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Die Garnison von Rhegium ergab sich kampflos, denn Alarich versprach, Gnade walten zu lassen. Die Truppen und Honoratioren durften zu Fuß mit dem abziehen, was sie tragen konnten. Die Bevölkerung blieb unbehelligt, solange sie die Schiffe klarmachten und mit Proviant versahen.
Alarich und Athaulf gelang das Undenkbare in weniger als vier Wochen. Sie requirierten zunächst alle Schiffe im Hafen und in den umliegenden Städten und warben dann mit einer Mischung aus Gewalt und Gold ortsansässige Seeleute an. Niemals zuvor hatte ein Heer der Barbaren das Meer als Angriffsweg genutzt. Kaiser auf Kaiser, einschließlich Honorius, hatte Dekrete erlassen, die jedem schlimmste Strafen androhten, der Barbaren den Schiffsbau oder die Navigation auf See beibrachte. Wenn die Feinde erst die Seefahrt beherrschten, wäre nichts mehr sicher. Nicht Ravenna mitten in seinem Sumpfgebiet, noch Konstantinopel, das vom Bosporus geschützt wurde, noch das ferne Afrika, wo so viele Zuflucht genommen hatten.
Schließlich war alles bereit. Nun war nur noch der richtige Wind erforderlich. Die Winde waren in der Stiefelspitze Italiens jedoch bekanntermaßen unzuverlässig. Placidia dachte an das Entsetzen, das Odysseus hier inmitten von Strudeln und Ungeheuern empfunden hatte, an Plinius' Beschreibung wilder Stürme, die in der Meerenge plötzlich aufkamen. Ein für die Jahreszeit ungewöhnlicher Wüstenwind wehte von Afrika heran. Die ortsansässigen Seeleute murmelten, dies sei ein schlechtes Omen. Placidia begann dafür zu beten, dass einer von Plinius' Stürmen Sizilien retten möge, indem er die Schiffe in die Scylla stürzen ließe oder sie in die Charybdis schleuderte.
Schließlich erhob sich am Morgen des dritten Tages ein kräftiger Nordostwind. Sigesarius und seine Priester segneten im hellen Sonnenschein die langen Reihen der Männer am Strand. Die Krieger schnallten sich ihre Schwerter um. Alarich gab das Zeichen zum Aufbruch. Er und Athaulf wurden zur Leitgaleere hinausgerudert. Eine Flotille kleinerer Boote wurde zu Wasser gelassen. Die größeren Schiffe auf See hoben die Anker. Die Männer auf den Schiffen winkten; diejenigen am Strand jubelten; Kinder tanzten, Frauen hielten ihre Kleinen hoch, damit sie besser sehen konnten. Bald war der Horizont von Schiffen aller Arten erfüllt. Ausrangierte Liburnen der römischen Kriegsmarine, Frachtschiffe mit abgerundetem Rumpf, Dutzende von Fischerbooten, sogar eine Vergnügungsschiff mit einer vergoldeten Galionsfigur und purpurfarbenen Segeln. Die Eroberung Siziliens hatte begonnen.
Placidia erschauderte. Sizilien war wehrlos, seine Schiffe und sein Heer von Konstantius zurückgerufen, um den Usurpator Konstantin in Gallien zu bekämpfen. Vergeblich hatte sie gehofft, etwas würde sie aufhalten. Hatte sie auf ein Wunder gewartet? Vielleicht. Aber es war keines eingetreten. Wie konnte Alarich alle Hindernisse überwunden haben, einschließlich der Angst seiner Leute vor dem Meer? Blinder Zorn erfüllte sie, nicht so sehr auf die Goten, sondern auf Gott. Wie konnte er dies zulassen? War Rom für seine Sünden nicht genug bestraft worden? Placidia konnte die Leitgaleere noch immer sehen, Alarich und Athaulf aber nicht mehr ausmachen.
Der Strand war schwarz vor Menschen. Sie lachten mit frischer Hoffnung, die Kinder tollten in der Herbstsonne auf dem Sand herum und ließen Drachen im Wind fliegen. Wenn sie auf der anderen Seite einen Brückenkopf eingerichtet hatten, kehrten die Boote zurück und brachten auch sie nach Sizilien, eine an Getreide und fruchtbarer Erde reiche Insel.
Nur Gerlinda, die im Sand saß, schien von der Fröhlichkeit unberührt. Ihre Hände drückten die Fransen ihrer Stola. Sie deutete auf den Sand neben sich. »Placidia, setzt Euch zu mir. Ich werde noch ein wenig länger warten, es sei denn, der Wind frischt auf.« Das Gesicht der Königin wirkte abgespannt. Dunkle Schatten unter den Augen zeugten von einer schlaflosen Nacht. Auch Placidia hatte kaum geschlafen. Wie seltsam, dachte Placidia, dass sie, während sie die Goten bei der Eroberung Siziliens beobachtete, Mitgefühl für diese gotische Königin empfinden konnte, die um das Leben jener fürchtete, die sie liebte. Wie tückisch waren die schleichenden Bande der Zuneigung. Athaulf war als Letzter in das Boot gesprungen, das sie zu ihrer Galeere brachte. Placidia hatte nicht bleiben wollen, aber etwas Stärkeres als sie selbst hatte sie am Strand festgehalten. Vielleicht würde sie ihn nie wiedersehen. Sie hatte bis zum letzten Moment gehofft, er würde sich noch einmal umwenden, aber er hatte es nicht getan. Alarich und Athaulf gingen gewiss als Erste an Land, setzten sich als Erste der Gefahr aus, auch wenn die Verteidiger nur eine Bürgerwehr waren. Messana hatte, wie so viele andere Städte, deren Soldaten abgezogen worden waren, von Honorius die Erlaubnis erhalten, ihre Bürger zu bewaffnen.
Der aufgewirbelte Sand stach in ihre Gesichter. Gerlinda wickelte den Schal um ihren Kopf. Placicia sah einen alten Fischer mit einem Holzbein den Himmel betrachten. »Die Bora«, rief er und deutete hinter sie. Sie schaute auf. Eine schwarze Wolkenbank rollte über den Berg aufs Meer zu.
Der Sturm kam erstaunlich schnell heran, genau so, wie Plinius es beschrieben hatte. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich die Brise in einen ausgewachsenen Sturm. Der Himmel wurde dunkel. Donner dröhnte. Wolken brachen auf. Frauen versammelten ihre Kinder und liefen los. Männer bekreuzigten sich. Pferde wieherten. Die Schiffe schienen stillzustehen, in der Zeit eingefroren. Dann wendeten sie quälend langsam. Blitze zuckten. Regen stürzte als fast waagerechte Wand herab und nahm ihnen die Sicht. Wilde Euphorie ergriff Placidia. So mussten sich Männer mitten in der Schlacht fühlen, blutgetränkt, während sie auf weich nachgebendes Fleisch einschlugen und -stachen, Glieder abhackten, den Feind zurücktrieben und siegten.
Vallia, der mit dem zweiten Kontingent Krieger an Land geblieben war, wartete darauf, dass die Schiffe zurückkehrten, rief etwas, deutete nach oben. Er kletterte mit seinen Leuten auf einen Felsvorsprung. Placidia folgte ihnen. Und dann stand sie, des Windes und des Regens ungeachtet, die an ihr zerrten, da und starrte hinaus. Panik stieg in ihr auf. Sie beobachtete mit hämmerndem Herzen Athaulfs Galeere. Schäumende Wogen warfen das Schiff wie ein Holzspielzeug umher. In dessen Nähe wurde ein anderes Schiff an den Felsen zerschmettert. Männer stürzten aus den mit schwerer Schlagseite driftenden Schiffen. Einige klammerten sich im aufgewühlten Wasser an treibende Schiffsteile. Eine schmale Galeere ragte aus dem Wasser auf wie ein verwundetes Tier, wobei die Riemen schlenkerten, bevor sie spurlos versanken. Tränen vermischten sich auf Placidias Gesicht mit dem Regen. Es kümmerte sie nicht, ob Vallia und seine Männer ihre Qual sahen. Sie klammerte sich an den schwankenden Ast eines Feigenbaums, den Blick aufs Meer geheftet.
Die Galeere, auf der sich Alarich und Athaulf befanden, hatte ihren Mast verloren. Sie stampfte heftig im Wellengang und kenterte fast. Das Meer krachte über das Deck hinweg. Nur Gott konnte ihn jetzt noch retten. »Allmächtiger Vater, rette ihn«, betete sie, »ich flehe dich an, rette Athaulf. Bestrafe mich für meine Sünden, aber rette Athaulf, ich bitte dich!«
Als sie wieder aufblickte, war das Schiff noch da. Eine wuchtige Woge warf es hoch. Es schoss vorwärts, direkt auf die Felsen zu. Ob durch Können oder Gottes Gnade drehte es im letzten Moment bei und verschwand in der Gischt. Placidia lehnte sich schwach vor Erleichterung an den Baum. Sie schloss die Augen. Nach einer scheinbaren Ewigkeit berührte jemand ihren Arm. Vallias Gesicht war aschfahl. »Kommt, Prinzessin, wir müssen retten, wen wir retten können.« Er sah die Frage in ihren Augen. »Ich weiß es nicht. Vielleicht wurde ihr Schiff vom Kurs abgebracht. Sie sind in Gottes Hand.«
Derselbe Gott, dachte Placidia vor Kälte zitternd, den ich zuvor beschimpft habe. Als sie den Strand erreichten, gab es keine Schiffe mehr in der Meerenge. Sie konnten, so weit das Auge reichte, nur Wrackteile auf dem Wasser treiben sehen. Einige Krieger, die schwimmen konnten oder das Glück gehabt hatten, eine Planke ergreifen zu können, erreichten den Strand. Ein Mann gelangte in Sicherheit, indem er sich an den Schwanz eines Pferdes klammerte. Eine Liburne war in der Nähe des Strandes auf Grund gelaufen, was ihre Besatzung rettete. Aber es gab entsetzlich wenige Überlebende. Die meisten Goten konnten nicht schwimmen, aber selbst wenn sie es gekonnt hätten, waren die Strömungen gegen sie.
Jemand deutete zum Ufer. Ein Schwimmer, der den Kopf eines anderen über Wasser hielt, mühte sich, den Strand zu erreichen. Sein Kopf und der des anderen gingen zweimal unter und kamen wieder hoch. Als sie seichteres Wasser erreichten, wateten Männer in die Brandung und zogen sie heraus. Ein Ruf erklang und setzte sich den Strand entlang wie ein Lauffeuer fort: »Der König! Der König und Athaulf! Sie leben.«
Placidia sank auf die Knie. Sie barg das Gesicht in den Händen.
Noch Tage danach wurden aufgedunsene Körper, Holz und Wrackteile an die Strände rund um Rhegium gespült. Nur wenigen Schiffen gelang es, weiter unten an der Küste anzulanden, aber mehr als die Hälfte derjenigen, die aufgebrochen waren, starben in den Wellen.
Die Straße zog sich wie ein Leichentuch den Berg hinauf. Schnee fiel in immer dickeren Flocken. Er lag auf den Ketten der Sklaven, auf den Fellumhängen der Reiter und auf den Lederplanen der Wagen. Nur die Hunde schienen für die Kälte unempfindlich zu sein. Sie liefen dahin, bellten und rollten sich im Schnee, während Männer und Wagen ächzten und sich durch eine trostlose Landschaft...
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