Traditionen, den Vietnamkrieg und manches mehr. Und das betraf nicht nur Deutschland. Woodstock, Flower-Power, die Beatles . die Menschen sehnten sich nach Freiheit und Frieden. Frauen wollten nicht länger bloß das adrette Aushängeschild ihres Mannes sein, der Wunsch nach Selbstbestimmung wurde laut, und die Rocksäume wurden immer kürzer.
Diesen Wunsch nach Freiheit muss auch meine Mutter gespürt haben. Die Hippiezeit hatte sie voll und ganz im Griff, als sie meinen Vater in der Kneipe kennenlernte, in der sie kellnerte.
Meine Mutter war um die achtzehn Jahre alt, als ich mich ankündigte. Vermutlich hatte sie sich ihr Leben ganz anders vorgestellt und war überfordert von der Aussicht auf ein schreiendes kleines Bündel, das Liebe und Aufmerksamkeit einforderte. Kinder, so heißt es, sind ein Zeichen der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Aber nicht immer spiegeln sie die Sehnsüchte derer wider, die sie in die Welt setzen. Meine Mutter erzählte mir später, sie sei aus der Kneipe geradewegs in den Kreißsaal gelaufen, barfuß, mit schmutzigen Füßen und dick getuschten Wimpern. Das Gesicht war voller verlaufener Schminke, und sie musste sich ständig übergeben, als sie mich zur Welt brachte.
Mein Vater, um einige Jahre älter als meine Mutter, konzentrierte sich ganz auf sein Maschinenbaustudium, und anfangs war es vor allem die Mutter meiner Mutter, die mich großzog. Sie war die wichtigste Person in meinem Leben und auch die Einzige in der Familie, der ich spürbar etwas bedeutete. Sie allein gab mir das Gefühl, vielleicht sogar ein kleines bisschen willkommen zu sein.
Meine Oma schenkte mir unermüdlich all ihre Liebe und Fürsorge. Sie lebte allein, und ich war lange Zeit überzeugt davon, dass ihr Mann, mein Opa, gestorben sei. Liebevoll sprach sie von ihrem Kurti, und in meiner Fantasie hatten die beiden eine glückliche Ehe mit ihren vielen Kindern geführt. Erst Jahre später erfuhr ich auf Umwegen, dass mein Großvater gar nicht tot war. Offenbar hatte er meine Großmutter immer verprügelt und sie irgendwann wegen einer Jüngeren sitzen lassen. Doch nie verlor sie ein schlechtes Wort über ihn, das war nicht ihre Art.
Alles an meiner Oma war weich, ihre Haut ganz zart, der Körper füllig. Unter ihrer Kleidung trug sie ein Mieder, das nach Gummi roch. Es war ein Geruch, den ich immer mit ihr verband, zusammen mit dem nach Tee. Wenn sie nicht arbeitete, saß sie gemütlich in ihrem breiten Fernsehsessel, strickte oder handarbeitete und ließ mich spielen. Als ich ein Baby war, schenkte sie mir eine Schnuffeldecke, die sie aus einem alten Kopfkissenbezug gefertigt hatte, und es sollte für viele Jahre keine Nacht in meinem Leben geben, in der ich mein Gesicht nicht in diese Decke gekuschelt hätte. Ich besitze sie noch heute.
Oma trank ständig Tee aus hauchdünnen Porzellantassen, die aussahen, als könnten sie jeden Moment zerbrechen. Wenn es wieder Zeit für einen Tee wurde, durfte ich die Teeschublade aufziehen und einen Beutel für sie aussuchen. Irgendwie sahen sie alle gleich aus und rochen auch so, aber es war eine der Aufgaben, mit denen meine Oma mich in ihr Leben einband und mir dieses spezielle Gefühl gab, wichtig zu sein.
Das Haus, in dem wir wohnten, lag an einer Hauptstraße. Es war eines dieser typischen Einfamilienhäuser, ziemlich hässlich, mit einem kleinen Garten dahinter. Ich krabbelte über die Wiese mit dem hohen Gras, setzte mich zu meinen Freunden, den Stallhasen, oder versuchte, unter dem Zaun hindurchzugelangen, zu unseren Nachbarn. Sie hatten nämlich einen Schäferhund, der eine geradezu magische Anziehungskraft auf mich ausübte. Ich wünschte mir von klein auf einen großen Hund, einen Beschützer, der mir zur Seite stand, wenn die Dunkelheit aufzog und mit ihr meine Ängste hervorkrochen.
Abends, wenn es Schlafenszeit wurde, brachte Großmutter mich ins Bett und blieb bei mir. Und weil ich oft weinte, hielt sie mein Füßchen, bis ich eingeschlafen war.
Warum ich weinte? Ich weiß es nicht mehr.
Wenn ich an die allerersten Jahre meiner Kindheit zurückdenke, fällt es mir wie den meisten von uns schwer, mich zu erinnern. Wohnte meine Mutter überhaupt mit im Haus? Wo war mein Vater? Wie standen die beiden zueinander? Fragen, die ich auch heute nicht beantworten kann.
Aber vielleicht sind genau diese Lücken in meiner Erinnerung ein Wegweiser durch meine Kindheit. Wir besitzen einen ungeheuren Überlebensinstinkt; so wie der Körper sich schützt, schützt sich auch die Psyche, indem sie schmerzliche Erfahrungen verdrängt oder abspaltet.
In jener Zeit machte man sich noch keine großen Gedanken darüber, wie sich die Gefühle und Gedanken einer Mutter während der Schwangerschaft auf das Ungeborene auswirken. Doch inzwischen kennt man die Folgen, wenn ein Kind ohne große Freude im Bauch der Mutter heranwächst. Und das betrifft nicht allein die schwer greifbare seelische und emotionale Komponente, sondern auch messbare Werte wie den Blutfluss, die Immunabwehr, die Bildung neuronaler Netze und die Hormonausschüttung während und nach der Geburt. Die Gefühlswelten von Mutter und Kind sind eng verbunden. Ängste, Abwehr, Panik, Erregungsmuster, denen der heranwachsende Fötus ausgesetzt ist, haben einen nachweisbaren Einfluss auf die Entwicklung des Kindes.
Unerwünscht zu sein ist ein Erbe, das sich in einen Menschen einbrennt, und unerwünscht fühlte ich mich defintiv. Wenn die erste Erfahrung Ablehnung ist, zieht sie sich durch das ganze Leben und wiederholt sich in Endlosschleifen. Es fällt schwer, Vertrauen zu fassen, Selbstbewusstsein aufzubauen, Bindungen einzugehen.
Wie mag es in meiner Mutter ausgesehen haben, als sie erfuhr, dass sie so jung ein Kind bekam? Meine Oma hatte darauf bestanden, dass ich kein uneheliches Kind werden sollte. Ob meine Eltern sich liebten? Es fühlt sich seltsam an, das nicht zu wissen. Hätte ich es nicht spüren müssen? Jedenfalls gestaltete sich unser Familienleben ganz anders als bei meinen Freundinnen, wie ich in den folgenden Jahren feststellen sollte. Doch dazu später mehr.
Diese schwer zu fassende Beziehungslosigkeit, die mir zu Beginn meines Lebens entgegenschlug, zog sich weiter durch meine Kindheit und Jugend, und sie hält noch immer an. Nie fühlte ich mich von anderen Menschen um meiner selbst willen wahrgenommen und wertgeschätzt. Da Kinder magisch denken und alles auf sich beziehen, war ich schnell davon überzeugt, selbst an allem schuld zu sein. Ich war nicht genug. Nicht hübsch, nicht lieb, nicht begabt genug. Ich versagte auf ganzer Linie, denn es gelang mir nicht einmal, was doch allen Kindern irgendwie gelingt - das Herz der Eltern zu gewinnen. Natürlich hinterließ das Spuren in meinem Verhalten; ich wurde schwierig im Umgang und später rebellisch.
Ein Mangel an Liebe und Zuwendung ist für ein Kind ebenso fatal wie der Mangel an Nahrung; das Gefühl, nicht wirklich lieb gehabt zu werden, ist schwer zu ertragen. Um sich zu schützen, machen Kinder nicht die Eltern, sondern andere Umstände für die Flut bedrohlicher Gefühle verantwortlich. Es wächst die Angst vor der Dunkelheit, vor dem Keller, vor der Nacht.
Doch immerhin hatte ich meine Oma. Und sie hielt weiterhin mein Füßchen.
Irgendwann musste meine Großmutter das Haus verkaufen, denn einer ihrer Söhne hatte den Besitz verspielt. Sie zog in eine Mietwohnung in Stuttgart-Möhringen, einen ländlicheren Ortsteil der Großstadt. Noch immer verbrachte ich viel Zeit mit ihr. In ihrer Arbeitskammer stand eine Nähmaschine, die mit einem Pedal betrieben wurde. Hier saß sie oft und nähte Stofftiere, während ich zusah. Die gesamte Wohnung war voll von Puppen aus allen möglichen Ländern. Die Puppensammlung bedeutete ihr viel, und dennoch ließ sie mich ganz selbstverständlich damit spielen. Bei ihr durfte ich einfach alles.
Ich fand die Puppen ganz nett, sie hatten hübsche runde Gesichter, feine Kleidchen und seidiges Haar, ganz anders als mein schwer zu bändigendes blondes Kraushaar. Um mit ihnen Mutter und Kind zu spielen, fehlte mir das Vorbild, also beschäftigte ich mich auf andere Weise mit ihnen. Ich schnitt ihnen die Haare ab. Manche traf es noch härter, und sie büßten ihre Arme ein. Mit ihren Kurzhaarfrisuren gefielen sie mir jedoch nicht mehr, und ich wollte nicht länger mit ihnen spielen.
Viel spannender fand ich die Tatsache, dass meine Oma einen Schrank voller Diamanten besaß. In Unmengen von Schachteln steckten Tütchen mit Schmucksteinen aller Art. Da gab es blaue, türkis- und lilafarbene Exemplare, polierte, glänzende, klare und eben die geschliffenen Diamantensteine, die mir...
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