Schweitzer Fachinformationen
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»Das Strandhotel von Caplan? Wissen Sie was? Das ist abgebrannt, Mademoiselle!« Er öffnete den Geschirrspüler zu früh, und eine gewaltige Dunstwolke waberte ihm entgegen. Schnell schloss er die Klappe wieder und wandte sich mir zu. Er reckte den Hals über die Theke und versuchte, einen Blick auf den Brief aus Key West zu erhaschen, den ich erneut geöffnet hatte, um die Angaben zu überprüfen, aber ich wich einen Schritt zurück.
»Wissen Sie was? Ein Riesenfeuer war das! Das ganze Dorf ist mitten in der Nacht zusammengekommen. Sogar aus Saint-Sime´on und aus Bonaventure waren Schaulustige da! Natürlich hab ich bei der Gelegenheit das Bistro aufgemacht. Zwei Tage lang hat es ununterbrochen gebrannt! Die Flammen haben die Wände aufgefressen, überall sind Bettfedern rausgesprungen, die Feuerwehrleute wussten gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht! Mit der Asche hätte man den ganzen Strand bedecken können! Und wissen Sie was? Alles war hin! Das Hotel, die Bar und die Glücksspielautomaten. Ich hoffe, Sie sind nicht allzu enttäuscht .?«
Ich lächelte. Wenn ich zehn Stunden Auto gefahren wäre, bloß um die Glücksspielautomaten im Strandhotel von Caplan zu sehen, wäre ich bestimmt enttäuscht gewesen, ja.
»Da, schauen Sie: Es stand da drüben, auf der anderen Straßenseite, bloß ein bisschen weiter westlich, aber da ist nichts mehr übrig. Ich würd sagen, das ist schon an die zwei Monate her. Jeder weiß das. Ich verstehe nicht, dass Sie davon nichts mitgekriegt haben, es war auf der Titelseite von L'e´cho de la Baie! Es gab sogar eine Sonderreportage mit Farbfotos! Vielleicht war der Brand eine Straftat, heißt es, und die Versicherungen wollen nicht zahlen. Wenn so was passiert, braucht man immer einen Sündenbock! Wissen Sie was? Schon komisch, dass jemand will, dass Sie da übernachten .«
Ich überprüfte das Datum. Der Brief war zwei Monate vorher in Key West abgeschickt worden. Ich steckte ihn wieder ein. Ich hatte noch nichts zu verbergen, aber auch nichts weiter zu sagen. Er räumte meine Pizzareste ab, warf sie in den Mülleimer und trat unzufrieden einen Schritt zur Seite.
»Wissen Sie was? Der beste Platz, um hier unterzukommen, ist bei Guylaine, gleich um die Ecke. Da werden Sie es viel gemütlicher haben als in dem abgebrannten Hotel!« Aus gebührendem Abstand öffnete er erneut den noch fauchenden Geschirrspüler. Er schnappte sich ein rot kariertes Tuch und begann wie ein Zirkusdompteur den Dampf wegzuwedeln. Dann zeigte er voller Lokalpatriotismus mit dem Kinn auf ein großes Haus, genau östlich von dem Café. Von oben auf den Felsen blickte es ruhig auf das Meer hinab. Eine zauberhafte Herberge, die ihre Gäste mit offenen Armen empfing.
»Das ist die schönste in der ganzen Gegend! Es ist ruhig da, Guylaine hat keine Kinder und auch keinen Ehemann. Und direkt daneben, ein Stück weiter, liegen der Fischerkai und das Hafencafé. Wenn Sie Fischer kennenlernen wollen, dann gehen Sie am besten da essen, am späten Vormittag, wenn die wiederkommen. Jetzt gerade macht Guylaine ihren Spaziergang, aber sie taucht bestimmt gleich hier auf, sie kommt immer bei mir vorbei .« Der Gedanke machte ihn anscheinend sentimental. Versonnen nahm er ein Glas, ließ es beinahe fallen, knallte es wie einen verhexten Gegenstand auf den Tresen, blickte noch einmal nachdenklich hinauf zur Herberge und wandte sich dann mit einem Seufzer wieder mir zu. »Wollen Sie solange einen Kaffee?«
Ich hatte nie besonders viel für Familienpensionen übriggehabt. Meist musste man dort plaudern, erzählen, wer man war, wo man herkam, wo man hinging, wie lange man bleiben wollte, und den Besitzern zuhören, wenn sie in allen Einzelheiten von der Sanierung des Dorfes erzählten. Aber gut. Anscheinend war es aussichtslos, ein Hotel in der Gegend zu finden, und fürs Campen war ich nicht gemacht, also blieb mir wohl nichts anderes übrig, als zu Guylaine zu gehen. Wohin sonst?
Er räumte mein Besteck und mein leeres Glas ab und stellte eine Tasse auf den Tresen, bevor er das Gespräch wieder aufnahm und fragend mit dem Zeigefinger auf meine Handtasche deutete.
»Falls Sie jemanden von hier suchen, kann ich Ihnen bestimmt helfen .«
Ich zögerte. Ich drehte mich auf meinem Stuhl zur Seite und blickte aus dem Fenster. Ich erinnere mich daran, weil das Meer meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Sein schwerer Geruch, die Kaimauer, die langsam in der Dunkelheit versank und die sich bald unter der undurchsichtigen Daunendecke der Nacht verbergen würde. Was gab es ohne Licht auf dieser Seite zu sehen?
»Wissen Sie was? Ich kenne eine ganze Menge Leute in der Gegend .«
Ich wusste noch nicht, wie ich über diese Frau sprechen sollte. Sie war für mich immer unaussprechlich gewesen, und jetzt sollte ich plötzlich von einem Tag auf den anderen ganz beiläufig ihren Namen sagen. Musste ich ihn mir erst siebenmal auf der Zunge zergehen lassen, meinen ganzen Mundraum damit benetzen wie mit einem seltenen Wein oder ihn mit den Backenzähnen zu einem weichen Brei zermahlen?
»Wie war der Name noch mal, den Sie suchen?«
Ich musste mich daran gewöhnen, zumindest eine Zeit lang so tun, als hätte ich ihn mir zu eigen gemacht. Ihn wenigstens in mein Vokabular aufnehmen, wenn er schon keinen Platz in meinem Stammbaum hatte. Und dann blickte ich aufs Meer und sprach ihn zum allerersten Mal aus. Ich atmete tief durch und sagte ihn laut und deutlich. »Marie Garant . Kennen Sie sie?«
Er wich einen Schritt zurück. Sein strahlendes Lächeln erlosch wie eine Kerzenflamme, die plötzlich ausgeblasen wurde. Aufmerksam und misstrauisch musterte er mich von oben bis unten.
»Ist das eine Freundin von Ihnen?«
»Nein. Ehrlich gesagt kenne ich sie nicht .«
Er nahm das Glas wieder in die Hand und begann es enthusiastisch abzurubbeln. »Puh! Sie haben mir kurz Angst eingejagt! Marie Garant ist nämlich keine Frau, die wir hier mögen. Wissen Sie was? An Ihrer Stelle, als Touristin, würde ich lieber nicht zu viel über sie reden, so machen Sie sich nämlich keine Freunde .«
»Wie bitte?«
»Aber Sie kommen nicht von hier, also können Sie das ja nicht wissen .«
»Nein. Kann ich nicht.«
»Sind Sie wegen ihr hier?«
»Ähm . Nein.« Das war fast gar nicht gelogen. »Ich mache Urlaub.«
»Also doch eine Touristin! Na dann, herzlich willkommen! Ich bin Renaud. Renaud Boissonneau, Rektor der Sekundarschule und Geschäftsmann für jede Art von Geschäften!«
»Freut mich .«
»Wissen Sie was? Wir werden uns um Sie kümmern! Hat Ihnen die Pizza geschmeckt? Der große Touristenrummel hat noch nicht begonnen, normalerweise ist es hier nämlich gerammelt voll! Puh! Immer komplett ausgebucht, die Leute finden das ziemlich originell hier. Haben Sie die Dekoration gesehen? Alles alt und voller Erinnerungen! Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber wir befinden uns hier in einem ehemaligen Pfarrhaus. Deshalb ist die Kirche gleich nebenan! Die Terrasse geht einmal rundherum. Wer beim Biertrinken nicht den Kirchturm sehen will, kann sich in Richtung Meer setzen oder in Richtung Fischerkai. Der Pfarrer wohnt da oben. Wer nach zwei, drei Gläschen bereit ist zu beichten, braucht bloß die Treppe hochzusteigen!« Er hatte erfolgreich den Geschirrspüler gezähmt und holte lärmend Geschirr hervor, das glücklicherweise unzerbrechlich war. »Ich mache hier sozusagen alles! Da, sehen Sie die Dekoration? Die habe ich aufgebaut! Ich hab alles genommen, was ich so im Keller hatte! Schauen Sie mal, wie originell: Kutschenräder, die von der Decke hängen (später hab ich noch die Öllampen dran befestigt), Stiefel, hölzerne Vogelhäuschen, Werkzeuge, Sägen, Kabel, Schiffstaue. In der Ecke hab ich alte Regenmäntel aufgehängt . Brauchen Sie einen Regenmantel? Na gut, heute war schönes Wetter . Aber in letzter Zeit hat es viel geregnet, finden Sie nicht?«
»Ist mir gar nicht aufgefallen .«
»Aha! Eine Städterin!« Als gäbe ihm die Tatsache, dass wir aus unterschiedlichen Welten kamen, das Recht zu Vertraulichkeiten, beugte er sich auf einmal zu mir und murmelte: »Und wissen Sie was? Ich mache die Dekoration, ich bediene an den Tischen, kümmere mich um das Geschirr, und wissen Sie, was ich bald auch noch werde? Küchenhilfe! Mit dreiundfünfzig Jahren! Es ist nie zu spät für neue Herausforderungen, Mademoiselle!« Er richtete sich auf und schloss krachend den Geschirrspüler. »Alles, was Sie hier sehen, kommt von mir zu Hause: der Globus, die alten Fotoapparate, die Seekarten, die antike Standuhr, der mittelalterliche Dolch, die Hufeisen . (Sagt man Hufeisen oder Hufeeisen? Wissen Sie was? Ich glaube, beides geht.) . die Flaschen, die Tontöpfe, die einzelnen Tassen, sogar die Kochbücher! Erzählen Sie mal: Wie sind Sie hierhergekommen? Durchs Tal oder über die Landzunge?«
»Ähm . Durch das Tal.«
»Das lob ich mir, Leute, die sich sinnlose Umwege ersparen!« Er schrubbte den Tresen, als versuchte er, seinen Lumpen bewusstlos zu schlagen.
»Sinnlose Umwege?«
»Die Landzunge! Perce´, die Basstölpel, die Île Bonaventure . Der Umweg lohnt sich nicht, Mademoiselle! Wollen Sie da noch hin?«
»Ich weiß nicht. Ich habe noch gar nichts geplant.«
»Gerade heute habe ich nämlich Reiseführer reinbekommen! Ich habe sie noch nicht gelesen, aber . Ah! Wenn das nicht die hübsche Guylaine ist!« Sofort landete der Lumpen in der Spüle, wie ein peinliches schmutziges Ding.
Guylaine Leblanc war auf den ersten Blick um die fünfundsechzig Jahre alt. Ihr gepflegtes graues Haar,...
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