Schweitzer Fachinformationen
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Ebba
Champagner?«
Mit einem zuvorkommenden Lächeln beugte sich die Stewardess über Ebbas Sitz und hielt ihr ein Glas Moët & Chandon entgegen.
»Nein, vielen Dank.« Ebba deutete auf die Karaffe mit frisch gepresstem Orangensaft, die auf dem Trolley stand. Der Tag war hektisch gewesen, Pressetermine und Interviewanfragen bis kurz vor dem Check-in. Selbst in der Lounge hatte sie noch ein paar Interviews mit Jona abgestimmt. »Ich könnte ein paar Vitamine vertragen.«
»Sehr gern.«
Der Champagner verschwand. Gleich darauf platzierte die junge Frau mit den feinen asiatischen Gesichtszügen ein Glas Saft auf der Leinenserviette ihres Tischchens, doch da hatte Ebba sich schon wieder über ihren Laptop gebeugt.
Das Boarding war fast abgeschlossen, nur noch acht Stunden bis New York. Und in der First Class des riesigen Airbus A 380 verging die Zeit sowieso wie im Flug.
Ebba öffnete den elektronischen Kalender, der ihr Leben mit Jonas Reisen rund um den Globus synchronisierte: Abflug Amsterdam Schiphol 17.20 Uhr, Ankunft New York JFK 19.20 Uhr. Sie nippte kurz an ihrem Orangensaft, die Zeitverschiebung ließ ihnen noch Gelegenheit zu einem Business-Meeting. Also schnell ins Hotel, bevor sie zum Dinner mit den Leuten vom Musiklabel fuhren. Tony und Caroline erwarteten sie im Daniel's auf der Upper East Side. Danach vielleicht noch ein Drink in der Hotelbar, damit sie einschlafen konnte. Morgen dann die ersten Pressetermine zum Frühstück um neun, bevor die Proben mit den New Yorker Philharmonikern begannen. Der große Jona Bennett würde Bachs Violinkonzerte spielen, auf seine eigene, virtuose, das Publikum elektrisierende Art.
Und dann . Ebba strich sich das helle, glatte Haar zurück und überflog die Termine der kommenden Tage, bevor sie den Blick hob und Jona betrachtete. Wie immer saß er zwei Reihen vor ihr, auf der rechten Seite des Oberdecks. Sie konnte seine Stradivari nicht sehen, aber sie wusste, dass er die Geige bis zur Ankunft in New York nicht aus den Augen lassen würde. Nur wenn er zur Toilette ging, vertraute er ihr die kostbare Schöne für ein paar Minuten an.
Die Airline hatte von seinem Label ein detailliertes Briefing mit Sonderwünschen bekommen: In der First Class hatte ein totales Handy- und Fotoverbot zu herrschen, er brauchte eine warme Decke aus Yakwolle und mindestens zwei Luftbefeuchter. In der Bordtoilette warteten ein eigener Sitz und nach Lavendel duftende Handtücher, die Stewardessen mussten sich regelmäßig die Hände desinfizieren und sollten möglichst jeden Blickkontakt vermeiden. Auch die Liste fürs Catering las sich wie das Who's who der Starneurosen: kein Fisch, kein Fleisch, kein Zucker, kein Gluten und keine Laktose. Unterwegs ernährte er sich vorwiegend von Energy Balls aus Trockenfrüchten, Nüssen und grüner Rohkost. Dazu Champagner, Ruinart Rosé. Schon vor dem Start benötigte er zwei Gläser, um nicht darüber nachzudenken, dass er sich gleich zehntausend Meter über dem Atlantik befinden würde.
Sie sah, wie Jona das erste Glas hinunterstürzte und der hübschen Asiatin winkte. Eigentlich war die junge Frau sein Typ, schmal und zierlich, mit dunklem, glänzendem Haar und sinnlichen Lippen, aber er würdigte sie keines Blickes, während sie ihm aus seiner persönlichen Jona-Bennett-Superstar-Flasche nachschenkte.
Ebba runzelte die Stirn, als er das Glas hastig leerte, um es sich dann ein drittes Mal auffüllen zu lassen. Schon in der Lounge war er fahrig gewesen, er hatte sich kaum auf die Interviewtexte konzentrieren können, die sie ihm zur Abstimmung vorgelegt hatte. Schließlich hatte er sie einfach machen lassen und sich die monströsen Kopfhörer über die Ohren geschoben, mit denen er den Lärm der Außenwelt ausblendete. Seitdem hatte er die schwarzen Designerbeats, mit denen er wie eine Kreuzung aus Fußballprofi und hippem DJ aussah, nicht mehr abgesetzt. An den Fingerbewegungen seiner linken Hand konnte sie ablesen, dass er Mozart hörte. Das Violinkonzert Nummer drei G-Dur: zwei Violinen, Viola, Bass, Oboen und Hörner. Seine Playlist gegen den Stress.
Ebba nahm noch einen Schluck von ihrem Orangensaft. Das Konzertjahr war lang gewesen, seit September tourte er schon, Flugmeilen bis zum Mond. Weihnachten waren sie in Sydney gewesen, zu Ostern in Moskau. Sogar die Chinesen hatte Jona mit seinem Mix aus virtuosem Spiel und unkonventioneller Interpretation begeistert. Es wurde Zeit, dass die Saison endete und sie sich in die Sommerpause verabschiedeten. Nur noch das Konzert in New York und ein Festival in Kalifornien, dann würde Jona sich für zwei Monate in seinem Haus auf Long Island einnisten, während sie sich endlich um ihr Apartment in Kopenhagen kümmern wollte. Sie hatte es vor anderthalb Jahren gekauft und noch immer nicht eingerichtet.
Ebba lehnte sich zurück, versonnen schaute sie aus dem Fenster in den verregneten Amsterdamer Nachmittag. Sie träumte von einem Bett so groß wie ein Schiff, duftender Bettwäsche in Meerfarben und einem kleinen verwunschenen Terrassengarten, den sie von ihrer Putzfrau pflegen lassen würde. Und dann war da noch Magnus, der ihr das Apartment in der Nähe des Kopenhagener Zoos vermittelt hatte. Hin und wieder skypten sie, wenn die Umstände und die Zeitverschiebung es zuließen. Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen. Und auch auf etwas mehr Zeit für sich selbst. Lange Spaziergänge durch den Tiergarten und ein Ausflug mit Magnus zu den Inseln in der Ostsee.
Auf dem Rollfeld steuerte ein letzter Wagen mit Gepäck auf den Airbus zu, die Koffer glänzten feucht. Am Gate nebenan löste sich eine Boeing 777 vom Finger. Als Ebba wieder auf den Bildschirm vor sich sah, bemerkte sie, dass Jona alle Termine für den Abend gecancelt hatte. Er hatte sie über seinen Zugang einfach gelöscht. Und offenbar war ihm das noch nicht genug: Wie von Geisterhand fraß sich der blinkende Cursor durch den Kalender, löschte einen Termin nach dem anderen und zerstörte die Arbeit von Wochen. Meetings, Pressegespräche, Probentermine und Reisedaten, die sorgfältig ausbalancierte Architektur seines Lebens - einfach dahin.
»Jona!«
Ebba war so fassungslos, dass sie noch nicht einmal aufschreien konnte. Es kam nur ein heiseres Krächzen, das ihr im Hals stecken blieb. Das Blut schoss durch ihren Körper, eine heiße Welle aus Schreck und Entsetzen. Sie schlug die Hand vor den Mund, dann riss sie den Laptop hoch, als ob sie so etwas retten könnte. Wie in Zeitlupe kippte ihr der Orangensaft in den Schoß.
»Verdammter Mist!«
Aber Jona hatte noch nicht genug, immer noch fuhrwerkte er in seinen Terminen herum. Sie sah, wie er hektisch mit dem Finger über sein Handy wischte.
Was zum Teufel trieb er da?
Wie hypnotisiert starrte Ebba auf den Bildschirm, während eine letzte funktionierende neuronale Verbindung in ihrem Gehirn betete, dass es irgendwo ein Back-up ihres Kalenders gab.
Auch die anderen Passagiere in der ersten Klasse bemerkten, dass da in Reihe eins etwas Merkwürdiges vor sich ging. Natürlich hatten sie den schlaksigen Typen mit dem pinkfarbenen Geigenkasten erkannt. Alle Welt kannte Jona Bennett und sein mitreißendes Vibrato. Mit seinen Cross-over-Programmen hatte er die Geige aus den Tempeln der Hochkultur befreit und in die Arenen der Rock- und Popmusik gebracht. Er beherrschte die alten Meister genauso souverän wie die Hits von Adele, Beyoncé oder Coldplay. Und er liebte das augenzwinkernde Spiel mit den Konventionen. Jona hatte kein Problem damit, Bach und David Guetta mit derselben Ernsthaftigkeit zu spielen.
Ebba löste den Gurt und tupfte sich die Hose mit einer Serviette ab, die ihr die aufmerksame Stewardess reichte. Als sie aufstehen wollte, sprang auch Jona plötzlich auf. Mit dem Geigenkasten unter dem Arm stürzte er wortlos zur Treppe und verschwand nach unten.
Ebba schnappte sich ihre Handtasche und warf den Laptop hinein. An der verdutzten Stewardess vorbei lief sie ihm nach.
Jona war schon unten. Sie hörte, dass es einen kurzen, scharfen Wortwechsel mit einem Steward gab, was ihr die Chance ließ aufzuholen. Im Übergang zwischen Flieger und Finger hatte sie ihn erreicht.
»Jona!« Beruhigend legte Ebba ihm eine Hand auf den Arm. »Was ist denn los?«
Konnte er sie durch die Kopfhörer überhaupt hören? Jona starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ein panischer Blick wie von einem gehetzten Tier. Er schwitzte und schien gleichzeitig zu frieren, er zitterte.
Vorsichtig streifte Ebba ihm die Beats ab, und er ließ sie gewähren.
»Jona«, sagte sie noch einmal, weil sie wusste, dass er ihre Stimme mochte. »Komm, setz dich wieder. Du hast morgen Probe. Die Halle ist ausverkauft. Alan würde es dir nie verzeihen, wenn du das Konzert mit den Philharmonikern schmeißt. Das Dinner heute Abend können wir doch absagen, wenn dir das zu viel ist.«
Jona schüttelte den Kopf. Er sah aus, als würde er gleich ertrinken, in einer für...
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