Schweitzer Fachinformationen
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Auf seinen Spazierstock gestützt und in gebeugter Haltung kam der alte Mann aus dem Wald. Der Weg bestand nur aus ein paar zugewucherten Reifenspuren. Der Mann trug schwarze Gummistiefel, die er vor einigen Wochen beim Coop in einem Vorort Stockholms gekauft hatte, sowie einen dunkelbraunen Regenmantel aus dem Supermarkt im Einkaufszentrum Fältöversten in der Innenstadt.
Für Kleidung interessierte er sich nicht. Hatte er noch nie.
Es lag kein Schnee, aber der Frost hielt Bäume und Büsche in seinem eisigen Griff. Endlich mal ein richtig kalter Tag! Vielleicht würde es am Abend ja schneien.
Aus dem Wald, wo die dunkelgrünen Tannennadeln die stärkste Farbe auf der ansonsten grau-braunen Palette waren, tauchte jetzt etwa zehn Meter hinter ihm ein schwarzer Hund auf. Ein Labrador Retriever. Das Tier schaute zu seinem Herrn, senkte die Nase auf den Boden und lief weiter. Kurz darauf kamen drei weitere schwarze Hunde angelaufen, alle von derselben Rasse und gleich groß. Sie überquerten den Weg und verschwanden im Gebüsch auf der anderen Seite. Der alte Mann folgte ihnen. Hinter sich hörte er den Rest des Rudels, drei Hündinnen und einen Rüden, die kreuz und quer über gefrorenes Blaubeerreisig, Schlingpflanzen und Farnkraut schnürten.
Sie waren auf dem Nachhauseweg.
Der alte Mann wohnte in einer dunkelroten Hütte südlich von Landfjärden, ungefähr auf der halben Strecke zwischen Nynäshamn und Stockholm. Obwohl der Wald vor seinem Küchenfenster dicht stand, konnte er im Winter bis zur Insel Muskö hinübersehen. Vom Gartenzaun bis zur Uferlinie waren es nur ein paar Hundert Meter, und dort gab es zahlreiche Stellen, an denen seine Hunde im Frühjahr und im Sommer baden konnten. Der Labrador ist eine Hunderasse, die darauf ausgerichtet ist, aus dem Wasser zu apportieren. Man könnte meinen, die Tiere hätten Schwimmhäute zwischen den Zehen.
Die acht großen Hunde wohnten zusammen mit dem Mann in der Hütte, die beiden Schuppen nebenan benutzte er für die Welpen. Seit bald zwanzig Jahren züchtete er Labradore, und die Hunde waren ihm lieber als die Menschen. Deshalb wohnte er auch hier im Wald. Es gab in der Gegend weder eine Wasserleitung noch zuverlässige Elektrizität, und die nächste von der Stadt angelegte Siedlung begann ungefähr zwanzig Kilometer weiter südlich. Die Nachbarn hielten Abstand.
In den ersten Jahren hatte der Mann noch selbst mit den Hundekäufern gesprochen, doch er bekam schlechte Laune, wenn die fetten Tanten fragten, ob die Hunde viel Bewegung bräuchten, oder wenn verwöhnte Kinder die Welpen an den Ohren zogen. Und wenn er schlechte Laune bekam, dann erhob er die Stimme und gab den Kindern eins auf ihre Rotzfinger.
Er war kein guter Verkäufer, deshalb ließ er sich inzwischen helfen. Leute von anderen Zuchthöfen stellten seine Welpen und Junghunde aus und kümmerten sich sogar um die Finanzen. Dafür heimsten sie auch das Lob und die Ehre ein, aber darauf legte der Alte sowieso keinen Wert.
Als er vom Morgenspaziergang zurückkam, war es kurz vor neun Uhr. Die Hütte bestand aus drei Zimmern und einer Küche. Weil die Hunde regelmäßig den halben Wald mit in die Stube brachten und der alte Mann es seit ein paar Jahren im Rücken hatte, machte es nicht viel Sinn zu putzen. Aber in die Küche durften die Tiere nicht, und so war das der einzige Raum, in dem einigermaßen Ordnung herrschte. Der Mann setzte Kaffee auf.
Er erwartete Besuch.
Er kannte die beiden gut genug, um sicher sein zu können, dass sie auch kommen würden, wenn er sie rief. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor ihm, und da waren sie nicht die Einzigen.
Sami Farhan war der Erste.
Der alte Mann sah ihn den Pfad von der Landstraße her kommen. Der Bus von Västerhaninge Richtung Nynäs hielt oben an der 73, und die Hütte lag von dort knapp zehn Minuten in den Wald hinein.
Obwohl es viele Jahre her war, seit Sami im Ring gestanden hatte, bewegte er sich immer noch wie ein Boxer. Die Füße schnell und leicht, der Körper schwer und behäbig. Weniger als eine Minute brauchte er, um vom Gartentor zum Haus zu kommen. Er trug einen kurzen grauen Wollmantel, der besser zu einem warmen Frühlingstag in der Stadt gepasst hätte, an den Füßen hatte er weiße Turnschuhe.
Der Mann ließ ihn hinein. Die acht schwarzen Hunde warfen den Boxer fast um, so freuten sie sich über den unerwarteten Besuch. Weil sich der andere Gast des Mannes offenbar nicht in demselben Bus befunden hatte, würden sie nun fünfunddreißig Minuten warten müssen. Der Alte nahm den Schlüssel zum Schuppen vom Haken bei der Tür, und sie gingen zusammen auf den Hof hinaus.
»Wie geht es eigentlich deinen Brüdern, Sami?«, fragte der Alte freundlich.
»Wieso?«
»Deinen großen Bruder Ali habe ich kürzlich mal getroffen, aber deinen kleinen Bruder habe ich lange nicht gesehen. Adli heißt er doch, oder?«
»Ja, so heißt er.«
»Alles in Ordnung mit ihm?«
»Lad ihn doch ein und frag ihn, wenn es dich interessiert.«
Der Mann nickte amüsiert und sah zu Boden. Was seine Brüder anging, war Sami unverändert stur.
Zwischen den beiden Schuppen gab es unter einem Klippenvorsprung einen Erdkeller aus den Fünfzigerjahren. Jemand hatte auf traditionelle Weise Steine übereinandergefügt, und auf dem Dach wuchs Moos, weshalb der Hügel inzwischen aussah, als wäre er genauso alt wie der Wald ringsumher.
Dicht gefolgt von den acht Hunden gingen der Alte und Sami hinüber, um Futter für die Welpen zu holen, das dort zusammen mit allem anderen, was in der Speisekammer des großen Hauses keinen Platz fand, verwahrt wurde. Ganz hinten in der Dunkelheit des geräumigen Kellers, für den Besucher nicht zu erkennen, waren an die fünfzig Kartons aufeinandergestapelt, sämtlich voller Bargeld, in Plastiktüten sortiert. Es waren Scheine der unterschiedlichsten Währungen, insgesamt mehr als dreihundert Millionen Kronen.
Wahrscheinlich war das Geld auf dem besten Wege, in der Feuchtigkeit und Kälte zu verschimmeln.
Der alte Mann machte sich deswegen aber keine Sorgen. Es gab ohnehin nichts Besonderes, was er sich von dem Geld hätte kaufen wollen.
Er bat Sami, das Hundefutter zu tragen, und sie gingen schweigend zum Schuppen, um es den hungrigen Welpen zu bringen.
Als sie wieder in die Hütte kamen, verschwand der Alte nach oben ins Schlafzimmer, und Sami blieb derweil in der Küche und starrte zehn lange Minuten auf den Kaffeefilter, durch den das Wasser tröpfelte. Es war ihm schon immer schwergefallen, still zu sitzen, und ohne es selbst zu bemerken, wippte er so ungeduldig mit der rechten Ferse, dass sein ganzes Bein wackelte. Er starrte aus dem Fenster, und da endlich sah er Michel Maloof durch den Wald kommen. Und schon hörte er auch Schritte auf der Treppe: Der Alte war wieder auf dem Weg nach unten.
Maloof war kleiner als Sami. Er ging mit leicht hochgezogenen Schultern, bewegte sich aber ebenfalls behände und zielgerichtet. Seine Stiefel schienen einigermaßen für den Wald zu taugen, wenngleich er offensichtlich fror. Als der alte Mann die Tür aufmachte, legte Maloof sein charakteristisches Grinsen auf, das zwei Zahnreihen entblößte, die in seinem schwarzen, gut gepflegten Bart weiß strahlten.
»Hallo, hallo«, sagte er.
Er streckte die Hand aus, hatte aber vergessen, dass der alte Mann niemals jemandem die Hand gab. Doch in dem Chaos, das die Hunde anstellten, konnte die Situation gar nicht erst peinlich werden.
»Sami ist schon da«, erklärte der Alte.
»Sami?«, echote Maloof. »Der Sami?«
In der Frage schwang eine kaum merkbare Schärfe mit, wobei unmöglich zu erraten war, was Maloof zu dieser Reaktion veranlasste. Seine Fähigkeit, zu verbergen, was in ihm vorging, war legendär: Niemand hätte aus freien Stücken mit Maloof Poker gespielt. Sein freundliches Lächeln schien unabhängig von dem, was um ihn herum geschah.
Er strich sich über den Bart, und da tauchte Sami in der Küchentür auf.
»Das ist aber eine Überraschung«, sagte der Boxer.
Michel Maloof stammte aus einem christlichen Zuhause im Libanon, Sami Farhan aus einer muslimischen Familie im Irak. Beide waren als Kinder mit ihren Familien nach Schweden gekommen und in Stockholms südlichen Vororten zur Schule gegangen. Der alte Mann hatte sie zu verschiedenen Gelegenheiten und in unterschiedlichen Zusammenhängen kennengelernt, und beide hatten ihn gleichermaßen beeindruckt. Im Laufe der Jahre hatten sie sich als professionell und verlässlich erwiesen, was zum Teil darauf beruhte, dass sie keine Drogen anrührten, weder zum eigenen Konsum noch geschäftlich. Wollte man mit Michel Maloof oder Sami Farhan arbeiten, dann konnte man nicht gleichzeitig mit Drogen rummachen, das wussten alle.
Trotzdem hatten sich Maloofs und Samis Wege bis zu diesem Tag nur flüchtig gekreuzt.
Sie setzten sich um den abgenutzten Küchentisch. Sami und Maloof hielten die Hände um ihre heißen Kaffeetassen. Wie konnte der Mann so kalt wohnen? Einer der Hunde draußen in der Stube begann zu bellen, woraufhin mehrere seiner sieben Verwandten und Freunde einstimmten, bis der alte Mann sie mit einem kurzen, leisen Kommando zum Schweigen brachte.
Sami Farhan und Michel Maloof sahen sich an.
Sie hatten ebenso viel Respekt vor dem Alten wie die Hunde, wenn sie ihn auch nicht wirklich kannten oder mochten. Er war kein Mensch, für den man Sympathie empfand. Wenn er allerdings von sich hören ließ, dann kamen sie, warum auch nicht? Oft genug hatte er interessante...
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