Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Auf seidenen Kissen erwachte Bernhard. Der Duft von parfümierten Kerzen stieg ihm unangenehm in die Nase und machte ihn ein wenig schwindeln. Er blinzelte. Im Schein des Lichtes wirkten die Muster auf den schweren Teppichen an den Wänden wie dunkle Tiere.
Er war also wirklich in Jerusalem! In einem Palast. In seinem Palast! Nach drei Jahren Pilgern, Elend, Hunger, Durst und Kampf endlich am Ziel seiner Sehnsüchte. Warum empfand er nichts dabei als eine stumpfe Leere? Er müsste nun sehr glücklich sein, forderte Bernhard von sich und bemühte sich, die Freude, den Jubel wachzurufen, der ihn wie alle anderen erfasst hatte, als er zum ersten Mal Jerusalems vom Berg Montjoie ansichtig wurde. Vor Ergriffenheit, vor taumelnder Begeisterung war er auf die Knie gesunken und hatte Gott für das Wunder gedankt, war dann aufgesprungen und hatte seinen kleinen Sohn hochemporgehalten, um ihm Jerusalem, die heiligste aller Städte, zu zeigen.
Doch Hanno war tot. War ermordet.
Jedoch auch Alice? Bernhard fasste neben sich in die weichen Kissen, seine Hand fühlte, was er ohnehin wusste, Alice war fort. Bis spät in die Nacht hinein war er durch die Gassen Jerusalems geirrt, hatte ihren Namen gerufen, sie gesucht in der Grabeskirche, in Hauseingängen, jeder Frau, die nur irgend Alice ähnelte, war er gefolgt, um traurig festzustellen, sie war es nicht. Noch schlimmer, unter Leichen hatte er nach ihr gewühlt. Die meisten waren noch warm, es ekelte ihn.
Zu allerletzt aber hatte er sich zusammengenommen und war dahin gegangen, wo er am ehesten erwarten konnte, etwas über Alice zu erfahren, in ihr Zelt. Dort saß der blinde Olivier und gab Auskunft. Alice sei da gewesen. Er habe genau gehört, wie sie ihr Bündel packte. Ein kleines Kind hätte sie bei sich gehabt.
»Ein kleines Kind?« Er war auf Olivier losgegangen und hatte ihn geschüttelt und angeschrien: »Wieso ein kleines Kind?« Olivier hatte seine Hände weggedrückt.
»Verzeiht«, hatte Bernhard gemurmelt. Entmutigt, hoffnungslos hatte er sich auf Alice' Lager gesetzt, sein Gesicht zwischen seinen Armen verborgen.
Alice hatte ihn wirklich verlassen, das dritte Mal und endgültig. Wahrscheinlich wollte sie nicht im Heiligen Land bleiben, wahrscheinlich war sie zurück auf dem Weg nach Passau. Aber Passau war so unendlich fern, dass man es fast nicht einmal denken konnte. Kein Hafen war in der Nähe, Jaffa war zerstört, auch der nächste christliche Hafen Latakia war weit, sie müsste durch feindliches Gebiet, allein, ohne Waffe, als Frau. Nicht auszudenken, was ihr passieren könnte. Vergewaltigung war das mindeste. Alice würde irgendwo in den Bergen vergewaltigt, würde ergriffen, gefangen genommen, würde auf dem Sklavenmarkt verkauft, in Tripolis, in Homs, in Damaskus, wo auch immer. Oder sie würde ermordet. Wahrscheinlich jedoch nicht. Eine blonde Fränkin ließ sich zu gut verkaufen, als dass man sie leichtfertig tötete.
Wenn er sie zurückholte? Wie damals in Konstantinopel? Bernhard setzte sich auf. Noch war es nicht zu spät. Olivier hatte gesagt, sie sei zu Fuß unterwegs. Noch könnte er sie einholen.
Was war das mit dem Kind? Gleichgültig, ob Kind oder nicht. Noch könnte er Alice erreichen.
Bernhard griff nach dem seidenen Morgenmantel, der gefaltet auf dem mit Ornamenten bestickten Schemel neben seinem Ruhebett lag, öffnete eine Truhe mit Gewändern und blieb von seinem Gedanken wie gefesselt stehen:
Unsinn, was sollte er ihr nachreiten. Alice hatte ihn verlassen und sie wollte ihn verlassen. Sollte sie zusehen, wie es ihr dabei erging. Sicher hatte sie seine Ohrringe abgenommen. Sollte sie doch verrecken. Überhaupt, was sollte er mit einer Geliebten. Die wäre ihm nur lästig.
Nein, sagte er, trat ans goldvergitterte Fenster, öffnete es und schaute auf den weiten Platz, der vom ersten Morgenlicht noch wie ein grauer Schatten wirkte. Vom nahen Tempel Salomos drangen Stimmen, Weinen und Schreie. Er wollte nicht hinhören.
Ein kurzes schmerzhaftes Ziehen spürte er im oberen Backenzahn. Er hielt sich die Hand an die Wange.
Hart dachte er, es war geradezu ein Segen, dass Alice von allein gegangen war, so müsste er sie jedenfalls nicht fortschicken, nicht fortjagen. Für seine Pläne konnte er sie überhaupt nicht gebrauchen. Auch er wollte zurück ins diutsche landt, er wollte sein Lehen aus der Hand des Kaisers empfangen, er wollte heiraten, die schöne, reiche, adelige Frau, von der er immer geträumt hatte. Da wäre diese Geliebte, so ein Anhängsel, nur lästig. Frauen zum Vergnügen gab es ohnehin genug. War ihm doch egal, was aus Alice wurde. Er musste an seine eigenen Pläne denken und sie endlich verwirklichen.
Es pochte an der dunkeln Tür aus Ebenholz. Auf sein »Herein« trat Kaspar ein. Der Junge verneigte sich tief, was Bernhard missfiel.
»Gnädiger Herr, ich muss Euch etwas zeigen.«
»Was denn?«
Kaspar antwortete darauf nur mit einem flehenden: »Bitte!«
Verwundert folgte Bernhard dem Jungen durch einen ebenfalls mit Teppichen reich ausgestatteten Raum, in dem der schlafende Olivier auf einem Diwan lag. Bernhard warf einen Blick auf seinen Freund und stellte im Vorbeigehen wiederum entsetzt fest, dass Oliviers Füße zuckten, als würde er von einem Schwert geschlagen. Darüber nachzudenken war keine Zeit, denn schon liefen sie durch die Eingangshalle. Flüchtig sah Bernhard im Schein der Fackeln auf dem Marmorfußboden die drei Bären, die er eingeritzt hatte als Zeichen, dass dieser Palast ihm gehörte. Kaspar griff nach einer Fackel und stieg eine steile Treppe in ein Kellergewölbe hinab, in dem Fässer mit Öl und Wein lagerten. Hinter einem der Fässer war ein schmaler Spalt in dem Gemäuer, Kaspar schob seine Fackel durch die Öffnung, kroch selbst hindurch. Bernhard folgte ihm. In einem niedrigen Raum kauerten in einem Kreis wohl acht Frauen, sie hatten sich mit den Armen fest umschlungen und waren alle - enthauptet.
Ihr Anblick war schauderhaft, ihre Kopftücher, ihre entsetzten Gesichter - wie Fratzen. Eine der Frauen war eine Schwarze.
Was war gewonnen durch die Eroberung Jerusalems?, durchzuckte Bernhard wider Willen der Gedanke. Die Befreiung vom Fegefeuer? Das Paradies? Die ewige Seligkeit?
Ein seidener Morgenmantel, dachte er verächtlich.
»Herr, seht hier«, wurde er von Kaspar in seinem melancholischen Nachsinnen unterbrochen. Der Junge hockte vor einer Truhe, die nicht aus Holz, sondern aus Stein war wie das Mauerwerk des Gewölbes. Den Deckel hatte er geöffnet. In der Truhe aber glitzerte und glänzte es von Gold, Geschmeide und Münzen. Ein Schatz, wahrlich der erhoffte und von der Wahrsagerin ihm versprochene Schatz.
»Hast du dir davon schon genommen?«, wurde Kaspar von Bernhard angeherrscht.
»Nein, Herr«, beteuerte der Junge. Bernhard glaubte ihm nicht, wollte ihm aber auch nicht das Geraubte wieder nehmen. Wichtig war, dass er sich in Zukunft auf den Jungen verlassen konnte.
»Weißt du, was mit dir geschieht, wenn du mich bestiehlst?«
»Ihr werdet mir meine beiden Hände abschlagen.«
»So ist es. Das hätten wir also geklärt. Schaff die Leichen weg und dann holst du Bedienstete. Wir brauchen Knechte und Mägde.«
Sind ja alle tot, die mit uns auf die Pilgerfahrt gegangen sind, ging es ihm durch den Sinn.
Kaspar verneigte sich und erwiderte: »Ich werde ehrliche Leute anwerben.«
Natürlich, dachte Bernhard. Ein Dieb erkennt den Dieb. Noch war es für Kaspar vorteilhafter, ehrlich zu sein. Er könnte ihm also die Auswahl der Bediensteten überlassen, zumal er selbst endlich in der Grabeskirche, dem Ziel aller irdischen und himmlischen Sehnsüchte, beten und Gott danken wollte. Davor aber müsste er sich reinigen.
Kaspar war schon vorausgeeilt, als Bernhard etwas später die quaderförmigen Steinstufen hinaufstieg, die weite Eingangshalle durchquerte und in einen kleinen Raum trat, in dem sich an der hinteren Wand ein mit Mosaiken reich verziertes Waschbecken befand. Auf einem Goldglastisch lag ein silberner Spiegel, den Bernhard in der Hand wog. Etwas zögernd schaute er hinein, betrachtete aufmerksam sein Spiegelbild. Blut, dachte er, Blut klebte in seinen dunklen Augenbrauen und an seinen Wimpern, auf seinen Wangen. Die Lippen waren aufgerissen, die Augen lagen tief, die Haut wirkte trotz der Sonnenbräune fahl.
Das Gesicht eines Siegers, stellte er bitter fest.
Reiß dich zusammen, Bernhard. Du bist Sieger. Entschlossen drehte er den bronzenen Wasserhahn auf und starrte auf das Wasser, das sich unaufhörlich in das Becken ergoss.
Wasser, um Gottes willen - Wasser. Wasser in Jerusalem. Unendlich floss es, bis in die Ewigkeit würde es fließen. Draußen aber, vor den Toren der Stadt, hatte der ägyptische Kommandant alle Wasserquellen unbrauchbar machen lassen. Und sie, die Pilger, hatten sechs Wochen vor Jerusalem ausgehalten, ausgedörrt, ausgetrocknet, nach jedem Tropfen Wasser lechzend. Wie viele waren verdurstet, hatten faules, mit Blutegeln verunreinigtes Wasser getrunken? Selbst die Tiere hatten sie sterben lassen. Das Schreien der verendenden Schafe und Pferde hatte er immer noch im Ohr.
Bernhard ließ seine Hand durch den Wasserstrahl gleiten, es war kühl, so klar wie Quellwasser. Sein Blick fiel auf den tiefen Boden des Beckens, wo sich kleine Kreise bildeten. Bernhard schwindelte, es war ihm, als verwandelten sich die Kreise in Hannos kleinen, runden Mund, der sich öffnete und schloss und dann schrie, schrie in Todesangst, als die Peiniger, die Mörder, das Kind auf den Stein, auf...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.