Schweitzer Fachinformationen
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Vor allem roch es nach verbrannter Kohle. Überall Rauch, vermischt mit Nebel, Eisbrocken trieben im schwarzen Wasser, Schneeflocken wirbelten durch die Luft. Durchdringendes Sirenengeheul, doch die Stadt im Dunst blieb unbeeindruckt von unserer Ankunft. Was bildeten wir uns auch ein? Ein zweiter Blick auf den Hafen zeigte uns die massigen Umrisse viel größerer Schiffe. Zwei Schlepper halfen beim Wenden zwischen Frachtern, Fähren und Barkassen. Wir fügten uns bescheiden zwischen zwei Ozeanriesen ein und machten an der Überseebrücke fest. Willkommen in Hamburg.
Eine Ankunft im Morgengrauen. Allein in der Fremde. Eine Mission.
Kein Grund, pathetisch zu werden, Jenny. Es war viel zu frostig für große Gefühle und dein Koffer zu schwer für tiefschürfende Gedanken.
»Siehst du«, sagte die kleine Anna, die neben mir über die Reling spähte, »jetzt sind wir nicht mehr grün im Gesicht.«
»Was für ein Glück.«
»Ja, grau siehst du viel besser aus. Tschüss, ich muss jetzt gehen.«
Ein flüchtiger Händedruck, ein angedeuteter Knicks und weg war sie.
Ein Blick über die Bordwand. Die ersten Passagiere betraten vorsichtig die Gangway. Es sind immer die Ängstlichen, die zuerst das Schiff verlassen.
Ich griff nach dem Koffer und ging von Deck.
Draußen auf dem Ponton fühlte ich mich klein als Teil des Auflaufs winziger Menschen neben den hoch aufragenden schwimmenden Stahlwänden. Ein langer eiserner Steg führte an Land.
». man erwartet Sie gegenüber der Brücke . am Zeitungsstand unter der Hochbahn .«
Automobile fuhren vor und nahmen die wohlhabenden Reisenden auf. Jenseits der Hochbahn eine Tramhaltestelle, dahinter reckten sich mehrstöckige Häuser mit spitzen Giebeln in die Höhe. Ich stellte den Koffer ab, schlug meinen Mantelkragen hoch und schaute mich um. Die Frau im Zeitungsstand rauchte eine Pfeife und musterte mich argwöhnisch. Über mir rumpelten Waggons über die Eisenbrücke. Ein Mann trat auf mich zu, streckte die Hand aus. Er trug nicht mal einen Mantel, nur ein armseliges Jackett, darunter ein schmutziges Baumwollhemd, die Hosen so kurz, dass man die nackten Beine sah.
»Es tut mir leid, ich habe kein deutsches Geld.« Er stolperte vorbei, mit unbewegtem Gesicht. Einer von sechs Millionen Arbeitslosen in Deutschland an diesem Tag, dem 29. Februar, der das Jahr des Elends 1932 um vierundzwanzig Stunden verlängerte.
Ich erkannte die Frau an ihrem Hut. Natürlich trug sie keine Uniform, ihre Dienststelle war aufgelöst worden, es gab keine weiblichen Streifenbeamten mehr, aber der Hut erinnerte mich an meine Kolleginnen in England. Einen solchen Hut trägt eine Frau sonst nicht.
»Good morning«, sagte sie unbeholfen. »My name is Berta Winter.«
»Guten Morgen, Frau Winter. Ich bin Jennifer Stevenson von der International Policewomen's Association. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
Wir schüttelten uns die Hand.
»Oh, Sie sprechen Deutsch«, stellte sie erleichtert fest.
»Ein bisschen.«
»Ich bin die Einzige bei uns, die etwas Englisch beherrscht . deshalb hat man mich . Lernt man denn bei der englischen Polizei Fremdsprachen?«
»Nein. Eine Tante hat es mir beigebracht. Sie kam aus Hamburg.«
»Ach, dann sind Sie sozusagen eine Landsmännin?«
»Nein, nur die Tante.«
»Ach so.« Sie schaute auf meinen Koffer, offenbar unschlüssig, ob sie ihn tragen sollte. »Wir könnten die Straßenbahn nehmen, nur zwei Stationen . oder .«
»Zu Fuß wäre mir angenehm. Ich kann etwas Bewegung gebrauchen.«
Sie trat auf den Koffer zu. »Soll ich den .?«
»Nein, nein, ich glaube, das schaffe ich schon.« Ich hob mein einziges Gepäckstück an, um zu zeigen, dass es mir keine Mühe bereitete. Sicherlich war ich die Stärkere von uns beiden, wenn auch etwas kleiner als meine deutsche Kollegin, die schmal und schlank gebaut war, weshalb die schweren Schnürstiefel an ihren Füßen und der plumpe Hut nicht recht zu ihr passen wollten.
Berta Winter drehte sich um. Mein Blick fiel auf die Zeitungsverkäuferin. Sollte ich mich verabschieden? Immerhin hatte sie mich die ganze Zeit unverhohlen angestarrt. Ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, sagte sie: »English papers heb wi ook.« Und stieß eine Rauchwolke aus.
Ich dankte mit einem Kopfnicken und folgte meiner Gastgeberin über die Fahrbahn, durch größere Straßen und verwinkelte Gassen, bis wir vor einem schmalen, vierstöckigen Fachwerkhaus standen.
»Oben unterm Dachboden«, sagte Berta entschuldigend. »Groß ist es leider nicht. Aber ich kann uns Kaffee machen. Aus echten Bohnen.«
»Das gefällt mir gut.«
Über eine steile Stiege gelangten wir in ihre Wohnung. Einige Wände hatten Dachschrägen.
»Es ist ein Zimmer zu viel da . meine Mutter ist im letzten Jahr verstorben .«
Sie zeigte mir eine schlicht eingerichtete Küche, ein Wohnzimmer, das sie erst aufschließen musste, ein Schlafzimmer mit einem düster wirkenden mächtigen Doppelbett und eine Kammer, in der kaum mehr als Tisch, Stuhl, Bett und Kommode Platz fanden. Es ging nach hinten hinaus und hatte nur ein sehr kleines Fenster. An der sonst kahlen Wand ein Bild mit Blumen. Über dem Tisch ein schmales Regal mit Büchern. »Eigentlich war das immer mein Zimmer . aber jetzt .«
Ich stellte meinen Koffer ab. »Es ist schön.«
»Sicher etwas eng.«
Ich trat ans Fenster. Unten im Hinterhof waren lange Bretter aufgeschichtet, Arbeitsgeräte standen herum. Ich hatte das Firmenschild einer Tischlerei am Nebenhaus bemerkt.
»Wenn die da unten zu laut hämmern, muss man schreien, dann kuschen sie schon«, sagte Berta und hob unvermittelt meinen Koffer hoch, um ihn auf das Bett zu werfen.
»Danke«, sagte ich erstaunt.
»Ich mach uns mal einen Kaffee. Die Toilette ist eine halbe Treppe tiefer. Der Schlüssel liegt oben auf dem Türrahmen, damit sich die Kinder nicht andauernd einschließen .«
»Gut, vielen Dank.«
Der Kaffee, den sie mir dann in ihrer kleinen Küche servierte, war bestimmt der Beste, den ich je getrunken hatte. Leider blieb es bei diesem einen Mal.
Wir unterhielten uns über dies und das. Ich erzählte ein bisschen von Tante Elsi, die von meinem Onkel Jack, einem schottischen Matrosen, nach Glasgow gebracht worden war. Er hatte versprochen, mit ihr nach Amerika auszuwandern. Aber dann sind sie in Schottland geblieben. Er trank und sie »verdorrte so langsam«, wie sie sich ausdrückte. Dass sie vom »Hamburger Berg« stammte, wie sie St. Pauli immer nannte, verschwieg ich Berta, obwohl ich annehmen durfte, dass wir als Kolleginnen keine Vorurteile kannten.
»Für Tante Elsi ist Hamburg die schönste Stadt der Welt. Und Glasgow die Hölle«, erzählte ich.
»Warum kommt sie dann nicht zurück?«
»Sie ist verheiratet und mittellos .«
»Sklaverei«, sagte Berta.
»Sie hat mich erzogen, nachdem meine Mutter starb. Seit ich in London bin, schicke ich ihr Briefe. Aber es kommt nie einer zurück.«
»Vielleicht hätten Sie sie mitnehmen sollen.«
Du hast es nicht bemerkt, Berta, aber was du da gesagt hattest, rührte mich sehr. Warum bin ich nie selbst auf diesen Gedanken gekommen?
Nach einer Weile kamen wir endlich auf den Grund meiner Reise zu sprechen.
»Es ist doch längst zu spät«, sagte Berta. »Unsere Dienststelle ist aufgelöst.«
»Mag sein, aber warum?«
Sie legte das Messer beiseite, mit dem sie sich ein Butterbrot geschmiert hatte.
»Warum? Aber wisst ihr das in England denn noch nicht? Zwei unserer besten Polizistinnen haben . sind ums Leben gekommen!«
»Selbstmord, heißt es.«
»Dann wisst ihr es also doch.«
»Ja, sicher, aber warum wird eine ganze Dienststelle aufgelöst, wenn zwei Beamtinnen sich umbringen?«
»Weil es nicht mehr ging! Unsere Chefin steht doch unter Anklage! Sie darf die Abteilung nicht mehr leiten. Und wer sollte es sonst tun? Thesy, also Therese Dopfer, war ihre Stellvertreterin, aber sie ist ja nun tot. Erst hat der Forster von der Sitte die Leitung übernommen. Aber dann wurden alle auf...
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