Schweitzer Fachinformationen
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Elegant waren sie, schmal geformt und von ätherischer Blässe. Das Adernetz schimmerte bläulich durch die Haut. Niemand würde denken, dass es die Hände eines Handwerkers waren, die mit Messern ins Holz ritzten und mit dem Stichel durch Metall. Wenn er mit seinen Händen arbeitete, fühlte er keinen Schmerz. Überhaupt blendete er aus, was störte, vor allem die Zeit.
Wie lange er in der Werkstatt saß und seine Hände betrachtete, wusste er nicht. Dreißig Minuten, zwei Stunden? Was war schon die Zeit, setzte man sie ins Verhältnis zu den Gedanken? Ein Nichts war sie, ein großes Loch. Zeit hat keine Formel, dachte er und zog das golddurchwirkte Wams enger um den Bauch. Agnes sah das anders. Sie teilte die Tage nach dem Glockenschlag, nun war es sieben und das Abendbrot stand längst auf dem Tisch. Er sollte nach oben steigen in die Stuben. Aber er hatte keinen Hunger, nur den Drang zu zeichnen, seinen Händen noch eine kleine Übung zuzumuten.
Draußen dämmerte es, zu früh für einen Abend im August. Die letzten Lichtstrahlen fanden kaum mehr durch die Fensterschächte. Er mochte den schleichenden Übergang vom Tag in die Nacht, wenn das Licht mit dem Schatten verschmolz zu einem dichten Vorhang. In diesen Stunden erfasste ihn ein leichtes Schütteln, gemischt aus Müdigkeit und Lust. Kurz zögerte Albrecht - und griff nach einem Fetzen Papier und dem Kohlestift. Er tanzte mit den Fingern in der Luft, atmete tief und setzte an, auf dem Fetzen zu stricheln. Feine Poren fügte er zur Haut, zur Silhouette, zu einer schön gerundeten Frau. Die Brust klein und stehend, apfelgleich. Die Scham ihm zugewandt, die Lippen geöffnet zu einem Versprechen. Albrecht legte seinen linken Arm im Halbrund auf den Tisch, als wollte er das Papier schützen, die gezeichnete Frau abschirmen vor Blicken oder vor Staub. Dabei saß er, wie so oft, einsam in seiner Werkstatt und keine Menschenseele sah zu, was er ersann. Dennoch raste sein Herz, stolperte fast. Schweiß perlte auf der Stirn. Alles in ihm wallte hoch, das Blut, der Ehrgeiz, die Freude. Nur seine Hände schienen unberührt von diesem Sturm der Gefühle. Sie zitterten nicht. Sie führten selbstsicher die Linien zur Kontur. Er genoss die Geburt seiner Idee, aus der Großes erwachsen würde. Für Albrecht löste sich die Zeit auf. Alles war Segen und Zukunft, alles eine Hoffnung, seine Kunst würde begeistern in der Art, wie er sie empfand. In diesem Moment gab es keine Pflicht für ihn, schon gar nicht das Schmalzbrot in der Küche, wo Agnes wahrscheinlich ungeduldig wartete.
Mittlerweile war es nahezu dunkel im Raum, lediglich die Lampe warf einen trüben Schein auf das Blatt, und als er seinen Kopf zurückbog, es mit Abstand betrachtete, da schluckte er mehrmals - er hatte jenseits der sakralen Kunst die Nacktheit gemalt! Albrecht rieb sich die Augen, vor Erschöpfung und auch vor Staunen. Kein Künstler nördlich der Alpen hatte bislang diese Offenherzigkeit gewagt.
"Das muss die Venus sein!", rief er laut und fast schämte er sich für seinen erotischen Sinn. Mit flotten Linien fuhr er über diese Haut auf Papier, wischte mit dem linken Daumen über die Kohle, um zu verdecken, was anrüchig war. Aber nichts verschwand, nicht die Brust und nicht die Scham, auf den Lippen noch immer die Verführung. Als hätte ich ein Stück Gaze über sie geworfen, dachte Albrecht und zeichnete, nun mit dem Schalk im Nacken, einen Amor hinzu. Nie hatte er sich erfüllter, nie glücklicher gefühlt als jetzt, da er diesen Papier gewordenen Traum hochnahm und an sich drückte. Albrecht schwor, diese Venus bald schon in Öl auf Holz zu malen. Lebensgroß sollte sie sein und voller Bewegung. Aber noch war die Zeit nicht reif.
"Erst den Fugger", entschied er. Sechzig Gulden hatte dieser mächtige Mann im Voraus bezahlt. Agnes würde zufrieden sein.
Heute dachte er verträglich an sie, obwohl sie ihn gestern Schildmaler genannt hatte. Schildmaler! Dabei hatten ihre kleinen Augen ihn fixiert, als sie gefragt hatte, ob er mehr Drucke von seinen Werken fertigen könne. "Ich verkauf die auf dem Markt, die Leute sind verrückt danach", hatte sie hinzugefügt und ihn stehen lassen, damit er kopierte.
Seit Venedig wusste er, dass er kein Schildmaler, kein Blechstecher, dass er ein Künstler war. Wieder sah er auf die Venus auf dem Fetzen. Agnes verstand das nicht. Sie wollte immer nur Kopien. Kopie von der Kopie von der Kopie. Das war keine Kunst. Überhaupt fehlte ihm die Dolce Vita Italiens. In Venedig legte sich abends ein goldener Schleier über die Hausfassaden wie ein Schutz vor unliebsamen Träumen. Und morgens gab es keine Trägheit zwischen Tag und Nacht, kein Entscheiden zwischen den Launen. Überall Trubel und Geschäftigkeit und munteres Geplauder.
Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken.
"Komm endlich essen", rief Agnes in das Knirschen der Scharniere hinein.
Geistesgegenwärtig schob er seine Venus mit dem kleinen Amor unter das Leinen auf dem Tisch.
"Was machst du da? Träumst du wieder? Arbeiten sollst du! Wir brauchen neue Blätter."
"Ich weiß, ich zeichne später noch", antwortete er und fühlte wieder die Müdigkeit in den Knochen.
"Und vergiss nicht, dein AD in die untere Ecke zu setzen", mahnte Agnes, während sie den Kopf wieder zurückzog.
"Bleib, Weib", rief er, stand auf und zog sie am Ärmel sanft in die Werkstatt hinein. Er drückte sie an sich, wollte Frieden mit ihr.
"Ich bin so froh, dass du gesund bist, nicht beulig wie so viele um uns."
"Tja, du wunderst dich? Das ist recht. Während du den Künstler gespielt hast, haben wir dem Tod ins Gesicht gesehen."
Sie schrie die letzten Worte heraus und Albrecht blickte sie hilflos an. Aber sie erregte sich weiter:
"Leere quellende Augen, Röcheln vor innerem Brand, so viel Leid! Deine Leinentücher habe ich mir vors Gesicht gedrückt, wenn ich zur Burg ging, hoch zu meinen Eltern."
Er hielt sie fest, strich noch immer über ihren Rücken. Er erinnerte sich gut daran, als er vor wenigen Monaten zurückgeritten war.
Von weitem hatte er die Höhen Nürnbergs erkannt, sein Pferd angetrieben. Er wollte seine Vaterstadt erreichen, bevor der Nachtwächter das Tor herabließ, und als er im Galopp heranritt, wurde er empfangen mit den erlösenden Worten: "Albrecht! Die Deinen hat die Pest verschont."
Er jubelte, stürzte in die Burggasse, riss die Tür seines Hauses auf, wollte seine Agnes in die Arme nehmen, aber die kam ihm keifend entgegen: "Nun denn, ich hoffe, du hast wenigstens Aufträge in der Satteltasche." Überanstrengt sah sie aus. Und Albrecht bemühte sich, das Schöne in ihr wahrzunehmen, wie Giovanni Bellini es ihn in Venedig gelehrt hatte. "Die Haut ist nur Hülle", hatte der Meister gesagt, "die Kostbarkeit entdeckst du in der Seele."
"Ja, Agnes, ich war erfolgreich."
Da spitzten sich ihre Lippen und sie kam näher, wollte ihn küssen, aber Albrecht drehte sich fort. Zu sehr brannten noch die Liebkosungen der Baronessa Elvira in seinem Gesicht. Unwillkürlich berührte er mit seiner Hand jene Stelle am Ohr, an der Elvira morgens geknabbert hatte, während er sich wohlig und tiefer in die Federn schmiegte. Ihre Haut eine Quelle edler Düfte, Vanille, Zimt und Jasmin, ihr Geist von gönnenden Gedanken durchwebt. Ach, Venedig, dort war er ein Meister, ein Ehrenmann, dort tanzten seine Ideen mit den Wellen um die Lagune und abends waren sie längst nicht müde.
Jetzt wich Agnes zurück. Aus der Distanz von einem Meter sah sie ihn an. Fast dachte er, sie würde riechen, was seine Haut noch immer ausströmte, würde sehen, was er seit der kurzen Liaison mit der Baronessa fühlte, nämlich Fleischeslust. Agnes drehte sich um, polterte die Stiegen hoch. Er hörte die Schritte und duckte sich leicht, der Zauber in seiner Werkstatt war verschwunden. Also sortierte er Blechschneider, Schere, Pinsel, die Leisten aus Ahorn, redete sich ein, die Sache mit Agnes, die würde sich fügen. Er wollte später zärtlich zu ihr sein, sie küssen, bis sie endlich die Falten um den Mund glättete. Albrecht dachte an Vater, an den geliebten Vater, Gott hab ihn selig. Vater verdankte er alles: Talent, Ansehen in der Stadt - und die Heirat. Diese kleine, resolute Frau sollte ihm Einfluss schenken bis in die begnadeten Nürnberger Kreise hinein, zählte doch ihre Familie zu den Patriziern. Albrecht wusste, was das bedeutete. Er hatte dem Vater nicht widersprochen. Er war kein Rebell. Was der Vater befahl, das war des Sohnes Auftrag, so einfach war das. Ob sie wirklich sein Segen war, vermochte Albrecht noch nicht zu sagen. Die...
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