Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Atmen. Mit den Karten, die an dich ausgeteilt wurden, kannst du leben.
Atmen. Bloß weil dich ein paar Leute im Stich gelassen haben, heißt das noch nicht, dass alles vorbei wäre. Es wird auf deinem ganzen Weg immer Menschen geben, die dich lieben und unterstützen.
Atmen. Ich weiß, dass dir in deiner Situation, wenn du nicht weißt, wohin das alles führen soll, deine Last zu schwer zu tragen erscheint. Und das ist auch in Ordnung so. Aber denk dran, du wirst auf deinem Weg so vielem Guten begegnen, wenn du nur nicht aufgibst.
Atmen. Geh deinen Weg weiter.
Gleich von Anfang an hatte ich in meinem Leben steile Berge zu bewältigen. Schon als ich im Mutterleib heranwuchs, nahm ich Drogen und Alkohol zu mir; ich war eines der vielen »Crack-Babys«, wie sie damals in den Medien genannt wurden. Ich wurde in eine gewaltige namenlose soziale Epidemie hineingeboren, die über die Nation hinwegrollte und es auch heute noch tut. Sucht und Trauma wirken sich nicht nur auf diejenigen aus, die direkt darunter leiden, sondern auch auf die unzähligen Personen, die privat und beruflich mit den Folgen zu tun haben.
Ich war erst wenige Momente alt, als ich schon in aller Eile in die Entzugsklinik gebracht wurde, wegen der ganzen Sucht erregenden Substanzen, die ich unfreiwillig zu mir genommen hatte. Und nur wenige Tage nach dem Beginn meiner Reise auf dieser Erde überlebte ich dann auch noch eine doppelte Hernien-Operation. Ich bin also nicht nur in den Rocky Mountains geboren, wo ich buchstäblich die Berge vor mir hatte, sondern es lagen auch im metaphorischen Sinne Berge vor mir, die von Anfang an groß und bedrohlich wirkten.
Aber bevor wir anfangen, durch das Unterholz meiner holprigen Anfänge zu wandern, würde ich gern erst einmal mit einer tatsächlichen Erinnerung an die Berge meiner Kindheit beginnen, an ein Ereignis, das lange nach diesen schrecklichen ersten Jahren stattfand und voller Glück und Liebe war. Ich war vielleicht sieben oder acht Jahre alt, als Glenn, der Mann, den ich später meinen Vater nennen durfte, mit einer meiner Schwestern und mir eine Wanderung auf den Berg Old Baldy unternahm, in der Nähe des Rinderzüchter-Dorfs Twin Bridges in Montana. Der Berg war etwa 3000 Meter hoch, was in meiner kindlichen Vorstellung hoch genug war, um nach der Sonne greifen zu können. Der Tag war erfüllt von Spaß, Aufregung und einer ganzen Palette neuer Düfte und Eindrücke: den Farben der Bäume und der in der Ferne erkennbaren Berge, dem Geruch frischen Laubs und aufgeblühter Knospen. Aber selbst hier, wie so oft in meinem Leben, lauerten unsichtbare Gefahren.
Wir lachten viel auf dem Weg nach oben und hatten vielleicht die Hälfte der Strecke geschafft, als wir durch eine unverhoffte Begegnung überrascht wurden: Hinter einem unscheinbaren Baum tauchte ein Grizzlybär auf. Der Anblick war so furchteinflößend wie aufregend, und Glenn, der solchen Gefahren schon begegnet war, handelte sofort. Er wusste, was zu tun war, damit wir diese Situation überstehen und unseren Weg fortsetzen konnten. Während wir wie gelähmt vor Furcht waren, verunsichert und überfordert, wandte er sich selbstbewusst dem drohenden Grizzly zu und begann einen Lärm wie auf einer Silvesterfeier zu machen, womit er den Bären verscheuchte.
Auf diesen Zusammenstoß mit einer unerwarteten Gefahr (sowie auf Glenns mutiges, beschützendes, väterliches Handeln) folgten zur Belohnung noch viele freudige, erinnerungswürdige und einprägsame Erlebnisse. Wir stiegen weiter bergauf. Auf den Schrecken des Grizzlybären folgten zunächst eine duftende und wunderschöne Wiese mit Wildblumen und dann eine Premiere für mich: das Hochgefühl, den Gipfel eines Berges erreicht zu haben. Der Ausblick dort oben war majestätisch. Ich fühlte mich überschwänglich und zugehörig. Der Berg war nichts Unerreichbares mehr. Die gefährlichen Grizzlybären waren zwar auch weiterhin real und vorhanden, aber sie waren jetzt keine sicheren Vorboten der Vernichtung mehr, sondern einfach nur ein Bestandteil der Welt, in der ich mich gerade befand. Ich konnte sie jetzt im richtigen Verhältnis sehen - zwar groß im Moment, aber doch klein im Verhältnis zu unserer gesamten Reise, nur ein Moment im Verlauf des Weges.
Oben auf dem Old Baldy fanden wir einen Haufen Steine, auf den wir uns setzen und ausruhen konnten. Wir freuten uns über die Entdeckung eines Glasgefäßes, das irgendwo zwischen den Steinen liegen geblieben war. Wir holten das Glas aus seinem Versteck und schrieben unsere Namen auf Zettel, die wir in das Glas legten, bevor wir es wieder zwischen den Steinen versteckten. Es war zwar immer noch dasselbe Glas, aber jetzt war es mit unserer persönlichen Marke versehen. Mag sein, dass es immer noch dort oben liegt, als Andenken an unsere Zeit auf dem Gipfel des Berges, mag auch sein, dass unsere Namen inzwischen verblichen sind, aber wir sind dort gewesen. Wir haben es geschafft und zogen dann weiter.
Jetzt aber wieder zurück zu den metaphorischen Bergen meiner ersten Jahre. Als einziger Junge mit vier älteren Schwestern sollte mir später klar werden, dass ich in einen der schlimmsten bekannten Fälle von Kindesmissbrauch und Vernachlässigung der frühen 1990er-Jahre in Montana hineingeboren worden war. Abgesehen vom Trauma durch diesen Missbrauch hatte auch der Umstand, dass ich unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol auf die Welt gekommen war, für den Rest meines Daseins bleibende Auswirkungen auf jeden Aspekt meines (Er-)Lebens.
Meine frühesten Erinnerungen an meine leibliche Mutter, Berna, sind verschwommen und undurchsichtig - ähnlich wie es die Rauchringe waren, von denen sie ständig umgeben war. Ich weiß noch, wie ich gebannt war von einem orangefarbenen Glühen, das rhythmisch immer wieder an Intensität und Helligkeit zu- und wieder abnahm. Sie atmete ein und die Spitze des Stäbchens in ihrem Mund wurde heller. Sie atmete aus und die Intensität nahm wieder ab. An, aus. An, aus. Sie lag im Bett und Rauch waberte nach oben. Ihre Zigaretten sind meine früheste Erinnerung, zusammen mit einem inneren Gefühl von Neugier und Nebel.
Gillette (Wyoming), 3. März 1991: Wie in den 90er-Jahren üblich, war der März von einer typischen, frischen, beinahe brennenden Art von Winterkälte erfüllt. Es lag Schnee, und die Stadt Gillette verharrte in ihrem ruhigen Betriebszustand. Schnee ist in diesem Teil der Rocky Mountains fast das ganze Jahr hindurch präsent. Ich frage mich, wie sich meine biologische Mutter, Berna, wohl am Tag meiner Geburt gefühlt haben mag, als sie nun noch ein weiteres Kind bekam, ihr inzwischen fünftes. Der Großteil meiner frühen Erinnerungen an sie hat zwar mit Vernachlässigung zu tun, aber bei einigen Gelegenheiten zeigte sie doch auch Fürsorge, auf ihre Berna-typische Art.
So wurde mir von einem verschneiten Tag berichtet, an dem sie mich in den vorderen Korb eines Schneemobils packte und mit mir durch die Berge fuhr. Und an einem anderen Tag spielten meine Schwestern und ich draußen, und ich stürzte kopfüber von einem Geländer in eine Schneewehe. Meine Schwester April schrie nach Berna, und als sie herausgerannt kam, bot sich ihr ein komischer Anblick: nichts als Beine, die aus dem Schnee herausragten und wild herumzappelten. Sie verlor keine Zeit, mich aus der Schneewehe zu ziehen. Wir lachten alle miteinander.
Mutterinstinkte waren also in rudimentärer Form vorhanden, daher lasse ich ihr auch ein wenig Gnade widerfahren. Wäre sie selbst unter anderen Bedingungen aufgewachsen, hätte sie vielleicht sogar eine fürsorgliche, liebende Mutter werden können. Aber so war sie nicht, und so verläuft auch meine Geschichte nicht. Es lohnt sich nicht einmal, es sich so zu wünschen, denn nur das Heute und nicht die Vergangenheit existiert.
Wir zogen ganz schön viel herum in diesem ersten Jahr meines Lebens, teilweise wohl aufgrund von Bernas Unstetigkeit, vielleicht aber auch, wie ich mir vorstelle, getrieben von Verzweiflung. Auch wenn dieser Teil des Landes zu jener Zeit eine Dürre erlebte, kommt es mir eher so vor, als ob Berna ertrank, in einer Flut vergessener Städte und Orte, einem Wirbel von männlichen Gestalten, einer Vielzahl von Jobs und ausgiebigem Schmarotzertum.
Wir landeten in Sheridan in Montana, einer ruhigen kleinen Stadt mit etwa 1000 Einwohnern. Sie liegt eingebettet zwischen den majestätischen Bergen der Rocky Mountains im südwestlichen Montana, in einem wunderschönen Tal namens Ruby Valley. Der Anblick ist sehenswert. Er weist zwar nicht den rubinroten Glanz auf, den der Name vermuten lässt, aber doch eine Art goldenen Schimmer, aufgrund der endlosen Felder und des Heus, die dort fast das ganze Jahr zu sehen sind. Während das Land trocken und staubig ist, waren die Menschen, die mich umgaben, in meiner Erinnerung eher feucht, teils vom Alkohol, teils vom Schweiß sexueller Begegnungen.
Das Ruby Valley war erfüllt von endloser Langeweile und dem überwältigenden Anblick seiner ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen, mit Weizen, Mais, Kartoffeln und Vieh. Mit diesem Anblick kontrastierten der allgegenwärtige Geruch nach Mist und, was meine Mutter betrifft, die endlosen Vorräte...
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