Schweitzer Fachinformationen
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Eine Krähe flog über die Dächer der kleinen Stadt Prülle. In ihrem Schnabel einen grauen Brief. Sie fühlte sich wichtig, denn sie hatte an diesem Morgen gleich zwei Aufträge zugeteilt bekommen. Es war nicht einfach, mit einem Kuvert im Schnabel gegen den Wind anzufliegen. Aber schließlich war diese Krähe jahrelang für genau diese Sondereinsätze trainiert worden. Jetzt flog sie die Häuser der Sackgasse entlang. 5, 7, 9, 11 - und da war sie. Die 13. Noch einmal verglich die Krähe die Ziffer auf dem Kuvert mit dem Schild, das schief neben der Tür hing. Dann steckte sie den Brief dorthin, wo er hingehörte: in den Briefschlitz.
Oben auf dem Dach wunderte sich eine andere Krähe, sie streckte ihren Kopf über die Dachziegel und räusperte sich. Einmal, zweimal, doch die Briefüberbringerin beachtete sie gar nicht. Sie schüttelte ihr Gefieder und hob dann erneut vom Boden ab, um auf einem anderen Dach Platz zu nehmen. Es war das Dach des Hauses mit der Nummer 3. Erst jetzt blickte sie hinüber und nickte der Krähe auf der Nummer 13 kurz und knapp zu.
Dass ein kleines graues Kuvert so eine Aufregung auslösen konnte, konnte man nur verstehen, wenn man die Bewohner der Sackgasse 13 kannte und wusste, dass dies für die Familie Grause der erste Brief war, den sie je bekommen hatten.
»Was ist es? Was ist es?«, rief Husch, das Geistermädchen, aufgeregt.
»Es ist ein Kuh. ein Kuh. irgendwas mit Kuh!« Holger, der Felfe, überlegte fieberhaft. Er drehte das Ding in seinen Händen hin und her und betrachtete es von allen Seiten, als würde er so auf das richtige Wort kommen.
»Ein Kuvert! Ein Kuvert ist eine Hülle aus Papier für einen Brief!«, erklärte Mutter Olga, die im Fach »Seltsame Dinge aus Papier« sehr gut aufgepasst hatte.
»Kuh-wer?«
»Welche Kuh?«
»Ein Kuvert. Das Wort kommt aus Frankreich.«
»Wir haben Post aus Frankreich!« Holgers Stimme zitterte ergriffen.
»Nein, das Wort kommt aus Frankreich. Dieser Brief hier .« Sie nahm ihn Holger aus der Hand und untersuchte ihn nun ebenfalls. ». hm . steht kein Schreiber drauf!«
»Ich will ihn auch mal halten!«, rief Wolfi.
»Ich auch!«, bat Muh.
»Und Schrat auch!« Der Opa, der ein Schrat war, bemühte sich seit einiger Zeit, immer öfter am Familiengeschehen teilzunehmen. Er hatte in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe Gefühle in sich verspürt, die neu für ihn gewesen waren. Eines davon war: Dankbarkeit.
»Der Reihe nach!«, ordnete Olga an und gab den Brief an den Schrat weiter.
Der zog die Augenbrauen hoch. »Bah!«, machte er. »Blöder Brief!«
Die ganze Familie hatte sich in der Eingangshalle versammelt. Von außen hätte man dem kleinen Häuschen, das zwischen der Nummer 11 und der Nummer 15 ein wenig eingequetscht aussah, nicht angesehen, dass es innen so stattlich war. Mit seinen unzähligen riesigen Kristallleuchtern, die von oben herunterhingen, und einer breiten Marmortreppe, die in die oberen Stockwerke führte, erinnerte das Haus an ein Schloss. Doch von außen glich es einer Bruchbude.
»Was da wohl drin ist?«, fragte Wolfi und drückte ihre Nase an den Brief. »Er riecht nach Krähe . und einem Hauch von Nebel, würde ich sagen!« Da sie ein Werwolf war, war ihr Geruchssinn sehr ausgeprägt.
»Ich will den Brief zerreißen!«, rief Husch, als sie ihn in der Hand hatte.
»Aufreißen heißt das, Husch! Nicht zerreißen«, verbesserte sie ihre Mutter Olga.
»Ja, dann halt das! Darf ich? Bitttääääää«, bettelte Husch und sah ihre Familie flehend an.
»Wer ist dafür, dass Husch den Brief aufreißt?«, fragte Holger, der Abstimmungen liebte, denn die waren so schön gerecht.
Alle hoben die Hand.
Husch schüttelte den Brief und horchte, ob sich darin etwas tat. »Nicht dass uns was entgegenfliegt oder alles verschleimt oder ein Schnupfen aus ihm rausspringt, der uns alle ansteckt.«
»Was, wenn er für mich ist und ein Einhorn drin ist?«, hauchte Holger gespannt.
»Da steht Familie Grause drauf. Und bist du etwa die ganze Familie?«, fragte Wolfi.
Holger schüttelte enttäuscht den Kopf.
»Außerdem wäre es ein ziemlich plattes Einhorn, wenn ich das mal sagen darf!«, kicherte Muh und dabei rutschte ihm die Mütze über die kleinen Hörner ins Gesicht.
»Vielleicht klappt es sich auf, wenn man den Brief öffnet. Ein Klapphorn. Ich würde es Klappi nennen!« Holger hatte neue Hoffnung geschöpft. Von Klapphörnern hatte er zwar noch nichts gehört, aber er wusste, dass es nichts gab, was es nicht gab.
»Ich brauch was Spitzes, mit dem ich den Brief öffnen kann!«, sagte Husch.
»Wie wäre es mit meinen Eckzähnen?«, fragte Wolfi hilfsbereit.
»Oder meinen Hörnern«, schlug Muh vor.
»Ich könnte meinen Zauberstab anbieten!«, sagte Holger.
»Schrats Frau Bissgurke könnte Papier aufbeißen!«, schlug Opa Grause vor und zeigte nach oben auf seinen Hut, auf dem seine fleischfressende Pflanze thronte und sich bereits Richtung Brief beugte.
»Wie wäre es mit aufhexen?«, fragte Olga, denn ihre drei Wünsche hatte sie für diesen Tag noch frei.
Husch sah vom einen zum anderen. »Verhuscht und zugenäht! Ich kann mich nicht entscheiden. Und wenn ich jemanden von euch wähle, sind die anderen böse auf mich.«
»Sind wir nicht!«, rief die ganze Familie im Chor.
»Also vorausgesetzt, du nimmst meine Zähne, Huschilein!«, fügte Wolfi grinsend hinzu.
»Aber vorher meinen Zauberstab!«, flötete Holger.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Die Grauses fuhren erschrocken zusammen. Mopp, der Wischmopp, der der Hund der Familie Grause war, bellte, dann wedelte er mit seinen Kordeln.
»Vielleicht kommt jetzt noch der Postbote«, mutmaßte Olga.
»Oder ein Brieföffner!«, überlegte Holger.
Wolfi schnupperte. »Es ist Ottilie!« Das Werwölfchen würde den Geruch ihrer Freundin auf tausend Meter Entfernung erschnüffeln.
Sogleich öffneten die Grauses die Tür.
Davor stand tatsächlich das Nachbarsmädchen: Ottilie Schmidt.
»Du musst uns helfen, Ottilie. Wir haben ein Kuvert erhalten, es wurde durch diesen Schlitz hier geworfen und da ist wohl ein Brief drin!«, klärte Olga das Mädchen auf.
»Und wo ist das Problem?«
»Wir wissen nicht, wie oder besser wer es öffnen soll!«, erklärte Muh.
»Schrat ist es scheißegal!«, grummelte Opa Grause.
»Egal sagt man nicht!«, singsangten die Grause-Kinder.
»Hast du schon mal so was aufgemacht, Ottilie?«, fragte Olga.
»Ja klar, schon oft!«, antwortete Ottilie.
»Dann mach du es!« Husch reichte ihr das Kuvert und sah sie gespannt an.
Ottilie steckte ihren kleinen Finger in die offene Ecke und zog ihn an der langen Kante entlang. Es machte RRITSCH und das Kuvert war offen.
»Ohaaaa!«, riefen die Grauses bewundernd.
Ottilie zog einen grauen Brief heraus.
»So einfach ist das?«, fragte Husch verzückt.
»So einfach ist das!«, grinste Ottilie.
»Schrat staunt!«
»Soll ich den Brief vorlesen?«, bot Ottilie an.
»Das wäre famos, Ottilie Schmidt. Ganz famos!« Holger klatschte in die Hände und hüpfte dabei ein bisschen auf und ab.
Ottilie faltete den Brief auseinander und las.
Willkommen in Phase 4.
Nachdem Phase 0 (die Ausbildung), Phase 1 (die Ausgliederung), Phase 2 (die Akklimatisierung) sowie Phase 3 (die Integration) bereits abgeschlossen sind, heißen wir Sie, Familie Grause, herzlich willkommen in Phase 4: Freunde finden.
(Freunde: eine freiwillige persönliche Beziehung, die auf gegenseitiger Sympathie, Vertrauen und Unterstützung beruht. Nicht allerdings auf Verwandtschaft)
Die Aufgabe, der vom IFAW ausgesetzten Familie besteht darin, für jedes Familienmitglied einen sogenannten Freund zu finden.
Achtung: Die dunkelgrauen Punkte auf der hellgrauen Liste dürfen nach wie vor die Anzahl von 77 nicht übersteigen. Der Späher, in Gestalt der Krähe auf dem Dach des Hauses mit der Nummer 13, wird dies weiterhin überprüfen und alle Verstöße sofort und auf der Stelle dem IFAW melden. Die Aufgabe muss bis zum 13. Tag nach Erhalt dieses Schreibens erfüllt sein.
Graue Grüße
Ihr Sachbearbeiter
Oberinspektor
Günther Grottenolm
IFAW - Institut für andersartige Wesen, Nebel
»Die immer mit ihrer 13!«, murmelte Ottilie und schüttelte den...
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