Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
HEILIGE SCHEISSE!
Was habe ich getan?
Während die anderen Bewohner Londons brav an ihren Schreibtischen sitzen und ihrer täglichen Arbeit nachgehen, hocke ich inmitten einer unüberschaubaren Anzahl nach Katzenurin stinkender Räucherstäbchen und warte auf eine Hellseherin. Ja, genau . auf eine HELLSEHERIN! Eine Hellseherin namens Mary Rose, die mir gleich aus der Hand lesen und mir meine Zukunft voraussagen wird.
Vor einer Stunde habe ich meinem Boss gesagt, dass er sich ins Knie ficken soll.
Meine Mutter wäre schockiert. »Bella Edwards, für so eine Ausdrucksweise gibt es keine Entschuldigung«, höre ich sie sagen. »Das ist das Benehmen eines vulgären Flittchens.« Und sie hätte vollkommen recht. Ich bin ein vulgäres Flittchen.
»Fick dich ins Knie.« O mein Gott, es ist so grauenhaft. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich jemandem gesagt, er soll sich ins Knie ficken. Noch nie. »Verzieh dich!« ist so ziemlich das Schlimmste, was mir über die Lippen kommt. Wenn ich richtig geladen bin, reicht es eventuell auch für ein »Du kannst mich mal!«, aber das passiert erstens nur sehr selten und ist zweitens ungleich harmloser als das, was ich mir heute geleistet habe. Mit meinem »Fick dich ins Knie« habe ich eindeutig neue Maßstäbe gesetzt.
Nun sitze ich also hier, nach außen hin ruhig, aber innerlich am Rande der Hysterie, und warte auf eine Hellseherin. Es ist still im Raum bis auf die Geräusche, die der alte CD-Player in der Ecke von sich gibt und bei denen es sich allem Anschein nach um Walgesänge handelt. Draußen heulen die Sirenen, was ich merkwürdigerweise viel angenehmer und beruhigender finde als den Walgesang. Abgesehen von diesen kleinen akustischen Störfaktoren bin ich mit meinen Gedanken allein - mit meinen sehr verworrenen, unzusammenhängenden, teilweise alkoholisierten und verhältnismäßig sinnfreien Gedanken. Der hervorstechendste unter ihnen ist: Ich muss meinen verdammten Verstand verloren haben!
Nicht genug damit, dass ich soeben eine Beförderung ausgeschlagen, meinen Job hingeschmissen und etwas durchlebt habe, was man nur als vollständigen emotionalen Zusammenbruch bezeichnen kann. Jetzt sitze ich auch noch in diesem Kämmerlein, das mir als »spirituelles Refugium« angepriesen wurde, in Wahrheit aber eher wie eine Crackhöhle aussieht. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bin ich drauf und dran, Rat bei einer Betrügerin zu suchen, die nichts weiter will, als armen, verzweifelten Toren - ein Teil der Menschheit, dem ich mich seit einer Stunde zugehörig fühle - das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Dies hier ist ganz offiziell der Tiefpunkt meines Tages. Und dass ich mich überhaupt in dieser fragwürdigen Situation befinde, daran ist - wieder mal - die Verführungskraft der Werbung schuld.
Wissen Sie nicht weiter? Sehnen Sie sich nach spiritueller Führung? (Wurde Ihnen gerade eine Beförderung angeboten, und Sie haben darauf reagiert, indem Sie Ihrem Chef sagten, er solle sich ins Knie ficken?) Dann benötigen Sie womöglich die Hilfe von Hellseherin Mary Rose - 28 £ je 30 min - KEINE KARTENZAHLUNG!
Der Qualm der Räucherstäbchen kratzt mir im Hals. Wahrscheinlich sollen sie den Geruch von illegalem Sex und Crack-Kokain verdecken. Ich frage mich, ob man von Räucherstäbchen high werden kann. Wahrscheinlich nicht, sonst wäre die Hälfte aller Asiaten permanent zugedröhnt.
Aber vielleicht sind sie das ja. Vielleicht sollte ich nach Asien auswandern. Vielleicht sollte ich mich in einen Aschram zurückziehen und versuchen, mich selbst zu finden, so wie Elizabeth Gilbert in Eat, Pray, Love. Warum nicht? Ich könnte allerdings auch etwas anderes, nicht ganz so Extremes machen: Ich könnte versuchen, meinen Job zurückzubekommen. Aber ist das überhaupt realistisch? Lässt sich aus dem Wrack meiner Karriere - meines Lebens! - noch irgendetwas retten?
Es besteht zumindest die Möglichkeit, dass die Situation weniger schlimm ist, als von mir angenommen. Vielleicht findet Larry Hill - das ist mein Boss beziehungsweise mein Ex-Boss -, dass ich ihm gegenüber einfach nur sehr selbstbewusst aufgetreten bin. Er fordert doch andauernd, dass ich selbstbewusster auftreten, zu meinen Entscheidungen stehen und meiner Intuition vertrauen soll. Ich könnte ihm sagen, dass ich mir lediglich seinen Rat zu Herzen genommen habe. Dass er stolz auf sich sein und den Vorfall als ein Kompliment an seine Mentor-Fähigkeiten betrachten soll. Vielleicht hat er den Vorfall morgen schon wieder vergessen, wenn ich auf angemessene Weise um Gnade winsle. Vielleicht kann ich hocherhobenen Hauptes an meinen Arbeitsplatz zurückkehren. Okay, höchstwahrscheinlich müsste ich eine Erklärung für mein bizarres Verhalten liefern - aber das würde ich schon irgendwie hinkriegen. Ich könnte Larry sogar fragen, ob das Angebot mit der Beförderung noch steht, sobald ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist. Ich bin bereit zu tun, was immer nötig ist. Ich darf meinen Job nicht verlieren, denn wenn ich meinen Job verliere, verliere ich alles - dann verliere ich mich selbst.
Ich bin nur noch Sekunden davon entfernt, aufzustehen und das Weite zu suchen, als ich plötzlich eine Bewegung wahrnehme. Der Vorhang zum Nebenraum, bei dem es sich mutmaßlich um das Schlafzimmer oder vielleicht auch eine Küche handelt, in jedem Fall aber um ein Privatgemach, wird mit einer dramatischen Geste zur Seite geschlagen, und dahinter erscheint . Mary Rose, die Hellseherin.
Ach du lieber Himmel!
Sie sieht zum Fürchten aus - ganz und gar nicht wie die gütige Erdmutter, die ich mir erhofft habe. Wir beäugen einander eine Zeit lang und versuchen zu ergründen, mit was für einem Gegenüber wir es hier zu tun haben. Schwer zu sagen, wer von uns beiden beunruhigter aussieht. Dann setzt sich Hellseherin Mary Rose in Bewegung und kommt mit watschelnden Schritten auf mich zu. Sie klingt wie ein Müllauto, so laut klimpert und scheppert der Schmuck, mit dem ihre Gliedmaßen behängt sind. Klobige Goldarmbänder zieren ihre dicken Handgelenke. Eins von ihnen, das sie sich bis zum schlaffen Oberarm hochgeschoben hat, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Schlange, die ihren Bizeps in einem dermaßen tödlichen Würgegriff umschlingt, dass die Haut darunter bereits violett angelaufen ist und an den Seiten die Speckfalten hervorquellen. Das ist ein zutiefst verstörender Anblick. Ihre Finger sind mit riesigen Ringen geschmückt. Die Nägel hat sie sich in einem fluoreszierenden Pinkton lackiert, allerdings ist der Lack in Teilen bereits abgeblättert, und darunter kommen gelbliche Flecken zum Vorschein. Der ebenfalls fluoreszierende Lidschatten, an dem sie nicht gespart hat, reicht ihr bis hinauf zu den gemalten Augenbrauen, und die großzügig aufgetragene Foundation lässt ihren Teint in einem warmen Orangeton erstrahlen. Sie sieht aus wie eine Dragqueen. Kurzum: Sie ist eine furchteinflößende Erscheinung, trotzdem kann ich nicht anders, als sie auf Anhieb zu mögen, was vermutlich viel über meinen gegenwärtigen Geisteszustand aussagt.
»Ich hab Rücken, Liiiebchen«, brummt sie in einem gut abgehangenen Cockney-Dialekt und schaut auf mich herunter, während ich unbehaglich am Boden hocke. »Da unten halt ich's nich mal fünf Minuten aus.«
Sie hat die Stimme eines Menschen, der pro Tag drei Schachteln Zigaretten raucht und immer kurz vor dem nächsten Hustenanfall steht. Nachdem sie mir mitgeteilt hat, dass der Batikteppich eigentlich nur eine Requisite ist, die für »stimmungsvolles Ambiente« sorgen soll, und wir dringend ein paar Stühle brauchen, rapple ich mich hastig auf.
Nun, da sie ihren dramatischen Auftritt hinter sich hat, zieht sie den Vorhang zum Nebenzimmer achtlos zur Seite und zerstört damit jede Illusion, die bis zu diesem Augenblick eventuell noch bestanden hat. Der Raum dahinter ist tatsächlich eine Küche. Hellseherin Mary Rose verschwindet darin und taucht wenige Augenblicke später wieder auf, zwei Barhocker hinter sich herschleifend, die sie einander gegenüber auf den Teppich stellt. Ungeschickt erklimmt sie einen davon und bedeutet mir mit einer Handbewegung, auf dem anderen Platz zu nehmen.
»So .« ist alles, was sie hervorbringt, ehe sie von einem Hustenanfall geschüttelt wird. Nachdem ich zwei schauderhafte Minuten lang zugehört habe, wie sie sich die Lunge aus dem Hals hustet, stößt sie ein letztes Röcheln aus, das so laut ist, dass ich fast von meinem Hocker kippe, und fährt zu sprechen fort. »Sie sehen so aus, als hätten Sie 'nen richtigen Scheißtag hinter sich. Was sagen Sie zu 'nem Gläschen Wodka, Liiiebchen?«
Auf gar keinen Fall - das sage ich dazu. Ich zahle dieser Frau achtundzwanzig Pfund für ihren professionellen Rat, und sie will sich mit mir besaufen?
»Sehr gern.«
Mary Rose klettert von ihrem Hocker und verschwindet abermals in der Küche. Nach kurzer Zeit kehrt sie mit zwei vollen Gläsern und einer Wodkaflasche zurück, deren...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.