Schweitzer Fachinformationen
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Fischer mochte die Sonntage in Riehen. Köstliche Ruhe in der Frühe, nur Gezwitscher und Gekrähe vom gefiederten Personal vor dem Fenster, schöne Kirchenglocken am hohen Morgen. Kein Kummer, keine Sorgen. Die vorbeiziehenden Familienausflügler jetzt mit mehr Gepäck. Mit Regenjacken und bunten Gummistiefeln. Senioren mit Rollatoren. Dann wieder viel Ruhe.
Fischer blieb liegen und drehte sich nach links. Ein kühles Lüftchen strich von der Südseite herein und über sein Hinterteil. Wunderbar. Er drehte sich um und ließ sich den etwas zu fülligen Bauch kühlen.
Später ging er vors Haus. Am Tag zuvor hatte er vergessen, den Briefkasten zu leeren. Er hatte Rebeccas Fahrrad gleich in Bike-Werners Werkstatt gebracht. Der Inhaber wünschte an und für sich, dass man sein Etablissement zumindest »vintage« nennen sollte. Da konnte Fischer nur lachen. Ein gewisser Retro-Chic war vorhanden, was die ölverschmierten Gestelle und die mittelalterlichen Gerätschaften betraf. Möglicherweise konnte es als Shabby Chic durchgehen, wenn der Begriff überhaupt noch in Gebrauch war.
Bike-Werner und er kannten sich seit vielen Jahren. Sie gehörten beide der »Generation Bebikeiko« an, was so viel hieß wie »beste Bildung, keine Kohle«. Werner hatte es nicht geschafft, als gescheiterter Philosophiestudent aus seinem Fahrradreparaturgeschäft etwas Einträgliches zu machen, ebenso wie Fischer mit der Mehrwertschöpfung aus der Kulturwirtschaft nicht zu Rande gekommen war. Sie waren beide gute, vielleicht sogar sympathische Jungs, die in Ruhe vor sich hin wurschteln wollten und denen es nicht so wahnsinnig wichtig war, abzusahnen. So dachte Fischer sich das. Und Bike-Werner sah es genauso. Sie hatten es sich gegenseitig immer wieder versichert, als sie am gestrigen Samstag von einer Kleinbasler Beiz in die andere stolziert und später getorkelt waren.
Nun hatte Fischer einen leichten Kater, der gar nicht so unangenehm war. Wie ein freundliches Gespenst, das sich in seinem Schädel von Hirnwindung zu Hirnwindung wehen ließ.
Es war sehr lustig gewesen, mit Werner von alten Zeiten zu schwärmen und an der Gegenwart herumzumäkeln. Schließlich hatten sie in ihrer letzten Zuflucht, einer Bar in der Rheingasse, sogar zu einer umfassenden Kulturkritik angesetzt, indem sie auf den durchfeuchteten Bierfilzen ihre Jas und Neins beziehungsweise ihre künstlerischen Präferenzen von alters her notiert hatten: also selbstverständlich die Rolling Stones statt der Beatles und Dürrenmatt statt Frisch, viel lieber den Satan der Revolte, Michail Bakunin, als den Federfuchser und Bibliothekenhocker Karl Marx, ebenso Grace Slick, die Sängerin von Jefferson Airplane statt der Heulsuse Janis Joplin und Johan Cruyff statt Franz Beckenbauer als Fußballikone. Logisch! So war das lustig hin und her gegangen, bis der Barkeeper die Bierfilze eingezogen und die kaum noch erkennbaren Striche darauf abgerechnet hatte.
Darüber war Bike-Werner in eine kleine Depression gestürzt und hatte nach schwerem Seufzen den besorgt nachfragenden Fischer aufgeklärt, dass ihm jetzt gerade noch ganz viele Pros und Kontras eingefallen wären. Aber eigentlich sei er über allzu Gegenwärtiges besorgt. Seine nette, günstige Wohnung an der Kleinbasler Drahtzugstrasse sei in Gefahr. Die Besitzerin des Hauses, eine liebenswerte, alte Dame, sei gestorben. Die Erben wüssten nicht, was sie mit der Liegenschaft anfangen sollten. Die IMFÜBA, eine äußerst zweifelhafte Immobilienbude, wolle den Wohnblock kaufen und Gerüchte gingen um, dass diese Firma beabsichtige, die alten Bewohner so schnell wie möglich aus dem Haus zu ekeln, um mit ein paar billigen Renovationen das ganze Ensemble für den doppelten Betrag neu zu vermieten. Nun wollten die Bewohner des Mietshauses eine Genossenschaft gründen, um die Immobilie zu kaufen. Denn die IMFÜBA sei eine lusche Bande allerschmierigster Kapitalisten, eine reine Gangstertruppe, hatte Bike-Werner recht verzweifelt genuschelt.
Fischer hatte dem Kumpel freundschaftlich auf die Schultern geklopft. »Wir haben im Juni doch diese ganzen neuen Mieterschutzbestimmungen bei der Volksabstimmung angenommen. Damit bist du auf der sicheren Seite.«
»Ach was, angenommen vom Volk, na und. Das verpufft alles im Parlament bei den Politfickern. Mieterschutz, zu schön, um wahr zu sein. Keiner kümmert sich um den Mieter, den Menschen. Es geht nur um den Profit. Das wird alles von der besitzenden Klasse verwedelt und nicht umgesetzt. Und was bleibt, das ist die Schentrizifierung«, hatte Bike-Werner gelallt.
Dann hatten sie die Zeche beglichen und waren an die frische Luft gestolpert.
Am Dienstag frühestens konnte Rebecca ihr repariertes Fahrrad abholen. Beziehungsweise eher am Mittwoch.
Jetzt nahm Fischer die Post von Samstag aus dem Briefkasten. Zwei Kartontaschen mit Büchern. Neuerscheinungen. Seit er für »Interferenzen« rezensierte, bekam er Gratisbücher von Verlagen zugeschickt. Das war einerseits recht angenehm, öfter aber auch belastend, weil er so mit allerhand Mist in Berührung kam. Ansonsten war der Inhalt seines Briefkastens eher eine Enttäuschung. Eine schmale Kulturzeitschrift aus dem Kanton Aargau lag darin, die Fischer noch im Plastik verpackt dem Abfall übergeben würde. Und zwei Bettelbriefe, die würde er sich bei einem Tässchen Kaffee vornehmen und die impliziten Bitten abwägen, jedenfalls so lange, bis ihm die eigene prekäre Finanzlage gänzlich klar werden und seine Vernunft ihm anheimstellen würde, es mit den Briefen genauso zu halten wie mit dem Kulturblatt aus dem Rüebliland.
Gegenüber der Straße, bei den Genossenschaftshäusern, hackten einige Raben auf einen Abfallsack ein und unterhielten sich dabei misstönend.
Fischer fragte sich, was für verantwortungslose Subjekte zwei Tage zu früh den Abfall an den Straßenrand stellten, aber dann bewunderte er nur noch die Raben, die starken Klauen und Schnäbel der Wesen, ihr prächtig glänzendes Gefieder, rabenschwarz im wahrsten Sinne des Wortes. Das waren echte Wunderwerke der Natur, von einer Perfektion, die einem schon ein bisschen Angst einjagen konnten.
Fischer klatschte kräftig in die Hände und versuchte ein gefährlich klingendes »Ksch, ksch!« zu intonieren. Doch die schwarzen Biester ließen sich nicht groß beeindrucken. Behände hüpften sie ein paar Meter weg, um sich sofort wieder dem aufgerissenen Abfallsack zu nähern.
Wäre Fischer der Rabensprache mächtig gewesen, so hätte er sich einiges anhören müssen: »Kraah, was will der blöde Mensch da?«
»Der soll bloß abhauen!«
»Das ist unsere Beute. Davon kriegt der nichts ab.«
»Der ist eh schon zu dick, schaut mal, dem seinen Bauch. Da würde man gerne hineinhacken und was herausholen.«
»Der soll sich auch gescheiter mal wegen seinen eigenen Leuten aufregen und bei denen weibeln. Soll sich bei denen beschweren. Schau dir doch bloß mal an, was die fetten Fleischhaufen auf zwei hässlichen Beinen so alles wegwerfen. Davon kann man noch einiges mit Genuss essen.«
»Es ist ein Elend mit den Menschen. Die haben keinerlei Verantwortungsgefühl mehr für die Welt, die sie umgibt.«
»Diese Fleischhaufen werden sich und uns alle noch total in die Scheiße reiten, das kann ich euch sagen.«
»Bei Hugin und Munin, das sagen ein paar Raben seit tausend Jahren, dass die Welt untergeht wegen der Menschen. Aber nichts ist bisher passiert. Es wird stattdessen immer besser für uns. Mehr Abfall, mehr Nahrung, von allem mehr. Das Klima wird auch immer wärmer. Das ist doch super für uns.«
»He, Jungs, ich glaub, da verstecken sich irgendwo leckere Chicken-Korma-Reste.«
»Ja, da unten im Sack, haut rein!«
»Das da gehört mir, kraah.«
»Fick dich selbst, du Rabenaas!«
Fischer sah der lärmenden und pickenden Rabenbrut noch eine Weile zu, grüßte freundlich eine Nachbarin, unterhielt sich ein bisschen über das Wetter und beklagte mit der älteren Dame, dass es in diesem Quartier Mitbürger gab, die ihre Abfallsäcke viel zu früh an die Straße stellten. Dann holterte er mit der Post zurück in den ersten Stock. Er brauchte unbedingt noch einen Kaffee. Das Katergespenst wollte nicht aufhören, in seinem Kopf herumzuspuken.
In der Küche saß ein junger Mann.
Fischer erschrak und ließ die beiden Büchersendungen fallen.
»Sorry, Mann, ich bin der Jari. Ich habe bei Rebecca geschlafen. Willst du einen Kaffee? Ich setze noch einen auf. Cooles Teil, eine richtige, gute Moka. Eine original Bialetti.«
Was, bei Rebecca geschlafen? Moment! Fischers Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Er hatte seine Tochter nicht gehört am heutigen Morgen. War sie überhaupt da?
»Ach ja, die Rebecca ist in der Stadt geblieben, bei ihrer Mutter. Da war was wegen eines Besuches. Pff, Familienzeug und so. Die Großmutter, glaube ich.«
Jubelte ihm Rebecca jetzt Pensionsgäste unter? Bed and Breakfast? Aber von Kaffee hatte der Junge eine Ahnung. Fischer sah sich den jungen Mann genauer an. Hipster-Alarm! Bart, verwuscheltes Haar, stämmige Statur, womöglich eine zerknitterte Seele. Immerhin trug der Junge ein T-Shirt der Rockband »Social Distortion«, auf welchem deren Europa-Tournee 2008 aufgedruckt war. Das war immerhin etwas.
Dann dachte Fischer, dass er wirklich naiv wie zehn Meter Feldweg war. Dieser Jari war nichts anderes als der Freund seiner Tochter. Hatte sie wirklich einen so schlechten Geschmack, diesen Typen gut zu finden?
Er nahm die Tasse vom Tisch und schüttete Koffein in sich hinein. Der Kaffee war perfekt.
Dieser Jari mochte knapp älter als seine...
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