Schweitzer Fachinformationen
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Ich mochte keine Bienen, und das nicht einmal aus den üblichen Gründen. Ihre Stiche machten mir keine Angst, auch nicht das pulsierende Summen. Nein, der eigentliche Grund war weiß, ziemlich unförmig und aus altem Polyester: Grandma Prus Schutzanzug. Mit fünf dachte ich, ein Riesen-Marshmallow hätte meine Grandma gefressen, wodurch ich das Imkern unwiderruflich als »gemeingefährlich« abgestempelt hatte.
»Hältst du das mal?«
»Was ist das?«
Pru blieb mir eine Antwort schuldig und drückte mir einfach den wuchtigen Holzkasten in die Arme.
»Nichts zu danken«, erwiderte ich ächzend und federte das Gewicht mit den Knien ab. »Hättest du nicht wenigstens das Ding ausziehen können, bevor ich komme? Du siehst aus wie ein Yeti.«
»Reiß dich zusammen, Greta! Ich wollte noch mal nach dem Rechten sehen. Wenn die Erntesaison wieder so kläglich ausfällt, muss ich auf die Notvorräte zurückgreifen.«
Ich blickte in die Kiste und sah jetzt die goldgelb gefüllten Gläser unter dem karierten Tuch. »Wie viel ist denn noch da?«
Pru antwortete mal wieder nicht, stattdessen nahm sie ihren Schutzschleier ab. Ihre dunkelgrünen Augen schenkten mir einen durchdringenden Blick, dann zuckte sie mit den Schultern. Das war ihre bevorzugte Art »Mach dir keine Sorgen und frag besser nicht weiter nach« zu sagen.
»Schon gut«, grummelte ich.
Pru legte den Schleierhelm auf dem Gartentisch ab und begann sich aus ihrem Schutzanzug zu schälen.
Ich seufzte leise und blickte in den wolkenlosen Himmel. Eine sanfte Frühlingsbrise kitzelte in meiner Nase.
Es war Anfang Mai, also bereits früh genug, um sich wegen der Ernte Gedanken zu machen. Pru lebte schon seit Jahrzehnten nicht mehr nach unserem schnöden Menschenkalender. Ihr Rhythmus richtete sich nach den Bienenvölkern am Rand ihrer Dachterrasse.
Sonnenstrahlen fielen auf die quadratische Fläche mit den Terrakotta-Fliesen. Rechts und links wurde die Terrasse von den Wänden der Nachbarhäuser umschlossen. Pru pflegte immer zu sagen, dass sich Imkern und Nachbarschaft nicht vertrugen. Ich hingegen war der Ansicht, dass sich eher Grandma und die Nachbarschaft nicht vertrugen.
»Steh nicht herum, Greta! Komm, hol lieber den Schlüssel, wir haben nur noch eine Stunde.« Pru hatte sich aus dem Schutzanzug befreit und steuerte den rostigen Metallspind an der rechten Wandseite an. »Greta! Komm in die Gänge!«, rief sie über die Schulter.
»Ja-ha«, antwortete ich und verdrehte die Augen.
Mit der Kiste im Arm absolvierte ich einen Slalomlauf um die zahllosen Topfpflanzen, die meine Großmutter zusätzlich zu ihren Bienen züchtete. Ich trat mit dem Fuß die Luke im Boden auf und stieg so vorsichtig wie möglich die steilen Stufen hinunter.
Wie immer herrschte in Prus Wohnung ein einziges Chaos. Ich stellte die Kiste mit den Honiggläsern auf der Küchentheke ab und sah mich kritisch um, gespannt, wo Pru heute den Schlüssel versteckt haben könnte.
Mein Blick streifte die durchgesessene Couch, den papierübersäten Schreibtisch und das Holzradio an der Stelle, wo eigentlich der Fernseher stehen sollte. Pru verweigerte sich größtenteils moderner Technik, weshalb meine Schwester Shawna sie oft als »Grandma Hardliner« bezeichnete.
Tatsächlich entdeckte ich den gesuchten Schlüsselbund auf dem Radio. Nachdem ich mir einen Weg durch das Chaos gebahnt hatte, steckte ich ihn ein. Pru würde sich wohl nie zur Anschaffung einer schönen, biederen Ordnungsschüssel überreden lassen.
»Können wir los?« Sie erschien auf den Stiegen zur Dachterrasse und verschränkte die Arme. Das kurze pfeffergraue Haar stand ihr zerzaust vom Kopf ab.
»Gehen wir«, antwortete ich und klopfte auf die Ausbuchtung in meiner Hosentasche.
Pru kam die Treppe herunter und schnappte sich ihren Mantel, der über der Rückenlehne eines Stuhls hing. Sie hob die Kiste mit den Honiggläsern von der Küchentheke herunter, und ich sperrte die Eingangstür auf.
Pru zufolge beruhte ihre gute Kondition auf dem Fehlen eines Aufzugs in dem alten Regency-Haus am Ende der Knox Street. Ich wiederum wusste nicht, wie oft Dad schon geschworen hatte, dass er nicht eines Tages derjenige sein würde, der sie vier Stockwerke hoch in ihre Wohnung trug. Pru war das ziemlich egal. Eher würde sie lernen, wie man Treppengeländer hochrutschte, als dass sie sich von Dad irgendwohin tragen ließ.
»Wie geht es deinem Vater?«, fragte sie über die Schulter, als hätte ich meinen Gedankengang laut ausgesprochen.
»Hm«, antwortete ich vage. Ich hatte keine Lust, darüber zu sprechen. »Passt schon, denke ich.«
»Das klingt ja wunderbar«, sagte Pru trocken.
Wie immer fragte sie nicht nach Shawna.
Als sie unten ankam, nahm ich Pru den Honig ab und lud ihn in den Kofferraum unseres alten Fords. Ich setzte mich ins Auto, Pru ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder, und ich startete den Motor.
»Wir haben noch eine Viertelstunde«, sagte sie.
»Ja.« Ich klopfte genervt mit dem Handballen auf das Lenkrad, als wir allmählich Richtung Innenstadt vordrangen.
Pru fuhr nicht Auto. Sie besaß zwar einen alten VW, aber sie verließ sich lieber auf die Chauffeurdienste ihrer Familie. Shawna meinte, dass sei die verlässlichste Methode, uns bei der Stange zu halten.
Eigentlich wäre die Wartezeit eine ideale Gelegenheit gewesen, Pru beizubringen, dass ich heute früher gehen musste. Ich hatte es Fin fest versprochen, und es schien ihm diesmal besonders wichtig zu sein. Zumindest schloss ich das aus den hunderttausend Erinnerungsnachrichten, mit denen er mich am Morgen bombardiert hatte.
»Wir haben noch .«
Prus Live-Stoppuhr wurde von einem aufgebrachten Hupen unterbrochen, als ich kurz entschlossen einen Bus in der Haltestellenbucht überholte.
Am Hillwood Park vorbei, die Telford und Ferry Road entlang, bog ich schließlich am Botanischen Garten ab. Eher versteckt an der rechten Seite, dort, wo der Leith entlangfloss, parkte ich den Wagen vor unserem Ziel und dem Grund, warum ich seit zwei Jahren Honiggläser durch die Gegend kutschierte: dem »Honeybee«. Prus Café. Wir hatten noch fünf Minuten.
»Ich glaube nicht, dass wir pünktlich fertig werden«, sagte ich und stellte den Motor aus. »Aber ich glaube auch nicht, dass uns die Leute um Punkt neun Uhr die Tür eintreten.«
Pru machte ein beleidigtes Geräusch und stieg aus. Sie schlug die Tür so energisch zu, dass das Holzkreuz mit den billigen Glasperlen am Frontspiegel heftig hin und her schwang. Mum hatte es gekauft, als wir zusammen nach Kroatien in den Urlaub gefahren waren. Ich wartete immer noch darauf, dass es eines Tages irgendjemanden vor Unglück bewahrte.
Ein dumpfes Pochen ließ mich zusammenzucken. Pru klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Scheibe. Wurde Zeit, dass ich aufhörte zu träumen. Ich schnallte mich ab, stieg aus und zog den schweren Schlüsselbund aus meiner Hosentasche.
Das weiße Türschloss war schon recht alt. Eigentlich war alles am Honeybee alt. Nicht Vintage, nicht Shabby Chic, nicht Retro. Nein, einfach nur alt. Von der weißen Fassung des breiten Bogenfensters blätterte die Farbe ab, und die stilisierte Biene auf dem runden Holzschild über dem Eingang machte auch einen etwas mitgenommenen Eindruck. Ich bezwang das bockige Schloss und stieß die Tür auf.
Drinnen empfing mich die gewohnte Mischung aus Flohmarkttischen und knallgelben Holzstühlen. Ich drückte den Lichtschalter, und der riesige Leuchter an der Decke sprang flackernd an. Von den elektrischen Kerzen baumelte ein Schwarm Korkbienen. Sie warfen winzige Schatten an die Tapete mit dem sechseckigen Muster, das an Honigwaben erinnerte. Alles in allem war es ein schönes (wenn auch etwas biederes) Café, doch da ich darin aufgewachsen war, konnte ich das nicht mit unvoreingenommenen Augen beurteilen.
Ich zog meine Lederjacke aus und hängte sie über einen Stuhl. Pru marschierte mit der Kiste Honiggläser zur Mahagonitheke. In den letzten Monaten hatte der Vorrat ein besorgniserregendes Minimum erreicht.
Ich ging an Pru vorbei und schob einen Schnurvorhang aus Perlen beiseite. In der Küche schaltete ich das kalte Neonlicht an. Ich musste kontrollieren, wie es um den Teig stand.
Die riesige Kühlschranktür war übersät mit billigen Plastik-Magneten, die zahlreiche Familienfotos an Ort und Stelle hielten. Ich stoppte kurz und betrachtete ein Bild, das unter einem klobigen Dudelsack klebte.
Mum stand in der Mitte, die Arme um Shawna und mich gelegt. Wir strahlten um die Wette in die Kamera. Dad hatte einmal gesagt, auf diesem Bild würden wir auch als Drillinge durchgehen. Nun, Shawna und ich waren wirklich Zwillinge, eineiige, um genau zu sein. Beide hatten wir karamellfarbenes Haar, braune Augen und ein für meinen Geschmack etwas zu herzförmiges Gesicht. Es stimmte, wir kamen nach Mum. Pru hatte das Foto genau in die Mitte platziert und mich damit gezwungen, es jeden Morgen anzusehen.
Ich wandte den Blick ab und öffnete die Kühlschranktür. Kälte schlug mir entgegen, und ich...
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