Schweitzer Fachinformationen
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Eine »kommunistische Jugendbande« hält die Polizei zum Narren und plündert Nacht um Nacht die Villen auf der Uhlenhorst und in Harvestehude. Die Schupos wollen Hilfe von der Hafenpolizei, weil man vermutet, sie würden die Grundstücke mit Booten anfahren. Ist Jakob dabei? Ich wäre stolz auf ihn.
Als ich Selma nach der Arbeit deswegen fragte, legte sie mir einen Finger auf den Mund. »Heute habe ich keine Zeit für dich«, sagte sie lächelnd.
Ich spürte ein Ziehen in meiner Brust. »Ist er bei dir?«
Wieder der Finger.
Sie zog mich hinter einen Baum und gab mir einen Kuss. Dann stolzierte sie davon mit wiegenden Hüften. Schwingt sie die wirklich nur für mich?
Eine jähe Angst überfällt mich: Wenn sie jetzt mit Jakob . so wie früher . wird sie dann die Fabrik verlassen?
Und ich?
Da steht Ernst neben mir. »Bist du vorbereitet?«
In der Gruppe studieren wir Lenins Kunst des bewaffneten Aufstands.
»Ja, sicher«, sagte ich. Dabei war ich es nicht. Der Liebe wegen. Aber das kann ich Ernst natürlich nicht sagen. Ich habe sowieso den Eindruck, dass er uns ständig beäugt. Manchmal ist er mir lästig.
Mitternacht war längst vorbei, da rumpelte es an der Tür. Ich befürchtete Schlimmes, schlich leise hin und horchte. »Klara! Mach auf!« Es war Jakob. Ganz in Schwarz. Er machte sich einen Scherz daraus, seine Strickmütze übers Gesicht zu ziehen wie ein Gangster im Kintopp. Ich falle ihm um den Hals, lache. Ich freue mich so, ihn zu sehen! Er nimmt den Tornister vom Buckel und schnallt ihn auf.
»Heute kein Cognac«, sagt er und zieht ein Kleid hervor. »Es ist Herbst, du brauchst was Warmes.« Ein Flapperkleid in Grün mit einer Brosche aus Silber in Form eines Mondes.
»Das soll warm sein?«
»Man kann es warm machen.« Damit zog er ein Stück Stoff hervor. Ein weißes Schultertuch. Und dann noch einen Glockenhut mit Schleife.
»Du spinnst ja«, sagte ich.
Und Schühchen mit Absätzen!
»Zieh an!«
Kurz zögerte ich, aber dann . als ich mich wieder umdrehte, war er in mein Sommerkleid geschlüpft. Verlegen schaute er mich an. Streckte die Arme aus. »Wir bräuchten Musik.« Ich zuckte mit den Schultern. Und da erst fiel es mir auf: »Bist du denn gar nicht bei Selma?«
»Sollte ich?«
»Ja, ich dachte . sie sagte .« Mir wurde unwohl.
»Nein, sie hat zu tun heute.«
»Sie hat zu tun? Heute Nacht?«
»Ja, offenbar.«
»Was denn?«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis.«
»Glaub ich nicht .«
Er hob die Schultern. Eine andere Verlegenheit, als würde er mir etwas verheimlichen. »Tanzen wir jetzt dein neues Kleid ein?«
Da schrie ich ihn an, Lügner, Verräter, Feigling . verpasste ihm eine Ohrfeige, noch eine. Er zog sich hastig wieder um und verschwand.
Die Klamotten ließ er zurück. Ich warf sie in die Ecke und konnte die ganze Nacht nicht mehr schlafen.
Er muss dann doch bei ihr gewesen sein, denn in der Fabrik machte sie sich unsichtbar. Aber ich sah sehr wohl, wie sie mit Ernst sprach, der sie am Arm fasste, als sie die Mauer entlang Richtung Kohlenhalde ging. Eine Arbeiterin feixte deswegen.
Wieder eine schlaflose Nacht. Selma geht immer noch an der Mauer entlang in der Pause. Ich will sie trotzdem haben, ganz gleich, was sie tut. Meinen Stolz habe ich dennoch. Sie muss kommen!
Ich konnte nicht mehr. Verletzte mich mehrmals beim Bimsen. Keine Konzentration. Immer nur der Gedanke: Was macht Selma gerade? Habe ihr nachgestellt. Diesmal ging sie hinter die Zinnschmelze, vorbei an der Kohlenhalde am Kanal. Und da stand sie mit Ernst. Er redete auf sie ein, gestikulierte. Sie hat kokett eine Hand in die Hüfte gestemmt, ein Bein nach vorn gestellt, provokant. Was spielt sie ihm da vor? Was will sie von ihm? Kurz wirkte es, als wollte er ihr eine Ohrfeige verpassen. Da sah sie mich und trat zwei Schritte beiseite. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war aufgewühlt, ohne zu wissen, was in mir wühlte. Ernst folgte ihrem Blick und stapfte davon. Als hätte er mich nicht erkannt.
Selma ging auf mich zu, mit großen Schritten wie ein Mann. Ich wartete. Sie packte meinen Nacken und zog mich an sich. Ich legte eine Hand über meinen Mund. Sie sagte: »Heute gehörst du mir!« Da nahm ich die Hand weg. Ihre Zunge schmeckte salzig.
Wir bekamen Fabrikgeld als Lohn, Gutscheine für die Geschäfte in der Nähe.
»Damit können wir nichts anfangen«, sagte Selma. Sie hakte sich bei mir unter und wir spazierten los. Ernst stand draußen vor dem Tor, schaute zu, wie Hochbahnen und S-Bahnen über die Eisenbrücken ratterten. Es wäre nicht nötig gewesen, aber Selma rief ihm zu: »He, Ernst, wir machen heute einen drauf, willst du nicht mitkommen?« Sie lachte ihn aus!
Ich sagte: »Was soll das? Hör auf!«
»Wir sind deine Sirenen, Ernst, deine Fabrik-Sirenen!«, rief sie, aber das Rumpeln der Bahnen übertönte ihre Frechheit.
Ich zog sie fort. »Was soll das?«, fragte ich zornig.
»Er hat mir eine Moralpredigt gehalten«, sagte sie lachend. »Ich hasse Moralpredigten!« Moral? Ich verstand nicht gleich. »Ich soll die Finger von dir lassen!«
Dann sagte sie: »Heute gehe ich Schlangen beschwören. Denn dieser ganze Plunder .« Sie hob die Gutscheine hoch und hätte sie weggeworfen, wenn ich sie ihr nicht entrissen hätte. ».ist doch nichts wert. Nicht wenn man seine Geliebte ausführen will!« Und sie drückte mich so kräftig an sich, dass mir die Luft wegblieb.
»Aber du musst auf mich aufpassen«, sagte sie. »Weil Jakob nicht da ist! Wenn er eine neue Flamme hat, wird er unsichtbar. Wer weiß, wo er sich herumtreibt.«
(Im Nachhinein schäme ich mich für sie, aber gleichzeitig frage ich mich, ob es nicht viel schäbiger ist, sich dafür zu schämen, als es zu tun.)
Bei der Gasanstalt, sagte Selma, gibt es eine Straße, wo Automobile unbemerkt anhalten können hinter einer Litfaßsäule. Die Stelle ist bekannt bei Herren mit Devisen. Da kann man zusteigen und den Fahrer rasch in eine Seitengasse abbiegen lassen. Und dort, in einer Nische dicht an der hohen Mauer, kann man die Schlange beschwören. Die anderen, sagte Selma, machen das bis zum Schluss. Sie aber nutze die Unaufmerksamkeit des Herrn, um an seine Börse zu kommen. Und schon ist sie draußen, »bevor der gute Mann seine Schlange gebändigt und wieder eingepackt hat. Dass ihm nicht nur der billige Genuss, sondern auch sein Geld abhandengekommen ist, kriegt er erst spitz, wenn ich schon über alle Berge bin.« Nur braucht sie eine Wache. Und das war bislang Jakob.
»Ich gebe mich dafür nicht her«, sagte ich.
»Du musst nur hinter der Mauer warten. Hier .« Sie hielt mir eine Trillerpfeife hin. »Reinpusten, wenn ich schreie.« Das sei aber noch nie vorgekommen.
»Nein, ausgeschlossen.«
Sie drängte mich gegen einen Baum. »Ich führe dich aus. Kino! Nachtcafé!«
»Nicht so .«
Sie ließ ihre Haare wehen: »Sieh doch, ich hab mein Schilf getrimmt für dich!«
Ich dachte an die Hände unter dem Stoff. Und wie anders es doch ist, wenn kein Stoff zwischen den Körpern ist, sondern nur Wahrheit. Meine Sehnsucht nach Wahrheit war unendlich groß. Aber ich sagte nein.
Schüttelte den Kopf. »Niemals!«
Selma stand da, mit offenem Mund, die Augen weit aufgerissen: »Schämst du dich etwa für mich? Willst mir Moralpredigten halten? So wie Ernst? Und dann brauchst du mich doch!«
»Was ist denn mit Ernst?«
»Schnepfe!« Sie drehte sich um und stürmte davon.
Es ist doch besser so. Es gibt Wichtigeres als kleinbürgerliches Glück. Am Abend die Frauenversammlung mit Nosch. Wir sind jetzt gut organisiert. Demonstrationen, Blockaden, aber keine Übergriffe. Organisation geht vor. Disziplin. »Wir werden sie bald benötigen«, sagte Nosch. Und: »Sowjetdeutschland liegt in der Luft. Bald werdet ihr satt. Es werden schon Frachter beladen in Petrograd, mit Weizen.« Die Frauen schwiegen, es lag Hoffnung in der Luft. Bald .
Danach saß ich mit ihr beim Tee im Parteibüro. Sie hat dort einen Samowar im Schrank. Sie sagte, Moskau rechnet mit einer deutschen Revolution. Spätestens im November. Ich fragte: »Weil es bald noch mehr Arbeiterregierungen geben wird?«
»Wir brauchen keine Parlamente, sondern Sowjets! Mit den...
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