Schweitzer Fachinformationen
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Ich eilte ihm voraus und bemerkte dabei, dass ich es vor allem deswegen tat, um ihm zu zeigen, dass ich viel jünger und besser im Training war als er. Aber als ich oben ankam, war ich ziemlich aus der Puste, ich war ja immerhin vom Bahnhof hergerannt. Er war dicht hinter mir geblieben und atmete langsam und gleichmäßig.
Ich schloss die Stahltür mit dem Schild »Lenina Rabe, Detektivin« auf und betrat das Büro. Der vordere Raum des Lofts, mein Büro, war glücklicherweise vorbildlich aufgeräumt. Sogar der Küchenbereich glänzte. Im Hinterzimmer, meinem privaten Reich, sah es anders aus, aber das lag nur daran, dass ich zur Zeit Besuch hatte. Annie war aus Berlin rübergekommen, um sich bei mir auszuweinen, weil ihre Karriere als Sängerin einen Knick bekommen hatte. Wir waren letzte Nacht in unserer alten Stammkneipe, dem »Espace«, gewesen und hatten einen nostalgischen Abend verbracht bis zu dem Moment, als so ein Typ, der aussah wie ein weichgespülter Til Schweiger, Annie gefragt hatte, ob sie nicht die Annie sei, die er neulich auf MTV und so weiter . Sie waren dann zusammen weggegangen und ich allein nach Hause.
Aber jetzt stand, nachdem die Tür hinter ihm laut ins Schloss gefallen war, dieser alte Knacker in meinem Büro und sah sich meine »Galerie der Inspiration« an. Das waren Bilder von schwierigen Übungen, die ich mir noch draufschaffen musste. Einfache Skizzen, die ich selbst angefertigt hatte.
»Machst du immer noch Aikido?«, fragte Paul.
»Ja.«
»Und bist immer noch der Ansicht, dass die Revolution nicht auf der Straße, sondern im Kopf stattfinden muss?«
»Gibt's irgendwas, das Sie nicht über mich wissen?«
Er lachte trocken. »Wohnst du immer noch allein hier?«
»Noch eine persönliche Frage und ich werfe Sie raus!«
Wieder dieses Lachen, das so gar nicht lustig klang. »Das würdest du glatt schaffen.«
»Klar. Und die Ermittlung können Sie dann auch vergessen.«
»Du kannst mich ruhig duzen. Mal abgesehen davon, dass wir uns schon ewig kennen, mag ich es nicht, gesiezt zu werden - außer von den Bullen«, setzte er hinzu.
Ich merkte, dass ich langsam von meinem Anti-Trip runterkommen musste. Es war völlig destruktiv, in meiner finanziellen Lage einen potenziellen Kunden zu verprellen. Außerdem vertrug es sich nicht mit meiner Lebensphilosophie. Auch der kleine Lehrmeister in meinem Ohr meldete sich jetzt zu Wort. »Koch ihm einen Yogi-Tee!«, verlangte er. Aber auf meinen Sensei war ich momentan schlecht zu sprechen, ich fand ihn zu vorlaut. Deshalb fragte ich den grauen Panther: »Wie wär's mit einem Kaffee?«
»Gern.« Er setzte sich auf den Stuhl vor meinen Schreibtisch. Ungefragt. Na ja, mein Vater hatte es auch immer abgelehnt, sich halbwegs zivilisierte Umgangsformen anzugewöhnen. Muss wohl ein Generationsproblem sein.
Ich füllte die besten Bohnen von Café Libertad in die Mühle und ließ sie aufheulen. Dann brühte ich einen absolut unmodernen Filterkaffee auf. Nicht aus Zickigkeit, sondern weil meine Espresso-Maschine nur noch vor sich hinspuckte. Den Kaffee hatte Nadine mir neulich mitgebracht. Sie konsumierte nur politisch korrekt.
Paul holte eine Packung filterlose Gauloises aus der Jackentasche und zündete sich eine an. Wieder ungefragt. Ich seufzte. Der Sensei in meinem Ohr riet mir zu Gelassenheit, obwohl er Rauchen nicht ausstehen konnte.
Schließlich stellte ich zwei Becher auf den Schreibtisch und setzte mich dahinter. Paul warf vier Stück Zucker in den Kaffee. Ich trank ihn schwarz.
Paul schwieg, dachte nach, trank Kaffee und blies mir den Rauch über den Schreibtisch entgegen. Der Mann war eine echte Prüfung.
Auch wenn es eine absolut lächerliche Frage war, musste sie nun gestellt werden: »Wer ist Schneewittchen?«, sagte ich.
»War«, sagte er.
»Na gut, wer war Schneewittchen?«
Er hatte sich aus einem Stück Alufolie von der Zigarettenpackung einen kleinen Aschenbecher geformt, da ich ihm keinen angeboten hatte. So was hatte ich gar nicht. Da hinein drückte er jetzt die Kippe und nahm sich gleich eine neue Zigarette.
»Das weiß ich auch nicht so genau«, sagte er und ließ sein Feuerzeug aufflammen.
So langsam kam ich mir verarscht vor. »Das Raucherabteil ist draußen«, sagte ich und deutete zur Tür.
»Ich will es aber wissen«, sagte Paul bedächtig. »Ich will endlich wissen, wer sie auf dem Gewissen hat.« Er hielt inne, paffte vor sich hin und nippte an seinem Kaffee.
»Wir haben einen Erklärungsnotstand«, stellte ich fest.
Er nickte nachdenklich und sah mich dann an. Die Augen hinter seiner Nickelbrille waren blassblau. Konnte sein, dass ich mich gerade daran erinnerte, dass mich diese Augen schon mal angesehen hatten. Vor tausend-oder-so Jahren.
»Weißt du noch, wo ich wohne?«, fragte er.
»Nee.«
Er hüstelte ironisch. »Na ja . Aber du kennst die Friedensallee.«
»Ja, ja.«
»Und die Borselstraße und die Daimlerstraße, diese Ecke, wo früher lauter Fabriken standen und wo sich jetzt die Yuppies breitgemacht haben.«
»Yuppies?«
»Sagt man das nicht mehr?«
»Eher nicht.«
»Na ja, du weißt schon. Trendkapitalisten, Kriegsgewinnler der Neoliberalisierung.«
»Wir wohnen da immer noch. Damals, Anfang der 70er Jahre, als dieses Viertel hier total runtergekommen war, haben wir die Gebäude besetzt und ein Sozial-Projekt gestartet. Wir haben die Arbeiter, die Arbeitslosen und die Alten verteidigt, die bei einem drohenden Kahlschlag im Viertel obdachlos geworden wären. Wir haben uns um die Kinder und Jugendlichen gekümmert, die überhaupt keinen Anlaufpunkt hatten. Wir haben den Türken geholfen, sich in diesem Land zurechtzufinden. Wir haben Sozialarbeit geleistet, für die sich der Staat und die Gesellschaft zu schade waren. Wir haben das Viertel gerettet! Zusammen mit anderen Initiativen. Und dann kamen diese Yuppie-Scheißer und fingen an, uns zu enteignen. Und jetzt heißt Kommunikation und sozial nur noch, dass man in Trend-Bars geht, sich mit Alko-Pops bedröhnt, mit Techno betäubt und .«
»Techno ist tot«, zitierte ich meine Freundin Nadine. Er war mir entschieden zu laut geworden. Außerdem verstreute er seine Asche auf meinem Schreibtisch.
»Na und? Du weißt, was ich meine!«
»Klar. Aber was hat das mit Schneewittchen zu tun?«
Er hob die Hand und deutete ins Nichts. »Also gut, ich will mich kurzfassen. Das ist ja auch so was heutzutage, dass keiner mehr fähig ist zuzuhören. Aber bitte. Dann kriegst du jetzt die Kurzfassung. Später können wir ja noch mal über die Details sprechen.«
Ihm stand der Schweiß auf der Stirn, obwohl es im Büro nicht sehr warm war. »Meinetwegen«, lenkte ich ein.
»Das waren alles Studenteninitiativen. Später, als alle langsam mit dem Studium fertig wurden - Soziologen, Psychologen, Mediziner, Sozialpädagogen waren dabei -, wurden aus den Inis professionell organisierte Sozial-Projekte. Schließlich müssen auch engagierte Menschen Geld verdienen. Es gab aber zwei Jahrzehnte lang ein gemeinsames Dach und einen festgelegten Rahmen, in dem das alles stattfand, ein Trägerverein für die verschiedenen nichtkommerziellen Projekte, die ja auch immer noch dazugehörten. Das wurde dann allerdings immer weniger und inzwischen kocht jeder sein eigenes Süppchen.«
»Und du, was hast du gemacht und was machst du da jetzt?«
»Ich wohne immer noch da, und der Verein, das bin praktisch nur noch ich.«
»Sonst nichts? Beruflich, meine ich.«
»Ich hab das mit dem Studium nicht so auf die Reihe gekriegt. Erst Psychologie, dann Soziologie, dann Politologie und Geschichte. Eine Zeitlang wollte ich Lehrer werden, na ja. Dann bin ich eine Weile Taxi gefahren und später auf Altenpfleger umgesattelt. Das mach ich jetzt, ambulante Pflege.«
»Und wie kriegen wir nun die Kurve zu Schneewittchen?«, fragte ich, während er sich eine weitere Gauloise anzündete.
Er starrte in seinen leeren Becher: »Kann ich noch einen Kaffee haben?«
Ich stand auf und schenkte uns nach.
»Der Verein ist irgendwann in finanzielle Schwierigkeiten geraten«, fuhr Paul fort, nachdem er wieder vier Zuckerstücke versenkt hatte. »Die Gebäude mussten saniert werden und . na ja, manche wollten nicht zu tief in...
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