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Erik Jacobsen musterte Ella Krogh Sars, die ihm am Tisch im L'Endroit gegenübersaß. Zum weiß Gott wievielten Mal staunte er darüber, wie eine so perfekte Erscheinung innerlich derart hohl sein konnte. Es lag durchaus nicht an ihrem Intellekt, doch hinter dem hübschen Gesicht, dem formvollendeten, ausgesucht elegant gekleideten Körper herrschte Permafrost. Diese Frau besaß die Empathie eines Salzwasserkrokodils und ebenso dessen Appetit - allerdings auf Männer. Oder präziser ausgedrückt: auf Männer in einer gewissen Position. Deren finanzielle Möglichkeiten bedeuteten ihr wenig. Als einzige Tochter Axel Kroghs war Geld für Ella nur von untergeordneter Bedeutung. Es war der Promifaktor, der sie die perlweißen Zähne blecken und ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Sie hatte ihr Bett mit einem spanischen Tennisprofi, mit einem schwedischen Filmregisseur, mit einem norwegischen Talkshow-Host sowie mit unbekannt vielen weiteren Spielgefährten geteilt.
Kurzfristig waren sie jeweils gegeneinander ausgetauscht worden.
Einer von ihnen war Erik Jacobsen. Und um der Wahrheit gerecht zu werden: Er hatte sich mehr als einmal von ihr verschlingen lassen. Es hatte auf einem Firmenfest begonnen, der Urmutter aller außerehelichen Affären. In seiner Eigenschaft als neuer Konzernchef der Krogh-Gruppe hatte man Jacobsen die Tochter des Inhabers als Tischdame zugewiesen, und wie die meisten Männer hatte er sich blenden lassen. Nach mehreren zum Kaffee gereichten Cognacs hatte sie ihn auf die dichtbevölkerte Tanzfläche gezogen, wo der Druck ihres Unterleibs ausgereicht hatte, um seinen in akute Alarmbereitschaft zu versetzen. Drei Stunden später waren sie auf dem Wohnzimmerfußboden in Ellas Wohnung wie wilde Tiere übereinander hergefallen.
Ella wurde für Jacobsen gefährlich und zerstörerisch wie Heroin. Als sie dem Talkshow-Host einige Wochen nach diesem schicksalsträchtigen Fest den Laufpass gab, hatte sie ihren Spieleinsatz erhöht: um Erik Jacobsens Frau und zwei heranwachsende Kinder. Zu diesem Zeitpunkt war Erik nicht nur sprichwörtlich in ihr innerstes Wesen vorgedrungen, ohne allerdings an dem Gefallen zu finden, was er da vorfand. Schließlich stellte Ella ihm ein Ultimatum: Scheidung oder eine verschlossene Tür.
Jacobsen wählte Letzteres. Zur Strafe zeigte sie ihm fortan die kalte Schulter.
Ella verschwendete keine Zeit. Ihr nächstes Opfer zerrte sie zu allem Überfluss vor den Traualtar. Mikkel Sars war vier Jahre jünger als seine Gattin, sein Vermögen gleich null, doch mehrere Rollen in norwegischen Filmen und TV-Serien hatten ihn qualifiziert. Dass der Mann kaum in der Lage war, den britischen Premierminister namentlich zu benennen, schien Ellas Enthusiasmus nicht zu dämpfen. Ganz anders sah das Axel Krogh. Der Alte erwähnte den Bräutigam nicht einmal im Nebensatz, als er auf der Hochzeitsfeier seiner Tochter eine Rede hielt. Und Jacobsen wusste genau, dass Krogh einen Ehevertrag hatte aufsetzen lassen, der sich bis in eine Tiefe von tausend Metern als wasserdicht erweisen würde.
Erik Jacobsen fühlte sich in Ellas Gegenwart immer ein wenig unwohl. Nicht, weil seine physische Begierde immer noch loderte, sondern weil ihr als Alleinerbin nach dem Tod des Alten siebzig Prozent der Krogh-Gruppe zufallen würden. Zwar war Axel Krogh ungewöhnlich agil für sein Alter, aber der Tag, an dem Jacobsen es mit Ella als Mehrheitseignerin zu tun bekäme, lag nicht allzu weit in der Ferne.
Es war eine altbekannte Situation: Axel Krogh war ein durchtriebener Stratege und Geschäftsmann, aber auch ein einsamer alter Mann, der seine Tochter vergötterte. Jacobsen konnte nur darauf hoffen, dass Kroghs letzter Wille einen überschäumenden Reichtum für Ella zur Folge haben, ihr jedoch entscheidenden Einfluss auf die Leitung der Gesellschaft versagen würde.
»Was meinst du, Erik?«
Ella blickte ihn fragend an. Für einen winzigen, erschreckenden Augenblick war er nicht sicher, ob er vielleicht laut gedacht hatte.
»Wie bitte?«
»Wollen wir unsere Liebsten noch ins Nachtleben von Sainte-Maxime locken oder lieber den Abend mit einem Glas auf der heimischen Terrasse abrunden? Was ist mit dir, Cath? Lust auf eine kleine Samba?«
Diese Frage richtete sich an Cathrine Jacobsen. Wie üblich hatte Eriks Frau sich während des Essens sehr zurückgehalten.
»Danke, aber ich glaube, ich möchte den Abend nicht allzu sehr in die Länge ziehen«, sagte sie. »Reisen strengt mich immer etwas an.«
»Es sei dir verziehen«, erwiderte Jacobsen.
Ella lächelte ihn an. Ein Lächeln, das Jacobsen nur als ein Gott, was hast du da bloß für eine langweilige Tusse geheiratet interpretieren konnte. Dann lenkte sie ihren Blick auf Mikkel Sars, der sich dezent darum bemühte, ein Gähnen zu unterdrücken.
»Anscheinend zwecklos, einen jüngeren Mann zu heiraten. Möchtest du auch nach Hause und in deinem Bettchen schlafen, Mikkelschatz?«
»Bett klingt gut«, erwiderte Sars grinsend. »Schlafen muss ich aber nicht unbedingt.«
Die passende Antwort für einen untalentierten Schauspieler, dachte Jacobsen.
»Wenn alle satt und zufrieden sind, sollten wir vielleicht die Rechnung kommen lassen?«, sagte er laut.
Die Dunkelheit ließ nach. Seine Sinne kehrten langsam zurück. Leuchtende Blitze vor den Augen, in die Sand oder Staub geraten war. Der Geruch von Leinöl. Musik.
Musik?
Axel Krogh lauschte. Nach einer Weile erkannte er die Melodie und die sie begleitenden Worte der französischen Nationalhymne.
Auf, auf Kinder des Vaterlands!
Der Tag des Ruhmes, der ist da.
Gegen uns wurde der Tyrannei
Blutiges Banner erhoben.
Die Musik schien lauter zu werden. Krogh konnte allerdings nicht sagen, ob es an der Geräuschquelle lag oder an seinem wieder einsetzenden Hörvermögen.
Zu den Waffen, Bürger!
Formt Eure Schlachtreihen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Bis unreines Blut
Unserer Äcker Furchen tränkt!
Jetzt wurde auch sein Blick schärfer, und er begriff, dass er bäuchlings auf dem Wohnzimmerfußboden lag. Seine Arme waren auf schmerzhafte Weise nach hinten auf den Rücken verdreht und an den Gelenken zusammengebunden. Er schaffte es nicht, zu .
Sein Gedanke wurde jäh unterbrochen, als zwei Füße in seinem Blickfeld erschienen. Weiche, schwarze Ledersportschuhe mit einem goldenen Logo an der Seite. Die Füße verschwanden wieder. Dann spürte er einen warmen Luftzug am Ohr, gefolgt von einer weichen, beinahe flüsternden Stimme.
»Bon retour, mon vieux.«
Er versuchte, den Kopf zu drehen, erhaschte aber nur einen kurzen Blick auf einen Arm und eine behandschuhte Hand.
»Was willst du?«
Krogh versuchte, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. Irgendetwas sagte ihm, dass dies für die weiteren Schritte des anderen entscheidende Bedeutung haben könnte.
»Gefällt Ihnen die Musik, Monsieur?«
»Hast du es auf mein Geld abgesehen? Da drüben auf dem Schreibtisch liegt meine Geldbörse mit etwas Bargeld und drei Kreditkarten.«
Der andere lachte leise.
»Was für eine traurige Welt, in der wir leben. Nicht wahr, Monsieur? Alle scheinen nur von einer einzigen Sache besessen zu sein: Geld. Hat man keins, gehen die Leute davon aus, man sei minderbegabt. Hat das ganze Geld Sie glücklich gemacht, Monsieur? Und bitte lügen Sie mich nicht an.«
»Nein«, erwiderte Krogh, ohne zu zögern. Nicht zum ersten Mal hatte er über diese Frage nachgedacht.
»Hab ich's mir doch gedacht. Doch andererseits - ich vermute, Unglück lässt sich in einem Haus wie diesem besser ertragen als in irgendeiner Bruchbude in Marseille.«
»Bist du immer so philosophisch, wenn du andere Menschen ausraubst?«, fragte Krogh bissig.
Es dauerte fünf unheilverkündende Sekunden, bis die Antwort kam. Die Stimme klang jetzt einen Hauch brüchiger.
»Sie sollten nicht zu viel auf meine Bildung vertrauen, Monsieur. Sie könnten enttäuscht werden. Und außerdem - wer redet hier von Raub? Ich werde allenfalls ein kleines Souvenir mitnehmen, bevor ich mich zurückziehe.«
»Bedienen Sie sich«, sagte Krogh. Ganz unbewusst war er zur Höflichkeitsform übergegangen.
Wieder das leise Lachen. Er klingt jung, dachte Krogh. Wie spät war es? Vielleicht kurz vor elf? Ella und die anderen würden wohl nicht vor Mitternacht wieder da sein.
»Seien Sie unbesorgt, Monsieur. Ich weiß genau, was ich haben will.«
Im Hintergrund erstarben die letzten Töne der Marseillaise. Nur Kroghs keuchender Atem durchbrach noch die Stille.
»Das war es schon, Monsieur. Ich fürchte, dass das Ende der stolzen Melodie Frankreichs auch das Ende unserer kleinen Unterhaltung bedeutet. Wie haben Sie sich ausgedrückt? >Bedienen Sie sich?< Eine interessante Formulierung für einen geizigen Mann wie Sie, Monsieur. Ungeachtet dessen eine Aufforderung, der ich zu folgen gedenke.«
Krogh schaffte es nicht mehr, den Mund zu öffnen, bevor ihn das Klebeband zum Schweigen brachte. Erst in dieser Sekunde meldete sich die Angst, die eiskalte Erkenntnis, dass er das Opfer eines weitaus gefährlicheren Eindringlings als eines einfachen Einbrechers geworden war. Er spürte, dass der Mann irgendetwas mit seinem Rücken tat; ein plötzlicher Luftzug über der feuchten Haut. Zwei Stofffetzen segelten am Rande seines begrenzten Blickfelds zu Boden. Leinen und Seide. Weiß und schwarz. Gut und Böse. Eine Hand packte seinen Haarschopf, sein Kinn wurde jäh hochgerissen. Die Nackenwirbel...
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