1 - Inhaltsverzeichnis [Seite 6]
2 - 1 Beschreibung der Störung [Seite 10]
2.1 - 1.1 Ein Fallbeispiel [Seite 10]
2.2 - 1.2 Bezeichnung [Seite 12]
2.3 - 1.3 Definition [Seite 13]
2.4 - 1.4 Epidemiologische Daten [Seite 14]
2.5 - 1.5 Verlauf und Prognose [Seite 16]
2.6 - 1.6 Differenzialdiagnose [Seite 18]
3 - 2 Störungstheorien und -modelle [Seite 29]
3.1 - 2.1 Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse als Ursachen des Stotterns [Seite 29]
3.2 - 2.2 Diagnosogene Theorie des Stotterns: Antizipierte Sprechschwierigkeiten als Auslöser und Folge von Stottern [Seite 30]
3.3 - 2.3 Kontrolle der Sprechmotorik [Seite 32]
3.4 - 2.4 Neuropsychologische Grundlagen des Stotterns [Seite 40]
3.5 - 2.5 Stottern als Resultat erhöhter Interferenzanfälligkeit des Sprachproduktionssystems [Seite 47]
4 - 3 Diagnostik [Seite 52]
4.1 - 3.1 Quantifizierung von Sprechunflüssigkeiten, Äußerungslänge, Artikulationsgeschwindigkeit und Blockdauer [Seite 55]
4.2 - 3.2 Ermittlung des Sprachstands, sozialer und anderer Stärken und Schwächen [Seite 74]
4.3 - 3.3 Anamnese [Seite 79]
4.4 - 3.4 Integration der diagnostischen Informationen [Seite 81]
4.5 - 3.5 Umgehen mit widersprüchlichen Informationen [Seite 85]
5 - 4 Behandlungsalternativen bei stotternden Vorschulkindern [Seite 89]
5.1 - 4.1 Behandeln oder nicht behandeln? [Seite 89]
5.2 - 4.2 Stufenbehandlung und operante Behandlung des Stotterns [Seite 90]
5.3 - 4.3 Hinweise auf erhöhte Belastungen [Seite 93]
6 - 5 Stufenprogramm zur Behandlung des Stotterns bei Vorschulkindern [Seite 95]
6.1 - 5.1 Elternberatung [Seite 97]
6.2 - 5.2 Reaktionen auf Stottern beeinflussen [Seite 105]
6.3 - 5.3 Sprechflüssigkeit fördernde Umgebung schaffen [Seite 108]
6.4 - 5.4 Einrichtung von Elterngruppen [Seite 117]
6.5 - 5.5 Direkte Modifikation des Sprechens - fluency modification [Seite 118]
6.6 - 5.6 Modifikation des Stotterns - stuttering modification [Seite 135]
6.7 - 5.7 Behandlung von begleitenden Kommunikationsstörungen [Seite 138]
6.8 - 5.8 Nachsorge und Beendigung der Therapie [Seite 140]
6.9 - 5.9 Therapieeffekte [Seite 141]
7 - 6 Elternprogramm zur operanten Behandlung des Stotterns bei Vorschulkindern: Das Lidcombe-Programm [Seite 150]
7.1 - 6.1 Stadium I [Seite 152]
7.2 - 6.2 Stadium II [Seite 159]
7.3 - 6.3 Probleme bei der Durchführung des Programms [Seite 162]
7.4 - 6.4 Wirksamkeit des Lidcombe-Programms [Seite 164]
8 - Literatur [Seite 168]
9 - Anhang [Seite 180]
10 - Sachregister [Seite 200]
"2 Störungstheorien und -modelle (S. 28-29)
2.1 Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse als Ursachen des Stotterns
Familien- und Zwillingsstudien haben gezeigt, dass an der Entstehung des Stotterns genetische Voraussetzungen stark beteiligt sind. Eineiige Zwillinge haben identisches Erbgut, während die Erbanlagen bei zweieiigen Zwillingen nur etwa zur Hälfte identisch sind. Untersuchungen der Stotterraten von eineiigen und zweieiigen Zwillingen haben ergeben, dass es bei eineiigen Zwillingen wesentlich häufiger als bei zweieiigen vorkommt, dass beide Zwillingsgeschwister stottern, d. h. eineiige Zwillinge haben mindestens doppelt so hohe Konkordanzraten wie zweieiige (Dworzynski, Remington, Rijsdijk, Howell & Plomin, 2007).
Aus Familienstudien ergibt sich, dass das Erkrankungsrisiko bei Blutsverwandten ersten Grades von stotternden Personen wesentlich größer ist als in der Gesamtbevölkerung (Yairi, Ambrose & Cox, 1996). Durch molekulare Analyse des Erbmaterials kann in sogenannten „Linkage- Analysen“ eingegrenzt werden, auf welchen Orten der Chromosomen die für Stottern relevante Erbinformation lokalisiert sein könnte. Hierzu werden genetische Informationen von blutsverwandten Mitgliedern einer Familie daraufhin untersucht, in welchen Erbinformationen sich nicht stotternde von stotternden Familienmitgliedern unterscheiden.
Erste Ergebnisse solcher Analysen zeigen, dass es sich beim Stottern um eine polygene Störung handelt, d. h. es sind mehrere Gene an der Entstehung einer Stottersymptomatik beteiligt (Wittke-Thompson et al., 2007). Auch scheinen einige der für Stottern relevanten Regionen auf den Chromosomen zugleich auch an der Entstehung weiterer Störungen beteiligt zu sein (z. B. expressive Kommunikationsstörung, Lese-Rechtschreibstörung und Tourette-Störung).
Es sind also nicht alle für Stottern relevanten Gene auch spezifisch für Stottern. Schließlich wurden Hinweise dafür gefunden, dass an der Entstehung des Stotterns geschlechtsspezifisch unterschiedliche genetische Voraussetzungen beteiligt sind (Suresh et al., 2006). Aus den Korrelationen zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen lässt sich schätzen, dass ca. 70 % der phänotypischen Varianz durch genetische Gemeinsamkeiten und 30 % durch Umweltfaktoren zustande kommen (Felsenfeld et al., 2000).
Dieselben Untersuchungen, die die Bedeutsamkeit genetischer Faktoren für das Stottern belegen, liefern zugleich auch Hinweise auf bedeutsame Einflüsse von Umweltfaktoren. Zum einen liegt die Konkordanzrate auch bei eineiigen Zwillingen deutlich unter 100 % (63 % nach Howie, 1981a). Dies beweist, dass auch Umweltfaktoren an der Entstehung des Stotterns beteiligt sind. Zum anderen lässt sich die Schwere des Stotterns mit genetischen Informationen praktisch nicht vorhersagen (Howie, 1981b; Kidd, 1984).
Genetische Informationen sind deshalb lediglich dafür geeignet, die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, ob eine Person irgendwann in ihrem Leben einmal gestottert hat oder als Erwachsener noch immer stottert (Suresh et al., 2006). Die Schwere der Symptomatik scheint dagegen primär durch Umweltfaktoren beeinflusst zu sein. Therapeutische Maßnahmen stellen zielgerichtet eingesetzte Umweltbedingungen dar, die geeignet sind, auch bei genetisch vorbelasteten Personen die Schwere des Stotterns zu modifizieren."