Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Sonne warf ein weißes Licht auf das strenge Antlitz des Generals. Er saß mir gegenüber; der Scheitel, die Nase und der Schnurrbart bildeten die Mittellinie eines Gesichts, das ganz symmetrisch zu sein schien. Die himmelblauen Augen waren Brunnen von eiskaltem Wasser und wurden von blauen Schatten unterstützt, die punktweise über Gesicht und Hemd fielen.
Hinter ihm lag die Landschaft in der Sonne. Der Hallandrücken senkte sich in lasierter Tönung zum grünen Beckenkolorit des Wassers in der Laholmsbucht.
"Porträt eines Mörders." So sollte es in die Geschichte eingehen. Ähnlich wie Goya für die spanische Königsfamilie errichtete ich ein Denkmal, das der Nachwelt mein Haßgefühl vermitteln sollte.
Meinem Gefühl nach entging Beatrice die negative Botschaft. Ihre Begabung war auf eine Weise intellektuell und logisch analysierend, so daß sie alles Absurde und Unlogische nicht erfaßte. Für sie war das Dasein ein konstruktives Gebäude, und solange sie gedanklich daran herumklettern konnte, war sie überlegen. Aber wenn eine Treppe im Nichts endete oder eine Tür sich als gemalte Kulisse entpuppte, mußte sie sich geschlagen geben, weil sie den Grund nicht verstand.
Auch in ihrem Schaffen folgte sie diesem Gesetz. Die Kleider, die sie kreierte, waren logisch und kundig durchdacht. Sie waren vollendet wie eine gelöste Gleichung ohne irgendeine Unbekannte.
Im Einklang mit dieser Weltanschauung fand Beatrice das Porträt ihres Vaters fantastisch lebensecht. Erland hingegen murmelte: "Stanley, bereit, die Welt zu vergewaltigen", und das war kein schlechter Titel. Aber es war mir nicht klar, ob Erlands Angriff dem General galt oder nicht.
Die Familie Noijbe zeigte sich nicht so oft, wie ich gehofft hatte. Der General verschwand sofort nach der Sitzung und ließ sich nicht mehr blicken. Er sprach kaum ein Wort. Beatrice kam ab und zu mit einem Golfset in ihrem offenen Jaguar. Ich erkundigte mich nach ihren Schlägen. "Acht", sagte sie. Das fand ich gut. Sie war wirklich funktionell und überlegen; sie wurde mit allem fertig, was sie sich vornahm.
Erland und Eva bakam ich am seltensten zu sehen. Dafür lernte ich einige andere Mitglieder der Noijbe-Sippe kennen.
Schon nach ein paar Tagen tauchte Tor, der Bruder des Generals, auf. Er war nach dem Bericht des Generals an Beatrices Geburtstag mit auf der Stockholmer Ausstellung gewesen. Er war ein ziemlich bekannter Forschungsreisender. Seine Bücher über Feuerland galten als Klassiker, und er sollte als junger Mensch einige von Sven Hedins Asienreisen mitgemacht haben.
Tor Noijbe war klein und mager. Er hatte einen runden Kopf und kurzgeschnittenes weißes Haar. Die Augen waren ebenso hart wie die des Generals, die Stupsnase ebenso schmal. Ein Muskelzucken in der linken Backe bewirkte, daß sich sein Gesicht alle fünfzehn bis zwanzig Minuten verzerrte.
"Ein ausgezeichnetes Porträt", lobte er. "Männlich und stramm. Eine Charakterstudie mit Dimensionen."
Ob er wirklich alles begriff oder nicht, war mir nicht klar. Wie alle Noijbes schien er unzugänglich zu sein. Ein blanker Stahlzylinder ohne Unebenheiten oder schwache Punkte.
Doch, ein schwacher Punkt fiel mir auf. Er vernachlässigte die körperliche Hygiene. Als er neben mir stand und das Porträt betrachtete, roch er, offen gesagt, widerwärtig. Ich weiß noch, wie es mich schockierte, daß einer der unnahbaren Noijbes stank.
Eine Woche später kam der vornehme Besuch. Innenminister Per-Henrik Hagel und seine Frau Marta traten plötzlich zu uns in den Sonnenschein des Gartens heraus. Der Innenminister war ein Hüne. Seine Glatze war sommersprossig und hinten von einem gepflegten weißen Haarkranz umgeben. Die hohe Stirn hatte die gleiche Farbe wie das Gesicht. Die Nasenlöcher der geraden Nase waren groß und so offen wie bei einem Spanferkel. Er rauchte Havannazigarren und bemühte sich, harmlos und leutselig zu wirken. Vielleicht war er es auch.
Später erfuhr ich, daß seine Frau eine geborene Noijbe und eine Cousine des Generals war. Sie hatte die gleichen himmelblauen Augen wie ihr Vetter. Von allen Noijbes, die ich kennengelernt hatte, war nur Beatrice braunäugig. Sie sollte ihre schönen Augen von ihrer Mutter geerbt haben, die Anfang der fünfziger Jahre gestorben war.
"Hat man so etwas schon gesehen!" rief Marta Hagel, als sie das halbfertige Porträt sah. "Eine solche Ähnlichkeit! Wie vortrefflich! Das ist wirklich der liebe Anders, wie er leibt und lebt!"
Der Innenminister stimmte leutselig zu. Dann setzte er sich zu dem General und unterhielt sich leise mit ihm.
"Ich habe früher selbst ein wenig gemalt", zwitscherte Marta Hagel. "Aber dann bekam ich im Oktober 1935 Kinderlähmung. Seither bin ich linksseitig gelähmt. Mein Mann erkrankte gleichzeitig. Damals gab es noch keinen Impfstoff gegen Kinderlähmung, müssen Sie wissen."
Sie ging mir entsetzlich auf die Nerven. Sie gehörte zu den Kunstbetrachtern, die jedes Bild zum Anlaß nahmen, von sich selbst zu reden. Dem Bild geben sie keine Chance. Sie können keine zwei Minuten den Mund halten und das Kunstwerk sprechen lassen. Statt dessen ersticken sie alle Kommunikation in sinnlosem Geplapper.
"Wir lagen fast ein halbes Jahr hilflos im Krankenhaus", teilte sie mir mit. "Und wir trugen beide dauernden Schaden davon. Bei meinem Mann ist das linke Bein schwächer als das rechte, und er zieht es ein bißchen nach. Haben Sie es nicht gemerkt? Nein? Er verbirgt es recht geschickt. Aber ich hätte gedacht, daß Sie als Maler für solche Dinge ein Auge haben. Ja, der scharfe Blick! Auf den scharfen Blick kommt es an, nicht wahr?"
"Möglich", knurrte ich gereizt.
"Ich weiß es selbst", versicherte sie. "Wie gesagt, ich malte ja ein bißchen, bevor mein Arm zu schwach wurde. Nichts Besonderes, versteht sich. Aber meine Bekannten fanden jedenfalls, ich hätte Talent."
Darüber dachte sie ein Weilchen nach, und Bruchstükke des Gesprächs zwischen dem Innenminister und dem General flogen in der wohltuenden Stille zu uns herüber.
Die beiden Herren sprachen über Kurt von Spoor. Ich spitzte die Ohren und hoffte, daß Marta Hagel weiter schweigen würde.
"Irma regt sich darüber auf", sagte der Innenminister.
"Die alte Geschichte könnte der ganzen Familie schaden."
"Begreiflicherweise", pflichtete der General bei.
"Kurt von Spoor hat sein verdientes Schicksal erlitten. Aber das ist eine Angelegenheit, die vergessen werden muß. Meine Stellung ... du verstehst doch, daß ich in dieser Hinsicht außerordentlich empfindlich bin. Daß ich es mir zum Beispiel nicht leisten kann, mich dazu zu äußern, wenn die Presse Wind davon bekommt."
"Dazu besteht gar kein Grund", versetzte der General ruhig. "Was könnte die Presse erfahren?"
Der Innenminister zuckte die Schultern und warf mir einen nachdenklichen Blick zu. Ich gab mir den Anschein, als wäre ich ganz in meine Arbeit vertieft. Aber die beiden brachen auf jeden Fall ihr Gespräch ab.
"Können wir nicht für heute Schluß machen?" fragte der General. "Mein Nacken wird allmählich steif."
"Bitte noch zwei Minuten, dann hören wir auf", antwortete ich.
"Das Porträt wird in bester Gesellschaft hängen, müssen Sie wissen", sagte Marta Hagel zu mir. "General Noijbe hat auf Frälsetorp eine schöne Sammlung Ahnenbilder. Dort lebt er ja den größten Teil des Jahres."
"Was Sie nicht sagen", murmelte ich.
Sie merkte weder die leichte Ironie noch meine Gleichgültigkeit, sondern plapperte weiter: "Dort hängen vor allem sämtliche Porträts des Staatsministers, die Georg von Rosen gemalt hat. Sie wissen sicher, daß unser Vorfahr, oder wie man das nennt, schwedischer Ministerpräsident war. Genau gesagt, war er der Bruder meines Vaters. Wir sind alle seine Geschwisterkinder, der General, der Forschungsreisende, der Bischof, Ku ... äh, ich meine, ich selbst. Wie gesagt."
Sie war bestimmt im Begriff gewesen, "Kurt" zu sagen. Aber sie hatte sich zurückgehalten. Um mein Interesse für den geheimnisvollen Kurt von Spoor nicht zu zeigen, fragte ich statt dessen: "Der Bischof? Gibt es in der Familie auch einen Bischof?"
"Das ist mein Bruder. Tomas Noijbe. Er war Bischof im Bistum von Strängnäs."
"Bischof Tomas", sagte ich. "Ja, das ist ein Name mit Tradition."
"Oh, die Zeitungen fanden es lustig, daß er ernannt wurde." Sie lachte und wackelte mit dem Kopf. "Ein neuer Bischof Tomas in Strängnäs, schrieben sie. Ach ja, das war sehr lustig!"
Ihr zweiundsiebzigjähriges Gesicht war schmeichelnd zurechtgemacht. Sie trug ein geblümtes Kleid und eine einfache Perlenkette. Sie war sonnverbrannt und runzlig, der Körper sehnig schmal. Die Noijbe-Augen leuchteten wie zwei Kornblumen aus brauner Erde hervor. Der rechte Arm war schwach und fast ohne Muskeln. Meistens ließ sie ihn hinunterhängen, aber zwischendurch vollführte sie damit eine kleine groteske Gebärde. Die rechte Schulter ging dabei in die Höhe, um die Bewegung zu unterstützen.
Erland, Eva und Beatrice zeigten sich in der Tür zum großen Wohnzimmer.
"Mittagessen", verkündete Beatrice. "Mögen Sie mit uns essen, Dan?"
"Ja, gern", antwortete ich, ohne mich um die mißbilligenden Mienen der beiden Herren zu kümmern. "Ich muß mir nur schnell die Hände säubern, sie sind voller Farbe."
Es gab Kalbsbries, Nieren und Bratkartoffeln, und wir saßen an einem großen runden Föhrenholztisch. Alle außer Beatrice und mir tranken Bier. Ich fand, daß unsere Mineralwasserflaschen uns vereinigten. Sie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.