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Die Musicalstimme unterliegt anderen Bedingungen als die Popstimme und die klassische Stimme. Während die klassische Stimme den perfekten musikalischen Ton in den Vordergrund stellt, spielt die Popstimme mit stimmlichen Effekten und hängt stark von den Möglichkeiten der Tontechnik ab. Im Gegensatz dazu ist die Musicalstimme trotz Mikrofonverstärkung vorrangig ein Original-Produkt des Musicaldarstellers, dessen gesangliche Interpretation vor allem der Rolle gerecht werden muss, weshalb optimale Tonproduktion und Klangschönheit häufig in den Hintergrund treten. Der Balanceakt zwischen einer Gesangstimme, die vom Zuhörer als "schön" empfunden werden soll, und einem adäquaten emotionalen Ausdruck zugunsten der Rolle, die verkörpert wird, ist eine große Herausforderung an die Musicalstimme. Deshalb hat sich die Gesangstimme im Broadway Musical im Laufe des 20. Jahrhunderts von einer eher klassischen Tonproduktion weg-entwickelt und sich als sogenannte Beltstimme etabliert. Dieses Buch beschäftigt sich mit der typischen Musicalstimme und deren klanglicher Veränderung im Laufe der Geschichte des Broadway Musicals im 20. Jahrhundert.
Vom Ursprung des Begriffs "musical theatre", also "Musiktheater" ausgehend, gehören zu Beginn des 20. Jahrhunderts in diese Kategorie die Bühnenwerke der Avantgarde, die weder Oper noch kommerzielles Entertainment sind, wie zum Beispiel Igor Stravinskys The Soldier's Tale. Die im 17. und 18. Jahrhundert vorrangig in der italienischen Oper benutzte Bezeichnung des dramma musicale wird im 20. Jahrhundert für jedes musikalische Werk mit einer ernsthaften Geschichte als Grundlage benutzt, wie dies zum Beispiel auch bei Gian Carlo Menottis The Consul der Fall ist. Im Kontrast dazu wird der deutschsprachige Begriff "Musikdrama" eher auf ein Gesamtkunstwerk wie Richard Wagners Oper Tristan und Isolde angewandt. Der Unterschied liegt hier vor allem in nationalen und kulturellen Traditionen: Der Begriff "Broadway Musical" bezieht sich an der Basis auf einen Straßennamen in New York City und meint ein Musical, das in einem Theater am Broadway aufgeführt wird. Als Bezeichnung für ein musikalisches Genre distinguiert sich "Broadway Musical" von den bisherigen Kategorien musikalischer Bühnenwerke vor allem im Ethos des neu entstehenden US-amerikanischen Musiktheaters.1 Die ästhetische und künstlerische Entwicklung, und somit auch im Besonderen die stimmtypologische Entwicklung der Rollenprofile, prägen seit Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff Broadway Musical als neue, eigenständige Kunstform im sogenannten melting pot New York, wo sich von diesem Zeitpunkt an musikalische Talente aus aller Welt zusammenfinden. Wird Show Boat im Jahre 1929 auch als Meilenstein in der Entstehungsgeschichte des Genres Musical betrachtet,2 ist bereits 1874 für die Extravaganza Evangeline die Bezeichnung musical comedy zu finden.3 Uncle Tom's Cabin war das bekannteste Theaterstück des 19. Jahrhunderts und The Black Crook im Jahre 1866 mit dem Showstopper "You Naughty, Naughty Men" bereits ein eher unabsichtlicher Vorläufer des Musicals.4 Erst 1890 geht A Trip to Chinatown den Weg, einem Bühnenstück eine US-amerikanische Geschichte zugrunde zu legen, woraus dann auch Songs wie "The Bowery" von Percy Grant hervorgehen.5 Dennoch besitzt die frühe Entstehungsgeschichte des US-amerikanischen Musicals vor allem europäische Wurzeln, die traditionellen Werte und das musikalische Wissen aus der Alten Welt. Werke wie Franz Lehars Die lustige Witwe, Jacques Offenbachs Die Großherzogin von Gerolstein und viele andere Operetten beeinflussen die Entwicklung des US-amerikanischen Musiktheaters noch weit in das 20. Jahrhundert hinein.6 Mit Arthur Sullivans und William Schwenck Gilberts englischsprachigem, aus London importiertem H.M.S. Pinafore wird der Grundstein des US-amerikanischen Musiktheaters in seiner heutigen Form gelegt. Gerald Bordman konstatiert sogar, dass ohne H.M.S. Pinafore Werke von Victor Herbert, George Michael Cohan, Jerome Kern, George Gershwin und Richard Rodgers nicht vorstellbar seien.7 So tritt George M. Cohan, der irischer und somit europäischer Abstammung ist, im Jahre 1901 gegen die Vorherrschaft der europäischen Operette am Broadway an. Mit The Governor's Son trägt Cohan dazu bei, dass das Broadway Musical eine ur-amerikanische Gattung des US-amerikanischen Musiktheaters wird.8
Auch der Einfluss des Jazz kann in dem neuen Genre Broadway Musical Schritt für Schritt seinen Siegeszug verzeichnen: So dringen schnell jazzige Rhythmen und der Sound typischer Jazzinstrumente in die Orchestrierung ein, doch die stimmlichen Anforderungen entwickeln sich erst langsam von der klassisch ausgebildeten Stimme hin zur sogenannten Beltstimme.
Der Gesangstil des Beltens wird bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Vaudeville Shows und Extravaganzas benutzt. Belting ist ein Fachbegriff des Musicalgesangs, der ursprünglich von dem umgangssprachlichen Ausdruck to belt out stammt, was ohne jede weitere Präzisierung an der Basis "laut und temperamentvoll singen"9 bedeutet. Im Gegensatz zur klassisch ausgebildeten Gesangstimme handelt es sich zu Beginn des US-amerikanischen Musicals bei Beltstimmen in der Regel um unausgebildete, kräftige Naturstimmen, die einen Song problemlos so laut schmettern konnten, dass dieser ohne jede Verstärkung auch noch im letzten Winkel des Theaters hörbar war. Sophie Tucker, Fanny Brice, Ethel Merman und einige andere Sängerinnen machten diesen Gesangstil bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Broadway-Produktionen populär. Nur besonders laute Gesangstimmen besaßen genügend Tragfähigkeit und Kraft, um über ein Orchester zu reichen und das Publikum zu begeistern. Deshalb war die dafür notwendige, intensive Nutzung des Bruststimmenregisters auf gesunde und natürliche Art und Weise vor Einführung des Bühnenmikrofons zuerst nur bestimmten Stimmtypen, eher dunkleren Mezzosopranen und Altstimmen, Vorbehalten. Belting wurde zu Beginn des Broadway Musicals vor allem für weniger elegante, häufig vulgäre Rollen eingesetzt, deren Grundcharakter zu stimmlich kräftigen und eher dunkel klingenden Musicalstimmen passte. Diese Stimmtypen führten dazu, dass der Musicaldarsteller stilistisch eingeordnet werden konnte und sich von den Musical-singenden Operettensängern abgrenzte.
Doch die Einführung des Schlagzeugs und in Folge auch weiterer, elektronisch verstärkter Instrumente im Musicalorchester machte es im Laufe des 20. Jahrhunderts den Darstellern immer schwerer, über den Orchestergraben hinaus hörbar zu sein, wodurch Mikrofonverstärkung notwendig wurde. Dadurch ergab sich im Gegenzug wiederum die Möglichkeit, andere, interessante stimmliche Effekte zu nutzen, die ohne Mikrofon nicht über die Bühnenrampe tragen könnten. In Folge konnte deshalb viel bewusster rollenspezifisch gecastet werden und die Stimmgröße war nicht mehr vorrangiger Gesichtspunkt einer Besetzung. Das neu entstehende Filmmusical eröffnete schließlich sogar Schauspielern, die gar nicht richtig singen konnten, die Möglichkeit, ein Musicalstar zu werden. Diese Tatsache dient sogar als Grundidee für die Story des Musikfilms Singing in the Rain. Ironischerweise synchronisiert gerade in diesem Film die stimmlich versiertere Jean Hagen, die die gesanglich untalentierte Lina Lamont verkörpert, Debbie Reynolds, die in der Rolle der gesanglich versierten Kathy zu sehen ist.10
Es gibt Musicaltitel, die vielen am Genre interessierten Menschen in irgendeiner Hinsicht ein Begriff sind, wie zum Beispiel The King and I, My Fair Lady, Hair, Cabaret, Cats und zahlreiche andere, die international bekannt geworden sind. Dazu hat auch häufig die Premieren-Besetzung mit mittlerweile zu Weltstars gewordenen Sängern beigetragen. Einige dieser Musicals sind kommerziell erfolgreiche Einzelwerke heute kaum noch bekannter Komponisten mit Songs, die es sogar in die Hitparaden der Radios geschafft haben. So sind zum Beispiel "Aquarius" und "Let the Sunshine In" weltbekannte Songs, doch wer hat den Namen des Komponisten des Musicals Hair, Galt MacDermot, sofort parat? Solche Werke haben vor allem einen wichtigen Anteil an der Popularisierung des Musicals, doch für die Entwicklungsgeschichte des Broadway Musicals ist das Gesamtwerk der Komponisten, die das Genre Musical überhaupt erst erschaffen und nachhaltig geprägt haben, besonders bedeutend. Deshalb werden hier ausgewählte Werke einiger Komponisten im Rahmen ihres musik-historischen Kontextes besonders beleuchtet, die für die künstlerische Entwicklungsgeschichte des Broadway Musicals als hauptverantwortlich betrachtet werden können. Dadurch soll die Leistung anderer Komponisten der gleichen Epoche und deren Anteil am Zeitgeschehen jedoch weder ignoriert noch geschmälert werden.
Es ist das Anliegen dieses Buches, die stimmtypologische Entwicklung der Musicalstimme zur Beltstimme hin aufzuzeigen, weshalb Oklahoma!, West...
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