Schweitzer Fachinformationen
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Die kleine weiße Kugel rotierte im Kessel, getrieben von der Macht der Rotation, prallte ab von unsichtbaren Hindernissen, flitzte als Querschläger über den Kranz der roten und schwarzen Zahlen, ließ sich von den vorstehenden Rauten schikanieren, surrte, klackerte, eierte herum, ignorierte die grüne Null und fiel schließlich nach einer halben Ewigkeit in eins der Fächer. Dreiundzwanzig, rot, ungerade. Und wieder schob der Croupier die Jetons auf die andere Seite des Tischs, wo sie sich vor der blonden Frau im kleinen Schwarzen auftürmten. Die hat wirklich Glück, dachte Gisela. Nur gut, dass Karl mir vor allem kleinteilige Chips in den Beutel gelegt hat, sonst müsste ich mir noch Gedanken über meine Ausgaben machen.
Die junge Frau trug eine hübsche Perlenkette um ihren Schwanenhals. Wenn die echt ist, würde es reichen, ihr in einer Seitenstraße eins über den Schädel zu ziehen und mit dem Ding das Weite zu suchen. Wäre das nicht genug? Aber sie sah schon das scheinheilig-geschäftsmäßige Gesicht von Karl vor sich: "Na meine Liebe, du weißt doch, dass ich dir nur einen Bruchteil vom eigentlichen Wert auszahlen kann." Sei's drum, spontane Raubüberfälle waren sowieso nicht ihre Sache. "Und außerdem arbeiten wir nie am Wochenende", hatte Frieder mit einem schelmischen Lächeln gesagt, "denn am Wochenende haben die Banken geschlossen." Frieder, der gerade wegen bewaffnetem Raubüberfall in Santa Fu hockte.
Gisela vergewisserte sich, ob ihre dunkle Lockenmähne noch immer so üppig auf ihre Schultern fiel wie erwünscht und strich dann mit kalkulierter Nervosität über ihr dunkelblaues Kleid, zu dem sie weiße Glacéhandschuhe trug, die bis zu den Ellbogen reichten. Sie wolle das Spielgeld nicht mit den bloßen Händen berühren, weil das Unglück bringe, hatte sie Karl erklärt. Der hatte gelacht und gesagt: "Ja, ja, Aberglaube ist in unseren Kreisen weit verbreitet. Setzt du auf die Dreizehn?"
"Die Dreizehn ist schwarz, dabei müsste sie doch rot sein", hatte sie geantwortet. Er hatte nachsichtig gelacht, mit selbstgefälligem Unterton: Menschen, die abergläubisch sind, so kündete dieser Unterton, sind leichter zu beherrschen.
Das war an der Bar gewesen, wo er ihr das Säckchen aus Samt - dunkelblau, passend zu ihrem Kleid - übergeben hatte. Spielgeld. Eine Investition in die Zukunft.
Die Blondine auf der anderen Seite lächelte. Leicht verschämt, stolz und zurückhaltend zugleich. Sie wollte nicht triumphieren, das sprach für sie. So viel Lebenserfahrung hatte sie mit schätzungsweise Mitte Dreißig schon gesammelt. Immerhin hatte sie bereits ein paar hundert Deutsche Mark vor sich aufgehäuft, und nicht wenige der Jetons stammten aus dem Säckchen von Giselas Geschäftspartner Karl Schneider, den manche "Beutel-Schneider" schimpften.
Schneider war gegangen. Das hatte sie sich ausgebeten. "Du musst mir nicht beim Verlieren zuschauen", hatte Gisela gesagt. Was ihn amüsiert hatte: "Aber du verlierst doch absichtlich." Und sie hatte hochmütig entgegnet: "Umso schlimmer, mein Lieber."
"Faîtes vos jeux!" Man sprach Französisch im neunten Stock des Hotels Intercontinental in Hamburg an der Außenalster. Das nagelneue Kasino war eine internationale Attraktion. Anfang des Jahres hatte der Finanzsenator die erste Kugel geworfen, jetzt ging das Jahr 1978 seinem Ende entgegen und der Ko-Investor Staat konnte zufrieden sein, er sahnte mit ab.
So wie die Blonde gegenüber, die gerade ihren Einsatz an die Transversale 16-18 gelegt hatte. Wieder zwei rote und eine schwarze Zahl. Gisela bildete sich ein, die Blonde würde mehr auf rote als auf schwarze Zahlen setzen. Was sie allerdings nicht mathematisch belegen konnte. Ergo: Aberglaube.
Die Frau mit der Glückssträhne blickte irritiert auf. Sie hatte eine Stimme gehört. Ihre Augen, die eben noch das Tableau gemustert, den Croupier angelächelt und Gisela einen entschuldigenden Blick zugeworfen hatten, irrten hektisch hin und her. Als würde sie nach einem Fluchtweg suchen.
Gisela schaute sie betont erstaunt an. Aber ihr Versuch mütterlich-mitfühlend zu wirken - sie war etwas älter als ihr Gegenüber - ging ins Leere. Denn im gleichen Moment, als die Kugel geworfen wurde und über den schwarzen Kesselrand surrte, sprang die Blonde auf. Als der Croupier "Rien ne va plus" sagte, wandte sie dem grünen Tisch den Rücken zu, und als die kreisende Kugel ihren Radius verengte, ins Trudeln geriet und zu klackern anfing, eilte sie mit weit ausholenden Schritten davon und wirkte dabei durchaus sportlich. Unter dem Kleid, das an den Schultern gepolstert war, sich ansonsten eng an Hüften und Oberschenkel schmiegte, konnte Gisela kurz das Muskelspiel beobachten.
Der Blickrichtung nach zu urteilen, hatte die Blonde an der Bar etwas Beunruhigendes bemerkt. Gisela schaute betont desinteressiert hinter sich. Dort plauderte eine seriös wirkende, ältere Hanseatin in einem altmodischen dunkelgrünen Abendkleid mit einem graumelierten Herrn im dunklen Zweireiher. Sie trug Goldschmuck, der nicht zu ihrem toupierten platinblonden Haar passte.
Aber das war jetzt nebensächlich, denn die Geflüchtete hatte erneut gewonnen, wie der Croupier leicht irritiert annoncierte. Und nicht zu knapp: elfmal einhundert macht 1100 Deutsche Mark, das war kein Pappenstiel. Damit konnte so eine junge Frau schon mal einen Monat durchkommen, wenn sie keine allzu hohen Ansprüche stellte.
Die anderen Spieler schüttelten die Köpfe, lächelten verlegen, zuckten mit den Schultern, blickten sich suchend um.
"Ich schau mal, ob ich sie finde", sagte Gisela im Aufstehen. "Das wäre doch zu dumm." Als ob ein Kasino keine Vorkehrungen für derartige Fälle getroffen hätte. Aber das war ja egal, sie wollte die Blonde jetzt nicht wieder verlieren.
Gisela durchstreifte die diversen Räume, Bars, Foyers, Lounges, die Säle mit dem amerikanischen Roulette, die Blackjack- und Poker-Tische. Nichts zu machen. Gleichzeitig fühlte sie sich irgendwie beobachtet. War Schneider noch da?
Blieb nur noch das Inspizieren der Toiletten übrig. Ebenfalls Fehlanzeige. Alles leer, niemand stand händeringend vor einem der modernen Waschbecken mit den blitzenden Armaturen und starrte verzweifelt in den Spiegel. Auch die Kabinentüren standen sämtlich sperrangelweit auf. Na schön, wenn wir schon mal hier sind - Gisela steuerte das nächstliegende Klosett an. Trat ein, schob die Tür zu, hielt inne.
Draußen im Flur näherten sich hastige Schritte. Klappernde Absätze, leicht unregelmäßig, wie von einer Frau, die es nicht gewohnt war, auf Pfennigabsätzen einen Sprint hinzulegen - oder vor jemandem zu flüchten.
Die Tür wurde aufgestoßen, hastiges Atmen, ein leise geflüstertes "oje, oje!", gefolgt von einem hektischen Herumirren im Waschraum, hin und her vor den Kabinen. "Was mach ich jetzt . da drinnen findet die mich doch ."
Gisela hatte schnell begriffen, worin die Gefahr bestand: Man konnte durch den Spalt unter Tür und Kabinenwand durchspähen. Niemand versteckt sich in einer Toilette, wenn er wirklich gesucht wird. Was das Flüchten betraf, hatte Gisela einige Erfahrung.
Draußen im Korridor erneut Schritte. Langsam, gemessen, vielleicht sogar zögerlich. Ein verhaltener Ruf: "Simona?"
Gisela hätte beinahe laut aufgelacht, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Sie zog die Tür auf. Die Blonde starrte sie kurz an. Gisela bedeutete ihr einzutreten. Und schon war die Tür geschlossen und verriegelt.
"Was .", flüsterte die Blonde, die nicht so ganz zu begreifen schien.
Gisela klappte den Deckel herunter. "Hock dich drauf!"
Die Blonde kletterte auf den Toilettendeckel.
Meine Güte, dachte Gisela, was man alles tut, nur um an Geld zu kommen.
Die Tür zum Waschraum ging auf.
"Simona?"
Schritte trippelten hin und her. Offenbar inspizierte die Dame die Ecken und Nischen, schaute in jede der leeren Kabinen.
"Simona? Ich weiß, dass Sie hier sind."
Gisela schaute die Blonde an, die geduckt im engen Kleid auf der Toilette hockte, die Augen weit aufgerissen vor offensichtlicher Verzweiflung, einen Finger an den Lippen, unausgesprochen bettelnd: Schweigen Sie, retten Sie mich.
Gisela nickte zustimmend.
Die Tussi da draußen wurde aufdringlich. Sie klopfte an die Tür. "Simona, kommen Sie raus!"
Die beiden Gefangenen schwiegen.
Die Klinke wurde mehrmals betätigt. Die Tür wackelte.
Die Frauen in der Kabine hielten den Atem an.
Draußen geschah etwas Eigenartiges. Unter dem Türschlitz waren Knie zu sehen, und Hände. Diese Frau war sich für nichts zu schade....
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