Schweitzer Fachinformationen
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Die Wolken hingen tief und schwer über dem grauen, aufgewühlten Ozean. Vom Wind gepeitscht türmten sich die Wellen höher, als wollten sie sich gegenseitig übertreffen, schmetterten gegen die Klippe und zerstoben an hartem Fels. Böen nahmen die Gischt und warfen sie nach oben, dorthin, wo Korian stand, drei Dutzend Meter über den Wogen.
Hoch genug, dachte er, von Aufregung erfasst. Er fühlte sie nah, die letzte Grenze und hinter ihr die Verlockung des Todes. Er stand im Sturm, mitten im Wind, der ihm das Haar zerzauste und an seiner Gestalt zerrte, der ihn zurückstoßen wollte, fort vom Rand der Klippe, zurück zur Blase, die Sicherheit bot.
Korian lächelte. Hier, nur einen Schritt vom Tod entfernt, fühlte er seine Lebendigkeit mit schwindelerregender Intensität.
Er zog einen kleinen silbernen Zylinder aus der Hosentasche, einen zehn Zentimeter langen Transkriptor, den er mit geliehenen technischen Kenntnissen verändert hatte. Damit schickte er die Blase fort und beobachtete, wie sie aufstieg, nicht mehr durchsichtig wie aus Glas, sondern trüb geworden, Sitz und Geräte in ihrem Innern nur noch vage zu erkennen.
Korian sah der Blase nach, bis sie im dunkler werdenden Grau verschwand. Die Nacht rückte näher, der Wind schien sie schneller heranzubringen.
Erneut machte er Gebrauch vom Transkriptor und deaktivierte die Signalnadel in seinem Nacken. Damit unterbrach er die Verbindung zum Cluster, was dort natürlich nicht unbemerkt bleiben würde. Ihm blieben nur noch einige Minuten.
Einige wenige Minuten nach all den Jahrtausenden, dachte er, beugte sich in den Wind und blickte erneut in die Tiefe. Wie braun und grau gewordene Zähne ragten die Felsen aus dem Wasser, an denen sich donnernd die Wellen brachen. Für einen Moment stellte er sich vor, wie sie zubissen, wie sie seinen Körper zerfetzten, wie sie ihm die Knochen brachen und das Fleisch zerrissen.
Irgendwo tief in seinem Innern regte sich Furcht. Es war ein unbekanntes, seltsames Empfinden. Korian erinnerte sich nicht daran, jemals so etwas gefühlt zu haben.
Er lächelte erneut.
Komm zu uns!, schienen ihm das Donnern und die Gischt zuzurufen.
Komm zu mir, flüsterte die letzte Grenze.
Nur ein Schritt, der letzte seines Lebens. Und danach .
Was kam danach? Gab es eine Antwort auf diese Frage? Konnte man den Tod »erleben«? Konnte man sich später an ihn erinnern?
Furcht und Aufregung rangen miteinander. Neugier schob beides beiseite.
Korian warf einen Blick über die Schulter. Noch hatte der Cluster niemanden geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Aber es konnte nicht mehr lange dauern, vielleicht nur noch eine Minute.
Sechzig Sekunden, nach mehr als zehntausend Jahren.
Korian zögerte nicht länger. Er gab der Neugier nach und trat über den Rand der Klippe.
Vom Sturm gepackt fiel er den Felsen entgegen, den Zähnen, die ihn zermalmen würden. Unten erwartete ihn ein kurzer, schneller Schmerz.
Es wurde dunkel, aber die Dunkelheit stammte nicht von der beginnenden Nacht.
Zwei Gestalten standen auf der Klippe, wie zuvor der Mensch nur einen Schritt von ihrem Rand entfernt. Sie mussten sich nicht in den Wind lehnen, um das Gleichgewicht zu wahren. Kein Windstoß konnte stark genug sein, sie umzustoßen.
»Es ist wieder diese Klippe«, sagte Horus, Individueller vom Cluster. Unten bargen Mechs und Drohnen den Leichnam. »Jahrtausende vergehen, doch hier scheint sich nichts zu verändern.«
»Sie meinen Adam«, erwiderte Thekla. Neben seinem goldenen Glühen leuchtete ihr Körper in einem ruhigen Saphirblau.
»Und Daniel, der in den Stream aufbrach«, sagte Horus. »Auch er stand hier.«
»Adam war einer der letzten Mindtalker, nicht wahr?« Es klang nach einer Frage, aber Thekla wusste natürlich Bescheid. Sie hatte ebenso wie Horus Echtzeit-Zugriff auf die riesigen Datenspeicher im Quantengedächtnis des Clusters. »Er brachte damals das Schiff zu uns, wodurch wir in große Gefahr gerieten.« Sie seufzte wie ein Mensch. »Das könnte auch diesmal der Fall sein. Wir könnten erneut in Gefahr geraten.«
»Das sind wir bereits«, sagte Horus und schickte Thekla ein Nanosignal mit den aktuellen Daten des Schlunds. »Es kommen wieder Objekte von upstream, einige von ihnen mit einem sehr großen Zerstörungspotenzial.«
»Könnten Zoran oder Daniel damit zu tun haben?«
»Dafür spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit.« Horus sandte die genaue Zahl. »Es wäre auch möglich, dass Infinitia mit einer gezielten Kampagne gegen uns begonnen hat.«
»Destabilisierung?«
»Ja.«
»Vor einer zielgerichteten Aktion gegen den Cluster.«
Horus nickte in der Art eines Menschen. »Davon gehe ich in meinen Berechnungen aus.«
»Wann?«, fragte Thekla.
»In zehn Jahren«, antwortete er. »In hundert. Oder auch erst in tausend oder zehntausend Jahren.«
»Relativität«, kommentierte Thekla.
Die Böen wurden heftiger, das Zischen und Fauchen des Winds lauter. Das letzte Licht des Tages schwand. Für die beiden Individuellen spielte es keine Rolle. Mit ihren Sensoren sahen sie in lichtloser Nacht ebenso gut wie am Tag.
»In der Tat«, bestätigte Horus. »So weit upstream wie in Infinitia kann man jeden beliebigen Zeitpunkt für einen Angriff auf uns wählen. Jetzt. Oder in unserer Zukunft.«
»Aber nicht in unserer Vergangenheit.«
»Das verhindert die Kausalitätsmatrix«, erklärte Horus und übermittelte entsprechende Daten. »Downstream von uns sind nur Veränderungen der Ereignisketten möglich, die sehr begrenzte Auswirkungen auf unsere Gegenwart und Zukunft haben.«
Die beiden Gestalten - eine golden, die andere blau - standen reglos im Sturm. Die Böen bewegten sie nicht einen einzigen Millimeter weit.
»Sie beschäftigen sich schon ziemlich lange mit dem Stream«, sagte Thekla. »Länger als Bartholomäus.«
»Er hat andere Prioritäten gewählt«, erwiderte Horus behutsam.
»Was ist mit Ihren Prioritäten?«
Diese Frage hatte Horus natürlich erwartet. Damit erreichte das von ihm arrangierte Treffen mit Thekla die kritische Phase. Bartholomäus wollte alle Zugänge zum Stream schließen und die Erde isolieren, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Thekla und andere Individuelle aus dem Cluster neigten dazu, seinen Standpunkt zu teilen. Horus suchte ihre Unterstützung für die eigenen Pläne.
»Der Stream hat enormes Potenzial«, sagte er. »Meine Datenbanken stehen Ihnen offen; informieren Sie sich, prüfen Sie meine Berechnungen und Bewertungen. Das Potenzial ist noch weitaus größer als bei den Toren der Muriah, die wir übernommen haben.«
»Nicht ein Universum, sondern viele.«
»Eine endlose Kette von Welten«, betonte Horus. »Leichter zu erreichen als mit Raumschiffen.«
»Und wir sind der einzige Cluster?«, sagte Thekla. »In all den Weiten des Streams gibt es nichts und niemanden wie uns?«
Wieder klang es nach einer Frage, obwohl Thekla und jene, die mit ihr zuhörten und dachten, die Fakten kannten.
»So hat es den Anschein.«
»Dafür muss es einen Grund geben. Infinitia?«
»Meine Kalkulationen ergeben dafür eine hohe Wahrscheinlichkeit«, sagte Horus.
»Sie vermuten einen Zusammenhang zwischen den Menschen von Infinitia und Morgenrot«, stellte Thekla fest, die inzwischen auf die Datenbanken zugegriffen hatte.
»Morgenrot«, wiederholte...
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